Verwaltungsrecht

Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach dreijährigem Bestand einer Lebenspartnerschaft

Aktenzeichen  M 10 K 16.5371

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Der rechtmäßige Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet iSv § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG setzt voraus, dass sowohl die eheliche Lebensgemeinschaft als auch der rechtmäßuge Aufenthalt im Bundesgebiet mindestens drei Jahre ununterbrochen vorgelegen haben müssen. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ob eine dauernde Trennung von Lebens- bzw. Ehepartnern vorliegt, muss im Einzelfall nach objektiven Kriterien und Indizien ermittelt werden. Sie liegt nicht vor, wenn außer dem formalen Bestand der Ehe noch eine tatsächliche, gelebte ehelichen Verbundenheit besteht, die in der Pflege der häuslichen Gemeinschaft nach außen kundgegeben wird (vgl. BayVGH BeckRS 2014, 54141). (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Von einem Trennungswillen zwischen zwei Lebenspartnern kann nur dann ausgegangen werden, wenn dieser sich nach außen erkennbar manifestiert und der betroffene Lebenspartner unmissverständlich erkennt, dass eine Trennung ausdrücklich gewollt ist. Besteht zwischen den Lebenspartnern “Funkstille”, reicht dies für die Annahme eines Trennungswillens nicht aus.  (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Oktober 2016 die Aufenthaltserlaubnis des Klägers bis zum 30. Juni 2017 zu verlängern.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bis zum 30. Juni 2017 aus familiären Gründen.
Die Voraussetzungen der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sind nicht erfüllt, da die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinem Lebenspartner nach Überzeugung des Gerichts nicht mehr besteht.
Der Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ergibt sich aber aus § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen.
Die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinem Lebenspartner hat nach Überzeugung des Gerichts mehr als drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden.
Rechtmäßig im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG meint, dass sowohl die eheliche Lebensgemeinschaft als auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet für mindestens drei Jahre ununterbrochen vorgelegen haben müssen (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 31 AufenthG Rn. 14).
Der Kläger war mit einem Visum am 6. März 2013 zum Zweck der Begründung der Lebenspartnerschaft mit Herrn H. eingereist ins Bundesgebiet. Das Visum war mit einer Gültigkeit bis 3. Juni 2013 ausgestellt worden. Am 22. März 2013 schlossen der Kläger und der Zeuge Herr H. die Lebenspartnerschaft. Die erste Aufenthaltserlaubnis wurde dem Kläger dann am 30. April 2013 erteilt, zuletzt verlängert bis 30. Juni 2016. Am 21. April 2016, also rechtzeitig, hatte der Kläger einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gestellt. Die dreijährige Ehebestandszeit mit rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet wäre somit am 22. März 2016 erreicht gewesen. Nach den Aussagen, die Herr H. gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren gemacht hatte, sei die endgültige Trennung schon am 3. März 2016 erfolgt.
Unter Berücksichtigung dieses Trennungszeitpunkts wäre die dreijährige Ehebestandszeit nicht erreicht gewesen.
Ob eine dauernde Trennung vorliegt, muss für den Einzelfall nach objektiven Kriterien und Indizien ermittelt werden. Sie liegt nicht vor, wenn außer dem formalen Bestand der Ehe noch eine tatsächliche, gelebte eheliche Verbundenheit besteht. Die tatsächliche Verbundenheit wird nach außen regelmäßig in der Pflege der häuslichen Gemeinschaft kundgegeben (BayVGH, B.v.15.7.2014 – 19 CS 14.1199 – juris, Rn. 4). Wenn die eheliche Wohnung beibehalten wird, muss zumindest der Trennungswille nach außen erkennbar sein (BeckOK, Ausländerrecht, § 31 Rn. 13).
Dass die dauernde Trennung nicht schon am 3. März 2016, sondern erst am 21. April 2016 vorlag, ergibt sich aus der Zusammenschau aus der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie der glaubhaften Aussage des in der mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2017 vernommenen Zeugen Herrn H., des Lebenspartners des Klägers. Danach hat Herr H. erst bei der persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 21. April 2016 dem Kläger sowie nochmals der Beklagten offengelegt, dass er sich trennen wolle. Vorher sei einfach „Funkstille“ zum Kläger gewesen.
Da die eheliche Wohnung beibehalten wurde, muss der Trennungswille nach außen erkennbar sein. Diese Voraussetzung mag schon mit der E-Mail des Herrn H. vom 4. März 2016 an die Behörde vorgelegen haben, in welcher als Trennungszeitpunkt der 3. März 2016 angegeben wurde. Zugleich muss aber aus Sicht des erkennenden Gerichts auch der betroffene Partner selbst von diesem Trennungswillen erfahren. Der Trennungswille muss nicht nur nach außen erkennbar sein; auch der betroffene Lebenspartner muss unmissverständlich erkennen können, dass eine Trennung ausdrücklich gewollt ist. „Funkstille“ zwischen den Lebenspartnern reicht insoweit nicht aus. Diesen ernsthaften Trennungswillen konnte der Kläger aber sowohl nach seiner eigenen Aussage als auch nach der Zeugenaussage des Herrn H. erst am 21. April 2016 bei der gemeinsamen Vorsprache bei der Beklagten zur Kenntnis nehmen.
Der Zeuge Herr H wirkte bei seiner Zeugenaussage ehrlich, sachorientiert und unbeeinflusst.
Ausgehend von dieser glaubhaften Zeugenaussage geht das Gericht davon aus, dass die auch nach außen hin und für den Kläger selbst erkennbare dauernde Trennung erst am 21. April 2016 stattfand. Damit ist die dreijährige Ehebestandszeit bei zugleich rechtmäßigem Aufenthalt erreicht.
Dass die Lebenspartner nach der Trennung im April 2016 noch einige gemeinsame Freizeitaktivitäten zusammen erlebt haben, spricht nicht gegen die dauernde Trennung am 21. April 2016. Hierauf kommt es aber auch nicht mehr an.
Der Bezug von sozialen Leistungen schadet nicht (§ 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG).
Somit hat der Kläger unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. Oktober 2016 einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, also ausgehend von der letzten Verlängerung (zum 30. Juni 2016) nun bis zum 30. Juni 2017.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. mit §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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