Verwaltungsrecht

Verletzung des rechtlichen Gehörs, verfahrensrechtliche Anforderungen an die Ablehnung von Hilfsbeweisanträgen, Hilfsbeweisanträge als bloße Beweisanregungen an das Gericht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung, Gehörsverstoß nur bei Verletzung der Aufklärungspflicht

Aktenzeichen  14 ZB 22.30059

Datum:
17.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12066
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m.§ 138 Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 1, 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 28 K 18.34426 2021-09-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Gehörsverstoßes nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ist nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt.
1. Der Kläger sieht einen Gehörsverstoß darin, dass das Verwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung vom 15. September 2021 gestellten bedingten Beweisantrag auf Einholung einer Stellungnahme des Auswärtigen Amtes bzw. der Deutschen Botschaft in Teheran in den Urteilsgründen (UA Rn. 44/46) in rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt habe. Dieser sei zum Beweis der Tatsachen gestellt worden, „dass das Schreiben vom 8.6.1397, das auf dem Schreibtisch des Klägers im Iran auslag, und wovon ein Foto als Anlage 1) des Schriftsatzes vom 28.6.2021 zur Akte gereicht wurde, authentisch ist, ferner, dass die Ehefrau des Klägers von iranischen Sicherheitskräften aufgesucht wurde, die iranischen Sicherheitskräften nach dem Kläger gesucht und seine Vorsprache bei den Sicherheitskräften gefordert haben, ferner Bücher, den Computer, PC und den Laptop sichergestellt haben (vgl. Sitzungsprotokoll Seite 6 oben)“ (Antragsbegründung S. 8 unten/S. 9 oben). Das Gericht habe den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, dass dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag nicht nachgekommen werden müsse. Es sei schon nicht ersichtlich, inwieweit das Auswärtige Amt oder die Deutsche Botschaft in Teheran das vorgelegte Schreiben als echt oder unecht einzuschätzen vermöge, da es sich offensichtlich nicht um ein Dokument einer öffentlichen Stelle oder Behörde des iranischen Staats handele, sondern vielmehr um ein internes Schreiben der Arbeitsstelle des Klägers. Dies gelte auch unter der Prämisse, dass es sich hierbei um die „Nationale Iranische Gasgesellschaft“ handele. Selbst wenn das Auswärtige Amt eine Einschätzung dahingehend geben könnte, dass der Briefkopf des Anschreibens echt wäre, würde dies die Echtheit des Schreibens schon nicht nachweisen; so wäre beispielsweise nicht auszuschließen, dass der Kläger dieses Anschreiben selber verfasst habe oder über ehemalige Kollegen verfassen ließ, da er ja gerade bei der Gasgesellschaft angestellt gewesen sei. Das Auswärtige Amt vermöge insbesondere auch nicht zu beurteilen, ob die Ehefrau des Klägers von iranischen Sicherheitskräften aufgesucht worden sei, diese nach dem Kläger gesucht und persönliche Dinge des Klägers beschlagnahmt hätten. Es sei schon nicht ersichtlich, wie das Auswärtige Amt zu Erkenntnissen in Bezug auf diese Frage kommen solle, das Beweismittel stelle sich insoweit schon als ungeeignet dar.
Diese im Urteil des Verwaltungsgerichts gegebene Begründung zur Ablehnung des Beweisantrags, dass das Beweismittel ungeeignet sei, entspreche nicht den auch im Asylprozess anzuwendenden entsprechenden Vorschriften der ZPO sowie der ergänzend heranzuziehenden Regelung des § 244 StPO. Ein Beweisantrag dürfe mit dieser Begründung nur abgelehnt werden, wenn sich die Zwecklosigkeit des Beweises aus der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels ergebe. Der Richter müsse keine Beweise erheben, deren Gelingen aufgrund völliger Ungeeignetheit des angebotenen Beweismittels von vornherein ausgeschlossen erscheine. Unter dem prozessualen Gesichtspunkt der Untauglichkeit dürfe nur unter eng begrenzten Umständen in besonders gelagerten Ausnahmefällen von einer Beweiserhebung abgesehen werden (vgl. u.a. BVerfG, B.v. 28.2.1992 – 2 BvR 1179/91 – juris).
Das Verwaltungsgericht habe hier einen noch nicht erhobenen Beweis vorweg gewürdigt und durch Vermutungen über das, was die Beweisaufnahme ergeben oder nicht ergeben könnte, ersetzt. Ein Beweisantrag dürfe aber nicht schon allein deshalb zurückgewiesen werden, weil die aufgestellte Behauptung unwahrscheinlich sei oder die beantragte Beweisaufnahme aller Wahrscheinlichkeit nach erfolglos bleiben werde. Eine derartige Würdigung eines noch nicht erhobenen Beweises sei unter allen Umständen unzulässig. Vielmehr sei die Ablehnung nur zulässig, wenn ausgeschlossen erscheine, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches für die Bildung der richterlichen Überzeugung ergeben werde.
Auch wenn der Beweisantrag nur hilfsweise gestellt worden sei, seien diese Grundsätze anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem stattgebenden Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 – ausdrücklich festgestellt, dass die hilfsweise Stellung eines Beweisantrags ausreiche, da sie das Gericht nicht von der Verpflichtung entbinde, die Erheblichkeit des Beweisangebots zu beurteilen. Die Ablehnung des Beweisangebots auf Einholung der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes bzw. der Deutschen Botschaft in Teheran verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, da sie im Prozessrecht keine Stütze mehr finde. Auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs könne die Entscheidung auch beruhen. Das Verwaltungsgericht habe in seinem Urteil mitgeteilt, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG sei, weil es „nicht hinreichend davon überzeugt [ist], dass die vom Kläger genannten Gründe für seine Ausreise aus dem Iran der Wahrheit entsprechen“ (UA Rn. 26). Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Gericht in seiner Beweiswürdigung und Entscheidungsfindung zu einem anderen Ergebnis und zu der erforderlichen Überzeugung gekommen wäre, dass der Kläger wegen seiner Hinwendung zum Bahai-Glauben vorverfolgt ausgereist sei, wenn es die beantragte Beweiserhebung durchgeführt hätte und daraufhin das Auswärtige Amt bzw. die Deutsche Botschaft in Teheran die unter Beweis gestellten Tatsachen bestätigt hätten.
2. Mit dieser Begründung entspricht die Rüge eines Gehörsverstoßes nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt kann, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl. nur BVerfG, B.v. 1.2.1978 – 1 BvR 426/77 – BVerfGE 47, 182/187 f. m.w.N). Ferner gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Gleichwohl ist auch in Verfahren, in denen wie im Verwaltungsprozess der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, das Gericht zwar nicht verpflichtet, Beweisanträge zu berücksichtigen, wenn es die angebotenen Beweise nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis für nicht sachdienlich oder aus Rechtsgründen für unerheblich hält, darf aber eine derartige Nichtberücksichtigung nicht auf sachfremde Erwägungen stützen (vgl. BVerfG, B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88 – BVerfGE 79, 51/62), einen Beweisantrag also nicht aus Gründen ablehnen, die im Prozessrecht keine Stütze finden (vgl. BVerfG, B.v. 8.11.1978 – 1 BvR 158/78 – BVerfGE 50, 32/36). Für hilfsweise für den Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit gestellte Beweisanträge gilt insoweit nichts anderes, als Art. 103 Abs. 1 GG auch verletzt wird, wenn ihnen nicht nachgegangen wird, obgleich dies im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.1992 – 2 BvR 633/91 – NVwZ 1992, 659/660, BVerwG, B.v.10.6.1999 – 9 B 81.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302). Dass Beweisanträge nicht unbedingt gestellt sind, entbindet das Gericht lediglich von der verfahrensrechtlichen Pflicht des § 86 Abs. 2 VwGO, über sie vorab durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden, nicht aber von den sonst für die Behandlung von Beweisanträgen geltenden verfahrensrechtlichen Bindungen, wenn sie sich als erheblich erweisen (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13; Dawin/Panzer in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, § 86 VwGO Rn. 88 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 20.4.1982 – 1 BvR 1242/81 – BVerfGE 60, 247/249).
Die verfahrensrechtlichen Bindungen, die die Verwaltungsgerichtsordnung aufstellt, unterscheiden zwischen förmlichen Beweisanträgen nach § 86 Abs. 2 VwGO und nicht förmlich gestellten Beweisanträgen (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO). Fehlt es an einem förmlichen Beweisantrag, wird er also nur schriftsätzlich, bedingt oder hilfsweise gestellt, stellt er nach ständiger Rechtsprechung lediglich eine Beweisanregung dar, also eine Anregung an das Gericht, den Sachverhalt nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO weiter zu erforschen. In diesen Fällen kommt hinsichtlich der Sachaufklärungspflicht eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in einer nach § 138 Nr. 3 VwGO beachtlichen Weise nur in Betracht, wenn das Gericht die Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7 a.E.; vgl. auch B.v. 20.12.2011 – 7 B 43.11 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 10.11.2003 – 14 ZB 03.31246 – juris Rn. 4 f.; B.v. 8.1.2004 – 14 ZB 03.31389 – juris Rn. 2; B.v. 25.5.2004 – 14 ZB 04.30452 – juris Rn. 5; B.v. 22.11.2017 – 11 ZB 17.30768 – juris Rn. 8.; B.v. 9.7.2019 – 8 ZB 19.31737 – juris Rn. 2.; B.v. 20.4.2020 – 4 ZB 20.30870 – juris Rn. 9 m.w.N.). Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 – (BVerfGK 20, 146) ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass die Grundsätze für die Ablehnung von förmlichen Beweisanträgen auf die Ablehnung von Hilfsbeweisanträgen zu übertragen sind, sondern nur, dass das Gericht die Erheblichkeit des Beweisangebots beurteilen muss und die Nichtberücksichtigung eines von ihm als erheblich angesehenen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt, wenn sie im jeweiligen Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. auch BVerfG, B.v. 1.8.2017 – 2 BvR 3068/14 – NJW 2017, 3218 Rn. 48 m.w.N.). Letzteres beurteilt sich bei Beweisangeboten danach, ob gegen die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen wurde.
b) Nach alledem kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob das Verwaltungsgericht den hilfsweise gestellten Beweisantrag nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung in Verbindung mit der ergänzend heranzuziehenden Regelung des § 244 StPO prozessrechtskonform abgelehnt hat, sondern darauf, ob sich ihm eine Beweiserhebung entsprechend der – von ihm ersichtlich zur Kenntnis genommenen – klägerischen Beweisanregung auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen. Hierfür ist nichts dargelegt. Dabei hätte für eine Darlegung insbesondere der Beweiserheblichkeit schon deshalb Anlass bestanden, weil das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten im Vortrag des Klägers sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts aufgelistet hat (UA Rn. 29 bis 42), also ersichtlich von einer nicht stimmigen Schilderung des persönlichen Verfolgungsschicksals (vgl. UA Rn. 27) ausgegangen ist.
4. Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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