Verwaltungsrecht

Verletzung rechtlichen Gehörs wegen willkürlicher Ablehnung eines Beweisantrags

Aktenzeichen  10 ZB 20.31148

Datum:
26.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24625
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, S. 2, § 60a Abs. 2c S. 2, S. 3

 

Leitsatz

Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 23 K 18.32784 2020-03-23 VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels durch Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) wegen der unrechtmäßigen Ablehnung eines Beweisantrags liegt nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hatte nach der mündlichen Verhandlung am 31. Januar 2020 dem Bevollmächtigten der Kläger eine Schriftsatzfrist eingeräumt, um ihm Gelegenheit zu geben, auf den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes einzugehen. Dieser beantragte mit Schriftsatz vom 20. Februar 2020 unter anderem, die Einvernahme des Arztes und Psychotherapeuten Dr. B. als sachverständigen Zeugen, um hinsichtlich der Erkrankung der Klägerin zu 1 die Fragen zu beantworten, welche tatsächlichen Umstände Grundlage der fachärztlichen Beurteilung seien, welche Methode der Tatsachenerhebung zur Anwendung gelangt sei, wie die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes laute, welchen Schweregrad die Erkrankung habe, welche voraussichtlichen Folgen sich nach ärztlicher Beurteilung aus der derzeitigen krankheitsbedingten Situation ergäben, sowie welche medizinischen Folgen eine Rückführung der Klägerin zu 1 für diese im Zielstaat Nigeria hätte, wenn man unterstelle, dass dort die erforderliche medizinische Behandlung nicht verfügbar sei.
In den Gründen des ohne weitere mündliche Verhandlung ergangenen Urteils vom 23. März 2020 lehnte das Verwaltungsgericht diesen Antrag ab. Zum einen stelle der Beweisantrag schon keinen echten Beweisantrag, sondern einen Ausforschungsantrag dar, denn es würden keine zu beweisenden Tatsachen zum Beweis gestellt, sondern lediglich die gesetzlich im Rahmen des § 60a Abs. 2c AufenthG aufgestellten Voraussetzungen in Form von Fragen aufgelistet. Zum anderen werde nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die beantragte Einvernahme bessere oder andere Erkenntnisse bringen werde als die, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden seien. Schließlich werde durch den Beweisantrag versucht, die klägerische Substantiierungspflicht umzudrehen; dass die Klägerin zu 1 überhaupt an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode leide, sei bislang – wie der Prozessbevollmächtigte sogar selbst eingestehe – nicht substantiiert glaubhaft gemacht worden. Überdies leuchte nicht ein, wie der genannte Dr. B. zum psychischen Zustand der Klägerin zu 1 einvernommen werden solle, wenn er bislang noch nicht mir ihr befasst gewesen sei. Schließlich seien die im Beweisantrag aufgeworfenen Fragen mittlerweile mit Attest der Ärztin Dr. S. vom 5. März 2020 beantwortet worden, so dass angenommen werden könne, dass der Beweisantrag konkludent zurückgenommen worden sei (UA Rn. 84).
Die Kläger halten die Ablehnung des Beweisantrags für rechtsfehlerhaft. Es handle sich nicht um einen Ausforschungsbeweisantrag, sondern die Fragestellungen bezögen sich auf die Tatsache, dass die Klägerin zu 1 aus gesundheitlichen Gründen nicht in ihr Heimatland zurückgeführt werden könne. Allein zu diesem Thema habe sich der Zeuge zu äußern; die weiteren Fragestellungen stünden damit im Zusammenhang. Es handle sich um einen echten Beweisantrag, dem das Verwaltungsgericht hätte nachkommen müssen.
Ein Verfahrensmangel, der zu einer Versagung des rechtlichen Gehörs im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO geführt hätte, ist damit nicht geltend gemacht.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 13.2.2019 – 10 ZB 18.32806 – Rn. 4; B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33382 – juris Rn. 2; B.v. 16.7.2019 – 9 ZB 19.32441 – juris Rn. 4, jeweils m.w.N.).
Die Ablehnung des Beweisantrags war bereits deshalb rechtmäßig, weil der benannte sachverständige Zeuge Dr. B. ungeeignet war. Wie in dem ebenfalls von der Klägerseite vorgelegten Attest der behandelnden Ärztin Dr. S. vom 5. März 2020 ausdrücklich festgestellt ist, war Dr. B. an der Behandlung der Klägerin zu 1 nicht beteiligt; er hätte daher zu deren Gesundheitszustand nichts kraft eigener „Wahrnehmung“ (vgl. § 414 ZPO) aussagen können.
Jedenfalls aber trifft die Bewertung des Verwaltungsgerichts zu, dass es sich bei dem gestellten Antrag um einen unzulässigen Ausforschungsantrag handelte. Dies ergibt sich bereits daraus, dass kein konkreter Tatsachenvortrag unter Beweis gestellt wird, sondern „offene“, teilweise abstrakte Fragen gestellt wurden. Er hatte damit das Ziel, erst Zugang zu einer Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen (OVG Bremen, B.v. 13.6.2018 – 2 LA 50/17 – juris Rn. 3). Um das Bestehen eines krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend machen zu können, muss jedoch gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprechende qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden. Der Klägerin zu 1 hätte es im Rahmen ihrer Darlegungspflicht oblegen, durch eine derartige ärztliche Bescheinigung ihre Behauptung einer im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevanten Erkrankung zu substantiieren, um dem Verwaltungsgericht Anlass zu weiterer Sachverhaltsermittlung zu geben (OVG Berlin-Bbg, B.v. 25.3.2020 – OVG 10 N 4/20 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33382 – juris Rn. 4; OVG Bremen, B.v. 12.11.2018 – 2 LA 60/18 – juris Rn. 5 ff.). Die im gestellten Beweisantrag formulierten Fragen lehnen sich im Ergebnis an den Wortlaut des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG an, hätten also erst (möglicherweise) die Anforderungen an die Substantiierung der unter Beweis zu stellenden Tatsachenbehauptung ergeben sollen.
Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht trotz der Ablehnung des Beweisantrags alle vorgelegten ärztlichen Unterlagen auch unabhängig von den formalen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG daraufhin überprüft hat, ob sich aus ihnen ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, ob die Kläger an lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen leiden, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (siehe UA Rn. 82-88), diese Frage aber verneint.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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