Verwaltungsrecht

Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, Wiederholungsgefahr

Aktenzeichen  10 ZB 21.2298

Datum:
11.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30916
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6 Abs. 1 bis 3
FreizügG/EU § 7 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 25 K 20.3581 2021-07-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2020, mit dem der Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, die Einreise und der Aufenthalt auf 7 Jahre befristet untersagt sowie der Kläger zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Kroatien angedroht wurde, weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.
Solche Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Verlustfeststellung sei rechtmäßig. Das Verhalten des Klägers, der mit Urteil des Landgerichts Landshut vom 9. März 2020 unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts München II vom 20. Juni 2018 wegen insgesamt vier Wohnungseinbruchdiebstählen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war, stelle eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, die Grundinteressen der Gesellschaft berühre. Vom Kläger gehe auch gegenwärtig eine Wiederholungsgefahr aus. Die Taten habe er auch zur Deckung seines Lebensunterhalts begangen. Er sei bereits 2013 in Kroatien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden und habe sich auch im Strafvollzug nicht beanstandungsfrei geführt. Eine soziale Integration im Bundesgebiet sei dem Kläger nicht gelungen. Er habe keinen Arbeitsplatz und keine feststellbaren sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Die Befristung des Aufenthalts- und Einreiseverbots auf sieben Jahre sei nicht zu beanstanden.
Das Zulassungsvorbringen des Klägers zieht diese Erwägungen nicht durchgreifend in Zweifel.
An der Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe eine hinreichende Wiederholungsgefahr aus, bestehen auch zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung und unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens keine ernstlichen Zweifel.
Der Kläger trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen Art. 45 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV sowohl die Verurteilung in Kroatien als auch den Führungsbericht der JVA bei der Gefahrenprognose herangezogen. Nach § 6 Abs. 2 FreizügG/EU dürften nur Verurteilungen herangezogen werden, die im Bundeszentralregister eingetragen seien. Dass die Taten der Bestreitung des Lebensunterhalts gedient hätten, sei nur eine Mutmaßung. Er sei nun in München gemeldet, ein Arbeitsvertrag könne vorgelegt werden.
Damit wird die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
Bei einer auf spezialpräventive Gründe zu stützenden Verlustfeststellung (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU) hat das Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (stRspr, siehe z.B. BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 27). Dabei dürfen – entgegen der Auffassung des Klägers – auch Umstände herangezogen werden, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben. Dies steht nicht im Widerspruch zu Art. 45 Abs. 2 und 3 AEUV und in deren nationalen Umsetzung in § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU soll nur verdeutlichen, dass nicht jede frühere strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für eine Aufenthaltsbeendigung genommen werden kann (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 104 f.), besagt jedoch nicht, dass ein persönliches Verhalten, das letztlich nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hat, bei der Gefährdungsprognose keine Berücksichtigung finden darf (BayVGH, B.v. 22.10.2012 – 10 ZB 12.1655 – juris Rn. 6).
Ausgehend hiervon schließt sich der Verwaltungsgerichtshof der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts auch zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats und auch unter Berücksichtigung des sonstigen Zulassungsvorbringen an. Der alleinige Einwand des Klägers, es beruhe auf reiner Mutmaßung, dass seine Taten der Deckung des Lebensunterhalts gedient hätten, greift nicht durch. Eine entsprechende Feststellung enthalten bereits die rechtskräftigen Strafurteile.
Auch die vom Beklagten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2012 – 10 ZB 11.2751 – juris Rn. 4) ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in seinem Ermessen liegt, und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt. Er hat auch hinreichend die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts und den Integrationsstand bewertet. Eine Fehlgewichtung ist nicht erkennbar. Ebenso begegnet die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Verlustfeststellung erweise sich auch unter Berücksichtigung der persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet als verhältnismäßig, keinen ernstlichen Zweifeln, gleiches gilt für die Befristungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU. Die entsprechenden Feststellungen und Erwägungen des Verwaltungsgerichts werden mit dem Zulassungsvorbringen, das mit dem Verweis auf einen nicht näher konkretisierten Arbeitsvertrag allenfalls die Absicht einer beruflichen Integration behauptet, nicht substantiiert angegriffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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