Verwaltungsrecht

Verpflichtung zum Heckenrückschnitt, Sofortvollzug

Aktenzeichen  M 2 S 21.3494

Datum:
19.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26843
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayStrWG Art. 29

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 2. Juli 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Juni 2021 wird hinsichtlich der Verpflichtung, die Anpflanzungen zurückzuschneiden bzw. zu beseitigen, wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine ihr durch Bescheid auferlegte Pflicht, ihre Hecke (an der Grundstücksgrenze zur Straße hin) zurückzuschneiden, und gegen die Androhung eines Zwangsgelds für den Fall der Nichtbefolgung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemeinde … Die Gemeinde ist Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft. Das Grundstück wird zur … straße hin seit Jahrzehnten von einer Thujenhecke eingefasst. Die Hecke ragt über die Grundstücksgrenze in den öffentlichen Straßenraum hinein.
Mit Schreiben vom 30. März 2021 wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 9. April 2021 aufgefordert, die Hecke an der … straße bis zur Grundstücksgrenze zurückzuschneiden. Mit Schreiben vom 26. Mai 2021 teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit, dass eine Firma die notwendigen Pflegemaßnahmen Ende April 2021 durchgeführt habe.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2021 wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung aufgefordert, ihre Anpflanzungen an der Grenze zur … straße zurückzuschneiden. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Es wurde ferner ein Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR angedroht.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Anpflanzungen in den öffentlichen Verkehrsraum hineinwachsen und den Straßen- und Fußgängerverkehr auf der … straße beeinträchtigen. Außerdem könne ein Hydrant nicht mehr bedient werden. Der Sofortvollzug sei anzuordnen, weil es im öffentlichen Interesse nicht vertretbar sei, den rechts- und ordnungswidrigen Zustand bis zum Abschluss eines eventuellen Rechtsmittelverfahrens bestehen zulassen. Rechtsgrundlage sei Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Bay-StrWG. Auf andere Weise als durch Anordnung der Beseitigung der Hecke auf dem Grundstück könnten rechtmäßige Zustände nicht herbeigeführt werden.
Am 2. Juli 2021 erhob die Antragstellerin Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom 23. Juni 2021 (M 2 K 21.3495) und wandte sich zudem gegen die Anordnung des Sofortvollzugs. Sie trug vor, dass sich dem Bescheid schon nicht eindeutig entnehmen lasse, ob die Verwaltungsgemeinschaft oder die Gemeinde gehandelt habe. Der Bescheid sei deshalb unbestimmt. Außerdem bestehe spätestens seit dem Rückschnitt Ende April 2021 keine Beeinträchtigung des Straßenverkehrs mehr. Die hohen Anforderungen des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG, der vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG eng auszulegen sei, seien nicht erfüllt. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei überdies nicht ausreichend begründet.
Sie beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 2. Juli 2021 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragte sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 9. August 2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass ein außergerichtlicher Einigungsversuch am 26. Juli 2021 erfolglos gewesen und der Heckenrückschnitt weiterhin notwendig sei, auch um die Sicherheit von Schulkindern zu gewährleisten.
Mit Beschluss vom 11. August 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte und der Gerichtsakten verwiesen, auch im zugehörigen Klageverfahren M 2 K 21.3495.
II.
I. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde nicht ordnungsgemäß begründet. Es bestehen darüber hinaus Zweifel an der Bestimmtheit und damit materiellen Rechtmäßigkeit des Bescheids. Ferner fehlt es an einem besonderen Vollzugsinteresse.
1. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei nach der Überprüfung, ob die Anordnung den formalen Kriterien des § 80 Abs. 3 VwGO genügt, eine eigene originäre Abwägungsentscheidung. Es hat hierbei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids sowie dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich zu berücksichtigen. Ferner ist zu überprüfen, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf einem besonderen Vollzugsinteresse beruht.
2. Vorliegend fehlt es bereits an einer ordnungsgemäßen Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Diese Vorschrift verpflichtet die Behörde, mit einer auf den konkreten Fall abgestellten und nicht lediglich „formelhaften“ schriftlichen Begründung das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung darzulegen. Das Begründungserfordernis dient dem Zweck, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen, den Betroffenen über die Gründe, die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung maßgebend gewesen sind, in Kenntnis zu setzen und schließlich auch das Gericht im Falle eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Erwägungen der Behörde zu unterrichten. Der Inhalt der Begründung muss sich auf den konkreten Einzelfall beziehen (vgl. nur Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 25 m.w.N.).
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im streitgegenständlichen Bescheid erschöpft sich in einem Hinweis auf ein bestehendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Es wird damit das behauptet, was zu begründen gewesen wäre. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, dass die Antragsgegnerin sich näher mit den Auswirkungen des Sofortvollzugs befasst und eine Abwägung der gegenläufigen Interessen durchgeführt hat.
3. Es bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids. Ungeachtet der Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG vorliegen und ob die Antragsgegnerin ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, erscheint bei summarischer Prüfung der Bescheid jedenfalls inhaltlich zu unbestimmt. Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Daraus ergibt sich, dass bei einem Verwaltungsakt, der – wie hier – zu einer Handlung verpflichtet, das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein muss, dass der Inhalt der Verpflichtung keiner unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Die Konkretisierung dessen, was geboten ist, muss in der Verfügung selbst erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 31). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Erste Zweifel am Inhalt der Verpflichtung ergeben sich bereits daraus, dass in der sehr knappen Begründung des Bescheids von einer „Anordnung der Beseitigung (!) der Hecke auf (!) dem Grundstück“ die Rede ist. Damit erscheint nicht ausgeschlossen, dass mehr als ein Rückschnitt verlangt wird. Selbst man dieses Verständnis mit Blick auf die übrigen Formulierungen im Bescheid und mit Rücksicht auf die dem Bescheiderlass vorausgegangene Kommunikation zwischen den Beteiligten ausschließen können sollte, bleibt zumindest unklar, wie weit und bis in welche Höhe die Hecke zurückzuschneiden ist. Ist das zu erreichende Ziel daher nicht hinreichend deutlich formuliert, genügt der Bescheid nicht den Anforderungen des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
4. Es fehlt es überdies an einem besonderen Vollzugsinteresse.
a) Die Anordnung einer sofortigen Vollziehung im Einzelfall nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO setzt ein besonderes Interesse an der Vollziehung schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens voraus. Die Anordnung bezieht sich auf eine Besonderheit in zeitlicher Hinsicht und unterscheidet sich inhaltlich vom Interesse am Erlass des Grundverwaltungsakts. Folglich könnte selbst eine offensichtliche Rechtmäßigkeit der Grundverfügung allein die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht tragen (vgl. BVerwG, B.v. 5.11. 2018 – 3 VR 1/18 – juris Rn. 24). Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss vielmehr wegen öffentlicher (oder überwiegender privater) Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden (vgl. VGH München, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 23).
b) Hieran fehlt es. Es ist, ungeachtet der fehlenden Begründung nach § 80 Abs. 3 VwGO, in der Sache kein besonderes Vollzugsinteresse gegeben. Die Hecke ragt nach dem vorgelegten Bildmaterial zwar offenbar über die Grundstücksgrenze, beeinträchtigt aber allenfalls nur die Benutzung eines Grünstreifens, der ersichtlich nicht als Gehweg geeignet ist, wenngleich auf den vorgelegten Bildern der Antragsgegner auch ein Fußgänger abgebildet worden ist. Der regelmäßige Gebrauch des Grünstreifens als Gehweg dürfte angesichts des Untergrunds an anderen Gründen scheitern als der Beeinträchtigung durch die in den Straßenraum hineinragende Hecke. Auch ohne die Hecke erscheint der „Gehweg“ nicht als verkehrssicherer Weg – erst recht nicht für Schulkinder. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Nutzung des Hydranten ist nach dem vorgelegten Bildmaterial ebenfalls nicht ersichtlich.
4. Wegen der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Rückschnitts-/Beseitigungsverpflichtung erweist sich auch die Androhung des Zwangsgelds als rechtswidrig. Es fehlt nunmehr an einer der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 VwZVG. Daher ist insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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