Verwaltungsrecht

Verpflichtung zur Durchführung einer bodenschutzrechtlichen Detailuntersuchung

Aktenzeichen  Au 9 S 19.2149

Datum:
13.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4684
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BBodSchG § 9 Abs. 2
VwZVG Art. 21a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 8. November 2019 (Gz.: …) wird in Bezug auf die Nrn. 1.1 und 1.2 wiederhergestellt und in Bezug auf Nr. 3 angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um den Sofortvollzug einer bodenschutzrechtlichen Verpflichtung der Antragstellerin zur Vorlage eines Untersuchungsprogramms für eine erweiterte Detailuntersuchung und Vorlage einer entsprechenden Auftragsbestätigung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke (Fl.Nrn…  und, Gemarkung …), auf denen sich das Betriebsgelände der … GmbH befand, in dem von 1947 bis 1993 … produziert wurden. Bei der Produktion wurden leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) eingesetzt, die in erheblichen Mengen in den Untergrund gelangt sind. Diese Verunreinigungen gehen – nach dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Stand der Erkenntnisse – im Wesentlichen auf verschiedene Störfälle im Bereich eines LHKW-Tanklagers in den Jahren 1975 bis 1978 zurück und wurden von den zuständigen Behörden ab September 1989 auf dem Betriebsgelände festgestellt. Mit notariellem Vertrag vom 13. Januar 1989 wurden sämtliche Anteile an dieser Gesellschaft verkauft, die frühere Betreiberin ging durch gesellschaftsrechtliche Verschmelzung in der Klägerin auf. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung einer Anordnung des Beklagten vom 22. Mai 1991 bezüglich Boden- und Grundwasseruntersuchungen auf dem ehemaligen und auch in diesem Verfahren maßgeblichen Betriebsgelände, stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. Januar 1992 (Az.: 22 CS 91.2110) fest, dass die Antragstellerin Rechtsnachfolgerin der … GmbH ist, was zur Folge habe, dass die in deren Betrieb verursachten Bodenverunreinigungen auf die Klägerin übergegangen seien und diese als Handlungsstörerin gelte.
Seit dem Jahr 1995 wurden bei den vier sich auf dem Grundstück befindlichen Schadensherden Grundwassersanierungs- und Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der finanzielle Aufwand der seinerzeitigen Maßnahmen im Vergleich zum erzielten Nutzen nicht mehr verhältnismäßig war, wurden diese im Jahr 2009 eingestellt. Das Grundwasser ist auf dem Betriebsgelände und im Abstrom trotz der Sanierungsmaßnahmen immer noch erheblich belastet. Die Belastung bewegt sich im Quartär in einer Größenordnung von einigen 100 µg/l, im Tertiär von über 10.000 µg/l. Nachdem über den Umfang der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zunächst keine Einigung erzielt werden konnte, sicherte die Antragstellerin mit Vereinbarung vom 16. November 2010 die Vorlage eines Gutachtens zur Prüfung alternativer Sanierungsmethoden und der Abstimmung weiterer Schritte zur Sanierung zu.
Die von der Antragstellerin beauftragte Firma für Umwelttechnik erstellte am 11. Februar 2011 einen Untersuchungsbericht zu Vorerkundungen für Sanierungsverfahren bezüglich der vom Gelände der Antragstellerin ausgehenden Schadstoffbelastungen mit LHKW im quartären und tertiären Grundwasserleiter. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der durchgeführten Laborversuche bezüglich der Schadstoffe im Grundwasser sowohl eine ISCO-Sanierung (Insitu chemische Oxidation) als auch ein biologischer Abbau möglich ist. In der Folgezeit bestanden zwischen den Beteiligten Unstimmigkeiten über das Erfordernis eines (weiteren) hydrogeologischen Grundwassermodells bzw. der Aktualisierung der vorhandenen Daten für das tertiäre und quartäre Aquifer. Angesichts der im Jahr 2011/2012 gemessenen, tendenziell zurückgehenden Werte der Gewässerverunreinigung durch LHKW bezweifelte die Antragstellerin den vom Beklagten behaupteten Handlungsbedarf zur Beschleunigung der Sanierung.
Mit Bescheid des Landratsamts … vom 8. November 2019 (Gz.: …) wurde die Antragstellerin verpflichtet, dem Landratsamt … innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Bescheids ein Untersuchungsprogramm für eine erweiterte Detailuntersuchung auf dem GPS-Gelände vorzulegen, in dem folgende Ziele dargestellt sind:
– vertieftes Erkunden der hydrogeologischen Standortbedingungen zur Beurteilung des Stofftransports im Untergrund und Abschätzung des Transports der Schadstoffe in den Grundwasserstauer
– Lokalisieren der Belastungszentren A, C, M, N (ggf. weitere) im Quartär und Tertiär sowie horizontales und vertikales Abgrenzen der kontaminierten Bereiche in gesättigter und ungesättigter Zone (Rasterbeprobung)
– quantitative und qualitative Erfassung des Schadstoffinventars mit dessen räumlicher Verteilung (horizontal und vertikal)
– Ermittlung der mobilisierten und mobilisierbaren Anteile
– Abschätzung der zeitlichen Entwicklung des Schadstoffinventars unter Berücksichtigung von Milieuänderungen
– Ggf. Anwendung geeigneter Stofftransportmodelle
– Vornehmen von Grundwasseruntersuchungen
– Erstellung einer Sickerwasserprognose zur abschließenden Gefährdungsab-schätzung
– Beurteilung inwieweit für den Wirkungspfad Boden-Gewässer Sanierungs-, Schutz- oder Beschränkungsmaßnahmen erforderlich sind (Nr. 1.1 des Bescheids).
In Nr. 1.2 des Bescheids wurde die Antragstellerin weiter verpflichtet, spätestens vier Wochen nach Zugang des Bescheids dem Landratsamt * eine entsprechende Auftragsbestätigung an ein Fachbüro vorzulegen.
In Nr. 2 des Bescheids wurde für die Nrn. 1.1 und 1.2 die sofortige Vollziehung angeordnet.
In Nr. 3 wurde der Antragstellerin im Falle der nicht fristgerechten Folgeleistung der in Nrn. 1.1 und 1.2 angeordneten Maßnahmen ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 EUR (Verstoß gegen Nr. 1.1) bzw. 1.000,00 EUR (Verstoß gegen Nr. 1.2) angedroht.
In den Gründen des Bescheids ist u.a. ausgeführt, dass sich auf den Grundstücken der GPS und im Grundwasserabstrom eine Untergrund- und Grundwasserverunreinigung durch LHKW finde. Auch 27 Jahre nach Beginn der Sanierungsmaßnahmen seien auf dem Gelände der ehemaligen … fabrik … immer noch erhebliche LHKW-Verunreinigungen vorhanden. In der wassergesättigten Bodenzone der Schadenszentren sowie im Grundwasserabstrom lägen erhebliche Überschreitungen des Prüfwertes nach Anhang 2 Nr. 3.1 der Bundesbodenschutzverordnung (BBodSchV) sowie des Stufe 2-Wertes nach dem LfW-Merkblatt 3.8/1 „Untersuchung und Bewertung von Altlasten, schädlichen Bodenveränderungen und Gewässerverunreinigungen – Wirkungspfad Boden-Gewässer“ vor. Die Erstellung eines Untersuchungsprogramms für eine erweiterte Detailuntersuchung sei sowohl möglich und erforderlich als auch zumutbar bzw. verhältnismäßig. Das Landratsamt * beabsichtige aufgrund der Komplexität und des Ausmaßes der Altlast ein schrittweises Vorgehen bei der Erstellung der Detailuntersuchung. Zunächst solle ein zielführendes Untersuchungsprogramm erstellt werden, das die Beteiligten in die Lage versetze, zielgerichtet und damit kosten- und aufwandseffizient die Detailuntersuchung selbst durchzuführen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stütze sich auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das öffentliche Interesse an einer schnellstmöglichen Sanierung bzw. Sicherung bzw. Durchführung der erforderlichen Untersuchungen überwiege das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an einem Aufschub der geforderten Maßnahmen bis zu einem rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens. Die Anordnung liege im überwiegenden öffentlichen Interesse. Dem stehe das nachgeordnete Interesse der GPS, durch einen Verzicht auf eine umfassende Sanierung des Grundwassers und deshalb bereits ein Verzicht auf die Erstellung einer erweiterten Detailuntersuchung die Kosten zu reduzieren gegenüber. Auch seien bei der Prüfung eines Sofortvollzugs die Erfolgsaussichten eines eingelegten Rechtsmittels zu berücksichtigen. Nach Ansicht des Landratsamts habe eine Klage keine Aussicht auf Erfolg. Die Androhung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) Die Androhungen seien im öffentlichen Interesse geboten, um die schnellstmögliche Umsetzung der geforderten Maßnahmen sicherzustellen.
Auf die weiteren Ausführungen im Bescheid des Landratsamtes … vom 8. November 2019 wird ergänzend verwiesen.
Die Antragstellerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. November 2019 aufzuheben (Az.: Au 9 K 19.2147). Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
„die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 30. Juni 2010, Bayerisches Verwaltungsgericht Augsburg, Az.: …, gegen die Verfügung des Antragsgegners mit Bescheid des Landratsamts … vom 27. Mai 2010, Az.:, wiederherzustellen“.
Zur Begründung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz ist ausgeführt, dass die Vollzugsanordnung des Landratsamts aufzuheben sei, da sie formell und materiell rechtswidrig sei. Die Vollzugsanordnung sei bereits nicht ausreichend begründet. Es habe keine ausreichende Ermessensabwägung stattgefunden. Auch seien nicht alle im Einzelfall relevanten Interessen berücksichtigt worden. Die Vollzugsanordnung sei auch materiell rechtswidrig, da die Begründung auf unzutreffenden Grundlagen beruhe. Die beabsichtigte Anordnung der Erstellung eines Untersuchungsprogramms sei ermessensfehlerhaft und daher rechtswidrig. Jedenfalls sei die Anordnung eines erweiterten Untersuchungsprogramms nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. Der Anordnungsbescheid leide überdies an einem Begründungsmangel. Auch sei unzutreffend, dass der Schaden im Tertiär „unbekannt“ sei. Dass die räumliche Ausdehnung der Schadstofffahne im tertiären Grundwasserleiter nicht bekannt sei, beziehe sich auf den Teil der Schadstofffahne außerhalb des GPS-Geländes. Ein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug bestehe nicht.
Auf das weitere Vorbringen im Klage- und Antragsschriftsatz vom 16. Dezember 2019 wird ergänzend verwiesen.
Das Landratsamt … ist für den Antragsgegner dem Antrag mit Schriftsatz vom 5. März 2020 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO abzulehnen.
Die Einwände der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 8. November 2019 seien zurückzuweisen. Seit der vorübergehenden Aussetzung der provisorischen Grundwasserabstromsicherung im Jahr 2009 seien mittlerweile über zehn Jahre vergangen und deshalb keine weiteren Verzögerungen zu akzeptieren. Es liege in der Natur der Sache, dass bodenschutzrechtliche Verfahren in der Regel zum Teil erheblich länger dauerten als übrige Verwaltungsverfahren. Dies stehe der Zulässigkeit eines Sofortvollzugs nicht entgegen. Der Freistaat Bayern sei an einem zügigen Fortgang des Verfahrens und insbesondere einem Vollzug der Anordnung vom 8. November 2019 sehr interessiert.
Auf den weiteren Vortrag im Antragserwiderungsschriftsatz vom 5. März 2020 wird ergänzend verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Antragsgegner vorgelegte Verfahrensakte (Band 19) Bezug genommen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO (hinsichtlich Nrn. 1.1 und 1.2 des streitigen Bescheids des Landratsamts * vom 8. November 2019) und nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG (hinsichtlich Nr. 3 des streitigen Bescheids) statthafte Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin fristgerecht eingelegten Klage (Az. Au 9 K 19.2147) ist zulässig und begründet. Es ist offensichtlich, dass sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag im Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 gegen den vom Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid vom 8. November 2019 angeordneten Sofortvollzug (Nr. 2 des streitigen Bescheids) wendet. Dies ergibt sich insbesondere auch unter Bezugnahme auf die am selben Tag (16. Dezember 2019) eingereichte Klage im Verfahren Au 9 K 19.2147. Die falsche Bezeichnung des Bescheids im Antragsschriftsatz vom 16. Dezember 2019 ist daher unschädlich.
1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wieder herstellen, wenn – wie hier – die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO entfällt, weil die Behörde die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat.
Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich der gestellte Eilantrag als begründet, weil derzeit das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt, da es an einem erforderlichen besonderen Vollzugsinteresse fehlt. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, in denen – wie hier – die gesetzlich vorgesehene aufschiebende Wirkung aufgrund einer behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung entfällt, die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wieder herstellen. Die hiernach zu treffende gerichtliche Eilentscheidung hat unter Abwägung der Interessen der Beteiligten zu erfolgen.
Einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist dabei Erfolg beschieden, wenn die behördliche Vollziehungsanordnung formell defizitär ist oder sich der Verwaltungsakt, dessen Vollziehbarkeit in Rede steht, als offensichtlich rechtswidrig darstellt oder eine besondere Dringlichkeit seiner Vollziehung (sogenanntes besonderes Vollzugsinteresse) nicht besteht.
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1.1 (Vorlage eines Untersuchungsprogramms für eine erweiterte Detailuntersuchung) und Nr. 1.2 (Auftragsbestätigung einer Fachfirma) im streitigen Bescheid ist formell (noch) ordnungsgemäß erfolgt. Das formelle Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt, dass die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten erachtet. Das Begründungserfordernis bezweckt, dass sich die Behörde selbst des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst wird und die dafür und dagegen sprechenden Gründe sorgfältig prüft. Der Betroffene wird durch die schriftliche Begründung über die Gründe, die für die behördliche Entscheidung maßgebend gewesen sind, unterrichtet. Dies ermöglicht es ihm, die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Aussetzungsantrags abzuschätzen. Ebenso ermöglicht die Kenntnis der behördlichen Erwägungen eine ordnungsgemäße verwaltungsgerichtliche Kontrolle (vgl. VGH BW, B.v. 27.9.2011 – 1 S 2554/11 -VBlBW 2012, 154). Dementsprechend muss aus der Begründung nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen in dringendem öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten eintretenden vorläufigen Rechtsschutz des Betroffenen einstweilen zurückzustellen; auf die inhaltliche Richtigkeit der von der Behörde für die Anordnung des Sofortvollzugs gegebenen Begründung kommt es nicht an (VGH BW, B.v. 2.12.2005 – 10 S 644/05 – juris).
Zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Vorlageverpflichtung der Antragstellerin für ein erweitertes Detailuntersuchungsprogramm (Nr. 1.1 des streitigen Bescheids) bzw. der Vorlage einer Auftragsbestätigung einer Fachfirma (Nr. 1.2 des streitigen Bescheids) hat der Antragsgegner auf das bestehende öffentliche Interesse an einer schnellstmöglichen Sanierung bzw. Sicherung bzw. Durchführung der erforderlichen bodenschutzrechtlichen Untersuchungen verwiesen, die ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens nicht zuließen. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gibt damit zu erkennen, dass aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten erachtet wird. Damit werden die formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erfüllt. Die Begründung setzt die Antragstellerin ungeachtet ihrer Kürze in die Lage, nachzuvollziehen, dass der Antragsgegner eine sofortige Vollziehung aus Gründen des Bodenschutzrechts für erforderlich erachtet. Das Interesse der Antragstellerin trete dahinter zurück. Ob die vom Antragsgegner angeführten Gründe inhaltlich tragen, ist hingegen keine Frage des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern im Rahmen der besonderen Dringlichkeit der Vollziehung des Verwaltungsaktes und damit beim Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses zu würdigen (vgl. HessVGH, B.v. 30.3.2017 – 8 B 906/17 – juris Rn. 31).
b) Es fehlt vorliegend aber bereits an der Darlegung einer besonderen Dringlichkeit der Vollziehung der in Nrn. 1.1 und 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Anordnungen, die es rechtfertigen würde, von der auch im Bundesbodenschutzgesetz geltenden gesetzlichen Wertungsentscheidung abzuweichen, wonach Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 1 VwGO). Aus Sicht der Kammer ist gerade im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass angesichts der bereits 27 Jahre andauernden Sanierungsmaßnahmen bzw. -bemühungen auf dem Gelände der ehemaligen … fabrik … gerade in Bezug auf die nunmehr im streitgegenständlichen Bescheid vom 8. November 2019 angeordneten weiteren Detailuntersuchungen eine besondere Dringlichkeit bestehen würde, der gegenüber das Interesse des Betroffenen am Bestand der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsmittels gemäß § 80 Abs. 1 VwGO ausnahmsweise zurückzutreten hat. Das allgemeine, jedem Gesetz innewohnende öffentliche Interesse an dessen Vollzug allein rechtfertigt den Erlass der sofortigen Vollziehung materiell-rechtlich nicht. Angesichts der gesetzlich als Regelfall vorgesehenen aufschiebenden Wirkung einer Klage, die durch die Anordnung des Sofortvollzugs außer Kraft gesetzt wird, ist eine im öffentlichen Interesse bestehende, besondere Dringlichkeit für den Vollzug des Verwaltungsakts erforderlich, an der es vorliegend fehlt. Die Anordnung des Sofortvollzugs erfordert grundsätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse, das über jenes hinausgeht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 6). Der Verweis des Antragsgegners in seiner Antragserwiderung vom 5. März 2020 darauf, dass der Freistaat Bayern an einem zügigen Fortgang des Verfahrens und insbesondere einem Vollzug der Anordnungen vom 8. November 2019 sehr interessiert sei, lässt lediglich erkennen, dass eine zügige Erfüllung der der Antragstellerin auferlegten Verpflichtungen von Seite des Antragsgegners wünschenswert ist. Eine besondere Dringlichkeit lässt sich hieraus nicht ableiten. Jedenfalls ist für das Gericht nicht erkennbar, wieso die Erstellung des geforderten Untersuchungsprogramms für eine erweiterte Detailuntersuchung auf dem GPS-Gelände derart dringlich ist, dass eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung vom 8. November 2019 in der Hauptsache nicht abgewartet werden könnte. Besondere Umstände, z.B. eine aktuell sich verschärfende Grundwasserverunreinigung bzw. Trinkwassergefährdung, wird vom Antragsgegner nicht behauptet und ist auch nach Aktenlage nicht erkennbar. Bei den streitgegenständlichen Maßnahmen in Nrn. 1.1 und 1.2 des Bescheids handelt es sich um weitergehende Maßnahmen zur Gefährdungsabschätzung, die als solche aus Sicht der Kammer den sofortigen Vollzug der Anordnung nicht rechtfertigen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der bereits lang andauernden Bemühungen um eine Schadensermittlung auf und außerhalb des GPS-Geländes.
Aus Sicht des erkennenden Gerichts rechtfertigen auch der bisherige Verlauf der Sanierungsbestrebungen und der Zeitablauf nicht den Sofortvollzug der in Streit stehenden Maßnahmen. Es ist insbesondere nicht erkennbar, warum nach den bereits verstrichenen Zeiträumen und den nach wie vor anhängigen streitigen Gerichtsverfahren nicht auch noch die Dauer eines Klageverfahrens in Bezug auf die streitgegenständliche Verfügung vom 8. November 2019 abgewartet werden kann. Bei dieser Sachlage ist ungeachtet der Bedeutung des Schutzes von Boden und Grundwasser (vgl. BayVGH, B.v. 15.5. 2018 – 22 CS 18.566 – juris Rn. 32; VGH BW, B.v. 27.3.2012 – 10 S 2572/11 – juris Rn. 21) das öffentliche Interesse unter Berücksichtigung, dass die Anordnung von der Antragstellerin lediglich verlangt, eine weitere Detailuntersuchung zur Gefährdungsabschätzung vorzunehmen, nicht geeignet, das private Interesse der Antragstellerin, vorläufig keine derartige Detailuntersuchung vornehmen zu müssen, zurückstehen zu lassen.
Da eine besondere Dringlichkeit, die ein Absehen von der Regelwirkung des § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigen würde, derzeit nicht erkennbar ist, war die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (Az.: Au 9 K 19.2147) ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids des Antragsgegners vom 8. November 2019 im Übrigen, wiederherzustellen.
2. Durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Nrn. 1.1 und 1.2 des angegriffenen Bescheids ist auch der Androhung der Zwangsgelder in Nr. 3 des Bescheids die rechtliche Grundlage entzogen. Hinsichtlich dieser Maßnahmen ist die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der in der Hauptsache gebotene Streitwert von 10.000,00 EUR war im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl Sonderbeilage Januar 2014) zu halbieren.


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