Verwaltungsrecht

Versagung des deutschen Reisepasses und Beschränkung bzw. Entziehung des Personalausweises

Aktenzeichen  AN 5 K 16.01112

Datum:
12.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 42297
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAuswG § 6 Abs. 7, § 6a Abs. 2 S. 2 Nr. 2, Abs. 3, § 9 Abs. 6 S. 1
PassG § 7 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt lediglich voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die die Begründetheit der behördlichen Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Eindeutige Beweise für diese Gefahreneinschätzung sind nicht erforderlich. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus der bejahten Gefahr einer Ausreise zum Zwecke einer Beteiligung am militanten Jihad ergibt sich zudem, dass jedenfalls die Voraussetzungen des § 6a Abs. 2 S. 2 Nr. 2 PAuswG erfüllt sind. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO ohne persönliches Erscheinen des Klägers verhandelt und entschieden werden konnte, ist insoweit unzulässig, als sie darauf gerichtet ist, die in Ziffer I des Bescheids vom 7. Juni 2016 verfügte Versagung des Reisepasses aufzuheben. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 2018 die Verfügung in Ziffer I des Bescheids vom … 2016 und die nachfolgenden Ziffern des Bescheids, soweit sie sich auf Ziffer I beziehen, aufgehoben, so dass dem Kläger insoweit schon das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit er hinsichtlich der Ziffer I in eigenen Rechten verletzt sein soll. Der Kläger hätte insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung auf die Aufhebung der Ziffer I des Bescheids durch entsprechende Erklärung reagieren können.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet, da sowohl die in Ziffer II verfügte räumliche Beschränkung als auch die in Ziffer III verfügte Entziehung des Personalausweises sowie die in Ziffer VI verfügten Befristungen und die in Ziffer IX angeordnete Speicherung der Entziehung rechtmäßig sind und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Als Rechtsgrundlage für die in Ziffer II des Bescheids verfügte Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs des Personalausweises kommt nur § 6 Abs. 7 PAuswG in Betracht. Danach kann unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 PassG die Behörde im Einzelfall anordnen, dass der Ausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt.
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt tatbestandlich voraus, dass ein Pass dem Inhaber entzogen werden kann, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Im vorliegenden Fall ist die 3. Alternative des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG, die Gefährdung sonstiger erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland, einschlägig. Solche Belange gefährdet der Passinhaber insbesondere, wenn bestimmte Tatsachen die Prognose rechtfertigen, er werde sich im Ausland an Gewalttätigkeiten beteiligen, die geeignet sind, die auswärtigen Beziehungen oder unter besonderen Umständen auch das internationale Ansehen der Bundesrepublik zu schädigen, BVerwG, U.v. 25.7. 2007 – 6 C 39.06 -, BVerwGE 129, 142, juris, Rdn. 28. Der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt dabei lediglich voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die die Begründetheit der behördlichen Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Die Anknüpfungstatsachen für die Gefahrenprognose müssen nach Zeit, Ort und Inhalt so konkret gefasst sein, dass sie einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich sind. Hingegen erfordert § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG keine eindeutigen Beweise für diese Gefahreneinschätzung. Ausreichend ist eine auf Tatsachen gestützte positive Gefahrenprognose. Eine bloße Möglichkeit, eine reine Vermutung oder ein durch konkrete Tatsachen nicht belegbarer Verdacht genügen nicht, um eine konkrete Gefährdungslage im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG zu begründen (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/2726 vom 18. Februar 2000, S. 6). Hierin liegt eine Herabstufung des anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabs in Bezug auf die vorausgesetzte Gefährdung. Der Passversagungsgrund des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG liegt nicht erst dann vor, wenn der Betreffende Belange der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich gefährdet, sondern schon dann, wenn der begründete Verdacht einer solchen Gefährdung besteht. Diese Herabstufung ergibt sich aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG, der lediglich verlangt, dass Tatsachen „die Annahme“ einer Gefährdung im Sinne der Nr. 1 begründen, ohne dass die Gefährdung selbst vorliegen muss. Bei einer Passentziehung wegen befürchteter Ausreise zur Teilnahme am bewaffneten Jihad kommen als Anknüpfungstatsachen vor allem konkrete Äußerungen des Passinhabers und seine Einbindung in einen Personenkreis von gewaltbereiten Islamisten sowie deren bisherige Aktivitäten und politische Ziele in Betracht. Dies kann beispielsweise durch Teilnahme an regelmäßigen Zusammenkünften oder missglückten Ausreisen dokumentiert werden, vgl. OVG NRW, U.v. 4.5.2015 – 19 A 2097/14 -, juris Rn. 42; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 7.3.2011 – 5 S 22.10, 5 M 34.10 -, juris, Rdn. 4, 6.
Nach diesen Grundsätzen liegen beim Kläger derartige, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt. PassG erfüllende Anknüpfungstatsachen vor, die die Annahme einer positiven Gefahrenprognose stützen. Die Beklagte hat in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend herausgestellt, dass der Kläger tief in der salafistischen Szene verwurzelt ist und dass nach einer Gesamtschau der Fakten zu befürchten ist, dass er zum Zweck der Teilnahme am bewaffneten Jihad ausreisen wollte und dies auch weiterhin will.
Dies ergibt sich insbesondere aus dem Schreiben des Kriminalfachdezernats, Kommissariat …, vom 23. Mai 2016 und der Erkenntnismitteilung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vom 20. Mai 2016, die der Kläger nicht bestritten hat. Danach ist der Kläger im März 2015 zum Islam konvertiert. Es konnte bei ihm innerhalb eines Jahres ein extremer Radikalisierungsverlauf festgestellt werden. Er hatte mehrfach deutschlandweit Kontakt zu salafistischen Kreisen. Seit Mitte 2015 bewegt er sich im Kreis des jihadistischen Flügels der Salafistengruppe … und zählt zu den regelmäßigen Besuchern der …Moschee in der …, wo dieser Personenkreis ausschließlich verkehrt. Im Januar 2016 konnte ein YouTube-Video zu dem Kläger mit dem Titel „…“ gesichtet werden können, das von dem Personennetzwerk die „…“ (DWR) ausgestrahlt wurde. Bei der DWR handele es sich um ein Personennetzwerk im Internet, das seit 2005 unter diesem Kürzel firmiert und bundesweit tätig ist. Die Akteure dieses Personennetzwerkes haben ihren Lebensschwerpunkt im Raum … Als eine der wichtigsten Hauptfiguren bei der DWR gilt der in … lebende deutsche Staatsbürger …, der innerhalb der salafistischen Szene von bundesweiter Bedeutung ist.
Der Kläger war zudem am 8. März 2016 als Teilnehmer eines Hilfskonvois für die Organisation „Helfen in Not“ in das Krisengebiet der Türkei gereist. Bei der Kontrolle eines der Krankenwagen wurde ein Karton mit nicht erlaubnispflichtigen, militärischen Ausrüstungsgegenständen, adressiert an die Wohnadresse von Herrn … festgestellt worden. Herr … agiert als Vorsitzender des Vereins „Helfen in Not“ und hatte sich maßgeblich als Verantwortlicher des Hilfskonvois beteiligt. Darüber hinaus gehörte er zum Vorstand des Kulturvereins …e.V., welcher ebenfalls als Treffpunkt der salafistischen Szene in NRW gilt. Unter den weiteren Teilnehmern des Hilfskonvois war auch eine Person aus dem salafistischem Spektrum, gegen die durch die Staatsanwaltschaft … ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a StGB geführt wurde.
Am 21. März 2016 wollte der Kläger erneut mit einer Gruppe von insgesamt 15 Personen über den Flughafen … für die Organisation „Helfen in Not“ in die Türkei ausreisen. Es sollten 14 Krankenwägen von der türkisch-bulgarischen Grenze in Konfliktgebiete verbracht werden. Bei dem Verein „Helfen in Not e.V.“ liegen, wie bereits oben ausgeführt, konkrete Anhaltspunkte für extremistische, salafistische Bestrebungen vor. Derartige Organisationen nutzen neben dem Transport von Krankenwagenhilfsgütern und Ausrüstungsgegenständen diese Transporte auch zur Propaganda salafistischer/jihadistischer Gruppierungen und können als Unterstützungshandlung von Personen und terroristischen Gruppierungen verstanden werden. Sie stehen auch unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz. In der Gesamtschau ist daher davon auszugehen, dass der Kläger auch weitere Schritte auf dem Weg der jihadistisch-salafistischen Radikalisierung gehen wird. Der Kläger hat sich am Flughafen …, im Rahmen des Ausreiseversuches am 21. März 2016, bereits nach einer Ausreisemöglichkeit über Österreich mit Reisepass erkundigt. Darüber hinaus ist der Kläger vielfach wegen Gewalt- und Waffendelikten strafrechtlich belangt worden und hat somit seine Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt gegen Sachen in der Vergangenheit mittels Schusswaffe und gegen Personen belegt. Nach einem entsprechenden Aktenvermerk hat der Kläger zudem am 7. Juni 2016 bei Verlassen des Verwaltungsgebäudes nach Aushändigung des streitgegenständlichen Bescheids durch die Beklagte „Allah wird euch bestrafen“ gerufen. Mithin liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 3.Alt.PassG, auf die § 6 Abs. 7 PAuswG Bezug nimmt, vor.
Die Anordnung der räumlichen Beschränkung auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist auch verhältnismäßig. Die Beklagte hat das ihr nach § 6 Abs. 7 PAuswG eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO) und den Sofortvollzug angeordnet.
Auch die in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Personalausweisentziehung § 6a Abs. 2 PAuswG i.V.m § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 6a Abs. 2 PAuswG kann ein Personalausweis unter anderem unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG versagt werden, wenn die Gefährdung darin besteht, dass bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Ausweisbewerber (1.) einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB oder einer terroristischen Vereinigung nach § 129a i.V.m. § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland angehört oder diese unterstützt oder (2.) rechtswidrig Gewalt gegen Leib oder Leben als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwendet oder eine solche Gewaltanwendung unterstützt oder vorsätzlich hervorruft. Hinsichtlich der vollziehbaren Anordnung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG kann nach oben verwiesen werden. Aus der bereits bejahten Gefahr einer Ausreise zum Zwecke einer Beteiligung am militanten Jihad ergibt sich zudem, dass jedenfalls die Voraussetzungen des § 6a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 PAuswG erfüllt sind.
Die Anordnung des Entzugs des Personalausweises ist auch verhältnismäßig. Die Beklagte hat die Anordnung insbesondere bis 29. Mai 2019 befristet und das ihr nach § 6a Abs. 2 Satz 1 PAuswG eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die Speicherung der Personalausweisrechtlichen Anordnungen im polizeilichen Grenzfahndungsbestand ist gemäß § 6 Abs. 8 PAuswG gesetzlich vorgesehen und rechtlich nicht zu beanstanden.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Begründung abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO


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