Verwaltungsrecht

Versammlungsfreiheit

Aktenzeichen  Au 8 K 19.1736

Datum:
14.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19407
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 3,§  88, § 113 Abs. 1 S. 4
GKG § 52 Abs. 1
BayVersG Art. 7, Art. 15 Abs. 1, 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2020 konnte entschieden werden, ohne dass der Kläger am Verhandlungstermin teilgenommen hat. Der Kläger wurde nach § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf diese Möglichkeit hingewiesen.
1. Nachdem der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2019 die Hauptsache für erledigt erklärt hat, ist Gegenstand der Klage nicht mehr das ursprünglich anhängig gemachte Anfechtungsbegehren hinsichtlich des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. Oktober 2019. Die (einseitige) Erledigungserklärung konnte den Rechtsstreit aber auch nicht beenden, weil die Beklagte der Erledigungserklärung nicht zugestimmt hat.
Diese prozessuale Situation hat zur Folge, dass ein sogenannter Erledigungsstreit vorliegt, dessen Gegenstand allein die Frage ist, ob sich der Rechtsstreit durch eine nach Rechtshängigkeit des ursprünglichen Sachbegehrens eingetretene Änderung der Sach- oder Rechtslage erledigt hat (sogenannte Erledigungsfeststellungsklage). Würde das Gericht nämlich im Rahmen der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage zu dem Ergebnis kommen, dass sich der Rechtsstreit durch eine (nachträgliche) Änderung der Sach- oder Rechtslage tatsächlich erledigt hat, wäre die – möglicherweise im Zeitpunkt der Klageerhebung zulässige und begründete – Klage abzuweisen, mit der Folge der Kostentragungspflicht des Klägers. Dieser Kostenfolge kann der Kläger nur entgehen, wenn er die Hauptsache für erledigt erklärt, um gemäß § 161 Abs. 2 VwGO eine Kostenentscheidung des Gerichts nach billigem Ermessen zu erreichen. Widersetzt sich der Beklagte jedoch der Erledigungserklärung, kann der Kläger die Erledigung feststellen lassen, um auf diese Weise der Kostentragungspflicht zu entgehen. Der Klageantrag ist deswegen sachdienlich dahingehend auszulegen (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO), festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
2. Die Klage auf Feststellung der Erledigung ist zulässig.
Der Wechsel vom ursprünglichen Anfechtungsbegehren im Zeitpunkt der Klageerhebung zur Erledigungsfeststellung unterliegt nicht den Einschränkungen des § 91 VwGO (BVerwG, U.v. 29.6.2001 – 6 CN 1.01 – juris Rn. 7). Insoweit ist der Antrag auf Feststellung der Hauptsacheerledigung eine nicht von der Einwilligung des Beklagten abhängige, zulässige Klageänderung (BayVGH, B.v. 18.1.1990 – 4 C 89.3621; BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 21/10 – juris Rn. 10). Neuer Streitgegenstand ist somit die Feststellung, dass sich das Verfahren erledigt hat.
Das Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Umstellung des Klageantrags die einzige Möglichkeit darstellt, sich der für den Kläger nachteiligen Kostenfolge zu entziehen, wenn die Klage in Folge eines erledigenden Ereignisses unzulässig geworden ist und der Beklagte einer Erledigungserklärung nicht zustimmt (BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 21/10 – juris Rn. 12). Um nicht nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens tragen zu müssen oder in Folge der prozessualen Erledigung zur Klagerücknahme mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO genötigt zu werden, kann der Kläger stattdessen eine Erledigungserklärung abgeben, mit der Folge, dass im Falle der Zustimmung des Beklagten über die Kosten gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen entschieden wird. Widersetzt sich der Beklagte der Erledigungserklärung, kann der Kläger der Kostentragung dadurch entgehen, dass er gerichtlich die Erledigung der Streitsache feststellen lässt. Ist er mit diesem Antrag erfolgreich, trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens. Die Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile ist ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO.
3. Die Erledigungsfeststellungsklage ist auch begründet.
a) Voraussetzung für die Begründetheit der Klage auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache ist zunächst, dass objektiv ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich der Rechtstreit erledigt hat, ist die mündliche Verhandlung (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 143). Als erledigendes Ereignis kommt jede nach Klageerhebung eintretende Änderung der Sach- und Rechtslage in Betracht, die bereits für sich betrachtet die Abweisung der Klage als unzulässig oder unbegründet rechtfertigen würde. Für den Erledigungseintritt kommt es nicht darauf an, welche Ursachen der Erledigung zugrunde liegen, insbesondere, ob der Kläger die Erledigung durch sein eigenes Verhalten herbeigeführt hat, sondern er richtet sich ausschließlich nach dem Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 101). Vorliegend ist die Erledigung der Hauptsache durch Zeitablauf eingetreten, da die Versammlung, auf die sich der streitgegenständliche Bescheid bezieht, am 19. Oktober 2019 stattgefunden hat.
Angesichts der Erledigung der Hauptsache nach Klageerhebung wäre die ursprünglich als Anfechtungsklage erhobene Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2019 unzulässig geworden, weil für diese Klage kein Rechtsschutzbedürfnis mehr anzuerkennen ist. Diesem Umstand hat der Kläger durch die Erklärung der Erledigung in der Hauptsache Rechnung getragen.
b) Die Überprüfung der Zulässigkeit und der Begründetheit des ursprünglichen Klagebegehrens ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann erforderlich, wenn die Beklagtenseite sich für ihren Widerspruch gegen die Erledigungserklärung und ihr Festhalten an ihrem bisherigen Antrag auf ein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung berufen kann. Liegt dieses Interesse vor, hat ausnahmsweise eine Entscheidung über den ursprünglichen Klagegegenstand zu erfolgen, d.h. es wäre zu prüfen, ob die Klage vor ihrer Erledigung unzulässig oder unbegründet war. Für die Feststellung eines berechtigten Interesses in diesem Sinne wird § 113 Abs. 4 VwGO analog herangezogen (BVerwG, U.v. 31.10.1990 – 4 C 7/88 – juris Rn. 18; BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 21/10 – juris Rn. 14). Fehlt ein solches, soll das Gericht nach der Erledigungserklärung des Klägers einer aufwendigen Prüfung des ursprünglichen Klagebegehrens gerade enthoben sein, weil der Kläger eine Entscheidung hierüber nicht mehr begehrt.
Vorliegend ist die Hauptsacheerledigung festzustellen, ohne dass noch zu prüfen ist, ob die ursprüngliche Klage begründet war. Denn weder die Beklagte noch der Vertreter des öffentlichen Interesses verfügen über ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an einer gerichtlichen Sachentscheidung.
Von den in diesem Zusammenhang von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Fallgruppen, die ein Feststellungsinteresse begründen können, scheidet das Rehabilitierungsinteresse ebenso aus wie das Interesse an der Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsanspruchs, denn beides ist bei der Beklagten nicht vorstellbar. Denkbar ist daher nur die Fallgruppe der Wiederholungsgefahr. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die Beklagte unter Berufung auf eine Wiederholungsgefahr trotz Erledigung des Rechtsstreits eine gerichtliche Sachentscheidung über den gegenstandslos gewordenen Verwaltungsakt einfordern kann, eine grundlegend andere Interessenlage gegeben ist, als im Falle der Prüfung eines Feststellungsinteresses wegen Wiederholungsgefahr seitens des Klägers. Nicht weiterführend ist daher der Verweis des Vertreters des öffentlichen Interesses auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Feststellungsinteresse des Klägers (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77). Maßgeblich kann nämlich nicht sein, ob die Beklagte möglicherweise wegen einer derzeit nicht absehbaren, zukünftigen vom Kläger angemeldeten Versammlung erneut einen gleichartigen Verwaltungsakt erlassen könnte. Eine hinreichend konkretisierte Wiederholungsgefahr begründet für die Beklagte nur dann ein schutzwürdiges Interesse an der von ihr begehrten Entscheidung, wenn durch die Klärung der Rechtsbeziehungen zwischen ihr und dem Kläger weitere rechtliche Auseinandersetzungen vermieden werden können. Daran fehlt es jedoch hier. Es ist derzeit nicht konkret absehbar, ob der Kläger in Zukunft weitere Versammlungen bei der Beklagten anmelden wird. Vorhersehbar ist weder, an welchem Ort oder zu welcher Zeit künftige Versammlungen stattfänden noch wie viele Teilnehmer zu erwarten wären oder welche Kundgebungsmittel der Kläger künftig verwenden würde. Das Interesse dagegen, eine bloße Rechtsfrage zu klären, die nur für die künftige Entstehung von Rechtsverhältnissen einer Partei mit anderen Personen Bedeutung haben kann, ist nicht schutzwürdig. Des Weiteren liegen mit dem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2019 (Au 8 S 19.1737) sowie dem Beschwerdebeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Oktober 2019 (BayVGH, B.v. 18.10.2019 – 10 CS 19.2058) zwei gerichtliche Entscheidungen vor, die die zur zivilen Parteikleidung ergangene Auflage der Beklagten trotz der nur summarischen Prüfung ausführlich thematisieren.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beklagten waren die Kosten vollumfänglich aufzuerlegen, da sie weiterhin eine Sachentscheidung, nämlich die Klageabweisung, beantragt hat, obwohl eine solche infolge der Erledigung der Hauptsache nicht mehr ergehen kann und auch kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung besteht (vgl. OVG Münster, B.v. 7.4.1954 – VIII A 998/53 = NJW 1955, 197 (198)).
5. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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