Verwaltungsrecht

Versammlungsrechtliche Auflage

Aktenzeichen  M 13 K 16.3400

Datum:
26.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151499
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO  § 74,§ 113 Abs. 1 S. 4
BayVersG Art.15 Abs.1, Art.20 Abs.2 Nr.4
StPO § 154 Abs. 2
AGVwGO Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen. 
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klagen der Kläger zu 1. und 2. haben keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig sind.
Bei der nach Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) erlassenen Auflage Ziff. 7.1 im Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2015 handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Mit Ablauf des 19. Oktober 2015 hat sich die Auflage erledigt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist damit die richtige Klageart. Sie ist statthaft bei Erledigungseintritt vor Klageerhebung (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 72). Die Klägerin zu 1. als Veranstalterin und der Kläger zu 2. als Versammlungsleiter sind klagebefugt (vgl. Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2016, Einl. Rn.115).
Die Klagen sind jedoch nach Ablauf der Klagefrist von einem Monat (§ 74 VwGO) eingelegt worden. Gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2015, den Klägern am selben Tag zugestellt, wurde erst am 29. Juli 2016 Klage erhoben. Erledigung trat mit Durchführung der Versammlung mit Ablauf des 19. Oktober 2015 ein.
Während in der Rechtsprechung geklärt ist, dass bei verspätet erhobener Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage und Erledigungseintrittes während des Rechtsstreits auch bei Übergang der Klage zum Fortsetzungsfeststellungsantrag die Klage wegen abgelaufener Frist unzulässig bleibt, ist dies für Fälle, bei denen die Erledigung bereits vor Ablauf der Klagefrist eintritt, umstritten. Da im vorliegenden Fall Erledigung während der laufenden Klagefrist eingetreten ist, handelt es sich um die in der Rechtsprechung umstrittene Fallgestaltung.
Das Gericht schließt sich der Rechtsmeinung an, dass die Frist des § 74 VwGO auch bei Fortsetzungsfeststellungsklagen analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, bei der sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat, entsprechende Anwendung findet (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, § 74 Rn. 2; Kopp, VwGO, 20. Auflage 2014, § 74 Rn. 2, § 113 Rn. 99, 128; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Auflage, 2011, § 74 Rn 19; BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49.64 – juris; BayVGH, U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – juris Rn. 46; VGH BW, U.v. 4.6.1980 – VI 1949/79 – juris; VG Frankfurt, U.v. 19.8.1986 – IV/2 – E 1867/84 – NVwZ 1988, 381; Dr. R2. P. Schenke, NVwZ 2000, 1255 ff.). Hierbei wird zum größten Teil angenommen, dass es sich bei der analogen Fortsetzungsfeststellungsklage nicht um eine Feststellungsklage im Sinne von § 43 VwGO handelt, sondern um einen Unterfall der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO, bei der auch die für Anfechtungsklagen vorgeschriebenen Prozessvoraussetzungen wie Klagebefugnis und Klagefrist erfüllt sein müssen. Selbst ohne Einordnung in eine bestimmte Klageart ist die Anwendung von § 74 VwGO sachgerecht. Die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kann wegen der für Rechtsprechung und Verwaltung vordringlichen Aufgabe, aktuelle Lebenssachverhalte zu regeln, und auch aus Gründen des Rechtsfriedens nicht ohne jede zeitliche Beschränkung zugelassen werden. Wenn nämlich schon Verwaltungsakte, die den Betroffenen noch beschweren, durch Fristablauf in Bestandskraft erwachsen, so müssen erst recht gegenstandslos gewordene Verwaltungsakte nach einer angemessenen Frist auf sich beruhen bleiben, um dem Gedanken des Rechtsfriedens Geltung zu verschaffen (VGH BW, U.v. 4.6.1980 – VI 1949/79 – juris Rn. 33; VG Frankfurt, U.v. 19.8.1986 – IV/2 – E 1867/84 – NVwZ 1988, 381). Bereits im Jahr 1967 hat das BVerwG darauf hingewiesen, dass es zweifelhaft sein kann, ob eine Klage zeitlich unbeschränkt erhoben werden kann, wenn der Verwaltungsakt sich innerhalb der Widerspruchsfrist oder Klagefrist erledigt hat. Es möge manches dafür sprechen, die Fristvorschriften in § 74 Abs. 1 VwGO entsprechend anzuwenden (BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49.64 – juris Rn. 19).
Die Gegenansicht, die § 74 VwGO als nicht anwendbar betrachtet, muss das Sachproblem einer zeitlichen Begrenzung der Klagemöglichkeit im Rahmen des dogmatisch ohnehin schwer zu handhabenden Feststellungsinteresses oder alternativ dem Institut der Verwirkung diskutieren (Dr. R2. P. Schenke, NVwZ 2000, 1257). Diese Rechtsprechungspraxis (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.1999 – 6 C 7/98 – juris; BayVGH B.v. 19.7.1991 – 22 B 90.1722 – juris) ist im Rahmen von Fallkonstellationen ergangen, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sind. Beiden Urteilen lagen Sachverhalte zu Grunde, bei denen sich der Verwaltungsakt erst im Laufe des Widerspruchsverfahrens erledigt hatte. Durch Einlegung eines Widerspruches hatte die Klagepartei jeweils zeitnah zum Ausdruck gebracht, dass sie gegen den Bescheid mit Rechtsbehelfen vorgehen wolle. Nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 AGVwGO bedarf es in Verfahren bezüglich des Versammlungsrechtes keines Widerspruchsverfahrens. Im vorliegenden Fall haben die Kläger neun Monate lang von Oktober 2015 bis zur Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht im Juli 2016 durch keinerlei Handeln zum Ausdruck gebracht, dass sie die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Auflage im Bescheid vom 19. Oktober 2017 festgestellt haben wollten – dies, obwohl das Strafverfahren gegen den Kläger zu 2. unmittelbar nach Erlass des Bescheides am 19. Oktober 2015 eingeleitet worden war.
Der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2015 enthält auch eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:, so dass nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einschlägig ist. In der Rechtsbehelfsbelehrung:auf Seite 21 des Bescheides der Beklagten wurde darauf hingewiesen, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monates nach seiner Bekanntgabe Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben werden könne. Beurteilt man diese Belehrung aus Sicht des Empfängerhorizontes, musste der Klagepartei bewusst sein, dass sie sich nur innerhalb eines Monates gegen den Bescheid wenden kann. Es gehört nicht zum notwendigen Bestandteil einer Rechtsbehelfsbelehrung:(§ 58 Abs. 1 VwGO), dass sich die Belehrung auf eine bestimmte Klageart (z.B. Anfechtungsklage) beziehen müsste. Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung:umfasst daher alle Klagearten, auch die Einlegung einer Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Sofern der juristische Laie einen Anfechtungsantrag statt eines Fortsetzungsfeststellungsantrags stellen sollte, müsste das Gericht nach § 88 VwGO, § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinwirken, dass ein sachgerechter Antrag gestellt wird. Eine Belehrung über die explizite Möglichkeit der Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungklage sieht die Kammer als nicht erforderlich an. Hielte man eine solche Rechtsbehelfsbelehrung:für notwendig, bestünde in der Praxis schon die Schwierigkeit, eine solche Belehrung zu formulieren, ohne dass die Eindeutigkeit und Klarheit der Rechtsbehelfsbelehrung:leidet. Auch würde sich das Problem stellen, wann die Belehrung konkret hinsichtlich der Einlegung einer Fortsetzungsfeststellungsklage erfolgen müsste. Sollte entweder in jeden Bescheid vorsichtshalber bei Erlass eine Belehrung hinsichtlich der analogen Fortsetzungsfeststellungsklage aufgenommen werden, oder sollte diese nach dem erledigenden Ereignis separat erteilt werden (letzterer Ansicht wohl VGH BW, U.v. 4.6.1980 – VI 1949/79 – juris; VG Frankfurt, U.v. 19.8.1986 – IV/2 – E 1867/84 – NVwZ 1988, 381). Eine detaillierte Rechtsbehelfsbelehrung:hinsichtlich der analogen Fortsetzungsfeststellungsklage hält das Gericht daher für weder erforderlich noch durchführbar (keine Belehrung hinsichtlich Fortsetzungsfeststellungsklage, aber auch keine Klagefrist nach § 74 VwGO, angenommen durch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage, 2014, § 37 Rn. 186, § 79 Rn. 27).
Damit war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wird zugelassen, da die Klärung der Rechtsfrage, ob im Rahmen der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Klagefrist gemäß § 74 VwGO einzuhalten ist, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Im Übrigen wird die Berufung auch wegen Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) bezüglich des Bundesverwaltungsgerichtsurteils vom 14.7.1999 (BVerwG, U.v. 14.7.1999 – 6 C 7/98 – juris) zugelassen.


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