Verwaltungsrecht

Versetzung in den Ruhestand

Aktenzeichen  3 ZB 19.1307

Datum:
14.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14674
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 26
BayBG Art. 65, Art. 66
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Die unterlassene Einholung eines Sachverständigengutachtens kann nur dann zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils führen, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zur Zulassung führen würde. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 K 17.1288 2019-05-14 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 59.875,11 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel) und des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Auf der maßgeblichen Grundlage des Zulassungsvorbringens liegen keine ernstlichen Zweifel in diesem Sinn vor, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen könnten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 17. März 2017 und den Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2017, mit dem die dauernde Dienstunfähigkeit des 1971 geborenen Klägers (Studienrat im Förderschuldienst, Besoldungsgruppe A 13) festgestellt und seine Versetzung in den Ruhestand nach § 26 Abs. 1 BeamtStG im Zwangspensionierungsverfahren (vgl. Art. 66 BayBG) verfügt worden ist, zu Recht abgewiesen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzung kommt es dabei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier also des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2017 – an (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10). Das Verwaltungsgericht ist anhand des Gutachtens der Medizinischen Untersuchungsstelle (MUS) der Regierung von Unterfranken vom 13. Januar 2017 sowie den Ausführungen des zuständigen Amtsarztes Dr. V. in der mündlichen Verhandlung zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt dauernd dienstunfähig war (§ 26 Abs. 1 BeamtStG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 BayBG) und eine anderweitige Verwendung nach § 26 Abs. 2, 3 BeamtStG nicht in Betracht kommt.
1.1 Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils kann nicht mit der Begründung als ernstlich zweifelhaft beurteilt werden, das Gutachten der MUS vom 13. Januar 2017 und die Erläuterungen des Amtsarztes Dr. V. in der mündlichen Verhandlung seien „äußerst lückenhaft und in sich widersprüchlich“.
Der Kläger führt zur Widersprüchlichkeit aus, der zuständige Amtsarzt habe im März 2016 nach einem Beratungsgespräch aus psychiatrischer Sicht zunächst keine Veranlassung zu akuten Maßnahmen gesehen. Auch in seinem Gutachten vom 9. August 2016 habe er festgestellt, dass in der Gesamtschau keine Hinweise auf das Vorliegen einer relevanten Gesundheitsstörung im psychiatrischen oder neurologischen Bereich gegeben seien. Obwohl er in seiner Aktennotiz vom 26. Oktober 2016 zugestanden habe, dass eine abschließende medizinische Beurteilung wegen der ausstehenden neuropsychologischen Zusatzbegutachtung noch gar nicht möglich sei, gehe der Amtsarzt im Gegensatz zu seinem nur etwa zwei Monate zurückliegenden Gutachten plötzlich davon aus, dass es Hinweise auf Krankheitszeichen gebe, weshalb die Verantwortung bei einer weiteren Beschäftigung nicht übernommen werden könne.
Mit diesen Ausführungen vermag der Kläger bereits deshalb keine ernstlichen Zweifel darzulegen, weil das Gutachten vom 13. Januar 2017 im Wesentlichen auf den Protokollen und Vermerken der Schulleitung der C.-Schule, die der MUS am 17. Oktober 2016 übersandt wurden, und damit auf neuen Erkenntnissen beruht. Die dort geschilderten Verhaltensmuster, die von Dr. V. als problematisch eingeschätzt wurden (insuffiziente Wahrnehmung sozialer Signale, rigide Ausrichtung der Lebens- und Unterrichtsplanung, eingeschränkte Anpassung an pädagogische Veränderungen) führten dazu, dass nunmehr „nach aktueller Einschätzung und nach Abwägung der o.g. gesundheitlichen Störungen und deren Einfluss auf die dienstliche Funktion die volle oder begrenzte Dienstfähigkeit als Förderschullehrer nicht bestätigt werden“ (Bl. 4 des Gutachtens) konnte. Vor diesem Hintergrund war auch eine vergleichende Befassung mit den früheren Stellungnahmen nicht erforderlich.
Die behauptete Widersprüchlichkeit lässt sich auch nicht damit belegen, dass sich im Rahmen der differenzierten neuropsychologischen Untersuchungen (u.a. hinsichtlich Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnisfunktion) keine kognitiven Einschränkungen des Klägers ergaben, gleichwohl aber problematische Verhaltensmuster festgestellt werden konnten. Dass der Kläger in seiner Wahrnehmung nicht eingeschränkt ist, schließt nicht aus, dass er Auffälligkeiten im Verhalten zeigt. Eine Widersprüchlichkeit vermag der Senat insoweit nicht zu erkennen.
Der Einwand, der Amtsarzt habe in seinem Gutachten vom 13. Januar 2017 die dauernde Dienstunfähigkeit nicht eindeutig verneint, verfängt nicht. Der Amtsarzt hat zusammenfassend ausdrücklich festgehalten, er könne weder die volle noch die begrenzte Dienstfähigkeit des Klägers bestätigen.
1.2 Das Verwaltungsgericht musste auch nach dem Amtsermittlungsgrundsatz, § 86 VwGO, keine weiteren Ermittlungen durchführen, sondern konnte abschließend aufgrund der Aktenlage und der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse entscheiden. Das auf der Zusatzbegutachtung vom 24. November 2016 beruhende neuropsychologische Gutachten war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, weil der Schluss des Amtsarztes, es liege weder eine volle noch eine begrenzte Dienstfähigkeit vor, vom Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund des aktenkundigen Verhaltens des Klägers seit Dezember 2015 an der R.-G.-Schule und seit seiner Versetzung an die C.-Schule als plausibel und nachvollziehbar gewertet wurde. Insoweit ist auch auf 1.1 zu verweisen, dass zwischen unauffälligen kognitiven Befunden einerseits und Verhaltsauffälligkeiten andererseits kein Widerspruch besteht.
1.3 Bezüglich der vom Kläger gerügten unterlassenen Einholung eines Sachverständigengutachtens kommen zum einen der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, wenn das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und daher auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage entschieden hat, zum anderen der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Betracht. Eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann aber nur erfolgen, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zur Zulassung führen würde (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 124 Rn. 26g). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor. Der Kläger rügt in der Sache eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts nach § 86 Abs. 1 VwGO wegen der Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens. Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, z.B. BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 8 ZB 15.1005 – juris Rn. 10).
Der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts zu dem gerügten Aufklärungsdefizit keinen Beweisantrag gestellt. Ein solcher wäre jedoch erforderlich gewesen (BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – juris Rn. 2). Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb sich dem Verwaltungsgericht auf Grundlage seiner Rechtsauffassung ohne förmlichen Beweisantrag eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 6.9.2017 – 2 B 2.17 – juris Rn. 14 f.). Dies gilt auch in Anbetracht des Umstandes, dass das Verwaltungsgericht ausführte, der Kläger habe sich auch in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gesehen, einer weiteren Begutachtung zuzustimmen (UA Bl. 13). Denn diese Passage, weder Rechts- noch Tatsachensatz, bezieht sich lediglich darauf, dass die fehlende konkrete Diagnose der angegriffenen Behördenentscheidung nicht entgegen gehalten werden kann.
1.4 Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht, soweit das Verwaltungsgericht eine Verletzung der Suchpflicht mit der Begründung verneint hat, eine Leistungsfähigkeit des Klägers bestehe nicht. Zwar ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Befunden nicht, dass der Kläger auf keiner Position mehr verwendbar wäre. Gleichwohl ist das Verwaltungsgericht aber davon ausgegangen, dass „nunmehr aus gesundheitlichen Gründen“ keine Verwendung auf einem anderen Dienstposten mehr möglich und nicht ersichtlich sei, welchen amtsangemessenen Dienstposten der Kläger trotz der festgestellten psychischen Probleme ausüben könnte (UA S. 17). Hierauf bezieht sich die Zulassungsbegründung nicht. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Einschätzung des Verwaltungsgerichts mit der neuerlichen Begutachtung vom 29. Januar 2020 deckt, wonach die verbleibende Leistungsfähigkeit des Klägers auch einen sinnvollen Einsatz in einem anderen Tätigkeitsbereich nicht möglich macht (S. 5).
2. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache nicht die behaupteten besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist.
3. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Erstinstanz).
5. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben