Verwaltungsrecht

Vertretungszwang vor dem Oberverwaltungsgericht

Aktenzeichen  10 M 6/21

Datum:
18.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 10. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend VG Magdeburg 15. Kammer, 16. Dezember 2021, 15 B 20/21 MD, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg – Disziplinarkammer – vom 16. Dezember 2021 wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist die vom Antragsgegner als obere Kommunalaufsichtsbehörde (§ 76a Abs. 1, § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA) mit Verfügung vom 7. Juni 2021 gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 DG LSA angeordnete vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers.
Der Antragsteller ist am 13. Oktober 2019 zum zweiten Mal zum hauptamtlichen Oberbürgermeister der A-Stadt gewählt worden; seine Amtszeit läuft bis Oktober 2026. Am 19. Februar 2021 eröffnete der Antragsgegner ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller, das am 21. April, 20. August sowie 8. Oktober 2021 erweitert wurde. Dem disziplinarrechtlichen Verfahren liegen Vorwürfe hinsichtlich mehrerer Pflichtenverstöße zu Grunde, welche der Antragsteller als Oberbürgermeister begangen haben soll, insbesondere Dienstpflichtverletzungen im Hinblick auf Verstöße gegen die in der Coronaimpfverordnung vorgesehene Impfreihenfolge.
Zur Begründung der Suspendierungsverfügung heißt es, dass die Vielzahl und insbesondere die Schwere der vorgehaltenen disziplinarrechtlich relevanten Pflichtverletzungen die Prognose nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA begründeten, dass im späteren (gerichtlichen) Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werde. Auf jeden Fall sei die vorläufige Dienstenthebung auf jede der alternativen Tatbestandsvoraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA zu stützen. Es sei zu befürchten, dass der Antragsteller seine Vorgesetztenposition weiter ausnutze, um Einfluss auf die Mitglieder des Katastrophenschutzes und andere städtische Bedienstete zu nehmen und die Öffentlichkeit, Vorgesetzte oder übergeordnete Ministerien, die Staatsanwaltschaft oder den Präsidenten des Landesverwaltungsamtes als Disziplinarbehörde unrichtig in Kenntnis setze, ggfs. weitere Unterlagen erstelle oder erstellen lasse, die sein Handeln rechtfertigen sollten, ggfs. auch Unterlagen, die ein ungünstiges Licht werfen, unterdrücken könnte. Weiter sei sicherzustellen, dass das Dienstgeschäft nicht beeinträchtigt werde. Die Beherrschbarkeit der Pandemie hänge nicht zuletzt davon ab, dass das Impfmanagement der Kommune funktioniere und auf Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung stoße. Die mangelnde Bereitschaft des Antragstellers, andere Zuständigkeiten, Kompetenzen und Ansichten zu akzeptieren, stütze die Prognose, dass mit seinem Verbleiben im Dienst der Betrieb wesentlich beeinträchtigt und notwendige Anpassungen nicht umgesetzt werden könnten. Dabei sei ganz wesentlich das endgültig zerrüttete Verhältnis zwischen Antragsteller und dem Stadtrat zu berücksichtigen.
Das Verwaltungsgericht hat den am 4. November 2021 gestellten Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 abgelehnt.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass es seiner Entscheidung allein die selbständig tragende Begründung zur vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA zugrunde lege. Verfahrensfehler im behördlichen Disziplinarverfahren, welche auf die streitbefangene disziplinarrechtliche Suspendierungsverfügung durchschlagen würden, seien nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Antragstellers seien auch Tatsachen bekannt geworden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigten. Weiterhin führe ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst zur wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes und auch der weiterzuführenden disziplinar- und strafrechtlichen Ermittlungen. Aufgrund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stünden, sei eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet und hierunter könne die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Antragsteller nicht (nur) um einen innerhalb der Behördenhierarchie eingebundenen und weisungsgebundenen Beamten handele, sondern er vielmehr der unmittelbare Dienstvorgesetzte aller in der Verwaltung der A-Stadt beschäftigten Beamten und Angestellten sei. Es bestehe die Besorgnis, dass der Dienstbetrieb und die Ermittlungsergebnisse wesentlich beeinträchtigt werden könnten, viel stärker als dies bei einem “normalen” Laufbahnbeamten der Fall wäre. Aus den gerichtsbekannten Akten und Unterlagen, aber auch aus der öffentlichen Berichterstattung, dränge sich durchaus der Eindruck auf, dass der Antragsteller eine starke und selbstbewusste Persönlichkeit darstelle. Er sei in der Lage und auch gewöhnt, seine Belange zu vertreten und durchzusetzen. Ohne Frage sei aufgrund der gerichtsbekannten leider langjährigen mannigfaltigen kommunalpolitischen und kommunalrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Antragsteller und dem Stadtrat, aber auch dem Antragsgegner als obere Kommunalaufsichtsbehörde auch der Betriebsfrieden bzw. der Dienstbetrieb innerhalb der A-Stadt als Kommunalverwaltung erheblich gestört. Dies zeige sich auch durch die gerichtsbekannte starke Berichterstattung nicht nur in der örtlichen Presse, sondern auch in der überregionalen medialen Berichterstattung in Funk und Fernsehen. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, von welcher Seite diese – auch gerichtlichen – Auseinandersetzungen zu vertreten seien bzw. worin der Auslöser dafür bestanden habe. Entscheidend sei, dass es jedenfalls bei der gerichtlichen Entscheidung nach § 61 Abs. 2 DG LSA nicht um diese politische Auseinandersetzung gehe, sondern unabhängig davon um die Sicherstellung der kommunalrechtlichen Handlungsfähigkeit der A-Stadt als Kommune und der ordnungsgemäßen Durchführung der weiteren disziplinarrechtlichen Ermittlungen. Die Gefahr der schädlichen Auswirkungen auf den kommunalen Dienstbetrieb auch aufgrund von “Lagerbildung” seien nicht von der Hand zu weisen. Zutreffend weise der Antragsgegner auch darauf hin, dass die Beherrschbarkeit der augenblicklichen Pandemie weitgehend von der eindeutigen und transparenten Kommunikation und einer Vorbildwirkung der politischen Entscheidungsträger abhänge, um so das Vertrauen der Bevölkerung in die Notwendigkeit der nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das öffentliche Leben so einschneidenden Maßnahmen zu gewinnen und zu stärken. Bei einem Verbleiben des Antragstellers im Dienst würden auch die weiteren (disziplinarrechtlichen) Ermittlungen wesentlich erschwert. Da unter anderem das Verhalten des Antragstellers bei der Anfertigung von dienstlichen Vermerken und entsprechende Einflussnahme auf Bedienstete der Kommune und die Verwendung dienstlicher Briefköpfe Gegenstand der disziplinarrechtlichen Ermittlungen sei, sei den Ausführungen des Antragsgegners in der Verfügung zu folgen, wonach es aufgrund der Amtsstellung des Antragstellers und seiner Persönlichkeitsstruktur nicht auszuschließen sei, dass derartige Einwirkungen und Einflussnahmen oder auch nur deren Versuche auch und gerade während der Ermittlungen vorgenommen würden. Schließlich stehe die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis.
Der Antragsteller hat am 17. Dezember 2021 Beschwerde erhoben.
Er beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Anordnung der sofortigen Dienstenthebung auszusetzen.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers legt dazu eine vom Antragsteller, der nicht die Befähigung für das Richteramt besitzt, selbst erstellte Beschwerdebegründung mit Anlagen vor. Diese Begründung mache er sich vollumfänglich zu Eigen und erkläre sie vollinhaltlich unmittelbar zum Inhalt der erhobenen Beschwerde. Sollte das Gericht die Bezugnahme nicht als ausreichend erachten, bitte er um einen richterlichen Hinweis.
II.
Die gem. §§ 65 Abs. 1 DG LSA i. V. m. §§ 146, 147 VwGO statthafte Beschwerde des Antragstellers ist bereits unzulässig und war daher zu verwerfen.
Die Beschwerdebegründung entspricht nicht den Vorgaben des Vertretungszwangs nach § 3 DG LSA i. V. m. § 67 Abs. 4 VwGO. Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO müssen sich die Beteiligten vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Nur ein solcher Bevollmächtigter (§ 67 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 7 VwGO) kann wirksam prozessuale Erklärungen abgeben und Rechtshandlungen vornehmen. Der Vertretungszwang, auf den in der Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Beschlusses hingewiesen wird, gilt auch für die nach § 65 Abs. 1 DG LSA i. V. m. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erforderliche Begründung der Beschwerde.
Die am 11. Januar 2022 beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Beschwerdebegründung genügt nicht den Anforderungen an den Vertretungszwang, weil der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers darin ausdrücklich auf eine vom Antragsteller selbst erstellte Begründung verweist und sich diese ohne sonstige eigene Darlegungen nur pauschal zu Eigen macht sowie zum Inhalt der Beschwerde erklärt. Der Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 VwGO kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein postulationsfähiger Prozessvertreter pauschal auf Schriftstücke seines Mandanten oder von sonstigen Dritten Bezug nimmt. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Zweck des Vertretungszwangs nach § 67 Abs. 4 VwGO. Danach muss im Interesse eines geordneten und sachlichen Ganges des Verfahrens deutlich werden, dass der Prozessbevollmächtigte sich die von ihm vorgetragenen oder vorgelegten Ausführungen seiner Mandanten zu Eigen gemacht hat. Sein schriftsätzliches Vorbringen muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erkennen lassen, dass er selbst eine eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des vorgebrachten Streitstoffes vorgenommen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18. Januar 2016 – 8 B 11.15 -, Urt. v. 23. April2014 – 9 A 25.12 -; Beschl. v. 30. Juli 2012 – 5 PKH 8.12 -, jeweils zit. nach JURIS, m. w. N.; vgl. auch Schoch/Schneider, VwGO, § 67 Rdnr. 75; BeckOK VwGO, § 67 Rdnr. 53; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. A., § 67 Rdnr. 56f.; Eyermann, VwGO, 15. A., § 67 Rdnr. 20). Soweit der Vertretene bei der Erstellung eines Schriftsatzes mitgewirkt hat, muss erkennbar sein, dass der Vertreter den Schriftsatz eigenständig geprüft, rechtlich durchdrungen und für gut befunden hat, wofür allein eine entsprechende Erklärung des Prozessbevollmächtigten nicht ausreicht (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 2. Dezember 2021 – 1 B 434/21 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 1. November 2021 – 9 LA 11/20 -; OVG Sachsen, Beschl. v. 24. Februar 2021 – 5 A 527/19.A -; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 28. Januar 2019 -4 S 17/19, zit. nach JURIS, jeweils m. w. N.). Daher genügt es den Anforderungen des Vertretungszwangs nicht, wenn ein Rechtsanwalt – wie hier – auf die Ausführungen des Vertretenen offen Bezug nimmt und sich diese zu eigen macht, ohne dass erkennbar wird, dass er den Streitstoff selbst gesichtet, geprüft und rechtlich durchdrungen hat (BVerwG, Beschl. v. 15. November 2019 – 5 B 18.19 – und v. 11. Juli 2019 – 3 B 15.18 -, jeweils zit. nach JURIS, m. w. N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9. Juli 2021 – 18 A 3366/19 -, zit. nach JURIS).
Der Antragsteller konnte sich auch nicht nach § 3 DG LSA i. V. m. § 67 Abs. 4 Satz 8 VwGO selbst vertreten, weil er nicht gem. § 67 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwGO oder § 67 Abs. 4 Satz 7 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO zur Vertretung berechtigt ist.
Der Senat hat trotz der ausdrücklichen Bitte des Antragstellers davon abgesehen, ihn auf die hiernach mangelnde Beachtung des Vertretungserfordernisses hinzuweisen. Denn auch die von dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers für den Fall eines solches Hinweises avisierte Vorgehensweise („Wir würden dann die Beschwerdebegründung vollständig in der beigefügten Fassung von hieraus einreichen.“) hätte die erforderliche eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des vom Antragsteller persönlich vorgebrachten Streitstoffs durch dessen Prozessbevollmächtigten vermissen lassen (vgl. OVG Niedersachsen, Beschl. v. 25. November 2020 – 13 MN 487/20 -, zit. nach JURIS). Eine Verletzung des Grundsatzes auf ein faires Verfahren scheidet deshalb von vornherein aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Gerichtsgebührenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 73 Abs. 1 Satz 1 DG LSA.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 3 DG LSA i. V. m. 152 Abs. 1 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben