Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Ausweisungsinteresse, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Besonderes elektronisches Anwaltspostfach, Kindesmutter, Aufenthaltstitel, Anspruch auf Erteilung, Regelerteilungsvoraussetzungen, Erteilungsvoraussetzungen, Titelerteilungssperre, Ausreisehindernis, Zulassungsantrag, Prozeßbevollmächtigter, Ernstliche Zweifel, Elektronischer Rechtsverkehr, Ermessensvorschrift, Streitwertfestsetzung, Fristversäumnis, Fristwahrung, Absolute Verjährungsfrist

Aktenzeichen  19 ZB 20.1712

Datum:
10.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5345
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 5 K 18.00814 2020-05-28 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der am 7. Januar 1993 geborene, seit 2016 im Bundesgebiet geduldete Kläger, ein georgischer Staatsangehöriger, sein in erster Instanz erfolgloses Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 26. März 2018 weiter. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG an den Kläger (Vater eines am 27.4.2017 geborenen Sohnes mit deutscher Staatsangehörigkeit, für welchen er gemeinsam mit der Kindsmutter das Sorgerecht besitzt) das Titelerteilungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegenstehe, nachdem der Asylantrag des Klägers mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 5. Juli 2016 (Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG) abgelehnt worden sei. Es fehle am Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Außerdem erfülle der Kläger die Titelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV gegeben. Zudem habe er keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes; insbesondere lägen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht vor.
Der Antrag ist unzulässig, weil er nicht rechtzeitig begründet wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.
Die Begründung des rechtzeitig (per Telefax) gestellten Zulassungsantrags ist nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO beim zuständigen Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO ist die Begründung, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht einzureichen. Vorliegend wurde das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehene Urteil des Verwaltungsgerichts am 1. Juli 2020 zugestellt, sodass die Zwei-Monats-Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit Ablauf des 1. September 2020 geendet hat. Die am 1. September 2020 beim Verwaltungsgericht München eingegangene Begründung wahrt diese Frist nicht, weil sie nicht beim zuständigen Gericht eingereicht worden ist. Beim Verwaltungsgerichtshof ist sie erst am 17. September 2020, also nach Ablauf der Frist, eingegangen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 16. September 2020 (im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit seines Antrags) vorgetragen, nach telefonischer Rücksprache mit dem Verwaltungsgericht A. sei die „Berufungsbegründung“ über das besondere elektronische Anwaltspostfach zum Verwaltungsgericht M. versendet worden. Die Weiterleitung würde (gemeint: nach Auskunft des VG A.) dann dort erfolgen, da der Verwaltungsgerichtshof A. „noch keinen Zugang habe“. Vorgelegt wurde die Antragszulassungsbegründung vom 1. September 2020, adressiert an den Verwaltungsgerichtshof in A.. Nach Ermittlungen des Verwaltungsgerichtshofs in A. wurde die „Begründung vom 1.9.2020 im EGVP des VG M. gespeichert“. Es wurde veranlasst, dass diese am 17. September 2020 an den VGH M. übermittelt wird“. Nachdem der Senat daraufhin unter dem 18. September 2020 den Beteiligten u.a. mitgeteilt hatte, dass der Begründungsschriftsatz vom 1. September 2020 im EGVP des Verwaltungsgerichts M. gespeichert sei und am 17. September 2020 beim Verwaltungsgerichtshof A. eingegangen sei, erklärte der Klägerbevollmächtigte unter dem 28. September 2020, bezugnehmend auf dieses Schreiben dürfe davon ausgegangen werden, dass der rechtzeitige Zugang der Berufungsbegründung damit festgestellt sei. Nachdem der Beklagte unter dem 29. September 2020 (wie schon unter dem 11.9.2020) die Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Berufung wegen Fristversäumung als unzulässig beantragt hatte, erklärte der Klägerbevollmächtigte unter dem 3. November 2020, in der Kanzlei werde bereits seit längerem der elektronische Schriftverkehr für das besondere elektronische Anwaltspostfach beA genutzt. So sollte auch die Begründung der Berufung vom 1. September 2020 per beA verschickt werden. Im Programm beA habe jedoch kein Postfach für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in A. gefunden werden können. Hätte man ein solches Postfach gefunden, wäre es ohnehin nicht zu dem Anruf beim Verwaltungsgericht A. gekommen. Da hätte man das Schriftstück einfach direkt per beA zum Verwaltungsgerichtshof in A. übersandt. Beim Verwaltungsgericht A. sei der Kanzleimitarbeiterin M. A. die Auskunft erteilt worden, dass der Verwaltungsgerichtshof A. noch kein beA-Postfach habe und daher das Dokument an das Verwaltungsgericht M. versandt werden solle, es würde von dort weitergeleitet werden. Dementsprechend habe man es dann auch gehandhabt. Es wäre völlig „widerspenstig“ (gemeint: widersinnig), ohne gegebenen Anlass ein bereits fertiges Dokument, das am 1. September 2020 zum Versand bereit gewesen sei, einfach nach M. zum Verwaltungsgericht zu schicken anstatt zum Verwaltungsgerichtshof nach A.. Die Mitarbeiterin könne diesen Sachverhalt auch per eidesstattlicher Versicherung glaubhaft machen, sei aber im Moment erkrankt. Im Schreiben des Beklagten vom 11. November 2020 wird darauf hingewiesen, dass der elektronische Rechtsverkehr beim Verwaltungsgerichtshof eröffnet sei, es aber wohl zutreffend sei, wenn der Klägerbevollmächtigte im besonderen elektronischen Anwaltspostfach kein Postfach für den Verwaltungsgerichtshof in A. gefunden habe. Es werde für den Verwaltungsgerichtshof nur ein Postfach beim Sitz in M. geführt. Dies sei auch dem Verwaltungsgericht A. und den dort tätigen Geschäftsstellenmitarbeitern bekannt. Es erscheine fernliegend, dass die Mitarbeiterin des Klägerbevollmächtigten von dort die Auskunft erhalten haben könnte, dass sie den (fristgebundenen) Begründungsschriftsatz an das Verwaltungsgericht M. schicken sollte, das diesen dann weiterleiten werde. Genauso gut hätte in diesem Fall dann nämlich auch ein elektronischer Versand an das Verwaltungsgericht A. (mit entsprechender Weiterleitung) angeraten werden können. Es sei vielmehr wahrscheinlich so gewesen, dass die Mitarbeiterin des Klägerbevollmächtigten die Auskunft erhalten habe, sie möge den Schriftsatz an das Postfach des Verwaltungsgerichtshofs in M. (dessen Existenz der Klägerbevollmächtigte nicht anzweifle) zu senden, von dort werde es dann an den zuständigen Senat in A. weitergeleitet. In jedem Falle wäre die Übermittlung an den Verwaltungsgerichtshof M. angesichts der am Tag des Versands endenden Frist zielführender und auch plausibler gewesen als diejenige an das Verwaltungsgericht M., das keinerlei Bezug zu den anhängigen Verfahren habe. Eine entsprechende Rückversicherung beim Verwaltungsgerichtshof selbst – zu der eine zuverlässige Kanzleikraft durchaus Anlass gehabt hätte – hätte ebenso wie eine Nachschau auf der Homepage des Verwaltungsgerichtshofs ergeben, dass dort der elektronische Rechtsverkehr eröffnet ist und das Postfach des Verwaltungsgerichtshofs auch in beA zu finden sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist seien daher nicht erkennbar. Unter dem 7. Dezember 2020 erklärte der Klägerbevollmächtigte daraufhin, seine Mitarbeiterin habe am Verwaltungsgericht A. die eindeutige entsprechende Auskunft erhalten, weshalb das Verwaltungsgericht M. per beA angeschrieben worden sei. Anders würde der Sachverhalt überhaupt keinen Sinn machen. Vorgelegt wurde (mit dem Hinweis des Klägerbevollmächtigten, diese sei sonst immer zuverlässig und habe vorliegend nach besten Wissen und Gewissen gehandelt) eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin M. A. vom 7. Dezember 2020. Dort heißt es u.a., es gehöre zu ihrem gewöhnlichen Aufgabenbereich u.a. auch fertige Schriftsätze per beA an das jeweilige Gericht zu verschicken. In der vorliegenden Angelegenheit sollte am 1. September 2020 an den Verwaltungsgerichtshof ein fristwahrender Schriftsatz (Berufungsbegründung) verschickt werden. Der vorherige Kontakt habe zum Verwaltungsgerichtshof A. bestanden. Deshalb habe sie nach dem beA-Postfach des Verwaltungsgerichtshofs A. gesucht und dort kein Postfach gefunden. Deshalb habe sie das Verwaltungsgericht A. angerufen und gefragt, wohin sie den Schriftsatz verschicken könne. Dort sei ihr die Auskunft erteilt worden, dass sie den Schriftsatz fristwahrend an das Verwaltungsgericht M. verschicken könne und dass er dann von dort entsprechend weitergeleitet werde. Dies habe sie dann auch dementsprechend durchgeführt. Sie sei sich zu 100% sicher, dass ihr die Person am anderen Ende der Leitung beim Verwaltungsgericht A. mitgeteilt habe, dass sie den Schriftsatz an das Verwaltungsgericht M. verschicken könne, dass dies fristwahrende Wirkung habe und dass es von dort weitergeleitet werde. Bei einer anderslautenden Auskunft hätte sie sich entsprechend anders verhalten.
Davon ausgehend kann dem Kläger wegen Versäumung der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Im Hinblick darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers keinen (ausdrücklichen) Wiedereinsetzungsantrag binnen eines Monats (§ 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) gestellt hat, ist zwar festzuhalten, dass die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wurde (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO), so dass das Antragserfordernis entfällt (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO). Allerdings beruht die Versäumung der Frist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten (§ 60 Abs. 1 VwGO), das sich der Kläger zurechnen lassen muss (§ 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO).
Schuldhaft im Sinne der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand handelt, wer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und sachgemäß handelnden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles auch zuzumuten war (st.Rspr., vgl. z.B. BayVGH, B.v. 18.12.2017 – 10 ZB 17.1782 – juris Rn. 5).
Davon ausgehend ist eigenes Verschulden von Hilfspersonen des Rechtsanwalts einem Beteiligten nicht zuzurechnen. Liegt ein solches Verschulden vor, muss aber weiter geprüft werden, ob über dieses Verschulden hinaus auch ein Organisationsverschulden des Rechtsanwalts zum Fristversäumnis beigetragen hat. Eine Delegation jedweden Anteils anwaltlicher Tätigkeit auf Hilfspersonal ist unzulässig. Die Delegation auf ausgebildetes, hinreichend geschultes Assistenzpersonal, das sich bereits als zuverlässig erwiesen hat, ist aber jedenfalls im Hinblick auf die Verrichtung einfacher Tätigkeiten, die keine besonderen juristischen Kenntnisse verlangen, zulässig. Allerdings muss der Rechtsanwalt durch eine selbst verantwortete Büroorganisation die Überwachung des Personals ebenso sicherstellen wie ein weitgehendes Ausschalten abstrakt-generell zu erkennender Fehlerquellen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 18 ff m.w.N, Vorwerk/Wolf in BeckOK, Stand 1.12.2020, § 233 ZPO Rn. 27, 28 m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt hat die Mitarbeiterin M.A. schuldhaft gehandelt, als sie sich nach Vortrag auf die falsche Auskunft einer unbekannten, beim Verwaltungsgericht A. tätigen Person verließ und den Begründungsschriftsatz an das bislang in keiner Weise beteiligte Verwaltungsgericht M. schickte. Sie hätte auf die behauptet falsche Auskunft jedenfalls nicht vertrauen dürfen. Weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass der Gesprächspartner am Verwaltungsgericht A. über eine besondere Sachkunde verfügte, so dass sich die Mitarbeiterin auf dessen Wort verlassen konnte. Es wäre ihr zumindest zuzumuten gewesen, sich beim VGH in A. telefonisch zu erkundigen, nachdem die Antragsschrift dorthin bereits per Telefax übermittelt worden war. Auch hätte es nahegelegen, die Homepage des VGH aufzurufen, beim VGH in M. anzurufen, den Weg der Telefaxübermittlung an den VGH A. zu wählen oder aber Rücksprache mit dem Rechtsanwalt zu nehmen, zumal die Übermittlung am letzten Tag der Frist stattfinden sollte. Auch hätte der Rechtsanwalt im Hinblick auf derartige nicht einfache Fragen, die sich aus der ersichtlich jedenfalls betreffend den VGH in A. noch nicht erprobten elektronischen Übermittlung ergeben, das Personal in einer Weise schulen müssen, dass eine derartige Fristversäumnis (z. B. durch ein System der Rückfrage in der Kanzlei) jedenfalls abstrakt ausscheidet. Dazu ist nichts dargetan.
Soweit im Übrigen der zum Verwaltungsgericht M. übermittelte Begründungsschriftsatz erst am 17. September 2020 beim Verwaltungsgerichtshof eintraf, ergeben sich daraus ebenso keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Für das Verwaltungsgericht M. bestand keine gesteigerte Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung an den Verwaltungsgerichtshof, zumal für das nicht zuständige Verwaltungsgericht der Fristablauf am 1. September 2020 nicht (offensichtlich) erkennbar war (vgl. generell zur Weiterleitung BayVGH, B. v. 13.3.2006 – 24 CS 06.490 – juris Rn. 11).
Der Antrag wäre aber auch unbegründet. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung.
Zur Begründung des Zulassungsantrags trägt der Kläger vor, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stehe die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Der Kläger übe die Personensorge für sein Kind aus. Er pflege einen regelmäßigen Kontakt zu dem Kind und übernachte in unregelmäßigen Abständen bei der Kindsmutter zu Hause und kümmere sich in dieser Zeit umfangreich und ausführlich um sein Kind. Es sei nicht erforderlich, dass beide Elternteile zusammenleben müssten. Die Titelerteilungssperre greife dann nicht, wenn ein Ausländer einen Anspruch auf die Titelerteilung habe. Dies sei der Fall. Die Frage, ob ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliege, sei eine Frage der Abwägung zwischen dem Ausweisungsinteresse einerseits und dem Bleibeinteresse des Klägers andererseits. Hier sei zu beachten, dass es sich bei der dem Kläger vorgeworfenen und letztendlich verurteilten Straftat (Verurteilung vom 26.2.2016) um eine innerfamiliäre Angelegenheit gehandelt habe, bei welcher niemand verletzt worden sei. Es sei letztendlich um einen überschaubaren Betrag von 300,- Euro gegangen. Insbesondere seien keine rohen oder groben Handlungen gegenüber Kind und Mutter vorgenommen worden. Insoweit sei ohnehin ein übertriebenes Strafmaß in diesem Urteil gegeben. Unter Berücksichtigung der Angaben der Kindesmutter (in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht) sei das Bleibeinteresse des Klägers weitaus höher einzuschätzen als das Ausweisungsinteresse aufgrund der Straftat. Der Anspruch scheitere auch nicht daran, dass der Kläger nicht mit dem erforderlichen Familiennachzugsvisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Bereits bei der Geburt des Kindes seien die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs gegeben gewesen. Die Nachholung des Visumverfahrens sei daher nicht mehr notwendig. Darüber hinaus liege jedoch ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG vor. Es bestehe auch hier die Möglichkeit das Ausweisungsinteresse vollumfänglich unberücksichtigt zu lassen. Es sei in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass seine Abschiebung bereits seit längerem ausgesetzt sei. Es sei kein Sachverhalt gegeben, der es rechtfertige, ein dreijähriges Kind von seinem Vater zu trennen, wenn regelmäßiger Kontakt bestehe, die Personensorge ausgeübt werde, der Vater sich liebevoll um das Kind kümmere, so dass nach eigenen Angaben der Kindesmutter das Kind gar nicht ohne seinen Vater könne. Unter dem 28. September 2020 legte der Kläger sodann eine Bestätigung des Jugendsamtes/Sozialdienst der Stadt F. vom 13. Juli 2018 vor. Dort heißt es, der Vater des gemeinsamen Sohnes sei nach Angaben der Kindesmutter der Kläger. Die Eltern hätten das gemeinsame Sorgerecht. Der Vater habe jeden Tag Kontakt zu seinem Kind. Zur Frage, ob das Kind in seiner Entwicklung auf den Vater angewiesen sei, wolle der Unterzeichner (Dipl. Sozialpädagoge (FH) F.) nur allgemein antworten: Natürlich sei es gut, wenn ein Kind mit seinem Vater aufwachse.
Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) liegt nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl. 2004, 838/839). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer (wie dem Kläger), dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels findet Satz 1 nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG keine Anwendung. Ein „Anspruch“ auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das bedeutet, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Hierfür genügt weder eine Soll- noch eine Ermessensvorschrift, selbst wenn im Einzelfall ein atypischer Fall vorliegt oder das Ermessen „auf Null“ reduziert ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27 m.w.N.).
Zu Recht führt das Verwaltungsgericht aus, dass nach diesen Maßgaben dem Kläger ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht zusteht. Denn es mangelt ersichtlich an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, da in der Person des Klägers ersichtlich ein Ausweisungsinteresse besteht. Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts F. vom 26. Februar 2016 wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten auf Bewährung verurteilt. Tatzeitpunkt war der 1. August 2015. Ein aktuelles generalpräventives Ausweisungsinteresse ist im Hinblick auf die begangenen Straftaten ersichtlich zu bejahen. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Die Verjährungsfristen für die Verstöße beginnen demnach mit der Beendigung der Taten (vgl. im Einzelnen BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 8) und betragen 20 Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 249 Abs. 1, 252 StGB) bzw. 5 Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB i.V.m. § 223 Abs. 1 StGB). In Anbetracht des bisherigen Verhaltens des Klägers, insbesondere auch im Hinblick auf seine vollziehbare Ausreisepflicht als abgelehnter Asylbewerber, besteht ersichtlich ein erhebliches öffentliches Interesse, die Straftaten des Klägers mit der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu sanktionieren.
Zu Recht führt das Verwaltungsgericht auch aus, dass dem Kläger ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auch deshalb nicht zusteht, da er die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt. Er ist nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist; seiner Verpflichtung, das Sichtvermerksverfahren einzuhalten, ist er nicht nachgekommen. Zwar könnte gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Ermessensvorschrift; ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift ist auch dann nicht ausreichend, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null“ reduziert ist (BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 17 m.w.N.). Damit steht diese Ermessensentscheidung wiederum der Annahme eines strikten Rechtsanspruchs entgegen.
Zu Recht führt das Verwaltungsgericht weiter aus, dass der Kläger die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise erlangen kann:
Gemäß § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er (u.a.) aufgrund der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass das bereits zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes vorliegende Ausweisungsinteresse weiterbesteht, mithin in Anbetracht der Titelerteilungssperre ein strikter Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht gegeben ist.
Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, nach denen der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat:
Zunächst ist schon fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 ZB 18.1780 – juris Rn. 7 m.w.N.). Jedenfalls steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift genauso wie ein Abweichen von der ersichtlich nicht vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BayVGH, U.v. 11.3.2014 – 10 B 11.978 – juris Rn. 52). Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null ergeben sich aber auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nicht:
Zwar steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Denn nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber – wie dem Kläger – ein Aufenthaltstitel nach Maßgabe von Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes und damit auch nach Maßgabe des in diesem Abschnitt enthaltenen § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden. Allerdings spricht zunächst schon manches dagegen, dass die Ausreise des Klägers aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind:
Die Ausreise des Klägers wäre aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Zu derartigen Ausreisehindernissen zählen auch inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die sich aus Verfassungsrecht oder aus Völkervertragsrecht, hier Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, Art. 8 EMRK, herleiten lassen. Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei ihren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers zu Personen, die sich berechtigter Weise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (st.Rspr. d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen kann offenbleiben, ob die Ausreise des Klägers wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich unmöglich wäre. Der Kläger (der allerdings ersichtlich im Besitz einer Duldung wegen seiner Vaterschaft ist) hat dazu im Zulassungsantragsverfahren Nachvollziehbares nicht beigetragen. Die vorgelegte Bestätigung des Jugendamtes der Stadt F. vom 13. Juli 2018 ist nicht mehr aktuell. Anders als dort ausgeführt leben der Kläger und das deutsche Kind nicht (mehr) zusammen, sondern in verschiedenen Orten. Die Behauptungen der Kindsmutter vor dem Verwaltungsgericht (gemäß Protokoll über die mündliche Verhandlung), der Kläger besuche Mutter und Kind zwei bis drei Tage in der Woche, manchmal einmal in der Woche, manchmal einmal in 14 Tagen, er kümmere sich in dieser Zeit viel um das Kind, das Kind könne ohne seinen Papa gar nicht, werden nicht weiter belegt. Selbst bei Wahrunterstellung (mithin bei Unterstellung einer schützenswerten Beistandsgemeinschaft) ist allerdings (worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist) die behördlich getätigte Ermessensausübung nicht zu beanstanden. Denn es lässt keine rechtlich überprüfbaren Ermessensfehler erkennen, wenn der Beklagte in Anbetracht der erteilten Duldung für den Kläger dem fortbestehenden Ausweisungsinteresse eine überwiegende Bedeutung zukommen lässt, die der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG im Rahmen einer Ermessensreduzierung auf Null entgegensteht.
Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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