Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Nutzungsuntersagung, Zwangsgeldandrohung, Funktionslosigkeit, Duldungsanordnung, Sachaufklärungspflicht, Effektiver Rechtsschutz, Sach- und Rechtslage, Verfahrensmangel, Ernstliche Zweifel, Ablehnung eines Beweisantrags, Grundverwaltungsakt, mündlich Verhandlung, Zulassungsverfahren, Gleichbehandlungsgrundsatz, Aufhebung, Bebauungsplan, Bestandskräftiger Bescheid, Außerkrafttreten, Wohnnutzung

Aktenzeichen  1 ZB 20.2691

Datum:
19.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4185
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG Art. 19, 31, 37
VwGO § 86 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 1 K 18.3768 2020-09-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 6.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen die Fälligstellung und erneute Androhung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung einer Nutzungsuntersagung. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 3. Mai 2017 untersagte die Beklagte dem Kläger die Nutzung seiner Gewerbeeinheiten zu Wohnzwecken und verpflichtete ihn, die Nutzungen bis spätestens 16. August 2017 einzustellen. Für den Fall der Nichtbefolgung der Nutzungsuntersagung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro angedroht. Gegenüber den Mietern wurden unter Anordnung des Sofortvollzugs Duldungsanordnungen erlassen. Die gegen die Zwangsgeldandrohung gerichtete Klage wurde in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 12. September 2017 übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Erfüllungsfrist wurde zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung auf 30. September 2017 verlängert. Nachdem in dem Gebäude am 20. Juni 2018 weiterhin noch drei Personen mit Wohnsitz gemeldet waren, wurde dem Kläger mit Bescheid vom 27. Juni 2018 ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro je vermietete Wohnung für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Nutzungsverbot angedroht und das mit Bescheid vom 3. Mai 2017 angedrohte Zwangsgeld fällig gestellt. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 22. September 2020 abgewiesen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht das mit Bescheid vom 3. Mai 2017 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 3.000 Euro als fällig geworden angesehen, weil der Kläger der bestandskräftig angeordneten Nutzungsuntersagung bis zum Ablauf der Erfüllungsfrist am 30. September 2017 nachweislich zumindest hinsichtlich drei Mietern nicht nachgekommen ist. Auch die erneute Androhung eines Zwangsgeldes ist nicht zu beanstanden.
Der Kläger macht geltend, dass nachträgliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage aus Gründen des effektiven Rechtschutzes Berücksichtigung finden müssten. Das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht weder mit der inzwischen eingetretenen Funktionslosigkeit des Bebauungsplans beschäftigt noch mit dem Umstand, dass gegen andere Wohnnutzungen in demselben Gewerbegebiet nicht eingeschritten werde, diese vielmehr geduldet und auf dem Nachbargrundstück sogar eine Wohnnutzung ausdrücklich genehmigt worden sei. Damit kann er im vorliegenden isolierten Vollstreckungsverfahren gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 VwZVG nicht mehr gehört werden. Dass die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung bei dem Fälligstellen des angedrohten Zwangsgeldes und der erneuten Zwangsgeldandrohung regelmäßig nicht geprüft wird, ist auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtschutzes unbedenklich. Der Kläger hat sich die Klärung seiner Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung abgeschnitten, indem er die Nutzungsuntersagung bestandkräftig werden ließ. Soweit der Kläger sich darauf bezieht, dass nachträgliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage Berücksichtigung finden müssen, können Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch ggf. in einem gesonderten Verwaltungsverfahren gemäß Art. 21 VwZVG geltend gemacht werden (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 24.1.2007 – Vf 50-VI-05 – juris Rn. 46; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 1 ZB 17.1070 – juris Rn. 4).
Auch soweit der Kläger dem Verweis auf die Bestandskraft des Grundverwaltungsakts mit dem Hinweis auf die in Art. 48, Art. 49 BayVwVfG eröffnete Möglichkeit entgegentritt, einen Zwangsgeldbescheid bei Änderung der Sach- und Rechtslage aufzuheben bzw. die Verpflichtung zur Aufhebung bei Reduzierung des Ermessens auf Null, vermag er damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht zu begründen. Unabhängig davon, dass dies eines gesonderten Verfahrens bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.1999 – 27 ZS 99.962 – juris Rn. 24), hat der Kläger einen entsprechenden Anspruch nicht ansatzweise dargelegt. Denn die Anforderungen an das Außerkrafttreten eines Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit sind streng und es ist große Zurückhaltung geboten (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1998 – 4 CN 3.97 – BVerwGE 122, 207). Die bloße Behauptung, die Beklagte schreite gegen mehrere Wohnnutzungen nicht ein und habe sogar zwei Wohnungen im benachbarten Gebäude genehmigt, weshalb der Gebietscharakter sich von einem Gewerbegebiet zu einem Mischgebiet verändert habe mit der Folge, dass der Bebauungsplan funktionslos geworden, genügt nicht.
Hinsichtlich der Angemessenheit der Fristsetzung zeigt das Zulassungsvorbringen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf. Das Verwaltungsgericht kam unter Hinweis darauf, dass die Mieter mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Duldungsanordnung verpflichtet gewesen seien, die Wohnungen zu diesem Zeitpunkt unabhängig von einem etwaigen zivilrechtlichen Besitzrecht zu räumen, zu dem Ergebnis, dass die Nutzungsuntersagung auch ab sofort hätte auferlegt werden können, dem Kläger jedenfalls bereits nach Zugang des Bescheids vom 3. Mai 2017 bekannt gewesen sei, dass er die Räume zu keinerlei Wohnzwecken nutzen und daher auch nicht Dritten überlassen dürfe. Eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts hierzu fehlt im Zulassungsvorbringen. Die pauschale Wiederholung seines Klagevorbringens und seiner eigenen Ansichten, er sei auf die Durchführung einer Räumungsklage angewiesen und könne gegenüber den Bewohnern nicht unmittelbaren Zwang anwenden, reicht nicht aus. Im Übrigen war der Kläger mit der Verlängerung der Erfüllungsfrist einverstanden.
Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes mit 2.000 Euro je vermietete Wohnung verhältnismäßig ist. Das Zwangsgeld soll den Pflichtigen effektiv zur Befolgung einer Anordnung anhalten, es soll eine „Beugewirkung“ auf den Pflichtigen ausgeübt werden (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2017 – 10 ZB 16.133 – juris Rn. 12). Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG gibt hierzu als eine Ermessenserwägung vor, dass diese Wirkung vor allem erzielt wird, wenn durch das Zwangsgeld ein wirtschaftlicher Vorteil abgeschöpft wird, der im Fall der Nichterfüllung der Auflagen sonst beim Pflichtigen verbliebe. Damit muss die Behörde bei der Bemessung des Zwangsgeldes jedoch nicht einen Nachweis des wirtschaftlichen Vorteils führen (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2008 – 15 CS 08.455 – juris Rn. 19). Die Ausführungen des Klägers im Zulassungsschriftsatz, die Sachlage habe sich nachträglich verändert, da sein Gewerbegebäude am Tag der (erstinstanzlichen) mündlichen Verhandlung durch einen Großbrand zerstört worden sei und er seine Existenzgrundlage verloren habe, führen nicht zur Zulassung der Berufung. Damit macht er sinngemäß das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinn des Art. 37 Abs. 4 Satz 2 VwZVG geltend. Abgesehen davon, dass der Kläger bei der Beklagten nicht beantragt hat, von der Beitreibung des fällig gewordenen Zwangsgeldes abzusehen und diese Entscheidung im Ermessen der Beklagten liegt, hätte der Kläger bei einer aufgrund der vorgelegten Fotos unterstellten Zerstörung des Gewerbegebäudes einen Rechtsanspruch auf Absehen von der Beitreibung nur, wenn (ausnahmsweise) jede andere Entscheidung ihm gegenüber ermessensfehlerhaft wäre. Insoweit fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Darlegung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, denn der Kläger hat seine finanziellen Verhältnisse nicht in einer Weise offengelegt, die einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist. Es fehlen aussagekräftige Angaben und Belege zu der Sicherstellung des Lebensunterhalts. Sein Vorbringen, er verfüge nicht über nennenswerte Ersparnisse und es sei nicht absehbar, ob bzw. in welcher Höhe er Versicherungsleistungen erhalten könne, stellt eine vage, nicht weiter belegte Behauptung dar.
Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten förmlichen Beweisantrag zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, dass die zum Beweis gestellte Frage nicht entscheidungserhebliche sei, weil der Grundverwaltungsakt der Nutzungsuntersagung bestandskräftig sei. Es sei mit den Grundsätzen der Amtsermittlung nicht in Einklang zu bringen, die Beweisaufnahme abzulehnen, da der angefochtene Verwaltungsakt, sollte sich der unter Beweis gestellte Sachverhalt bestätigen, gegen das Willkürverbot bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz verstieße. Das Gericht sei seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht nachgekommen.
Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Sie findet unter anderem dann im Prozessrecht eine Stütze, wenn sich der behauptete Sachverhalt, als gegeben unterstellt, nicht auf die Entscheidung auswirken kann, weil es nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts für den Ausgang des Rechtsstreits nicht darauf ankommt (vgl. BVerwG, B.v. 12.2.2019 – 9 B 47.18 – juris Rn. 14; U.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.3.2008 – 1 ZB 07.57 – juris Rn. 22). Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag zur Einnahme eines Ortstermins nannte als zu beweisende Tatsache, „dass in unmittelbarer Nähe zum Kläger im Gewerbegebiet Wohnnutzungen bestehen, die keine Betriebsleiterwohnungen sind“. Da – wie ausgeführt – nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts der Grundverwaltungsakt bestandskräftig war, scheidet eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.7.1, Nr. 1.1.1 und Nr. 1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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