Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  Au 9 E 21.148

Datum:
29.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1959
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
BayIfSMV § 1 11.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zu 1/3.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich, soweit ersichtlich, gegen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Form einer FFP2-Maske bzw. einem gleichwertigen genormten Standard.
Die 11. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. Nr. 737, BayRS 2126-1-15-G), zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Januar 2021 (BayMBl. Nr. 54) hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
§ 1 Abstandsgebot, Mund-Nasen-Bedeckung, Kontaktdatenerfassung.
(1) Jeder wird angehalten, die physischen Kontakte zu anderen Menschen auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren und den Personenkreis möglichst konstant zu halten. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten. Wo die Einhaltung des Mindestabstands im öffentlichen Raum nicht möglich ist, soll eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden. In geschlossenen Räumlichkeiten ist stets auf ausreichende zu achten.
(2) Soweit in dieser Verordnung die Verpflichtung vorgesehen ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (Maskenpflicht), gilt:
1. Kinder sind bis zum 6. Geburtstag von der Tragepflicht befreit.
2. Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind von der Trageverpflichtung befreit; die Glaubhaftmachung erfolgt bei gesundheitlichen Gründen insbesondere durch eine ärztliche Bescheinigung, die die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie den Grund, warum sich hieraus eine Befreiung der Tragepflicht ergibt, enthält.
3. Das Abnehmen der Mund-Nasen-Bedeckung ist zulässig, solange zu Identifikationszwecken oder zur Kommunikation mit Menschen mit Hörbehinderung oder aus sonstigen zwingenden Gründen erforderlich ist. Soweit in dieser Verordnung die Verpflichtung vorgesehen ist, eine FFP2-Maske oder eine Maske mit mindestens gleichwertigem genormten Standard zu tragen (FFP2-Maskenpflicht), gilt Satz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass Kinder zwischen dem 6. und dem 15. Geburtstag nur eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen.
§ 8 Öffentliche Verkehrsmittel, Schülerbeförderung, Reisebusse
Im öffentlichen Personenfernverkehr und den hierzu gehörenden Einrichtungen besteht für Fahr- und Fluggäste sowie für das Kontroll- und Servicepersonal, soweit es in Kontakt mit Fahr- und Fluggästen kommt, Maskenpflicht. Satz 1 gilt entsprechend für den öffentlichen Personennahverkehr und die hierzu gehörenden Einrichtungen sowie für die Schülerbeförderung im freigestellten Schülerverkehr mit der Maßgabe, dass für die jeweiligen Fahrgäste FFP2-Maskenpflicht gilt. Touristische Busreisen sind untersagt.
Mit am 26. Januar 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg eingegangenen Schreiben begehren die Antragsteller Eilrechtsschutz bezüglich der Maskenpflicht in … bzw. in Bayern. Es gehe darum, dass in der Bundesrepublik Deutschland generell FFP2-Masken und OP-Masken sowie ähnliche Masken, die den gleichen Schutz nachweisen, erlaubt seien. Hiervon werde in Bayern und in … eine Ausnahme gemacht. Ein konkreter Antrag wurde nicht gestellt.
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 27. Januar 2021 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Soweit der Antrag gegen die maßgeblichen Regelungen zur FFP2-Maskenpflicht in der 11. BayIfSMV gerichtet sei, sei er unzulässig, da das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg hierfür sachlich nicht zuständig sei. Lege man den Antrag als Normerlassantrag, gerichtet auf Änderung der maßgeblichen Regelungen zur FFP2-Maskenpfilcht in der 11. BayIfSMV aus, so habe er ebenfalls keinen Erfolg. Der Antrag sei bereits aus verschiedenen Gründen unzulässig. Es fehle bereits an einer Antragsbefugnis der Antragsteller. Auch sei das Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb nicht gegeben, weil der Antrag auf eine unzulässige endgültige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sei. Auch fehle ein behördlicher Antrag auf Umsetzung des Anliegens der Antragsteller. Darüber hinaus sei der Antrag aber auch unbegründet. Die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es sei bereits nicht ersichtlich, woraus sich ein solcher Anspruch ergeben könne.
Auf den weiteren Inhalt des Antragserwiderungsschriftsatzes vom 27. Januar 2021 wird ergänzend verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den wechselseitigen Schriftverkehr und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
1. Der vorliegende Antrag ist bereits unzulässig, da aus dem am 26. Januar 2021 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schreiben bereits nicht erkennbar ist, welches Rechtsschutzziel die Antragsteller verfolgen und gegen welchen Antragsgegner sich ihr Begehren tatsächlich richtet. Ebenfalls nicht ersichtlich ist, ob sich der gestellte Eilantrag gegen die Regelungen der 11. BayIfSMV insbesondere in § 1 Abs. 2 Satz 2 (FFP2-Maskenpflicht) richtet oder gegen eine auf bestimmte Örtlichkeiten der Stadt … bezogene erweiterte Regelung. Auch dies wird aus dem am 26. Januar 2021 eingegangenen Schreiben nicht erkennbar. Voraussetzung für einen zulässigen Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz ist außerdem eine konkrete Antragstellung, aus der sich der Gegenstand des Verfahrens erkennen lässt. Daran fehlt es jedoch.
a) Soweit man den Antrag bei wohlwollender Auslegung dahingehend verstehen wollte (vgl. §§ 122, 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), dass die Antragsteller sich gegen die insbesondere in § 1 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV geregelte generelle FFP2-Maskenpflicht wenden, wäre das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg hierfür sachlich nicht zuständig. Für ein solches Begehren steht den Antragstellern die Möglichkeit eines Normenkontrollantrags gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, Art. 5 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) als gesetzlich hierfür vorgesehener Rechtsschutz zur Verfügung. Ein Eilantrag kann im Rahmen des § 47 Abs. 6 VwGO gestellt werden.
b) Soweit das Begehren der Antragsteller darauf gerichtet sein sollte, die Regelungen der 11. BayIfSMV dahingehend zu ergänzen, dass beispielsweise auch einfache OP-Masken als zulässige Mund-Nasen-Bedeckungen gelten, wäre in einer evtl. Hauptsache eine sog. „Normerlassklage“ zu erheben, die nach herrschender Meinung als Feststellungsklage bzw. als allgemeine Leistungsklage einzuordnen ist. Einstweiliger Rechtsschutz wäre demnach über die Vorschrift des § 123 VwGO zu gewähren.
Ein so verstandener Eilantrag wäre jedoch ebenfalls bereits unzulässig. Die Zulässigkeit würde voraussetzen, dass die Antragsteller einen möglichen Anordnungsanspruch auf Normergänzung behaupten bzw. geltend machen können. Ein solcher ist jedoch vorliegend von vornherein ausgeschlossen, da ein subjektiver Anspruch der Antragsteller auf Abänderung bzw. Ergänzung der im Freistaat Bayern geltenden allgemeinen Regelungen zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und deren erforderlicher Standard im Hinblick auf die Rechtsnatur einer abstrakt-generellen Regelung im Wege einer Rechtsverordnung bereits begrifflich ausgeschlossen ist.
2. Der Eilantrag der Antragsteller wäre überdies unbegründet, da den Antragstellern kein Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner zur Seite steht. Ein Anordnungsanspruch lässt sich weder aus spezialgesetzlichen Regelungen noch aus dem allgemeinen Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG oder dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) herleiten.
a) Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Es umfasst auch die Pflicht des Staates, sich aktiv schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen sowie diesen vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit zu schützen (BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – juris Rn. 6). Staatlichen Stellen kommt bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.2020 – 2 BvR 483/20 – juris Rn. 8). Was konkret zu tun ist, um Grundrechtsschutz zu gewährleisten, hängt von vielen Faktoren ab, im Besonderen von der Eigenart des Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der hier betroffenen Rechtsgüter. Die Verletzung einer Schutzpflicht kann nur festgestellt werden, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahme offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (Untermaßverbot) (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – juris Rn. 7).
b) Vor diesem Hintergrund kann ein Anspruch eines Bürgers auf ein bestimmtes Einschreiten der Exekutive ausschließlich dann bestehen, wenn es sich hierbei um die einzige denkbare ermessensfehlerfreie Entscheidung handeln würde, mithin eine Situation einer Ermessensreduktion auf Null gegeben wäre. Dem entspricht es, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ansprüche auf Erlass oder Änderung gesetzlicher Rechtsnormen nur höchst ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. VG Freiburg, B.v. 14.9.2020 – 2 K 2971/20 – juris Rn. 11). Mit dem Ausnahmecharakter der Normerlassklage wird der im Gewaltenteilungsgrundsatz begründeten Trennung der rechtsetzenden und rechtsprechenden Organe Rechnung getragen (vgl. VG München, B.v. 22.10.2020 – M 26 a E 20.5020 – juris Rn. 23).
Dies zugrunde gelegt scheidet ein Erfolg des Antrags der Antragsteller von vornherein aus, da dieser allenfalls darauf gerichtet ist, das in der 11. BayIfSMV derzeit zugrunde gelegte Schutzniveau im Bereich der erforderlichen Mund-Nasen-Bedeckungen dahingehend zu verringern, dass auch einfache OP-Masken genügen. Die von der 11. BayIfSMV für bestimmte Bereiche (vgl. insoweit beispielsweise § 8, § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 der 11. BayIfSMV) geregelte FFP2-Maskenpflicht wurde überdies obergerichtlich vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt (BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 20 NE 21.171 – juris).
c) Eventuell abweichende Regelungen in anderen Bundesländern sind für den Antragsgegner nicht bindend. Dies ergibt sich aus § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Nach dessen Satz 1 werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Corona-Virus-Krankheit 2019 (COVID-19) kann nach § 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG auch die Anordnung der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) sein. Bezüglich der Ausgestaltung dieser Maskenpflicht kommt dem Antragsgegner der bereits zuvor genannte Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu, der vorliegend jedenfalls nicht in gesetzwidriger Weise überschritten wurde.
3. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen haben die Antragsteller die Kosten nach entsprechenden Kopfteilen zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG); da der Antrag der Antragsteller der Vorwegnahme einer Hauptsache entspricht, war der Streitwert für die einzelnen Streitgenossen vorliegend nicht gemäß Nr. 1.5 der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl. Sonderbeilage Januar 2014) zu halbieren. Da auch aus dem Schreiben der Antragsteller nicht erkennbar ist, dass diese eine Maßnahme in Rechtsgemeinschaft erstreiten, kam eine Anwendung von Nr. 1.1.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs nicht in Betracht.


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