Verwaltungsrecht

Verweigerte Ausnahmegenehmigung für eine Werbeanlage in Nähe zur Bundesautobahn

Aktenzeichen  1 ZB 20.3135

Datum:
30.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30875
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 33 Abs. 1 S. 2, § 46 Abs. 2
BayBO Art. 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Eine abstrakte Verkehrsgefährdung iSd § 33 StVO kann sich auch aus einer Häufung von Werbeanlagen ergeben, die erst mit der zu genehmigenden Werbeanlage entstehen würde. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Gerichts ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung, sodass ein Kläger nicht darauf vertrauen kann, dass das Gericht an seiner vorläufigen Würdigung, zu welcher er Stellung nehmen konnte, festhält. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 19.109 2020-09-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur Errichtung eines Werbepylons mit einer Höhe von 60 m auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung I* …, an dessen drei Seiten jeweils zwei beleuchtete Werbeflächen mit den Abmessungen 14 m x 7 m sowie eine beleuchtete Werbefläche mit den Abmessungen 10 m x 3 m vorgesehen sind. Der Vorhabenstandort befindet sich in einem Gewerbegebiet in einer Entfernung von ca. 170 m zum Fahrbahnrand der Bundesautobahn A 9.
Die Beklagte lehnte den Vorbescheid ab, da die Festsetzungen des Bebauungsplans dem Vorhaben entgegenständen und wies ergänzend darauf hin, dass die Belange der Autobahndirektion Südbayern berührt würden. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung für das Vorhaben erforderlich sei. Es bestehe nach dem Ergebnis des Augenscheins und der Stellungnahme der Autobahndirektion Südbayern durch die Zulassung des Vorhabens eine abstrakte Verkehrsgefährdung.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die Werbeanlage keiner baurechtlichen Zulassung, sondern einer Zulassung nach dem Straßenverkehrsrecht in Form einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 2 StVO bedarf und deshalb die auf Erteilung eines baurechtlichen Vorbescheids gerichtete Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist.
Nach Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO bedürfen Werbeanlagen, soweit für sie eine Zulassung nach Straßenverkehrsrecht erforderlich ist, keiner Baugenehmigung nach der BayBO. Für diese Anlagen nimmt nach Art. 56 Satz 2 BayBO die für den Vollzug der entsprechenden Rechtsvorschrift zuständige Behörde die Aufgaben und Befugnisse der Bauaufsichtsbehörde wahr. Die Zuständigkeit und die Genehmigungsart beurteilt sich danach, ob hinsichtlich der Werbeanlage eine straßenverkehrsrechtliche Relevanz besteht und der Anwendungsbereich des § 33 StVO berührt ist (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – juris Rn. 21). Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei eine straßenverkehrsrechtliche Relevanz des Vorhabens bejaht. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO ist jede Werbung außerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder beeinträchtigt werden können. Nach § 33 Abs. 1 Satz 2 StVO darf der Verkehr außerhalb geschlossener Ortschaften auch durch innerörtliche Werbung nicht in solcher Weise gestört werden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass § 33 StVO keine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs voraussetzt, sondern eine abstrakte Verkehrsgefährdung ausreicht. Hierfür genügt, dass allgemein nach der Erfahrung des täglichen Lebens mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs eintreten kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.1993 – 11 C 44.92 – BVerwGE 94, 234 m.w.N).
Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe seiner Entscheidung zugrunde gelegt und kam aufgrund des gewonnenen Eindrucks im Rahmen des Augenscheins sowie der Stellungnahme der Autobahndirektion Südbayern zu der Einschätzung, dass eine abstrakte Verkehrsgefährdung besteht, da der Werbepylon weithin sichtbar sein wird. Soweit das Zulassungsvorbringen darauf abstellt, dass das Vorhaben keine straßen(verkehrs) rechtliche Relevanz aufweise, da in unmittelbarer Nähe zum Vorhabenstandort bereits ein Turm der Brauerei „H* …“ auf vier Seiten mit Eigenwerbung versehen sei, lässt es unberücksichtigt, dass sich eine Verkehrsgefährdung auch aus einer Häufung von Werbeanlagen ergeben kann (vgl. hierzu auch Nr. 3.4.2 Buchst. d der „Richtlinien zur Werbung an (Bundes-)Autobahnen aus straßenverkehrs- und straßenrechtlicher Sicht“, VKBl. 2001, 462). Der weitere Vortrag, dass aufgrund der teilweise auch beleuchteten Umgebungsbebauung entlang der Autobahn eine abstrakte Gefahr ausscheide, greift nicht durch. Das Vorhaben des Klägers ist auf beide Fahrtrichtungen der Bundesautobahn ausgerichtet und zielt mit seiner Höhe von 60 m gerade auf die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer über eine große Entfernung. Dementsprechend kam das Verwaltungsgericht zu der Auffassung einer abstrakten Verkehrsgefährdung. Die vom Kläger zitierten Ausführungen in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beziehen sich erkennbar auf die vom Verwaltungsgericht als verträglich angesehene Höhe einer Werbeanlage mit 40 m. Die weiteren Ausführungen des Klägers in der Zulassungsbegründung lassen ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs einer abstrakten Verkehrsgefährdung erkennen.
2. Auch die vom Kläger behaupteten Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe durch eine Überraschungsentscheidung gegen das rechtliche Gehör verstoßen. Das Verwaltungsgericht habe die Klageabweisung tragend auf die fehlende Zuständigkeit der Beklagten gestützt, obwohl es ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung zunächst die Auffassung vertreten habe, dass das Vorhaben keine straßen(verkehrs) rechtliche Relevanz habe.
Diese Ausführungen legen keinen Gehörsverstoß dar. Zum einen steht der zur Niederschrift erklärte Hinweis des Verwaltungsgerichts erkennbar im Zusammenhang mit einer Reduzierung des Vorhabens auf eine Höhe von 40 m. Zum anderen liegt eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung erst dann vor, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 29.9.2015 – 7 B 22.15 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Die Thematik einer (abstrakten) Verkehrsgefährdung durch das Vorhaben war Gegenstand des Verfahrens. Der Kläger hatte Gelegenheit sich hierzu zu äußern und hat dies insbesondere ausweislich der Ausführungen seines Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 17. September 2020 auch getan. Selbst wenn der Kläger den Hinweis des Verwaltungsgerichts falsch aufgefasst hätte, vermag dies keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Die abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2010 – 5 B 21.09 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 1 ZB 19.61 – juris Rn. 13), sodass der Kläger nicht darauf vertrauen kann, dass das Gericht an seiner vorläufigen Würdigung festhält.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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