Verwaltungsrecht

Verweigerung des Wehrdienstes durch einen kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei

Aktenzeichen  M 1 K 17.39717

Datum:
9.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 50615
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG Art. 16a
AsylG § 3a Abs. 3 Nr. 5, § 4, § 77 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S. 1
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 9 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Etwaige asylrelevante Übergriffe auf türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit weisen  nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte auf, die zu einer Gruppenverfolgung und damit dazu führt, dass jedes Mitglied dieser Gruppe als verfolgt gilt (vgl. etwa VG Aachen, U. v. 5.3.2018 – 6 K 3554.17.A, BeckRS 2018, 4654). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei jedoch trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. OVG Bautzen, U. v. 7.4.2016 – 3 A 557.13.A, BeckRS 2016, 45428; VGH München, B. v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399, BeckRS 2015, 53580). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Heranziehung zum Wehrdienst in der Türkei stellt keine Form politischer Verfolgung dar, da sie allgemein gegenüber allen männlichen Staatsangehörigen ausgeübt wird (vgl. BVerwG, B. v. 16.1.2018 – 1 VR 12/17, BeckRS 2018, 610). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die türkische Praxis der Strafbewehrung einer etwaigen Wehrdienstentziehung stellt keine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung dar  (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bestrafungen wegen Kriegsdienstverweigerung, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, stellen nicht schlechthin eine politische Verfolgung dar(vgl. BVerwG U. v. 19.8.1986 – 9 C 322.85, BeckRS 1986, 2537). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Trotz Ausbleibens der Parteien konnte das Gericht in der Sache verhandeln und entscheiden, weil eine ordnungsgemäße Ladung erfolgt war und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen keine Zweifel.
Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
Denn der Kläger trug selbst in seiner Anhörung beim Bundesamt vor, dass er in der Türkei vor seiner Ausreise weder bedroht noch verfolgt worden ist. Vielmehr hätte er auch in der Türkei gut weiterleben können, allerdings wollte er nach Deutschland zu seiner hier lebenden Familie. Soweit der Kläger im Falle seiner Rückkehr möglicherweise zum Militärdienst gezogen würde, wäre dies keine Verfolgung im oben genannten Sinn (dazu unten).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
a) Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten – hier nicht einschlägigen – besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 – im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).
Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 22). Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).
Soweit keine Beweiserleichterung wie bei Vorverfolgung oder in Widerrufsfällen nach Art. 4 Abs. 4 bzw. Art. 14 Abs. 2 RL 2011/95/EU greift, bleibt es im Umkehrschluss beim allgemeinen Günstigkeitsprinzip, wonach die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter für sich günstige Rechtsfolgen herleitet, zu seinen Lasten geht (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 26 ff.).
Das Tatsachengericht hat sich im Rahmen der o.g. tatrichterlichen Würdigung volle Überzeugung zur Gefahrenprognose zu bilden, also ob bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in den behaupteten Verfolgerstaat diesem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Für die Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedarf es weder einer eindeutigen Faktenlage noch einer mindestens fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit. Vielmehr genügt – wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt -, wenn bei zusammenfassender Würdigung die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 22). Lückenhafte Erkenntnisse, eine unübersichtliche Tatsachenlage oder nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet stehen ebenso wenig wie gewisse Prognoseunsicherheiten einer Überzeugungsbildung nicht grundsätzlich entgegen, wenn eine weitere Sachaufklärung keinen Erfolg verspricht. Die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit darf aber nicht unter Verzicht auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 22). Kann das Tatsachengericht dennoch keine Überzeugung gewinnen und bestehen keine Anhaltspunkte für eine weitere Sachverhaltsaufklärung, hat es die Nichterweislichkeit des behaupteten Verfolgungsschicksals festzustellen und nach o.g. Maßstäben eine Beweislastentscheidung zu treffen.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Der Kläger kann sich weder mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung noch auf den einer individuellen Verfolgung berufen.
b) Eine Gruppenverfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden hat der Kläger nicht zu befürchten. Zum einen hat der Kläger in seiner Anhörung beim Bundesamt vorgetragen, dass er in der Türkei von niemandem bedroht oder verfolgt worden sei; er hätte auch in der Türkei weiterhin leben können. Zum anderen ist dafür auch nichts ersichtlich, weil der Kläger als Kurde zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei gehört; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung liegen nicht vor.
Kurdische Volkszugehörige unterliegen in der Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902.85, 2 BvR 515.89, 2 BvR 1827.89 – NVwZ 1991, 768; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31.14 – juris). Aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass etwaige asylrelevante Übergriffe auf türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweisen, die zu einer Gruppenverfolgung und damit dazu führt, dass jedes Mitglied dieser Gruppe als verfolgt gilt (vgl. etwa VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554.17.A – juris Rn. 51 m.w.N.).
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigen. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Es leben etwa 13 Mio. bis 15 Mio. kurdische Volkszugehörige in der Türkei bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 81,9 Mio. Die Kurden stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei dar (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand Mai 2019 – im Folgenden: Lagebericht -, S. 12). Sie unterliegen allein aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist. Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, wenngleich der amtliche Gebrauch eingeschränkt ist. Das am 2. März 2014 vom türkischen Parlament verabschiedete „Demokratisierungspaket“ hat u.a. Möglichkeiten zur Unterrichtung kurdischer Sprachen und zum Gebrauch kurdischer Ortsnamen geschaffen. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist. Per Notstandsdekret nach den Ereignissen im Juli 2016 wurden knapp 200 tatsächlich oder vermeintlich Gülennahe und kurdische Print- und Bildmedien geschlossen und mehr als 100 Journalisten inhaftiert (vgl. zum Vorstehenden Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 12 f.).
Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei jedoch trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative gem. § 3e Abs. 1 AsylG offen (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557.13.A – juris, Rn. 31; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399 – juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK etwa höhere Gefährdung verringern. Dem Kläger ist die Westtürkei auch wirtschaftlich zumutbar. Ihm droht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der dortigen allgemeinen Versorgungslage. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt auch dort sicherstellen kann, zumal er auch vormals als Lackierer gearbeitet hat.
c) Auch unter dem Gesichtspunkt der Wehrpflicht hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in der Türkei eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
aa) Eine etwaige Einberufung des Klägers zum Dienst in den türkischen Streitkräften führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Jeder männliche türkische Staatsbürger zwischen dem 19. und dem 41. Lebensjahr unterliegt der Wehrpflicht. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit.
Die Heranziehung zum Wehrdienst in der Türkei stellt keine Form politischer Verfolgung dar, da sie allgemein gegenüber allen männlichen Staatsangehörigen ausgeübt wird (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12/17 – juris Rn. 86 m.w.N.). Dabei ist die Wehrpflicht als Recht eines jeden Staats völkerrechtlich anerkannt (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. b) 1. Alt. EMRK). Die türkischen Wehrrechtbestimmungen treffen keine Unterschiede wegen ethnischer Zugehörigkeit türkischer Staatsbürger (VG Augsburg, U.v. 27.8.2019 – Au 6 K 17.34088 – juris Rn. 46 unter Berufung auf Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Dabei setzen die türkischen Streitkräfte Wehrpflichtige gezielt in anderen Landesteilen als ihre Herkunftsregion ein; kurdischen Angaben zufolge werden kurdischstämmige Rekruten gezielt in den Konfliktgebieten im Südosten eingesetzt, um den Alleinvertretungsanspruch der PKK für Kurden zu diskreditieren; für eine systematische Diskriminierung kurdischer Minderheiten in der Armee fehlen aber Anhaltspunkte, wenngleich Einzelfälle existieren, wie sie auch von der Klagepartei vorgetragen wurden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 44; so auch VG Augsburg, U.v. 27.8.2019 – Au 6 K 17.34088 – juris Rn. 52; VG Saarland, U.v. 31.7.2019 – 6 K 313/18 – juris Rn. 37).
2018 wurde erstmals eine zeitlich befristete Freikaufoption für im Inland lebende Wehrpflichtige geschaffen, die vor dem 1. Januar 1994 geboren wurden. Die Befreiung erfolgte durch die Zahlung eines Pauschalbetrags in Höhe von 15.000 Türkische Lira und Ableistung des Grundwehrdienstes von 21 Tagen. Fast 450.000 Personen (Stand 2. September 2018) hatten sich für diesen verkürzten Militärdienst beworben. Die Antragstellung begann am 3. August und endet am 3. November 2018 (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei, Stand 18. Oktober 2018, Seite 41). Das Verteidigungsministerium plante laut Ankündigung des Staatspräsidenten vom März 2019 neben der Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate die Einführung einer (auf 145.000 pro Jahr kontingentierten) Freikaufoption für alle im Inland lebenden Wehrpflichtigen (Auswärtiges Amt, Lagebericht 2019, Seite 17). Dies führte nach Medienberichten zu einer weiteren Freikaufoption für die Wehrpflichtigen, die im Jahr 2020 ihren Militärdienst antreten müssten, wobei entsprechende Anträge zwischen dem 16. Juli und dem 31. Juli 2019 zu stellen waren; unter Berufung auf das Ministerium wurde ferner berichtet, dass die Gebühr für türkische Staatsbürger, die in der Türkei leben, rund 33.230 türkische Lira (circa 5100 Euro) beträgt, für türkische Staatsbürger, die ihren Wohnsitz nicht in der Türkei haben, wird eine Gebühr von rund 5400 Euro fällig (https://www.hurriyet.de/news_freikauf-vom-tuerkischen-wehrdienst-startet-am-16-juli_143520708.html vom 14. Juli 2019).
Art. 9 des im Juni 2019 in Kraft getretenen neuen Gesetzes Kanun 7179 vor, dass türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die in der Türkei leben, nach Ableistung des einmonatigen Grundwehrdiensts sich für die restlichen Monate freikaufen können (vgl. Gesetzestext im Generalanzeiger der Türkei: www.resmigazete.gov.tr/eskiler/2019/06/20190626-1.htm). Die Modalitäten werden vom Ministerium festgelegt. Hintergrund für diese Freikaufoptionen waren offenbar vor allem die hohe Zahl der Wehrflüchtigen (https://de.connection-ev.org/article-1609 vom 11. Juli 2019).
Im Hinblick auf die Freikaufoption hat der Kläger nichts dargetan. Zwar steht die Freikaufoption Wehrdienstentziehern wohl nicht offen (vgl. https://de.connection-ev.org/article-1609 vom 11. Juli 2019). Doch hat der Kläger noch keinen Einberufungsbefehl erhalten. Demgemäß ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger die Möglichkeit der Freikaufoption verwehrt wäre und der Kläger überhaupt mehr als den Grundwehrdienst ableisten müsste.
bb) cc) Ungeachtet dessen würde die Strafbewehrung einer etwaigen Wehrdienstentziehung nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass die türkische Praxis eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Sinne des §§ 3, 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG darstellt.
In der Türkei gibt es kein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder einen Anspruch auf Ableistung eines Ersatzdiensts. Musterungsverweigerer, Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Wehrdienstpflichtige werden im zentralen elektronischen Fahndungsregister (GBT) erfasst. Wer wehrpflichtig ist, sich aber der Musterung entzieht, gilt als „Musterungsflüchtiger“, was eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird. Wer sich nach erfolgter Musterung und Einberufung den Wehrdienst entzieht, gilt als „Wehrdienstflüchtiger“, was mit Geldstrafen geahndet wird, die in der Höhe abhängig sind von der Dauer der Wehrdienstentziehung sowie davon, ob der Wehrdienstflüchtige sichergestellt oder gefasst wird (vgl. VG Augsburg, U.v. 27.8.2019 – Au 6 K 17.34088 – juris Rn. 45 unter Berufung auf Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 1.6.2017 an das BAMF, Seite 2). Subsidiär bleiben Haftstrafen von bis zu sechs Monaten möglich. Dies fußt auf einer Änderung von Art. 63 des türkischen Militärstrafgesetzbuches (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand Mai 2019 – im Folgenden: Lagebericht – S. 18). Wird ein erlassener Bußgeldbescheid bestandskräftig und meldet sich der Betroffene danach nicht bei der Wehrbehörde zum Dienstantritt, können auch Freiheitsstrafen zwischen zwei und 36 Monaten verhängt werden; in der Regel wird von der Mindeststrafe Gebrauch gemacht, und es können kurzzeitige Gefängnisstrafen nach Art. 50 türkisches Strafgesetzbuch unter anderem auch in Geldstrafen umgewandelt werden (VG Augsburg, U.v. 27.8.2019 – Au 6 K 17.34088 – juris Rn. 46 unter Berufung auf Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Die Vollstreckung von Haftstrafen unter vier Jahren wurde wegen Platzmangels in den Haftanstalten regelmäßig aufgeschoben, sodass fast niemand seine Haftstrafe musste; auch nach einer Gesetzesänderung, dass Haftstrafen von über drei Monaten angetreten werden müssten, ist nicht mit einer Vollstreckung zu rechnen (vgl. K. Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 10).
Die Haftbedingungen in Militärhaftanstalten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von jenen in anderen Haftanstalten; ohnehin ist die Haft in einer Militärhaftanstalt erst vorgesehen, wenn ein Wehrpflichtiger während des Ableisten des Wehrdienstes wegen einer Straftat verurteilt wird (VG Augsburg, U.v. 27.8.2019 – Au 6 K 17.34088 – juris Rn. 46 unter Berufung auf Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen Bestrafungen wegen Kriegsdienstverweigerung, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, nicht schlechthin eine politische Verfolgung dar (Urteile v. 19.8.1986 – BVerwG 9 C 322.85 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 54 und vom 6. Dezember 1988 – BVerwG 9 C 22.88 – BVerwGE 81, 41). Dahin schlagen derartige Maßnahmen nur dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen. Die außergewöhnliche Härte einer drohenden Strafe – insbesondere einer Todesstrafe – gibt dann Anlass zur Prüfung ihrer Asylrelevanz, wenn in einem totalitären Staat ein geordnetes und berechenbares Gerichtsverfahren fehlt und Strafen – auch und gerade während eines Krieges – willkürlich verhängt werden, weil ein derartiges evidentes Fehlen rechtsstaatlicher Grundsätze ein Indiz für eine hinter der Strafnorm stehende Verfolgung in einem asylerheblichen Merkmal sein kann (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 – 9 C 131/90 -, juris Rn. 19 m.w.N.).
Dafür ist nach obigen Ausführungen in der Türkei nichts ersichtlich. Im übrigen wird auch nicht behauptet und ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Bestrafung (sog. „Politmalus“) bei seiner Rückkehr erleiden würde bzw. dass das Vorgehen des türkischen Staates über das hinausgeht, was erforderlich ist, damit dieser sein legitimes Recht auf staatlichen Rechtsgüterschutz ausüben kann (vgl. EuGH, U.v. 26.2.2015 – C-472/13 – juris Rn. 50).
cc) Der Hinweis auf die in der Türkei nicht bestehende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdiensts und die damit erhobenen rechtstaatlichen Bedenken, auch in Zusammenschau mit Entscheidungen des EGMR, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Eine Verletzung der von Art. 9 EMRK garantierten Gewissensfreiheit ist anzunehmen, wenn es keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigerern trifft. Eine Verletzung von Art. 9 EMRK kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Betroffene glaubhaft machen kann, dass er den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert. Daran fehlt es beim Kläger. Eine Gewissensentscheidung in diesem Sinn ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes eine sittliche Entscheidung, die der Kriegsdienstverweigerer innerlich als für sich bindend erfährt und gegen die er nicht handeln kann, ohne in schwere Gewissensnot zu geraten; erforderlich ist eine Gewissensentscheidung gegen das Töten von Menschen im Krieg und damit die eigene Beteiligung an jeder Waffenanwendung. Sie muss absolut sein und darf nicht situationsbezogen ausfallen (BVerwG, B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12/17 – juris Rn. 87 m.w.N.).
Der Kläger hat diesbezüglich geäußert, er hätte Angst, im Krieg zu sterben, und seine Eltern wollten ihn dieser Gefahr auch nicht aussetzen, zumal er ein Einzelkind sei. Damit bezieht sich der Kläger auf die allgemeinen Kriegsgefahren, trägt jedoch keine Gewissensentscheidung im o.g. Sinne vor.
dd) Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist entgegen der Auffassung der Klagepartei auch nicht allein wegen des Vorliegens einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gerechtfertigt. Danach kann auch die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen.
Zum einen hat der Kläger nach eigenem Bekunden das Ableisten des Wehrdiensts bisher nicht verweigert. Zum anderen ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein wegen des – etwaigen – Vorliegens einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gerechtfertigt, weil es hier jedenfalls an der Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund fehlt. Aus der gesetzlichen Bestimmung des § 3a Abs. 3 AsylG, der insoweit Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU umsetzt, ergibt sich, dass die Qualifizierung einer Handlung als Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 1 bis 6 AsylG nicht ausreicht, um eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahme zu begründen. Hinzukommen muss vielmehr eine „Verknüpfung“ zwischen Handlung und Verfolgungsgrund, d.h. die Verfolgung muss „wegen“ bestimmter Verfolgungsgründe drohen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 33, 34 unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2017 – 1 B 131.17 – Buchholz 402.251 § 3a AsylG Nr. 1 Rn. 10; vgl. ferner BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3/18 – juris Rn. 98, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148/17 u.a. – juris Rn. 12). Ferner ist nicht dargetan, dass der Kläger mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit im Falle des Wehrdiensts überhaupt in Konflikten eingesetzt wird, die nach dem Vortrag der Klagepartei völkerrechtswidrig sind. Dies gilt umso mehr, als der Kläger die Freikaufoption nutzen könnte und ihm in diesem Fall nurmehr eine Grundwehrdienstzeit von einem Monat obläge.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht die Annahme eines ernsthaften Schadens bei Rückkehr in sein Heimatland ableitet.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Da insoweit nichts ersichtlich ist, was über den Gegenstand seines vorrangigen Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a GG hinausgingen, fehlt es an stichhaltigen Gründen für die Annahme, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Verständnis von § 4 Abs. 1 AsylG droht. Angesichts der vorstehenden Ausführungen liegen insbesondere die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht vor.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird im Sinne des § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1951 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wäre. Dabei sind die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat landesweit in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12, Rn. 26) und die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Zielstaat als auch der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen.
Im Hinblick auf eine allgemein schlechte Sicherheitslage im Zielstaat der Abschiebung ist Art. 3 EMRK erst dann verletzt, wenn die durch Gewalt bestimmte Lage im Bestimmungsland so intensiv ist, dass sie die Gefahr begründet, jede Abschiebung in dieses Land werde zwangsläufig Art. 3 EMRK verletzen. Das ist nur in extremen Ausnahmefällen anzunehmen.
Ferner können allgemein schlechte humanitäre Bedingungen nach der Rechtsprechung des EGMR in außergewöhnlichen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen, und zwar dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind und überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt allerdings ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5).
Eine derartige konkrete Gefahrenlage im Hinblick auf den Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei ist nicht ersichtlich.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auch dann anzunehmen, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen.
Diese Gefahr besteht für den Kläger nicht.
Der Kläger ist knapp 30 Jahre alt, gesund und erwerbsfähig. Eine Gefahr dahingehend, dass der Kläger seine elementaren Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigen könnte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Eine Abschiebungsverbot ergibt sich ferner auch nicht unter dem Gesichtspunkt der von Art. 9 EMRK garantierten Gewissensfreiheit. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen hierzu verwiesen.
bb) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Insbesondere eine schwerwiegende Erkrankung des Klägers wurde weder vorgetragen, noch ist eine solche ersichtlich.
4. Soweit sich die Klage gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung richtet, bleibt die Klage ebenfalls ohne Erfolg. Umstände, die eine Reduzierung der vorgenommenen, im unteren Bereich des von § 11 Abs. 3 AufenthG für den Regelfall aufgezeigten Rahmens von 5 Jahren angesiedelten Befristung angezeigt erscheinen ließen, hat der Kläger nicht aufgezeigt.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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