Verwaltungsrecht

Vollziehbare Abschiebungsandrohung, Räuberische Erpressung, Subsidiärer Schutzstatus, Untersuchungshaft, Strafgerichtliche Feststellungen, Abschiebungsverbot, Unbegründeter Asylantrag, Offensichtlich unbegründet, Offenbare Unrichtigkeit, Aufhebung eines Verwaltungsaktes, Verwaltungsgerichte, Gesamtfreiheitsstrafe, Antragstellers, Rechtsfolgenausspruch, Ermessensentscheidung, Aufhebungsanspruch, Freiheitsstrafe, Straftaten von erheblicher Bedeutung, Flüchtlingseigenschaft, Ernstliche Zweifel

Aktenzeichen  M 31 S 20.33367

Datum:
26.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2217
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 30 Abs. 4, 36
AsylG § 4 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 8 S. 3
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsandrohung im Zusammenhang mit der Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 7. Dezember 2020.
Der am … Oktober 1995 in Sare Pol geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsbürger tadschikischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach Aktenlage am 10. Juli 2015 in die Bundesrepublik ein und stellte am 5. Oktober 2016 einen Asylantrag. Dieses Asylverfahren wurde mit Bescheid vom 23. Dezember 2016 eingestellt, da es vom Antragsteller nicht betrieben wurde. Ein gegen diesen Bescheid eingeleitetes Klageverfahren wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. März 2017 (Az. M 24 K 17.30463) eingestellt.
In der Folgezeit ist der Antragsteller mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zuletzt wurde er durch Urteil des Amtsgerichts München vom 1. August 2018 bzw. des Landgerichts München I vom 24. April 2019 in der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung (Az. 21 Ns 368 Js 108050/18) wegen einer Reihe von Betäubungsmitteldelikten in Tatmehrheit mit versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Rechtskraft trat am 24. April 2019 ein. Nach Aktenlage verbüßt der Antragsteller gegenwärtig noch diese Freiheitsstrafe.
Am 17. Juli 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten einen erneuten Asylantrag (Folgeantrag) stellen, in dem zur Begründung zunächst auf die Corona-Pandemie im Herkunftsstaat Afghanistan verwiesen wurde. Ferner sei der Antragsteller als junger Mann, dessen Gesundheitszustand aufgrund des Drogenmissbrauchs sehr kritisch sei, unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 7. Dezember 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Asylberechtigung und des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (Ziff. 1-3). Weiterhin wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4). Der Antragsteller wurde ferner unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Schließlich wurde ein Einreiseund Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 7 Jahre ab dem Tag der Abstimmung befristet (Ziff. 6). Die Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet stützt das Bundesamt im Wesentlichen auf die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers bzw. die entsprechenden Ausschlusstatbestände des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG.
Mit am 15. Dezember 2020 eingegangenem Schriftsatz vom 14. Dezember 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben, die bei Gericht unter dem Az. M 31 K 20.33366 geführt wird. Mit ebenfalls am 15. Dezember 2020 eingegangenem Schriftsatz vom 14. Dezember 2020 beantragt er
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14. Dezember 2020 gegen die Abschiebungsanordnung des Bescheids des Bundesamts vom 7. Dezember 2020 anzuordnen.
Zur Begründung führt der Bevollmächtigte des Antragstellers insbesondere aus, der Antragsteller habe erstmals im Folgeverfahren zu seinen Fluchtgründen vortragen können. Eine Auseinandersetzung mit diesen habe nicht stattgefunden. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet vor dem Hintergrund des § 60 Abs. 8 AufenthG stelle einen erheblichen Eingriff in die geplante soziale Integration des Antragstellers dar.
Die Antragsgegnerin hat die Akten auf elektronischem Weg vorgelegt. Zur Sache hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakte in diesem sowie im Hauptsacheverfahren Bezug genommen.
II.
Über den Rechtsstreit entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG, § 36 Abs. 3 AsylG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2020 bleibt in der Sache ohne Erfolg. Er ist unbegründet.
1. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die Frage ihrer sofortigen Vollziehbarkeit. Die sofortige Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die (qualifizierte) Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Anknüpfungspunkt der fachgerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist daher die Frage, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 93). Im Grundsatz ist dabei (allein) die Rechtmäßigkeit gerade des Offensichtlichkeitsurteils Gegenstand der Prüfung (BVerfG, U.v. 14.5.1996, a.a.O. Rn. 163; Pietzsch, in: BeckOK AuslR, 27. Ed. 1.10.2020, AsylG § 36 Rn. 39).
Anderes gilt in den Konstellationen der sog. fingierten Offensichtlichkeit nach § 30 Abs. 3 und 4 AsylG. Diese setzen anders als § 30 Abs. 1 und 2 AsylG tatbestandlich keine „Offensichtlichkeit“ voraus, vielmehr gilt der (einfach) unbegründete Asylantrag aufgrund weiterer Umstände als offensichtlich unbegründet (vgl. zum Ganzen Heusch, in: BeckOK AuslR, 27. Ed. 1.10.2020, AsylG § 30 Rn. 30). Daher sind im Rahmen der fachgerichtlichen Prüfung die (sonstigen) Voraussetzungen des Tatbestandes zu betrachten (Pietzsch, in: BeckOK AuslR, 27. Ed. 1.10.2020, AsylG § 36 Rn. 40; vgl. auch Faßbender, in: BeckOK MigR, 6. Ed. 1.10.2020, AsylG § 36 Rn. 20). Gegenstand ist hier mithin die Frage, inwieweit das Bundesamt im Sinne des § 30 Abs. 4 AsylG zu Recht nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen hat.
In den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags darf die Aussetzung der Abschiebung im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche ernstlichen Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
2. Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne an der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) nicht gegeben; sie hält einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich stand. Zur Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend und zusammenfassend ist Folgendes auszuführen:
Gemäß § 30 Abs. 4 AsylG ist ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn das Bundesamt nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG – also dem Abschiebungsverbot für Flüchtlinge – abgesehen hat. Nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG kann von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist. Der Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG geht zurück auf Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie), die weder eine Mindeststrafe festlegt, die zum Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung führt, noch eine sonstige Definition des Begriffs der „besonders schweren Straftat“ enthält. Erforderlich ist nach der Gesetzesbegründung die Feststellung, dass der Ausländer aufgrund seines persönlichen Verhaltens eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, die bloße rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat genügt hierfür nicht (vgl. BT-Drs. 18/7537, S. 9). Es ist deshalb in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Betroffene mit der abgeurteilten Straftat die Schwelle zur Gefahr für die Allgemeinheit überschritten hat. Bei Anwendung der Vorschrift kommt es daher auf eine im Einzelfall zu treffende Prognoseentscheidung an (BayVGH, B.v. 25.9.2017 – 20 ZB 17.30282 – juris Rn. 6; Koch, in: BeckOK AuslR, 27. Ed. 1.7.2020, AufenthG § 60 Rn. 57; vgl. zum Erfordernis einer konkreten Wiederholungsgefahr im Rahmen des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 17/12 – juris Rn. 11 ff.).
Nach dem Wortlaut der Vorschrift findet schließlich kein automatischer Ausschluss statt. Vielmehr ist eine Ermessensentscheidung vorzunehmen (BT-Drs. 18/7537, S. 9).
a) Der Tatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG ist hier gegeben.
aa) Zunächst liegt eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Vorschrift vor: Der Antragsteller wurde rechtskräftig unter anderem wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Eigentum im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG verurteilt. Der Begriff „Straftaten gegen das Eigentum“ wird vom Strafgesetzbuch (StGB) nicht ausdrücklich verwendet; hierunter ist, da das Vermögen nicht als Schutzgut genannt ist, insbesondere eine Bestrafung wegen Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242-248c StGB), Raub oder Erpressung (§§ 249-256 StGB), Begünstigung und Hehlerei (§§ 257-262 StGB), aber auch etwa wegen einer gemeingefährlichen Straftat wie Brandstiftung (§§ 306 ff.) zu fassen (Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60 Rn. 62).
Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 1. August 2018 bzw. des Landgerichts München I vom 24. April 2019 in der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung (Az. 21 Ns 368 Js 108050/18) wurde der Antragsteller neben einer Reihe von Betäubungsmitteldelikten der versuchten räuberischen Erpressung (§§ 253, 255 StGB) schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Dabei handelt es sich unzweifelhaft um eine Straftat gegen das Eigentum im vorgenannten Sinne.
Die Gesamtstrafe wurde durch das Landgericht aus sechs Einzelstrafen gebildet, von denen vier mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe betrugen. Die hier relevante Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung führte dabei zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Daher liegt jedenfalls eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr gemäß § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG vor, sodass es nicht auf die Frage ankommt, inwieweit diese Mindestschwelle gegebenenfalls auch durch eine Gesamtstrafe erreicht wird (vgl. dazu eingehend VG Freiburg, B.v. 8.8.2019 – A 14 K 2915/19 – juris Rn. 3 ff.).
Der Antragsteller beging die Tat auch im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben. Vorauszusetzen ist in diesem Zusammenhang das Inaussichtstellen eines künftigen Übels – hinsichtlich Leib oder Leben -, auf dessen Eintritt der Erklärende Einfluss zu haben vorgibt (Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60 Rn. 62). Nach den strafgerichtlichen Feststellungen forderte der Antragsteller eine andere männliche Person telefonisch zur Übergabe eines dreistelligen Geldbetrags auf, auf denen er keinen Anspruch hatte, und drohte ihr damit, dass er sie „abstechen“ werde und ihrer Familie etwas passieren werde, sollte sie ihm den Geldbetrag nicht übergeben.
bb) Auch die von § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG vorausgesetzte Gefahr für die Allgemeinheit ist im Fall des Antragstellers gegeben. Im Rahmen der anzustellenden zukunftsgerichteten Prognose (Koch, in: BeckOK AuslR, 27. Ed. 1.7.2020, AufenthG § 60 Rn. 57) stehen ordnungsbehördliche Überlegungen im Vordergrund, in deren Mittelpunkt der Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten steht (VG Freiburg, B.v. 8.8.2019 – A 14 K 2915/19 – juris Rn. 15; VG Würzburg, U.v. 13.12.2016 – W 4 K 16.31038 – juris Rn. 23), wobei insbesondere eine Rolle spielt, inwieweit sich aus dem strafrechtlich relevanten Verhalten des Antragstellers eine hinreichende Wahrscheinlichkeit weiterer Straffälligkeit schließen lässt (VG Saarland, B.v. 7.2.2020 – 6 L 99/20 – juris Rn. 5).
Aus dem Verhalten des Antragstellers lässt sich, wovon die Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid zu Recht ausgegangen ist, auf ein ernsthaftes Drohen weiterer Straffälligkeit, insbesondere der Begehung vergleichbarer erheblicher Straftaten gegen das Eigentum, schließen. Bei dieser Prognose wurden die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Art der begangenen Delikte, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2009 – 10 B 17/09 – juris Rn. 4 zur Prognose im Rahmen des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im streitbefangenen Bescheid vom 7. Dezember 2020 Bezug und folgt der darin enthaltenen Begründung (dort S. 5 f., vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:
Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war der Antragsteller bereits vor der hier relevanten Verurteilung strafrechtlich in Erscheinung getreten. Eine Verurteilung durch das Amtsgericht Traunstein vom 8. Mai 2017 (Az. 531 Ds 330 Js 5467016 jug) hatte bereits ein Betäubungsmitteldelikt und eine Bedrohung zum Gegenstand. Bereits in diesem Zusammenhang war die Bedrohung nach den Ausführungen des Strafurteils erheblich („Ich steche euch alle ab“). Auch im Rahmen der hier relevanten versuchten räuberischen Erpressung handelte es sich nach den Feststellungen des Landgerichts München I im Rahmen der Strafzumessung um massive Drohgebärden. Weiterhin geht das Strafgericht von einer erheblichen kriminellen Energie aus und stellt fest, dass der Antragsteller sich auch eine „gewisse kriminelle Struktur“ aufgebaut habe. Der Antragsteller habe eine rabiate Vorgehensweise gezeigt, deren Nachwirkungen noch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung bei der Vernehmung des Geschädigten deutlich sichtbar waren. Schließlich stellt das strafgerichtliche Urteil auch fest, dass der Antragsteller in der Zeit seiner Untersuchungshaft zwar einem Mitinsassen das Leben rettete, es jedoch andererseits zu zahlreichen Disziplinarvorfällen gekommen sei.
Der Umstand, dass der Antragsteller damit wiederholt andere Menschen massiv bedroht hat und sich bei der Begehung der Straftaten auch innerhalb einer von ihm geschaffenen kriminelle Struktur bewegt hat, lassen eine Wiederholung derartigen Verhaltens erwarten. Insbesondere ist er nach dem vorausgehenden Verhalten offenbar bereit, seine Interessen auch im Zusammenhang der Begehung anderer Straftaten unter Androhung von erheblicher Gewalt durchzusetzen. Angesichts der erheblichen, bereits früher gezeigten Drohgebärden gilt dies auch unter Berücksichtigung dessen, dass die seit 24. April 2019 rechtskräftig abgeurteilte Straftat gegen das Eigentum im Versuchsstadium stecken geblieben ist.
Dass die Tat aus einer einmaligen Situation heraus entstanden oder der Antragsteller sich seither tiefgreifend neu orientiert hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bleiben die in diesem Zusammenhang in der Antragsschrift vorgebrachten Aspekte – der Antragsteller plane, eine Ausbildung zu beginnen und seinen Schulabschluss nachzuholen, die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet stelle einen erheblichen Eingriff in die geplante soziale Integration des Antragstellers dar – unsubstantiiert und lassen einen Schluss auf das künftige Verhalten des Antragstellers kaum zu. Auch das Vollzugsverhalten in der Untersuchungshaft spricht nicht für eine Neuorientierung. Die Annahme, der Antragsteller werde zukünftig ein straffreies Leben führen und insbesondere von Gewaltdelikten Abstand nehmen, ist nach alledem nicht gerechtfertigt.
b) Das Bundesamt hat des Weiteren auch das ihm nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG eingeräumte Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) dahingehend ausgeübt, dass es dem öffentlichen Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor straffällig gewordenen Asylbewerbern den Vorrang vor dem privaten Interesse des Antragstellers eingeräumt hat. Zur Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung gehört insbesondere, dass die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und in ihre Erwägungen eingestellt hat, sodass je nach den Umständen auch positive Entwicklungen in der Zeit nach der Verurteilung zu berücksichtigen sein können (VG Berlin, B.v. 11.10.2019 – 33 L 392.19 A – juris Rn. 2).
In seine Interessenabwägung hat das Bundesamt insbesondere die persönliche Situation des Antragstellers eingestellt, wonach er mit Ausnahme seines Bruders über keine sozialen Kontakte verfüge, ledig sei und keine Kinder habe. Weitere Aspekte, die gegen eine von ihm ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit sprächen, hat der Antragsteller auch im Rahmen seiner Anhörung vom 8. Dezember 2020 nicht vorgebracht. Rechtsfehler sind bei der vom Bundesamt ausgeübten Ermessensentscheidung insoweit nicht erkennbar.
3. Der durch das Bundesamt angenommene Ausschluss des Antragstellers von der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begegnet keinen ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Das Gericht folgt auch insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG den Feststellungen und der Begründung im streitgegenständlichen Bescheid.
Ergänzend ist Folgendes festzustellen: Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Der Ausschlussgrund geht zurück auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie, die keine Definition des Begriffs der „schweren Straftat“ enthält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG bestimmt sich nach internationalen und nicht nach nationalen Maßstäben, ob einer Straftat das geforderte Gewicht zukommt. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2012 – 10 C 13.11 – juris Rn. 20; U.v. 16.2.2010 – 10 C 7.09 – juris Rn. 47; zu dem nur redaktionell abweichenden § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG: BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 27). Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass dem Kriterium des in den strafrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Strafmaßes zwar eine besondere Bedeutung bei der Beurteilung der Schwere der Straftat zukommt, die den Ausschluss vom subsidiären Schutz nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU rechtfertigt, dass sich die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats gleichwohl erst dann auf den in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausschlussgrund berufen darf, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden unter diesen Ausschlusstatbestand fallen (vgl. EuGH, U.v. 13.9.2018 – C-369/17 – juris Rn. 49 ff.).
Eine schwere Straftat kann insbesondere etwa angenommen werden, wenn ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 AufenthG vorliegt oder mindestens die gleiche Schwere der Straftat, wie bei der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG, also die Straftat zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität angehört, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Im konkreten Fall kann auf die Tatausführung, das verletzte Rechtsgut, die Schwere des eingetretenen Schadens sowie die von dem Straftatbestand vorgesehene Strafandrohung abgestellt werden (so Ziff. 25.3.8.2.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, auf die die Rechtsprechung insoweit zu Recht abstellt, vgl. VG Augsburg, U.v. 26.3.2020 – Au 4 K 19.31338 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 2.9.2019 – M 22 S 19.32826 – juris Rn. 21; VG Berlin, U.v. 17.1.2019 – 23 K 181.18 A – juris Rn. 21).
Die Voraussetzungen für eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegen regelmäßig bei Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag vor, daneben auch bei Raub, Kindesmissbrauch, Entführung, schwerer Körperverletzung, Brandstiftung und Drogenhandel. Dagegen scheiden Bagatelldelikte als Straftaten von erheblicher Bedeutung aus, z.B. Diebstahl geringwertiger Sachen und geringfügige Sachbeschädigungen (OVG Bremen, U.v. 10.5.2011 – 1 A 306/10 – juris Rn. 112; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris Rn. 54 unter Bezugnahme auf Ziff. 25.3.8.2.2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz).
Gemessen an diesen Maßstäben weisen die vom Antragsteller begangenen Straftaten die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG erforderliche Schwere auf. Der Antragsteller ist mit Urteil des Amtsgerichts München vom 1. August 2018 bzw. des Landgerichts München I vom 24. April 2019 in der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung (Az. 21 Ns 368 Js 108050/18) in mehreren tatmehrheitlichen Fällen der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel, wobei er gewerbsmäßig handelte, und der versuchten räuberischen Erpressung schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Bei den Delikten handelt es sich überwiegend um Verbrechen, denen entsprechend ein jeweils beträchtlicher Strafrahmen mit einem Jahr Mindestfreiheitsstrafe bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe zukommt, sodass bereits im Ausgangspunkt von einer entsprechend schweren Straftat auszugehen ist. Zwar hat das Strafgericht die jeweiligen Strafrahmen nicht ausgeschöpft, ging aber umgekehrt nicht von minderschweren Fällen aus und wertete es zulasten des Antragstellers, dass er in kriminelle Strukturen eingebunden war bzw. diese selbst zum Teil aufgebaut hatte, um seinen Betäubungsmittelhandel im Dachauer Raum zu betreiben. Auf die Feststellungen des Urteils des Landgerichts München I wird insofern ausdrücklich Bezug genommen. An der Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung ist darüber hinaus sichtbar, dass der Antragsteller im Zusammenhang seiner kriminellen Aktivitäten auch vor substantieller Bedrohung Anderer nicht zurückschreckt.
Der Antragsteller hat sich damit durch die Begehung einer schweren Straftat hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes als unwürdig erwiesen. Diese aus der Begehung einer schweren Straftat folgende „Unwürdigkeit“ bestünde sogar auch dann fort, wenn keine Wiederholungs- bzw. gegenwärtige Gefahr (mehr) vorliegt und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. zur Regelung für den Ausschluss des Flüchtlingseigenschaft in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der RL 2011/95/EU: EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 u.a. – juris Rn. 104; BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 29).
Da die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausschlussgründe nach § 4 Abs. 2 AsylG bereits Ausfluss einer abstrakten normativen Verhältnismäßigkeitsprüfung sind und den Behörden im Rahmen der Anwendung dieser Ausschlussgründe auf Rechtsfolgenseite ein Ermessensspielraum nicht zusteht („…ist ausgeschlossen…“), ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch für eine darüber hinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall kein Raum mehr (vgl. EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 u.a. – juris Rn. 109; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris Rn. 65 f.).
3. Keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen ferner an der Feststellung des Bundesamts, wonach Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden. Soweit – wie in Afghanistan – ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. zusammenfassend etwa BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 19 ff. m.w.N.).
In der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Trotz einer weiterhin sehr besorgniserregenden humanitären Situation in Afghanistan liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zuließen, dass jeder alleinstehende, arbeitsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte (vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.10.2020 – 13a ZB 20.31934 -, juris Rn. 6 ff.; B. v. 2.10.2020 – 13a ZB 18.30862 -, juris Rn. 5; eingehend U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 50 ff. jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen und unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel). Einbezogen in diese Bewertung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere auch aktuelle Erkenntnismittel zu den Auswirkungen der SARS-Covid-19 Pandemie (BayVGH, B.v. 28.10.2020 – 13a ZB 20.31934 -, juris Rn. 6; U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 43 ff.). Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung vollumfänglich an.
Aus den aktuellsten Erkenntnismitteln, soweit nicht ohnehin in der genannten Rechtsprechung bereits berücksichtigt, namentlich den Berichten des Auswärtigen Amtes vom 16. Juli 2020, dem UNAMA Midyear Report Juli 2020 und dem Bericht des UNSC vom 18. August 2020 ergibt sich nichts anderes. Insbesondere die Analyse der aktuellen Sicherheitslage durch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Stand 30.9.2020) zeichnet das Bild einer sich aktuell wandelnden, zweifellos schwierigen, sich jedoch insgesamt mit Blick auf die Bedrohung des Einzelnen zumindest nicht weiter zum Negativen hin entwickelnden Sicherheitslage. In Bezug auf die Sicherheitslage konstatiert schließlich der UNAMA Third Quarter Report 2020 einen Rückgang der zivilen Opferzahlen um 30% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit insgesamt 5.939 Getöteten und Verletzten.
b) Die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen hinsichtlich Afghanistans ebenfalls nicht vor. Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Auch insoweit schließt sich das Gericht der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an, wonach bei Fehlen einer aktuellen Erkrankung oder relevanter Vorerkrankung auch unter den gegenwärtigen Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie nicht von einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auszugehen ist. Die Gefahr, nach Rückkehr in Afghanistan zu erkranken, stellt eine allgemeine Gefahr dar, bei der nur Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden kann, wenn der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Insoweit lassen die in aktuellen Erkenntnismittel jedoch keine signifikant höhere Gefahr als weltweit erkennen (BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 55 ff.). Dieser Befund gilt nach den aktuellsten frei zugänglichen Daten unverändert. Die durch den Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang herangezogene Sterblichkeitsrate in Bezug auf die Erkrankten Afghanistans und Deutschlands zeigt zwar für Afghanistan höhere Werte, aber nach wie vor in beiden Staaten Werte im unteren einstelligen Prozentbereich (Afghanistan: 2.385 Verstorbene bei 54.672 Erkrankten – 4,4%; https://covid19.who.int/region/emro/country/af (Aufruf am 25.1.2021); Deutschland: 51.870 Verstorbene bei 2.134.936 Erkrankten – 2,4%; https://covid19.who.int/region/euro/country/de (Aufruf am 25.1.2021).
Nach WHO-Zahlen wäre die Sterblichkeitsrate pro 1 Million Einwohner in Deutschland sogar deutlich höher (Afghanistan: 61,27; Deutschland: 616,09, Quellen s. soeben), auch die Fallzahlen pro 1 Million Einwohner liegen in Deutschland bei einem Vielfachen (Afghanistan: 1.404,43; Deutschland: 25.481,45, Quellen s. soeben). Selbst wenn man insoweit einen in Afghanistan weniger umfassenden Datenbestand unterstellen wollte, wäre jedenfalls nach wie vor eine signifikant höhere Gefahr als weltweit nicht zu erkennen.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis infolge einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt beim Antragsteller nach Aktenlage nicht vor. Ein Verweis auf einen kritischen Gesundheitszustand aufgrund des Drogenmissbrauchs findet sich lediglich im Antragsschreiben vom 17. Juli 2020. Zu Recht weist das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid darauf hin, dass der Antragsteller im Rahmen der Anhörung hingegen dezidiert angab, zurzeit keine Probleme aufgrund seines Drogenkonsums zu haben. Körperliche Probleme habe er nicht, er nehme keine Medikamente, habe aber psychologische Probleme im Zusammenhang einer möglichen Abschiebung (Anhörungsniederschrift vom 8. Dezember 2020, S. 2-3). Nach § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 AufenthG, auf den § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen ausdrücklich verweist, muss jede Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht werden. Die normative Vermutung des § 60a Absatz 2c Satz 1 AufenthG, wonach gesundheitliche Gründe eine Abschiebung nicht entgegenstehen, ist nach Aktenlage nicht widerlegt.
3. Keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsandrohung folgen schließlich auch daraus, dass die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des angegriffenen Bescheides fehlerhaft begründet ist (Nr. 5 der Begründung, Seite 21 des Bescheids vom 7. Dezember 2020). Die gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylG erforderliche schriftliche Begründung der Entscheidung des Bundesamts bezieht sich hier (bausteinartig) zum Teil auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage: Die Begründung geht von einer Ausreisefrist von 30 Tagen auf der Grundlage von § 38 Abs. 1 AsylG aus, einschlägig wäre hier die einwöchige Frist des § 36 Abs. 1 AsylG, wie auch zutreffend tenoriert ist.
Ein Aufhebungsanspruch folgt indessen daraus nicht. Gemäß § 46 VwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Inwieweit die Konstellation einer vorhandenen, aber unrichtigen Begründung eine Frage der formellen oder/und materiellen Rechtmäßigkeit darstellt und damit insbesondere § 46 VwVfG unmittelbar Anwendung findet, kann hier im Einzelnen offenbleiben (vgl. einerseits Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 30; Heusch, in: BeckOK AuslR, 27. Ed. 1.10.2020, AsylG § 31 Rn. 3a, wonach § 39 Abs. 1 VwVfG ebenso wie § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylG keine Pflicht zur objektiv richtigen Begründung aufstelle und der Verwaltungsakt daher formell rechtmäßig sei; die Tragfähigkeit der Begründung als materielle Frage sieht auch BVerwG, U.v. 14.5.1991 – 3 C 67/87 – juris Rn. 23; ebenso ausdrücklich als materielle Frage betrachtend, aber gleichwohl § 46 VwVfG anwendend BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8/96 – juris Rn. 15; andererseits BVerwG, U.v. 17.9.1987 – 5 C 26/84 – juris Rn. 26 zu § 42 SGB X, wonach es sich um einen von § 46 VwVfG erfassten Verfahrensfehler handle).
Betrachtet man die unrichtige Begründung maßgeblich als Frage des Verfahrensrechts, ist § 46 VwVfG ohnehin unmittelbar anwendbar. Selbst wenn man auch von einer „materiellen Dimension“ eines Begründungsmangels (so vermittelnd Emmenegger, in: NK-VwVfG, § 46 Rn. 49) ausgeht, ist anerkannt, dass jedenfalls im Rahmen gebundener Verwaltung ergehende Verwaltungsakte inhaltlich nur dem Gesetz entsprechen müssen. Eine sachlich unzutreffende Begründung macht solche Verwaltungsakte nicht materiell rechtswidrig. Dies zeigt nicht zuletzt der Rechtsgedanke des § 46 VwVfG, wonach es jedenfalls bei zwingenden gesetzlichen Vorgaben nur darauf ankommt, ob das vorgeschriebene Ergebnis erreicht worden ist oder nicht (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 46 m.w.N. aus der Rechtsprechung, vgl. insbesondere bereits BVerwG, B.v. 24.9.1953 – I C 51.53 – juris Rn. 16 f.). So liegt der Fall hier: Die Bemessung der dem Ausländer zu setzenden Ausreisefrist ergibt sich in den jeweiligen Konstellationen des § 36 Abs. 1 und des § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG zwingend aus dem Gesetz, so dass im vorgenannten Sinne eine gebundene Entscheidung vorliegt, die ausweislich der Tenorierung der Nr. 5 des streitbefangenen Bescheids auch dem Gesetz entsprechend getroffen wurde. Damit ist im Sinne des § 46 VwVfG – oder zumindest des entsprechenden Rechtsgedankens – offensichtlich, dass die fehlerhafte Begründung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Benennung einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in der Begründung des zutreffenden Ergebnisses im Tenor des streitgegenständlichen Bescheids führt daher nicht zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bzw. begründet keinen Aufhebungsanspruch.
Offenbleiben kann vor diesem Hintergrund, inwieweit die unrichtige Begründung der Abschiebungsandrohung hier nicht sogar deshalb unschädlich wäre, weil es sich um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 42 Satz 1 VwVfG handelt. Zwar wird die Korrektur der Begründung eines Verwaltungsakts allgemein nicht als Berichtigung im Sinne des § 42 Satz 1 VwVfG angesehen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 42 Rn. 9). Allerdings erscheint fraglich, inwieweit hier überhaupt von einem inhaltlichen Irrtum bei der Rechtsanwendung im Rahmen der Begründung zu sprechen wäre. Ersichtlich wurde in die Begründung der sachlich zutreffenden Entscheidung schlicht ein falscher Textbaustein übernommen, sodass hier weniger ein inhaltlicher Fehler, sondern eher ein Versehen im Prozess der Datenverarbeitung inmitten steht, das als „ähnliche offenbare Unrichtigkeit“ im Sinne des § 42 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden kann.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). … …


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