Verwaltungsrecht

Voraussetzungen der Beitragspflicht eines nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks

Aktenzeichen  6 ZB 17.2521

Datum:
15.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2395
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1 S. 1
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Für die Frage, ob der Eigentümer eines Hinterliegergrundstück straßenausbaubeitragspflichtig ist, kommt es nicht darauf an, welche Funktion der Kläger der über das Anliegergrundstück führenden Treppe zugedacht hat oder in welchem Umfang sie tatsächlich benutzt wird. Maßgebend ist vielmehr allein das Vorhandensein dieses Zugangs zur abgerechneten Straße und dessen Funktionsfähigkeit. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Anders als bei Anliegergrundstücken reicht die reine Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken allein nicht aus‚ um die Beitragspflicht zu begründen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.1729 2017-10-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2017 – Au 2 K 16.1729 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 2.300‚43 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Denn der innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO‚ auf dessen Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO)‚ liegt nicht vor.
Der Kläger wurde von der beklagten Stadt für die Verbesserung der Orts Straße „Im O.“ durch die Erneuerung der Oberflächenentwässerung und der Straßenbeleuchtung zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 2.300,43 € herangezogen. Das Verwaltungsgericht hat seine hiergegen gerichtete Klage – nach Einnahme eines Augenscheins durch den Berichterstatter – abgewiesen. Zwar sei das klägerische Grundstück nicht als Anliegergrundstück einzuordnen, da es durch den im Eigentum der Beklagten stehenden Grünstreifen FlNr. 1891/95 von der abzurechnenden Straße getrennt werde. Es sei jedoch nach den Grundsätzen für nicht gefangene Hinterliegergrundstücke beitragspflichtig. Denn durch die Verlegung von Steinplatten auf dem Grünstreifen habe der Kläger zu erkennen gegeben, dass er diesen regelmäßig überquere, um sein mittels einer Treppe begehbares Anwesen entweder in Richtung der ausgebauten Straße zu verlassen oder von dort aus zu betreten.
Soweit der Kläger mit seinem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe ohne entsprechende (weitere) Beweisaufnahme lediglich aufgrund des Vorhandenseins der auf dem klägerischen Grundstück angelegten und zur abgerechneten Orts Straße führenden Treppe eine – regelmäßige – Nutzung dieser „Nottreppe“ unterstellt‚ einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO rügen will und damit sinngemäß den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend macht, kann er damit nicht durchdringen. Eine solche Rüge bleibt schon deshalb ohne Erfolg‚ weil ein Aufklärungsmangel grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden kann‚ wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter – wie hier der Kläger – es in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat‚ einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Denn die Rüge unzureichender Sachaufklärung ist kein Mittel‚ um insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen in der mündlichen Verhandlung zu kompensieren (vgl. BVerwG‚ B.v. 16.3.2012 – 4 B 29.11 – juris Rn. 5; BayVGH‚ B.v. 4.9.2017 – 6 ZB 17.1325 – juris Rn. 6).
Die Rüge begründet auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund wäre gegeben, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.). Das ist nicht der Fall.
Der Einwand des Klägers‚ die Treppe stelle lediglich eine „Nottreppe“ dar‚ die keinerlei Mehrwert für sein Grundstück bringe‚ sondern ausschließlich dazu diene‚ im Bedarfsfall über einen zweiten Weg das Grundstück verlassen zu können oder um im Brandfall an den am Treppenende befindlichen Hydranten zu gelangen‚ vermag keine ergebnisbezogenen ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu begründen, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre. Denn es kommt nicht darauf an, welche Funktion der Kläger der Treppe zugedacht hat oder in welchem Umfang sie tatsächlich benutzt wird. Entscheidend ist allein das Vorhandensein dieses Zugangs zur abgerechneten Straße und dessen Funktionsfähigkeit, die das Verwaltungsgericht aufgrund des Augenscheins ohne weiteres annehmen durfte.
Bei dem Grundstück des Klägers handelt es sich, wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, um ein sog. „nicht gefangenes Hinterliegergrundstück“. Es grenzt mit seiner Nordseite an die „G. Q. Straße“ an und wird von dieser erschlossen; von der ausgebauten und abgerechneten Orts Straße „Im O.“ ist es durch einen im Eigentum der Beklagten stehenden Grünstreifen (FlNr. 1891/47) getrennt‚ der nach den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht als Bestandteil der abgerechneten Straße betrachtet werden kann.
Ein solches nicht gefangenes Hinterliegergrundstück unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur unter bestimmten Voraussetzungen der Beitragspflicht. Zunächst müssen (irgendwelche) objektiven Anhaltspunkte vorhanden sein‚ die den Schluss erlauben‚ die abzurechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine „eigene“ Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden (vgl. BayVGH‚ B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 23 m.w.N.). Denn anders als bei Anliegergrundstücken reicht die reine Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken allein nicht aus‚ um die Beitragspflicht zu begründen. Als ein solcher – objektiver – Anhaltspunkt für den Schluss auf eine nennenswerte Inanspruchnahme genügt aber grundsätzlich eine tatsächlich angelegte Zufahrt oder ein tatsächlich angelegter Zugang vom nicht gefangenen Hinterliegergrundstück über das Anliegergrundstück (vgl. BayVGH‚ U.v. 25.10.2012 6 B 10.132 – juris Rn. 40; B.v. 13.7.2015 – 6 ZB 15.585 – juris Rn. 6). In solchen Fällen begründen die tatsächlichen Verhältnisse den Schluss auf eine (wahrscheinliche) Inanspruchnahme der abzurechnenden Straße und damit die sachliche Beitragspflicht des Hinterliegergrundstücks unabhängig davon, wie intensiv die Zufahrt oder der Zugang im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten tatsächlich genutzt wird.
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Verwaltungsgericht mit überzeugenden Erwägungen eine Beitragspflicht für das klägerische Grundstück bejaht. Nach seinen – insoweit unbestrittenen – Feststellungen hat der Kläger in Fortführung der auf seinem Grundstück beginnenden Treppe auf dem trennenden städtischen Grünstreifen Steinplatten verlegt, die ein sicheres Überqueren der Grünfläche von seinem Grundstück aus auf die abgerechnete Straße „Im O.“ erlauben. Damit hat der Kläger es in der Hand, ob und wann der Zugang genutzt wird. Dafür, dass der tatsächlich vorhandene Zugang etwa lediglich eine theoretische oder besonders umständliche Erreichbarkeit vermitteln würde (vgl. dazu BayVGH‚ B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 26) oder nicht rechtlich verlässlich benutzbar wäre (vgl. dazu BayVGH, B.v. 10.9.2010 – 6 ZB 09.2998 – juris Rn. 6; U.v. 25.10.2012 – 6 B 10.133 – juris Rn. 43; U.v. 27.7.2017 – 6 B 17.519 – juris Rn. 24 jeweils m.w.N.), trägt der Kläger in seiner Zulassungsbegründung nichts Stichhaltiges vor. Der Treppenzugang ist ausweislich der beim gerichtlichen Augenschein gefertigten Lichtbilder nicht in einem solchen Ausmaß zugewachsen, dass er beitragsrechtlich zu ignorieren wäre.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert beruht auf § 47‚ § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgericht rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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