Verwaltungsrecht

Voraussetzungen der Musterfeststellungsklage eines Verbraucherschutzverbandes: Berechnung der Mitgliederzahl; Vorlage von anonymisierten Mitgliederlisten; Wahrnehmung von Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeit

Aktenzeichen  XI ZR 171/19

Datum:
17.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:171120UXIZR171.19.0
Normen:
§ 606 Abs 1 S 2 Nr 1 ZPO
§ 606 Abs 1 S 2 Nr 3 ZPO
§ 606 Abs 3 Nr 1 ZPO
§ 4 UKlaG
Spruchkörper:
11. Zivilsenat

Leitsatz

1. Zu den Anforderungen, die die Mitglieder einer qualifizierten Einrichtung nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO erfüllen müssen.
2. Zu den Anforderungen, die eine qualifizierte Einrichtung nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO erfüllen muss.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 20. März 2019, Az: 6 MK 1/18, Urteil

Tenor

Die Revision des Musterklägers gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. März 2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Musterkläger, ein seit dem Jahr 2004 als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband, begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage die Feststellung, dass Pflichtangaben in Verbraucherdarlehensverträgen, die die Musterbeklagte mit Verbrauchern zum Zweck der Finanzierung von Kraftfahrzeug-Kaufverträgen abgeschlossen hat, den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprächen, dass aus diesem Grund die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe und dass im Fall eines wirksamen Widerrufs bei der Rückabwicklung des Darlehensvertrages kein Ersatz für Wertverluste des Kraftfahrzeugs zu leisten sei. In der Satzung des Musterklägers heißt es u.a.:
“§ 3
Zweck des Vereins
        
        
        
Zweck des Vereins ist der Schutz der Verbraucher vor unredlichen Finanzdienstleistern. Dieser Zweck wird vornehmlich durch Aufklärung und Beratung von Verbrauchern wahrgenommen. Die Aufklärung und Beratung der Verbraucher erfolgt durch die Verbreitung von Schriften, durch Vorträge und Versammlungen und durch Einrichtungen von Beratungsstellen.
        
        
        
Der Verein klärt die Verbraucher insbesondere über die Marktlage, die Qualität und Preiswürdigkeit der auf dem Markt angebotenen Finanzdienstleistungen auf. Er schützt die Verbraucher vor Übervorteilung und warnt vor irreführenden Angaben in der Werbung.
        
        
        
Es wird keine Rechtsberatung durchgeführt.
        
        
        
[…]     
        
        
§ 5 
Vereinstätigkeit
        
        
        
Der Verein führt Mitgliedertreffen und -veranstaltungen durch. Außerdem strebt er die Verwirklichung des Vereinszwecks dadurch an, dass er
        
        
        
[…]     
        
        
        
3.  
gegen Regelungen vorgeht, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind und der zugunsten der Verbraucher bestehenden Rechtslage widersprechen
        
  
        
        
4. 
gegen Verhaltensweisen von Finanzdienstleistern vorgeht, die der zugunsten der Verbraucher bestehenden Rechtslage widersprechen
        
   
        
        
5.  
bei Bedarf auch gerichtliche Hilfe bei der Durchsetzung von Maßnahmen nach Ziffer 3 und 4 in Anspruch nimmt.”
2
Nach § 6 der Satzung kann beim Musterkläger eine Vollmitgliedschaft oder eine sogenannte Internetmitgliedschaft beantragt werden. Internetmitglieder des Musterklägers sind nicht stimmberechtigt. In der Satzung heißt es weiter u.a.:
“§ 7   
Rechte und Pflichten der Mitglieder
        
    
        
1.  
Internet-Mitglieder sind berechtigt, die Informationen des Vereins zu erhalten und an Mitgliederversammlungen teilzunehmen. […]
        
    
        
2.  
[…]     
        
    
§ 10   
Die Mitgliederversammlung
        
        
        
        
    
[…]     
        
    
        
        
3.  
Eine außerordentliche Mitgliederversammlung ist einzuberufen, wenn […] mindestens ein Fünftel aller Mitglieder sie durch schriftliche Eingabe beim Vorstand fordert.
        
    
        
        
4.  
[…]”   
3
Der Musterkläger hat mit der Klageschrift vom 1. November 2018 eine anonymisierte Mitgliederliste zum Stand 30. Oktober 2018 vorgelegt, die weder Nachnamen noch die Postanschrift der Mitglieder enthält. Ferner hat er eine eidesstattliche Versicherung seines 1. Vorsitzenden vorgelegt, in der es heißt, dass die Liste sämtliche Mitglieder zum Stand 30. Oktober 2018 enthalte. Nachdem das Oberlandesgericht in der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2019 Bedenken gegen die Beweiskraft der vorgelegten Liste geäußert hat, hat der Musterkläger innerhalb der bis zum 22. Februar 2019 nachgelassenen Schriftsatzfrist eine weitere Liste vorgelegt, die ebenfalls anonymisiert ist und in der die Nachnamen und die Postanschrift sowie die vollständigen E-Mail-Adressen fehlen. Die Liste enthält 422 Eintragungen, von denen 148 als Vollmitglieder und 274 als Internetmitglieder bezeichnet werden. In einer eidesstattlichen Versicherung des 1. Vorsitzenden des Musterklägers vom 21. Februar 2019 heißt es, dass in dieser Liste ausschließlich Mitglieder des Musterklägers zum 21. Februar 2019 enthalten seien.
4
Das Oberlandesgericht hat die Musterfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Musterkläger mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Musterfeststellungsurteils begehrt.


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