Verwaltungsrecht

Voraussetzungen der Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Aktenzeichen  6 ZB 19.1076

Datum:
5.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22559
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 44 Abs. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Ein der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zugrunde liegendes ärztliches Gutachten muss die sein Untersuchungsergebnis tragenden erhobenen Befunde sowie die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen erhalten. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Dienstunfähigkeit kann sich auch aus einer Summation einzelner Krankheitsbilder ergeben. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 17.584 2019-04-23 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. April 2019 – B 5 K 17.584 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 44.578,68 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 2). Das ist nicht der Fall.
Der 1955 geborene Kläger, ein Beamter im Statusamt eines Bundesbahnbetriebsinspektors (Besoldungsgruppe A 9) im Dienst des Beklagten, wendet sich gegen seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Er ist seit dem 15. Januar 2016 durchgehend dienstunfähig erkrankt.
Mit Bescheid vom 12. April 2017 versetzte der Beklagte den Kläger wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG mit Ablauf des 30. April 2017 in den Ruhestand. Den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2017 zurück. Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 23. April 2019 abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ruhestandsversetzung keine formellen Mängel aufweise und auch materiell rechtmäßig sei. Der Beklagte sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung zu Recht von der Dienstunfähigkeit des Klägers ausgegangen. Die Gutachten der Bahnärzte vom 17. Januar 2017, 27. Februar 2017 und vom 11. April 2017 über die beim Kläger bestehenden schwerwiegenden und größtenteils chronifizierten Krankheitsbilder und deren Auswirkungen auf dessen Leistungsfähigkeit stellten eine ausreichende medizinische Tatsachengrundlage für den Dienstherrn dar, um den Kläger als dauernd dienstunfähig zu beurteilen. Die mit dem Zulassungsantrag hiergegen vorgebrachten Einwände des Klägers bleiben ohne Erfolg und bedürfen keiner weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen des körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. In den Ruhestand wird nicht versetzt, wer anderweitig verwendbar ist (§ 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 bis 4 BBG). Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nicht das von dem Beamten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. BVerwG, U.v 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 21; U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 5). Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Beamten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 – ZBR 2015, 379 ff.).
Die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit setzt die Feststellung seiner krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen voraus. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkenntnis, über die nur ein Arzt verfügt. Den Gesundheitszustand des Beamten feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist (BVerwG, U.v. 31.8.2017 – 2 A 6.15 – juris Rn 63). Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen (vgl. BVerwG, U.v.19.3.2015 – 2 C 37.13 – juris Rn. 12 m.w.N.). Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 6 ZB 18.2115 – Rn. 5; B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 6; U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Dienstherr im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – also bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2017 – beim Kläger eine Dienstunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG annehmen konnte (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10 m.w.N.). Dies ergibt sich aus den ärztlichen Gutachten des Bahnarztes Dr. B. vom 17. Januar und vom 27. Februar 2017 sowie der Stellungnahme des Leitenden Arztes der Dienststelle Süd des Beklagten Dr. H. vom 11. April 2017. Bahnarzt Dr. B. hat den Kläger am 17. Januar 2017 untersucht, wobei ihm zahlreiche Krankenhaus-Entlassungsberichte, Reha- und Anschlussheilbehandlungsberichte sowie fachärztliche Befundberichte verschiedenster Fachgebiete vorlagen. Er hat festgestellt, dass beim Kläger internistische, orthopädische sowie neurologisch/psychiatrische Krankheitsbilder bekannt seien, woraus zahlreiche Krankenhausaufenthalte während der letzten Jahre resultierten. Durch die bestehenden Erkrankungen sei die physische sowie psychische Leistungsfähigkeit weitgehend aufgehoben und ein Ende der Dienstunfähigkeit nicht absehbar. In der zuletzt ausgeübten Tätigkeit (als Reiseberater) sei der Kläger aus medizinischer Sicht nicht mehr einsetzbar. Eine Überführung in einen anderen Aufgabenbereich erscheine nicht erfolgversprechend. In seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2017 führte Dr. B. u.a. ergänzend aus, dass beim Kläger aufgrund von Gelenkschäden im Bereich der unteren Extremität operative Eingriffe mit Gelenkersatz vorgenommen worden seien und eine Schädigung der Wirbelsäule bekannt sei. Aufgrund apoplektischer Ereignisse habe sich der Kläger 2016 wiederholt in stationärer Behandlung befunden und sei u.a. im Bereich des Brustkorbs operiert worden. In der Summation der Krankheitsbilder sei das Leistungsvermögen qualitativ und quantitativ gemindert und ein Ende der Dienstunfähigkeit nicht abzusehen. Der Leitende Arzt der Dienststelle Süd des Beklagten Dr. H. hat den Kläger auf dessen Einwendungen hin am 10. April 2017 ebenfalls untersucht und befragt, wobei ihm umfangreiche Befundberichte vorlagen. Er verwies in seiner Stellungnahme vom 11. April 2017 auf die beim Kläger dokumentierten Diagnosen: „1. Zustand nach rezidivierenden Schlaganfällen im Februar und März 2016 mit persistierendem Schwankschwindel, Gesichtsfelddefekt nach links, leichte Bewegungsstörung des linken Armes, Gangunsicherheit, 2. schweres Schlafapnoesyndrom mit Notwendigkeit nächtlicher Maskenbeatmung, 3. Bluthochdruck, 4. Z. n. Herzschrittmacherimplantation…, 5. Endoprothese rechtes Kniegelenk, 6. Endoprothese linkes Hüftgelenk, 7. chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom mit Spinalkanalstenose und Bandscheibenvorfällen, 8. Adipositas“. Zusätzlich sei es zu zunehmenden Beschwerden im Bein gekommen; es sei die Verdachtsdiagnose einer Ermüdungsfraktur oder einer Knochennekrose gestellt worden. Der Kläger sei derzeit in seiner Mobilität eingeschränkt und könne nur kurze Strecken gehen und nicht lange stehen. Des Weiteren führte Dr. H. aus, dass der Kläger sich die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reiseberater aufgrund seiner gesundheitlichen Beschwerden selbst nicht mehr zutraue. Auch Dr. H. hält eine Überführung des Klägers in einen anderen Aufgabenbereich nicht für erfolgversprechend.
Die Bahnärzte haben ihre Gutachten und Stellungnahmen aufgrund eigener Untersuchungen des Klägers und unter Einbeziehung zahlreicher Vorbefundberichte gefertigt. Ihre Feststellungen zu den multiplen erheblichen Erkrankungen des Klägers und zu deren Auswirkungen auf dessen Leistungsfähigkeit haben entgegen der Annahme der Klägerseite eine hinreichende Aussagekraft, um eine Dienstunfähigkeit im Sinn des § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG zu begründen. Die bahnärztlichen Gutachten und Stellungnahmen entsprachen bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung am 26. Juni 2017 den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Sie stellen nämlich sowohl die notwendigen medizinischen Feststellungen zum Sachverhalt dar als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Klägers, seinen dienstlichen Anforderungen zu genügen (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 – juris Rn. 12; B.v. 13.3.2014 – 2 B 49.12 – juris Rn. 8). Eine darüber hinausgehende eigene Befunderhebung oder weitergehende Verifizierung der Vorbefunde war angesichts der eindeutigen Gutachteraussagen ebensowenig erforderlich wie eine weitergehende Differenzierung nach Art, Ausmaß und Gewicht der jeweiligen Krankheit oder Einschätzungen darüber, wie lange ein Krankheitsbild noch anhalten wird. Das bahnärztliche Gutachten des Herrn Dr. B. vom 17. Januar 2017 in Verbindung mit der ergänzenden Stellungnahme vom 27. Februar 2017 kommt nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass infolge der Multimorbidität des Klägers dessen Leistungsfähigkeit weitgehend aufgehoben und ein Ende der Dienstunfähigkeit nicht absehbar sei. Auch eine Überführung in einen anderen Aufgabenbereich erscheine nicht erfolgversprechend. Letzteres wird vom Leitenden Arzt der Dienststelle Süd Dr. H. bestätigt.
Dass die beiden Bahnärzte Dr. B. und Dr. H. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Gelegenheit erhielten, ihre Gutachten zu erläutern, ändert nichts an der Tatsache, dass ihre bereits vor Erlass des Widerspruchsbescheids vorliegenden ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen hinreichende Aussagekraft hinsichtlich der beim Kläger bestehenden andauernden Dienstunfähigkeit sowie seines fehlenden Restleistungsvermögens haben. Bestätigt wird dies im Übrigen durch die Tatsache, dass der Kläger seit dem 15. Januar 2016 durchgehend dienstunfähig erkrankt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben