Verwaltungsrecht

Voraussetzungen für die Umbettung von Verstorbenen

Aktenzeichen  M 12 K 16.1874

Datum:
29.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 114453
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBestV § 21 Abs. 1 S. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Neben der Genehmigung nach § 21 Abs. 1 S. 1 BayBestV ist für die Ausgrabung auch noch eine Erlaubnis des Friedhofträgers von Nöten. Der Unterschied zwischen beiden Gestattungen liegt darin, dass der Genehmigungsvorbehalt der Bestattungsverordnung die öffentliche Gesundheit, der Erlaubnisvorbehalt des Friedhofträgers die Totenruhe schützen soll. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Ausgrabung und Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche kann nur aus ganz besonderen – wichtigen – Gründen verlangt werden. Auszugehen ist dabei davon, dass der den Schutz der Totenruhe gewährleistende Art. 1 Abs. 1 GG aufgrund von Art. 79 Abs. 3 GG einen besonderen Rang hat und zu den „tragenden Konstitutionsprinzipien“ gehört. Deshalb geht die Wahrung der Totenruhe grundsätzlich anderen Gesichtspunkten vor und eine Ausgrabung zum Zweck der Umbettung darf nur ausnahmsweise vorgenommen werden, wenn der angestrebte Erfolg nicht anders zu erreichen ist und wirklich zwingende Gründe die Maßnahme bedingen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Wahrung der Totenruhe tritt ggf. zurück, wenn der Tote entgegen seinem klaren bekundeten Willen beigesetzt wurde. Das bedeutet, dass grundsätzlich zuerst der Wille des Verstorbenen hinsichtlich der Bestattungsart und des Bestattungsortes zu ermitteln ist. Liegt dieser klar zutage, kommt es grundsätzlich auf ihn an. Ist der Wille des Verstorbenen nicht aufklärbar, steht die Achtung der Totenruhe dem Verlangen auf Umbettung in der Regel entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
4 Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nicht auf den Umbettungswunsch eines Verstorbenen, sondern auf den zum Zeitpunkt des Ablebens gewünschten Bestattungsort abzustellen. Die Berücksichtigung eines ausdrücklichen oder mutmaßlichen Umbettungswunsches würde nämlich dazu führen, dass der Schutz der Totenruhe insbesondere angesichts einer älter und mobiler werdenden Bevölkerung weitgehend ins Leere laufen würde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis zur Ausgrabung der sterblichen Überreste seiner Mutter zum Zwecke der Umbettung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2016 hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Umbettung der Leiche von Frau … … ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Soll ein Verstorbener zum Zweck der Umbettung ausgegraben werden, ist für die Erteilung der Genehmigung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BestV die Gemeinde zuständig. Neben dieser Genehmigung ist für die Ausgrabung auch noch eine Erlaubnis des Friedhofträgers von Nöten, im Falle eines von der Gemeinde getragenen Friedhofs mithin auch der Gemeinde. Der Unterschied zwischen beiden Gestattungen liegt darin, dass der Genehmigungsvorbehalt der Bestattungsverordnung die öffentliche Gesundheit, der Erlaubnisvorbehalt des Friedhofträgers die Totenruhe schützen soll (vgl. Klingshirn/Drescher/Thimet, a. a. O., RdNr. 5 zu Erl. X). Die Gemeinde kann bei Ausgrabungen aus privaten Gründen auf gemeindlichen Friedhöfen beide Belange in einem Bescheid würdigen.
Die Ausgrabung und Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche kann nur aus ganz besonderen – wichtigen – Gründen verlangt werden (vgl. BayVGH B.v. 27.7.2005 – 4 ZB 04.2986; BayVGH B.v. 8.6.2011 – 4 ZB 11.566; VG Regensburg U.v. 16.2.2011 – RN 3 K 09.2499). Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „wichtiger Grund“ und der Entscheidung des Friedhofsträgers über die Frage, ob ein solcher vorliegt, kommt es auf die Besonderheiten der Interessenlage, insbesondere darauf an, ob der geltend gemachte Anspruch unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage der herrschenden sittlichen Auffassung entspricht, dem Antragsteller erhebliche Umstände zur Seite stehen und seinen Belangen nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Durch Abwägung der jeweiligen Umstände ist ein gerechter Ausgleich zwischen dem Gebot der Totenruhe und dem Bedürfnis eines Antragstellers zu suchen (vgl. VG Regensburg U.v. 16.2.2011 – RN 3 K 09.2499). Auszugehen ist dabei davon, dass der den Schutz der Totenruhe gewährleistende Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) aufgrund Art. 79 Abs. 3 GG einen besonderen Rang hat und zu den „tragenden Konstitutionsprinzipien“ gehört (BVerfG U.v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32). Deshalb geht die Wahrung der Totenruhe grundsätzlich anderen Gesichtspunkten vor und eine Ausgrabung zum Zweck der Umbettung darf nur ausnahmsweise vorgenommen werden, wenn der angestrebte Erfolg nicht anders zu erreichen ist und wirklich zwingende Gründe die Maßnahme bedingen.
Dementsprechend kann sich nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen aus dem Verfügungsrecht der Angehörigen die Befugnis ergeben, eine Ausgrabung zu verlangen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Wahrung der Totenruhe gegebenenfalls zurücktritt, wenn der Tote entgegen seinem klaren bekundeten Willen beigesetzt wurde (vgl. VG Augsburg U.v. 17.2.2005 – Au 8 K 04.1225). Das bedeutet, dass grundsätzlich zuerst der Wille des Verstorbenen hinsichtlich der Bestattungsart und des Bestattungsortes zu ermitteln ist. Liegt dieser klar zutage, kommt es grundsätzlich auf ihn an. Ist der Wille des Verstorbenen nicht aufklärbar, steht die Achtung der Totenruhe dem Verlangen auf Umbettung in der Regel entgegen (vgl. VG Regensburg U.v. 16.2.2011 – RN 3 K 09.2499.).
Ein Grund, der von solchem Gewicht ist, dass auch nach allgemeinem Sittlichkeits- und Pietätsempfinden die Wahrung der Totenruhe zurücktritt (vgl. VG Augsburg U.v. 17.2.2005 – Au 8 K 04.1225) besteht hier nicht. Der derzeitige Bestattungsort entspricht nach der Überzeugung des Gerichts, die es aufgrund der vorliegenden Unterlagen und den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, dem Willen der Verstorbenen.
Im Gegensatz zur Einschätzung der Klägerseite kommt es nicht darauf an, ob die Verstorbene vor ihrem Tod, insbesondere im Rahmen von Gesprächen mit dem Kläger geäußert hat, dass sie bei einem Umzug der Familie erneut in ein Grab der Familie beigesetzt werden wolle. Eine solche Äußerung kann als wahr unterstellt werden, ohne dass dies zu einer anderen rechtlichen Beurteilung durch das Gericht führt. Entscheidend für das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nämlich nicht, ob ein Wille der Verstorbenen bestand, aufgrund eines bestimmten Umstandes nach ihrem Tod nach einer gewissen Zeit umgebettet zu werden, sondern dass die Verstorbene – wie oben dargestellt – im Zeitpunkt des Versterbens den Willen hatte, in N… beerdigt zu werden. Abzustellen ist nicht auf den Umbettungswunsch eines Verstorbenen, sondern auf den zum Zeitpunkt des Ablebens gewünschten Bestattungsort. Die Berücksichtigung eines ausdrücklichen oder mutmaßlichen Umbettungswunsches würde nämlich dazu führen, dass der Schutz der Totenruhe insbesondere angesichts einer älter und mobiler werdenden Bevölkerung weitgehend ins Leere laufen würde. Das ist jedoch mit dem Ausnahmecharakter einer Ausgrabung nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass der Schutz der Totenruhe von Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet wird. Es handelt sich bei dem Schutz der Menschenwürde um ein tragendes Konstitutionsprinzip der Verfassung. Die Menschenwürde entfaltet auch unmittelbare Schutzwirkung gegenüber Dritten (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Herdegen, GG, Art. 1, Rdnr. 74). Hierauf kann selbst die Betroffene nicht verzichten.
Im Hinblick auf die vorstehend aufgeführten Grundsätze hinsichtlich des Vorliegens eines wichtigen Grundes kann auch der Umstand, dass die Grabpflege nicht mehr durch die Familie übernommen werden kann und aufgrund der Distanz kein wöchentlicher Grabbesuch möglich ist, zu keinem anderen Ergebnis führen. Die zusätzlichen Schwierigkeiten die hiermit verbunden sind, können eine Durchbrechung der Totenruhe nicht rechtfertigen. Auch die diagnostizierte schwere Depression des Klägers und die durch die Distanz erschwerte Möglichkeit, diese durch Trauerarbeit am Grab abzubauen, führen zu keinem anderen Ergebnis. Es entspricht der Lebenserfahrung und zählt somit zum allgemeinen Lebensrisiko, dass es infolge des Todes von Angehörigen zu Depressionen kommen kann. Die Verschlechterung des Gesundheitszustandes fällt somit allein in den Risikobereich des Überlebenden. Zudem handelt es sich bei dem einzig vorgelegten Attest vom …. Juli 2016 um die Bescheinigung eines Internisten, es wird darin nicht näher ausgeführt, inwiefern sich eine Umbettung auf die diagnostizierte Erkrankung einer „schweren Depression“ auswirke, insbesondere zur „aus medizinischen Gründen für den Heilverlauf erforderlich sei“, und ob die attestierte Depression nicht allein durch den tragischen Tod der Mutter ausgelöst worden sein könnte, mithin der Ort der Bestattung auf das Krankheitsbild keinen Einfluss habe. Darüber hinaus kann eine psychische Erkrankung nicht auf Kosten der Totenruhe der Verstorbenen behandelt werden. Dazu kommt, dass die Familie aus wirtschaftlichen Gründen umzieht (vgl. Ausführungen in der mündlichen Verhandlung). Die Familie hätte vor dieser Entscheidung abwägen können, ob ihr die Nähe zum Familiengrab wichtiger ist als die genannten wirtschaftlichen Gründe. Gegenüber diesen ist die grundrechtlich geschützte Totenruhe (Art. 1 GG) vorrangig.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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