Verwaltungsrecht

Vorbeugender Rechtsschutz, Rechtsschutzbedürfnis (verneint), Nichtöffentliche Veranstaltung einer Partei in geschlossenen Räumen, Infektionsschutzkontrolle

Aktenzeichen  M 33 E 22.409

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2306
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayIfSMV § 5 15.
BayIfSMV § 9 15.
GG Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein Landesverband einer politischen Partei, begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorbeugenden Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen des Antragsgegners in Form der Unterlassung der Störung oder Auflösung künftiger Parteiversammlungen des Antragstellers.
1. Am 17. Dezember 2021 hielt der Kreisverband Landsberg am Lech des Antragstellers eine Parteiveranstaltung in einer Gaststätte in … … ab. Nach dem Vortrag des Antragstellers wurde die Parteiveranstaltung um 18:30 Uhr eröffnet. Kurz nach Beginn der Veranstaltung, gegen 18:35 Uhr, kontrollierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamts Landsberg am Lech mit Unterstützung von zunächst zwei Polizeibeamten die Gaststätte im Hinblick auf die Einhaltung der Vorgaben der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV). Bei Eintreffen der Kontrollpersonen wurden diese vom Gastwirt informiert, dass in einem abgetrennten Raum eine geschlossene Veranstaltung stattfinde und das Betreten der Räumlichkeiten der Veranstaltung durch die Mitarbeiter des Landratsamtes nicht gestattet sei. Gleichwohl begab sich die zuständige Mitarbeiterin des Landratsamts zu dem fraglichen Raum und öffnete diesen. In der Folge forderte sie die bei der Veranstaltung anwesenden Personen auf, sich zu identifizieren und ihren Status nach den zur Bekämpfung der Ausbreitung der Corona-Pandemie erlassenen sogenannten 2G-Regeln (geimpft oder genesen nach § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV in der damals geltenden Fassung) nachzuweisen. Die anwesenden Gäste der Veranstaltung verweigerten dies unter Berufung auf das Versammlungsgrundrecht des Art. 8 Grundgesetz (GG). Nachdem die anwesenden Personen seitens der Mitarbeiter des Landratsamts ohne Erfolg aufgefordert worden waren, ihre Identität und ihren 2G-Status nachzuweisen, wurden vom Landratsamt zur Durchsetzung der Maßnahmen weitere Polizeibeamte hinzugezogen. Diese Polizeikräfte nahmen in der Folge die Personalien der Teilnehmer der Parteiveranstaltung auf und überprüften deren Impf- bzw. Genesenenstatus. Nachdem nur ein geringer Teil der Teilnehmer nachweisen konnte, gegen Covid-19 geimpft oder von Covid-19 genesen zu sein, löste das Landratsamt die Veranstaltung auf. Die Teilnehmer verließen die Gastwirtschaft.
2. Mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben (bei Gericht geführt unter dem Az. M 33 K 22.408), mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Kontrolle des Landratsamts Landsberg am Lech vom 17. Dezember 2021 festzustellen und den Antragsgegner zu verpflichten, es zu unterlassen, Parteiversammlungen des Antragstellers zu stören oder aufzulösen. Zugleich beantragt er im vorliegenden Verfahren
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR zu unterlassen, Parteiversammlungen des Antragstellers, insbesondere solche des Kreisverbandes Landsberg am Lech, zu stören oder aufzulösen.
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, die Störung und Auflösung der politischen Versammlung des Kreisverbandes Landsberg am Lech des Antragstellers vom 17. Dezember 2021 sei rechtswidrig gewesen. Die Masken- und Abstandsregeln der §§ 2, 9 Abs. 2 der 15. BayIfSMV seien bis zum Betreten des Versammlungsraums durch die Mitarbeiter des Landratsamts von den Teilnehmern der Veranstaltung eingehalten worden. Der Bevollmächtigte des Antragstellers habe vor Einreichung des Antrags das Landratsamt unter Fristsetzung und Klageandrohung aufgefordert, eine rechtsverbindliche Erklärung dahingehend abzugeben, Versammlungen des Kreisverbandes Landsberg am Lech des Antragstellers künftig nicht mehr zu stören und erst recht nicht aufzulösen. Diese Erklärung sei vom Landratsamt explizit verweigert worden. Es bestehe daher die konkrete Gefahr, dass der Antragsgegner bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens erneut das verfassungsmäßige Recht des Antragstellers, politische Versammlungen durchzuführen, rechtswidrig vereiteln oder wesentlich erschweren werde, indem der Antragsgegner unter Zuhilfenahme nachgeordneter Ordnungsbehörden Versammlungen des Antragstellers, die dieser im Einklang mit den jeweils gültigen Infektionsschutzmaßnahmen abhalte, störe und/oder auflöse. Dies müsse der Antragsteller nicht dulden.
Der Antragsgegner erwiderte am 8. Februar 2022. Er beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei bereits unzulässig, weil der konkrete Antrag im Hinblick auf die begehrte Maßnahme zu unbestimmt sei. Im Übrigen sei der Antrag aber auch unbegründet, weil der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Eine Eilbedürftigkeit sei nicht dargelegt oder glaubhaft gemacht. Auch der materielle Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch bestehe nicht. Die vom Landratsamt am 17. Dezember 2021 mit Unterstützung der hinzugezogenen Polizeikräfte durchgeführten Maßnahmen erwiesen sich als rechtmäßig. Es handele sich bei der fraglichen Parteiveranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz. Rechtsgrundlage für die Kontrolltätigkeit stellten § 32 Satz 1,
§ 28 Abs. 1, § 28a, § 28c Satz 3, § 54, § 73 Abs. 1a Nr. 24 Infektionsschutzgesetz (IfSG), § 65 Zuständigkeitsverordnung (ZustV), § 17 Nr. 3 15. BayIfSMV, § 53 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) Polizeiaufgabengesetz (PAG) dar. Rechtsgrundlage für die Auflösung der fraglichen Veranstaltung sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), § 17 Nr. 3 15. BayIfSMV. Die Mehrzahl der in der Gaststätte anwesenden Personen seien der Nachweispflicht gegenüber der zur Kontrolle befugten Behörde nicht nachgekommen. Es seien dadurch Ordnungswidrigkeitentatbestände verwirklicht worden. Gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG könnten die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um durch rechtswidrige Taten verursachte Zustände zu beseitigen, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen. Die Maßnahme erweise sich auch als verhältnismäßig. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Antragserwiderung verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
1. Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO die vorbeugende gerichtliche Untersagung von jeglichen Maßnahmen der Kontrolle („Störung“) oder Auflösung seiner Parteiveranstaltungen durch den Antragsgegner.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf den Streitgegenstand oder ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und den dem Grunde nach reaktiv konzipierten Rechtsschutzmöglichkeiten (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) scheidet vorbeugender Rechtsschutz in der Regel mit dem Ziel aus, die Entscheidungsfreiheit der Exekutive im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten und Aufgabenerfüllung durch richterliche Anordnungen einzuengen, indem ihr durch Gerichtsbeschluss der Erlass eines in die Rechte des Bürgers eingreifenden Verwaltungsakts verboten werden soll (BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 9 CE 10.2468 – juris Rn. 20). Vorbeugender Rechtsschutz kommt demnach nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden (vorläufigen) Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse besteht. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen (vorläufigen) Rechtsschutz verwiesen werden kann (zu alledem Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 123 Rn. 45f). Für vorbeugenden Rechtsschutz ist folglich nur dann Raum, wenn nachträglicher – auch vorläufiger – Rechtsschutz nicht möglich ist oder nicht ausreicht, um wesentliche Nachteile abzuwenden, die auch durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (BayVGH, B.v. 28.4.1992 – 21 CE 92.949 – juris Rn. 5; B.v. 1.2.2001 – 22 AE 00.40055 – juris Rn. 11). Dies käme etwa dann in Betracht, wenn beim Zuwarten auf die behördliche Maßnahme die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen (können).
2. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ist hiernach vorliegend zwar grundsätzlich statthaft, jedoch mangels des erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Antragsteller hat Tatsachen für ein solch qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis mit Blick auf den weiten Umfang der begehrten vorbeugenden Untersagung nicht hinreichend glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920, 294 ZPO.
2.1. Aus den Maßnahmen des Antragsgegners vom 17. Dezember 2021, die Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung im Rahmen des ebenso anhängig gemachten Hauptsacheverfahrens sind, lässt sich schon nicht darauf schließen, dass diese nach Darstellung des Antragsgegners maßgeblich auf PAG, LStVG und die 15. BayIfSMV gestützten Maßnahmen, sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in derselben konkreten Weise wiederholen werden. Der zu Grunde liegende Einzelsachverhalt, der nicht zuletzt durch das konkrete Verhalten der Beteiligten auf Seiten des Antragsgegners und des Antragstellers an dem fraglichen Abend bestimmt war, lässt sich schon nicht in einer die begehrte Unterlassungsanordnung tragenden Art und Weise verallgemeinern.
Zudem verweist das Gericht auf die volatile infektionsschutzrechtliche Rechtslage. Eine konkrete Wiederholungsgefahr ist auch deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil die fragliche, der damaligen Kontrolle zu Grunde liegende 15. BayIfSMV nur noch bis zum 23. Februar 2022 gilt (vgl. § 18 der 15.BayIfSMV), aber nicht dargelegt ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch eine Veranstaltung des Antragstellers geplant wäre. Ob eine Verlängerung der BayIfSMV erfolgen wird und welche Rechtslage angesichts der derzeitigen häufigen Änderungen der BayIfSMV anschließend gelten wird, ist derzeit nicht absehbar. Das Gericht verweist insoweit auf die aktuellen Diskussionen über Öffnungsschritte hinsichtlich der Coronamaßnahmen in Bayern (vgl. https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-8-februar-2022/, abgerufen am 11. Februar 2022).
2.2. Zum anderen besteht für die vorliegend beantragte umfassende Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragsteller bzw. seine Verbände und Mitglieder vor jedweden weiteren behördlichen Maßnahmen an beliebigen Orten und durch beliebige Behörden des Antragsgegners unabhängig von dem zu Grunde liegenden Sachverhalt, der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit der Veranstaltung, sei es unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen, zu verschonen, auch mit Blick auf die zahlreichen den Behörden des Antragsgegners obliegenden Aufgaben, insbesondere auch der Gefahrenabwehr, kein Rechtsschutzbedürfnis.
3. Auch ein Anordnungsanspruch ist überdies nicht glaubhaft gemacht. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO wäre somit auch unbegründet. Die Maßnahme des Antragsgegners vom 17. Dezember 2021 erwiese sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
Dabei könne dahin gestellt bleiben, ob es sich bei der Veranstaltung des Kreisverbands Landsberg am Lech des Antragstellers um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG gehandelt habe. Denn bloße Parteiveranstaltungen ohne Versammlungscharakter wie auch Versammlungen nach Art. 8 GG in geschlossenen Räumlichkeiten unterliegen nach den Vorgaben des § 5 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 9 Abs. 2 15. BayIfSMV bestimmten abgestuften infektionsschutzrechtlichen Anforderungen, die ihre Grundlage letztlich in den bundesrechtlichen Vorgaben des IfSG finden. Deren Einhaltung kann und muss von den zuständigen Behörden, hier dem Landratsamt Landsberg am Lech als Kreisverwaltungsbehörde überprüft werden. Soweit danach Verstöße festgestellt werden, können Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 LStVG mit dem Ziel der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände auch mit Blick auf nichtöffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumlichkeiten getroffen werden (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1999, 1 C 12-97). Die hier getroffenen Maßnahmen würden sich bei summarischer Prüfung unter Zugrungelegung des Umstands, dass der ganz überwiegende Teil der anwesenden Veranstaltungsteilnehmer den erforderlichen Nachweis nach der BayIfSMV nicht führen konnte und schon aufgrund der gastronomischen Begleitung der Veranstaltung auch kein durchgehendes Tragen von Masken durch die Teilnehmer angenommen werden konnte, nicht als unverhältnismäßig erweisen cd.
4. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.


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