Verwaltungsrecht

Vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen offensichtlicher Verjährung eines Zwangsgeldes

Aktenzeichen  W 5 E 17.3

Datum:
26.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 88, § 123 Abs. 1 S. 1
VwZVG VwZVG Art. 21, Art. 22
BGB BGB § 204 Abs. 2 S. 1
ZPO ZPO § 767, § 769

 

Leitsatz

1 Rechtsschutz wegen der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Eilverfahren richtet sich nach § 123 VwGO, weil im Hauptsacheverfahren nach Zurückweisung von Einwendungen nach Art. 21 oder Art. 22 BayVwZVG eine Verpflichtungsklage gegen die Vollstreckungs- oder Anordnungsbehörde mit dem Antrag statthaft wäre, die Vollstreckung für unzulässig zu erklären. Die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO oder ein Rechtsbehelf nach § 769 ZPO sind nicht statthaft. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Vollstreckung eines offensichtlich verjährten Zwangsgeldes ist einzustellen (Art. 22 Nr. 3 BayVwZVG). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach Art. 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGBGB erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche des Freistaates Bayern oder einer bayerischen Gemeinde in drei Jahren. Die Verjährung eines zur Durchsetzung der Baueinstellung angedrohten Zwangsgeldes beginnt mit der Kenntnis vom Verstoß gegen die Verpflichtung zur Baueinstellung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Zwangsvollstreckung aus der in der Ankündigung der Zwangsvollstreckung der Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2016 aufgeführten Forderung (Zwangsgeld, Nebenforderungen und Gebühren) wird vorläufig eingestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 528,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung.
1. Mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 2) und Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR (Nr. 3), alle Verputz- und Dämmarbeiten an der westlichen Außenwand des mit Bescheid vom 11. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21. September 2010 genehmigten Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. …2 der Gemarkung Würzburg sofort einzustellen (Nr. 1). Der Bescheid wurde der Antragstellerin mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. Ein Rechtsbehelf gegen die Baueinstellungsverfügung wurde durch die Antragstellerin nicht erhoben.
Ausweislich des Kontrollberichts vom 3. Dezember 2010 wurde anlässlich einer Baukontrolle durch den Baukontrollmeister der Antragsgegnerin am 30. November 2010 festgestellt, dass „entgegen der schriftlichen Baueinstellung vom 29. Oktober 2010 (…) die westliche Innenwand des Geräteraumes mit Gipskartonplatten verkleidet“ und im Außenbereich jeweils gegenüber der Ständerwand eine Holzplatte angebracht worden war. Mit Schreiben vom 14. April 2011 teilte die Antragsgegnerin dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass anlässlich der Baukontrolle vom 30. November 2010 festgestellt worden sei, dass die Baueinstellung vom 29. Oktober 2010 „nicht eingehalten worden und somit die Fälligstellung des Zwangsgeldes geboten ist“.
Mit Schreiben vom 7. September 2011 wurde das im Bescheid vom 29. Oktober 2010 angedrohte Zwangsgeld fällig gestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, anlässlich wiederholter Baukontrollen (zuerst am 30. November 2010 und zuletzt am 12. Mai 2011) sei festgestellt worden, dass entgegen der Baueinstellung und entgegen der Aufforderung zum Rückbau der Fensterflächen in den Besprechungen mit der Antragstellerin am 10. November und 8. Dezember 2010 die doppelflügeligen Terrassentüren nicht ausgebaut, sondern jeweils mit Ständerwänden verkleidet worden seien und die westliche Außenwand verputzt und fertig gestellt worden sei. Da die Antragstellerin somit der Unterlassungspflicht zuwider gehandelt habe, sei das Zwangsgeld zur Zahlung fällig geworden und zu entrichten. Gründe für eine besonders grobe Unbilligkeit, infolge derer von weiteren Beitreibungsmaßnahmen abgesehen werden könne, lägen nicht vor.
Am 25. November 2011 ließ die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage erheben (W 5 K 11.936) mit dem Antrag, festzustellen, dass das mit dem Bescheid vom 29. Oktober 2010 angedrohte Zwangsgeld nicht fällig geworden sei. Die Antragsgegnerin setzte unter dem 8. Dezember 2011 die Vollziehung des Zwangsgeldes aus. Die Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. April 2013 abgewiesen. Der mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 10. Juni 2013 gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung (9 ZB 13.1073) wurde mit Schriftsatz vom 3. Juli 2013 zurückgenommen, worauf hin das Verfahren mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juli 2013 eingestellt wurde.
In der Folgezeit unterblieb eine Aufhebung der Aussetzungsanordnung des Zwangsgeldes. Diese erfolgte seitens des Fachbereichs Bauaufsicht der Antragsgegnerin erst am 24. Mai 2016 aufgrund einer Nachfrage durch die Stadtkasse. Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2016 wurden gegenüber der Antragstellerin das Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR angemahnt.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2016 wandte sich daraufhin die Antragstellerin an den Oberbürgermeister der Stadt Würzburg und machte geltend, dass die Stadtverwaltung über fünf Jahre der Betrag nicht angemahnt habe und dass sie erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Forderung habe. Deshalb bitte sie den Oberbürgermeister um Anordnung der Überprüfung. Daraufhin legte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. September 2016 die Abläufe dar, machte Ausführungen zur Rechtslage dergestalt, dass eine Verjährung wegen der durch die eingereichte Klage eingetretene Hemmung noch nicht eingetreten sei und bat um Begleichung des rückständigen Zwangsgeldes innerhalb der nächsten zwei Wochen.
Nachdem dies nicht erfolgte, kündigte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 die Zwangsvollstreckung über einen Betrag von 1.057,00 EUR an. Die Forderung wurde bezeichnet mit „Gebühren FA Bauaufsicht“ über einen Gesamtbetrag von 1.057,00 EUR. Nach der Forderungsaufstellung setzt sich dieser Betrag zusammen aus dem Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR, Nebenforderungen der Forderungsüberwachung in Höhe von 12,00 EUR, eine Wegstreckenentschädigung in Höhe von 5,00 EUR sowie Vollstreckungsgebühren in Höhe von 40,00 EUR.
3. Mit Schreiben vom 31. Dezember 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Würzburg am 2. Januar 2017, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer „einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO auf Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung durch die Stadt Würzburg“.
Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Forderung der Stadt Würzburg in Höhe von 1.000,00 EUR mit der Bezeichnung … sei spätestens mit Ablauf des Jahres 2014 erloschen, so dass die am 28. Dezember 2016 angekündigte Zwangsvollstreckung unzulässig sei. In der Ankündigung der Zwangsvollstreckung habe die Antragsgegnerin die Forderung als „Gebühren der FA Bauaufsicht“ mit einem Gesamtbetrag von 1.075,00 EUR bezeichnet. Tatsächlich handele es sich jedoch um ein Zwangsgeld vom 7. September 2011 wegen einer angeblichen Überschreitung der Grundflächenzahl und nicht um Gebühren der FA Bauaufsicht.
4. Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei in Ermangelung des Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin bereits unzulässig. Die Rechtsmissbräuchlichkeit ergebe sich daraus, dass die berechtigte Forderung zur Beitreibung des Zwangsgeldes durch Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. April 2013 bestätigt sei und bis zum Zeitpunkt des vorliegenden Antrags nicht verjährt gewesen sei. Zudem würden keine neuen Tatsachen ins Verfahren eingebracht. Der Antrag sei aber auch unbegründet, weil es an einem Anordnungsanspruch fehle, umso mehr als ein streitiges Rechtsverhältnis zur Feststellung der Verjährung der Zwangsgeldforderung der Stadt Würzburg nicht anhängig sei. Die Klage gegen die Fälligstellung des Zwangsgeldes habe die Verjährung gehemmt, die Hemmung habe erst am 4. Januar 2014 geendet. Somit erlösche der Anspruch auf Zahlung des Zwangsgeldes mit Ablauf des 4. Januar 2017. Mit ihrem Antrag hemme die Antragstellerin die Verjährung der Forderung zur Zahlung des Zwangsgeldes ein weiteres Mal, soweit nicht ohnehin mittels Aufnahme des Vollstreckungsverfahrens spätestens mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung ein Neubeginn der Verjährung eingetreten sei.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und dem weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichts- bzw. die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist zulässig und begründet.
Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf „Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung“ ist bei sachgerechter Auslegung, die sich am Rechtsschutzziel zu orientieren hat (§ 88 VwGO), dahingehend zu verstehen, dass eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO begehrt wird, mit der die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung in die Forderung der Antragsgegnerin hinsichtlich des mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 angedrohten und fällig gewordenen Zwangsgeldes i.H.v. 1.000,00 EUR zuzüglich Nebenforderungen und Gebühren begehrt wird. Der Ausspruch einer endgültigen Einstellung der Zwangsvollstreckung hat auszuscheiden, da dies eine im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache bewirken würde.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO erweist sich als zulässig.
Statthafter Rechtsbehelf ist im vorliegenden Verfahren, in dem die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung des fällig gewordenen und mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 (Nr. 3) angedrohten Zwangsgeldes samt Nebenforderungen begehrt wird, ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO.
Mit diesem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz will die Antragstellerin erreichen, dass die mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2016 (Mahnung) als auch mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 angekündigte Zwangsvollstreckung seitens der Antragsgegnerin wegen der von ihr mit Schreiben vom 28. Juli 2016 geltend gemachten Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch (und damit auch die Nebenforderungen sowie Vollstreckungskosten) einstweilen bis zur Hauptsacheentscheidung über die von ihr noch zu erhebende Verpflichtungsklage auf endgültige Einstellung der Zwangsvollstreckung eingestellt wird.
Dieses Rechtsschutzziel kann allein durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erreicht werden. Denn Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren kann der Betroffene sowohl gegen die Zurückweisung seiner gemäß Art. 22 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) als auch seiner gemäß Art. 21 VwZVG geltend gemachten Einwendungen durch die Vollstreckungs- bzw. Anordnungsbehörde allein über eine Verpflichtungsklage mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklären, erreichen (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand Juni 2016, Art. 22 VwZVG Rn. 23 und Art. 21 Rn. 57 und 52 ff.). Eine Anwendbarkeit der Regelungen über die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO bzw. über den Rechtsbehelf nach § 769 ZPO kommt mangels Regelungslücke nicht in Betracht (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Art. 22 VwZVG Rn. 23 und Art. 21 Rn. 53, jeweils m.w.N.).
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin mangelt es der Antragstellerin nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere kann hier – entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin – nicht davon gesprochen werden, dass der Antrag als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, weil die Forderung bereits mit Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. April 2013 bestätigt und nicht „verjährt“ sei. Die Frage, ob der Anspruch der Antragsgegnerin sich als erloschen darstellt, ist nämlich keine Frage der Zulässigkeit, sondern vielmehr der Begründetheit des Antrags nach § 123 VwGO, genauer des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs. Wie die Antragsgegnerin zu der Aussage kommt, dass hier gegenüber dem Klageverfahren W 5 K 11.936 keine „neuen Tatsachen ins Verfahren eingebracht“ wurden, kann von Seiten der Kammer nicht nachvollzogen werden, stellt sich doch gerade die Einwendung der Verjährung als völlig neu dar. Dass hierüber im Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. April 2013 noch nicht entschieden werden konnte, versteht sich von selbst.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erweist sich auch als begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung) zulässig. Wesentliche Nachteile sind dabei u.a. wesentliche rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Nachteile, die der Antragsteller in Kauf nehmen müsste, wenn er das Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 23). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen.
2.1. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, da die Antragsgegnerin die Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin betreibt. Sie hat mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 angekündigt, dass sie nach Ablauf einer Woche gehalten sei, ohne weitere Ankündigung die Zwangsvollstreckung zu betreiben.
2.2. Es liegt auch ein Anordnungsanspruch vor.
Hierbei kann offen bleiben, ob sich die Antragstellerin hinsichtlich der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung des bestandskräftigen Zwangsgeldes einschließlich Nebenforderungen und Vollstreckungsgebühren in Höhe von 1.057,00 EUR auf Art. 22 Nr. 3 VwZVG stützen kann, wonach Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen sind, wenn und soweit die Verpflichtung offensichtlich erloschen ist oder auf Art. 21 VwZVG, wonach Einwendungen gegen die Vollstreckung, die den zu vollstreckenden Anspruch betreffen, zulässig sind, soweit die geltend gemachten Gründe erst nach Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes entstanden sind und mit förmlichen Rechtsbehelfen nicht mehr geltend gemacht werden können.
Denn im vorliegenden Fall stellt sich hier allein die von der Antragstellerin aufgeworfene – und zu bejahende – Frage, ob das von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 angedrohte und am 30. November 2010 fällig gewordene Zwangsgeld (offensichtlich) erloschen ist. Offensichtlichkeit liegt dann vor, wenn das Erlöschen keiner näheren Prüfung bedarf. Bestehen dagegen rechtliche oder tatsächliche Unsicherheiten, ist eine Entscheidung der Anordnungsbehörde herbeizuführen. Während Art. 21 VwZVG nämlich an die Anordnungsbehörde gerichtet ist, und u.a. den Anspruch des Pflichtigen auf deren Tätigwerden regelt, richtet sich Art. 22 VwZVG an die Vollstreckungsbehörde und bestimmt im Wesentlichen, wann die Vollstreckung einzustellen ist. Letztlich muss dies hier nicht abschließend entschieden werden, da hier die Antragsgegnerin sowohl Anordnungsals auch Vollstreckungsbehörde ist (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Art. 22 VwZVG Rn. 4 und Art. 21 Rn. 15; BayVGH, B.v. 10.8.2005 – 2 CE 05.278 – juris) und die streitgegenständliche Forderung der Antragsgegnerin hier erloschen ist.
Ein Erlöschen liegt vor allem dann vor, wenn die Pflicht erfüllt wurde oder sich die Verpflichtung sonst erledigt hat (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.1993 – 24 B 93.22 – BayVBl 1994, 310; B.v. 7.1.2008 – 11 C 07.3164 – juris; B.v. 17.1.2014 – 10 C 13.2197 – juris). Verzicht und Erlass führen ebenfalls zum Untergang des Anspruchs, ebenso im Anwendungsbereich der Abgabenordnung die Verjährung (vgl. OVG Münster, B.v. 24.1 2002 – 7 B 650/01 – juris). Darüber hinaus ist insoweit aber auch die Regelung des Art. 71 AGBGB zu beachten (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Art. 21 VwZVG Rn. 40).
Die streitgegenständliche Forderung der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall erloschen. Nach Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGBGB erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche des Freistaates Bayern, einer bayerischen Gemeinde oder eines bayerischen Gemeindeverbands, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren.
Die vg. Frist beginnt nach Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Zwar wurde das streitgegenständliche Zwangsgeld mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 7. September 2011 fällig gestellt, worauf die Antragsgegnerin maßgeblich hinsichtlich des Beginns der Erlöschensfrist abstellt. Dies ist jedoch nicht der maßgebliche Zeitpunkt. Entscheidend ist für den Fristbeginn vielmehr der 30. November 2010, an dem die Antragsgegnerin durch ihren Baukontrollmeister Kenntnis erlangt hat von dem Umstand, dass die Antragstellerin gegen die Baueinstellung verstoßen hat und damit Kenntnis davon erlangt hat, dass das angedrohte Zwangsgeld fällig geworden ist. Der Anspruch der Antragsgegnerin ist nicht entstanden mit der „Fälligstellung“ des Zwangsgeldes im Schreiben der Antragsgegnerin vom 7. September 2011, sondern mit der Kenntnis der Antragsgegnerin vom Verstoß der Antragstellerin gegen die in Ziffer 1 des Bescheids vom 29. Oktober 2010 verfügte Baueinstellung. Dies ergibt sich daraus, dass nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG die Androhung eines Zwangsgeldes ein aufschiebend-bedingter Leistungsbescheid i.S.d. Art. 23 Abs. 1 VwZVG ist, weil bereits mit der Androhung für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs eine Geldleistung gefordert wird. Die Vollstreckung eines Zwangsgeldes setzt somit keinen weiteren Bescheid voraus, sondern kann unmittelbar aufgrund der Androhung in die Wege geleitet werden. Einer eigenen Festsetzung des Zwangsgeldes – wie nach § 14 Abs. 1 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (VwVG) und den Regelungen vieler anderer Bundesländer – bedarf es in Bayern nicht (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Art. 31 VwZVG Ziffer III; Engelhardt/App, VwVG – VwZG, 9. Aufl. 2011, § 14 VwVG Rn. 7).
Mithin hat die Berechtigte i.S.v. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB, hier also die Antragsgegnerin, mit der Feststellung des Verstoßes gegen die Baueinstellungsverfügung am 30. November 2010 positive Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen erlangt. Damit beginnt der Lauf der Erlöschenssfrist gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 2 a.E. AGBGB mit dem Schluss des Jahres 2010, also am 31. Dezember 2010. Der Beginn des Erlöschens setzt insoweit nur voraus, dass der Berechtigte die Tatsachen kennt, die die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Grundsätzlich ist nicht erforderlich, dass der Berechtigte aus dieser Erkenntnis die richtigen Rechtsfolgerungen zieht (vgl. BVerwG, U.v. 26.7.2012 – 2 C 70.11 und U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – beide juris).
Gemäß Art. 71 Abs. 2 Halbs. 1 AGBGB bleiben die Vorschriften des BGB über die Hemmung unberührt, so dass hier hinsichtlich der Klageerhebung durch die Antragstellerin die Vorschrift des § 204 BGB zur Anwendung kommt. Nach dessen Abs. 1 Nr. 1 hemmt die Erhebung der Klage (u.a. auf Leistung) die Verjährung bzw. i.V.m. Art. 71 Abs. 2 AGBGB das Erlöschen – mit der Folge, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung bzw. das Erlöschen gehemmt ist, gemäß § 209 BGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird -, wobei die Hemmung nach Art. 71 Abs. 2 AGBGB i.V.m. § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endet. Mithin war im vorliegenden Fall durch die am 24. November 2011 erfolgte Klageerhebung eine Hemmung eingetreten, die sechs Monate nach Erlass des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juli 2013 beendet ist.
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe begann die Erlöschensfrist am 31. Dezember 2010 und lief bis zum 24. November 2011. Die Hemmung endete nicht mit dem 4. Juli 2013, sondern mit dem 4. Januar 2014 (Art. 71 Abs. 2 AGBGB i.V.m. § 204 Abs. 2 BGB), so dass die Erlöschensfrist am 5. Januar 2014 wieder anlief. Der Zeitraum, während dessen das Erlöschen gehemmt ist, hier also vom 25. November 2011 bis zum 4. Januar 2014 wird gemäß Art. 71 Abs. 2 Halbs. 1 AGBGB i.V.m. § 209 BGB nicht in die Erlöschensfrist eingerechnet. Somit ist also die Erlöschensfrist in der konkreten Berechnung um die Hemmungszeit zu verlängern (vgl. Palandt, BGB, 2015, § 209 Rn. 1 zur Verjährung). Ohne die eingetretene Hemmung wäre das Erlöschen erfolgt mit Ablauf des 31. Dezember 2013. Rechnet man die Zeit vom 25. November 2011 bis zum 4. Januar 2014, also zwei Jahre, einen Monat und 10 Tage hinzu, kommt man zu dem Ergebnis, dass das Erlöschen am 11. Februar 2016 eingetreten ist.
Damit ist der Anspruch der Antragsgegnerin auf das Zwangsgeld (einschließlich Nebenforderungen und Gebühren) am 11. Februar 2016 erloschen.
Mithin kam es auf die von der Antragsgegnerin thematisierten Fragen, ob die Verjährung durch den jetzt gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erneut gehemmt bzw. durch die Beantragung bzw. Vornahme der behördlichen Vollstreckungshandlung erneut begonnen hat, nicht mehr an.
3. Nach alledem war dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG; Nrn. 1.6.1 und 1.5 Streitwertkatalog 2004 (NVwZ 2004, 1327).


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