Verwaltungsrecht

Vorliegen des Ausweisungsinteresses wegen eines nicht geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften

Aktenzeichen  10 ZB 18.1967

Datum:
14.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2244
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 9

 

Leitsatz

Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grds. kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift iSd § 55 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (BayVGH BeckRS 2017, 128072 und BeckRS 2016, 48795; BVerwG BeckRS 2005, 22650 zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG aF). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 17.811 2018-03-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro
festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 19. Januar 2017 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde und die Wirkungen der Ausweisung auf zwei Jahre befristet wurden.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch die rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist hier in Bezug auf die gegenüber dem Kläger erfolgte Ausweisung nicht der Fall.
a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig erachtet, weil er nicht nur einen vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen die Rechtsordnung begangen habe, da gegen ihn mit rechtskräftigem Strafbefehl eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt verhängt worden sei. Es liege daher ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Der Rechtsverstoß sei nicht geringfügig, weil der Kläger vorsätzlich gehandelt habe. Die Ausweisung erweise sich sowohl aus den im streitbefangenen Bescheid angeführten generalpräventiven Gründen wie auch in spezialpräventiver Hinsicht als rechtmäßig. Das Aussageverhalten des Klägers lasse nicht auf eine Tateinsicht des Klägers schließen, so dass eine Wiederholungsgefahr anzunehmen sei.
b) Demgegenüber macht der Kläger im Berufungszulassungsverfahren geltend, dass der von ihm begangene Rechtsverstoß geringfügig sei, weil die Bagatellgrenze bei Delikten, die tatbestandlich nur von Ausländern begangen werden könnten, bei 50 anstatt bei 30 Tagessätzen anzusetzen wäre. Im Übrigen könne eine Wiederholungsgefahr nicht angenommen werden, da der Kläger die Tat eingeräumt bzw. den Strafbefehl akzeptiert habe.
c) Mit diesem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, nicht ernsthaft im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift ist (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6; B.v. 5.7.2016 – 10 ZB 14.1402 – juris Rn. 14 m.w.N.; BVerwG, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – juris Rn. 19 ff.; U.v. 24.9.1996 – 1 C 9.94 – -1.Lszu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.). Die Auffassung des Klägers, dass bei Straftatbeständen, bei denen Täter nur Ausländer im Sinne von § 2 Abs. 1 AufenthG sein können, eine andere Geringfügigkeitsgrenze gelte, findet weder im Gesetz, noch in der Rechtsprechung (s.o.), noch in der Praxis eine Stütze; nach Nr. 55.2.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz wird Geringfügigkeit angenommen bei einer Verurteilung wegen einer fahrlässigen Tat von bis zu 30 Tagessätzen, der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO mit einer Auflage bis zu 500 EUR und einem Bußgeld von bis zu 1.000 EUR (vgl. Tanneberger, BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.5.2018, § 54 Rn. 118; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand November 2018, § 54 Rn. 148 m.w.N.).
Schließlich vermag der Kläger mit seinem Einwand, dass er die Tat eingeräumt bzw. den Strafbefehl akzeptiert habe, die Annahme einer Wiederholungsgefahr durch das Erstgericht nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat die zu besorgende mangelnde Rechtstreue des Klägers aus seinem unterschiedlichen Aussageverhalten im ausländer- und strafrechtlichen Verfahren abgeleitet. Hierzu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht. Die Version des Klägers in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 7. Dezember 2016, wonach er in Kufstein Polizisten angesprochen habe, die ihn dann nach Rosenheim gebracht hätten, lässt sich mit dem Ermittlungsergebnis in der Strafanzeige vom 18. Mai 2016 nicht in Einklang bringen; denn danach ist der Kläger aus Österreich einreisend in einem Euro City Zug von Kräften der Bundespolizei kontrolliert worden.
Unabhängig davon ist auch aufgrund der vom Beklagten angestellten generalpräventiven Erwägungen ein gegenwärtiges, schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gegeben. Hierauf hat das Erstgericht selbständig tragend durch die Bezugnahme auf den streitbefangenen Bescheid (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO) sowie ausdrücklich (s. UA S. 7 f.) abgestellt.
2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt ebenfalls nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 24.1.2019 – 10 ZB 17.1343 – juris Rn. 11; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Die vom Kläger (sinngemäß) als klärungsbedürftig erachtete Frage, ob eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen zulässig ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Die Frage ist bereits obergerichtlich geklärt, denn das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 (1 C 16.17) entschieden, dass Generalprävention ein Ausweisungsinteresse begründen kann. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris -Ls- und Rn. 16 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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