Verwaltungsrecht

Vorübergehende Trennung vom minderjährigen Kind für die Dauer eines Visumverfahrens zumutbar

Aktenzeichen  Au 6 K 20.2837

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23961
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, § 29, § 36 Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 95 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
AufenthV § 31 Abs. 3, § 39 S. 1 Nr. 5
EMRK Art. 8
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung und kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Absehensbefugnis des § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG für humanitäre Aufenthaltstitel ist auf eine familiäre Aufenthaltserlaubnis nach § 29 und § 36 Abs. 2 AufenthG unanwendbar. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder auf Neuverbescheidung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung eines Anspruchs ist wegen des Verpflichtungsbegehrens die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 18).
I. Dem Kläger steht wegen Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzungen (Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und der Titelerteilungssperre nach erfolglosem Asylverfahren nach § 10 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 AufenthG kein Anspruch auf Erteilung einer familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis insbesondere nach § 29 oder § 36 Abs. 2 AufenthG oder auf Neuverbescheidung zu.
1. Dem Klagebegehren steht die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen eines Ausweisungsinteresses entgegen.
a) Im Fall des Klägers besteht mindestens ein generalpräventives Ausweisungsinteresse.
Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, weil der Kläger vorsätzliche und nicht geringfügige Straftaten begangen hat und ein generalpräventives Interesse (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 15 ff., 20 m.w.N.; so auch BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13) an der Ausweisung des Klägers zur Abschreckung anderer abgelehnter, nicht freiwillig ihrer Ausreisepflicht entsprechender und an der Passbeschaffung nicht hinreichend mitwirkender abgelehnter Asylbewerber besteht.
Das Ausweisungsinteresse wiegt vorliegend nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, weil der Kläger keinen vereinzelten und auch keinen nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Der Kläger ist u.a. vorbestraft wegen eines seit dem Jahr 2017 andauernden unerlaubten Aufenthalts in Tateinheit mit unerlaubtem passlosen Aufenthalt (AG Neu-Ulm, U.v. 1.10.2019 – 4 Cs 331 Js 8943/19, Behördenakte Band 2 Bl. 45, 81), also zweier Vorsatzdelikte von nicht unerheblichem Gewicht angesichts ihrer Dauerbegehung. Insbesondere der jahrelange passlose Aufenthalt wiegt als Dauerdelikt schwer.
b) Die Ausweisung wäre auch konkret geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer langjähriger Verletzungen der Passpflicht abzuhalten:
Die Ausweisung führt zum Verlust etwaiger Aufenthaltstitel (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), hindert in der Regel die Erteilung eines Aufenthaltstitels insbesondere auch für abgelehnte Asylbewerber (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), beendet oder verhindert damit einen erlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik und begründet demnach eine Ausreisepflicht des Ausländers. Des Weiteren wird bei einer fehlenden freiwilligen Ausreise besonders die Abschiebung von ausgewiesenen Straftätern forciert und eine bestandskräftige Ausweisung fällt bei etwaigen behördlichen Ermessensentscheidungen, beispielsweise bei der Prüfung einer Beschäftigungserlaubnis im Rahmen einer Duldung, regelmäßig als erheblicher, negativer Gesichtspunkt ins Gewicht. In Anbetracht dieser erheblichen Konsequenzen, die weit über eine strafrechtliche Verurteilung hinausgehen, erscheint eine drohende Ausweisung als geeignet, andere Ausländer von der Begehung von gleichartigen Delikten abzuhalten ungeachtet der Frage, ob der Beklagte den Kläger auch tatsächlich ausweist.
c) Das generalpräventive Ausweisungsinteresse wegen Verletzung der Passpflicht und unerlaubten passlosen Aufenthalts ist noch aktuell.
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse muss noch aktuell sein. Dabei ist zu berücksichtigten, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Diese verfolgen zwar einen anderen Zweck, geben dem mit zunehmendem Zeitabstand eintretenden Bedeutungsverlust staatlicher Reaktionen (die an Straftaten anknüpfen) aber einen zeitlichen Rahmen, der nicht nur bei repressiven Strafverfolgungsmaßnahmen, sondern auch bei der Bewertung des generalpräventiven Ausweisungsinteresses herangezogen werden kann. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.).
Unerlaubter Aufenthalt in Tateinheit mit unerlaubten passlosen Aufenthalts wird nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre, wobei die Verfolgungsverjährung nach § 78a Satz 1 StGB am Tag der Tatbeendigung des Dauerdelikts beginnt, hier also am 9. September 2020 mit Vorlage des Reisepasses; sie endet am 9. September 2023. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers auf den Zeitpunkt des Erlasses des Urteils abgestellt würde (AG Neu-Ulm, U.v. 1.10.2019 – 4 Cs 331 Js 8943/19), endete die Verjährungsfrist am 1. Oktober 2022. Ob sich die Verjährung wegen etwaiger Unterbrechungen (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StGB) verlängert, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist jedenfalls noch keine Verjährung eingetreten und damit noch nicht einmal die Untergrenze eines etwaigen Bedeutungsverlustes erreicht. Erst recht liegt die Obergrenze von hier sechs Jahren nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB in weiter Ferne. Die Straftaten des Klägers sind auch noch nicht aus dem Bundeszentralregister getilgt bzw. nach § 51 Abs. 1 BZRG zu tilgen. Die hier fünfjährige Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BZRG ist offensichtlich noch nicht abgelaufen. Ein aktueller Ausweisungsanlass besteht daher noch.
d) Ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung ist nicht ersichtlich.
Es ist auch bei entsprechender Gewichtung der persönlichen Belange des Klägers nicht ersichtlich, dass ein Abweichen von der Regelversagung gerechtfertigt wäre. Ein Ausnahmefall ist nur dann gegeben, wenn ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der so bedeutsam ist, dass er das jedenfalls sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Es muss sich um eine Abweichung handeln, die die Anwendung des Regelfalls nach Sinn und Zweck als derart unverhältnismäßig erscheinen lässt, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten (BayVGH, U.v. 9.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 35 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Im Gegenteil liegt beim Kläger angesichts der langjährigen hartnäckigen Ausreiseverweigerung und Passlosigkeit – der Kläger hatte sich trotz vielfacher Aufforderung jahrelang keinen Reisepass beschafft – ein Sachverhalt vor, der die Anwendung des Regelfalls gerade nahelegt. Dies gilt umso mehr, als die Verletzung der Ausreise- und Passpflicht ein Massenphänomen ist (zum Stichtag 31.12.2019 hatten 83.465 ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland eine Duldung allein wegen fehlender Reisedokumente, vgl. BT-Drs. 19/19333 S. 29; zum Stichtag 31.12.2020 sogar 86.646 ausreisepflichtige Ausländer, vgl. BT-Drs. 19/28234 S. 33). Nur durch seine unterlassene Mitwirkung bei der Passbeschaffung, die dem Kläger möglich und zumutbar war, wie seine spätere überraschende Passvorlage im Zusammenhang mit der Vaterschaftsanerkennung zeigte, konnte er überhaupt seinen unerlaubten Aufenthalt in Deutschland faktisch verlängern, bis sich für ihn die hier streitige familienbezogene Aufenthaltsperspektive eröffnete.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Art. 6 GG ist hier nicht verletzt, weil der ausreisepflichtige Kläger kein Vertrauen in die Fortdauer seines unerlaubten und passlosen Aufenthalts schöpfen konnte, mithin mit der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht rechnen musste. Sollte zwischen dem in Senden wohnenden Kläger und seinem zunächst in … bei der Kindesmutter lebenden Kind tatsächlich eine familiäre Lebensgemeinschaft begründet sein, insbesondere nachdem diese nach … umgezogen sind und obwohl er seit April 2021 keinen Kontakt mehr zum Kind erhalten haben will, kann diese nach der kurz zu haltenden Unterbrechung durch die Nachholung des Visumverfahrens wiederaufgenommen werden. Bis dahin überwiegt das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung. Dies gilt auch für sein Recht aus Art. 8 EMRK auf Achtung seines Familien- und Privatlebens (dazu unten).
e) Der Beklagte hat insoweit zu Recht nicht im Ermessenswege vom Erfordernis der Regelerteilungsvoraussetzung abgesehen.
Die Absehensbefugnis des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für humanitäre Aufenthaltstitel ist auf eine familiäre Aufenthaltserlaubnis nach § 29 und § 36 Abs. 2 AufenthG unanwendbar.
2. Dem Klagebegehren steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, denn der Asylantrag des Klägers wurde mit dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Es liegt auch keine Ausnahme von der Titelerteilungssperre vor. Die Ausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG wegen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist nicht erfüllt, da hierfür ein strikter Anspruch erforderlich ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2008 – 1 C 37/07 – juris Rn. 21), dem jedoch die Nichterfüllung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für eine familiäre Aufenthaltserlaubnis entgegensteht.
II. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis insbesondere nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu.
1. Die Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG ist auf Fälle einer eigentlich familienbezogenen begehrten Aufenthaltserlaubnis bereits systematisch nicht anwendbar.
a) Zwar steht der Wortlaut des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht von vornherein entgegen, da als rechtliche Ausreisehindernisse auch Schutzansprüche nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK in Betracht kommen (dazu sogleich).
b) Aber die systematische Ausgestaltung und Stellung des § 25 Abs. 5 AufenthG sprechen gegen eine Anwendbarkeit als Auffangnorm für familiäre Aufenthaltszwecke.
Das Aufenthaltsgesetz sieht in seinem Kapitel 2 die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zu bestimmten, in den Abschnitten 3 bis 7 näher beschriebenen Zwecken vor. Nur in begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Zweck erteilt werden (§ 7 Abs. 1 AufenthG). Dadurch entsteht für einen Ausländer, der für sich eine Rechtsposition nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK beansprucht, keine Schutzlücke, die nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu schließen wäre. Nach dem in § 7 und § 8 AufenthG verankerten Trennungsprinzip zwischen den in den Abschnitten 3 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes näher beschriebenen Aufenthaltszwecken ist er regelmäßig darauf verwiesen, seine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche aus den Rechtsgrundlagen abzuleiten, die der Gesetzgeber für die spezifischen vom Ausländer verfolgten Aufenthaltszwecke geschaffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 – 1 C 43.06 – BVerwGE 129, 226 ff. – juris Rn. 22, 26).
Systematisch ist § 25 Abs. 5 AufenthG im fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes über humanitäre Aufenthaltstitel enthalten, nicht im sechsten Abschnitt über familiäre Aufenthaltstitel. Dies entspricht der historischen und teleologischen Konzeption der Norm (dazu sogleich) und trägt die Annahme, dass der Gesetzgeber im sechsten Abschnitt über familiäre Aufenthaltstitel eine nicht nur umfassende, sondern auch abschließende Regelung getroffen hat, welche Nähebeziehungen unter Familienangehörigen er für schutzwürdig und anspruchsbegründend erachtet und unter welchen Voraussetzungen. Dem entsprechend sieht er eine Stufenfolge für den Ehegatten- und Familiennachzug vor, bei der er von deutschen über ausländische Stammberechtigte hin höhere Anforderungen an den Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen stellt: Je enger das familiäre Band und je verfestigter die Rechtsstellung des Stammberechtigten ist, zu welchem der Nachzug stattfinden soll, desto weiter schwächt der Gesetzgeber die Anforderungen an die Sicherung des Lebensunterhalts, die Deutschkenntnisse usw. ab. Umgekehrt hält er für den Nachzug sonstiger Familienangehöriger im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG – wie des Klägers – an strengeren Voraussetzungen fest. Dieses austarierte System würde unterlaufen, käme § 25 Abs. 5 AufenthG eine Auffangfunktion für Fälle zu, in denen die spezifischen Voraussetzungen des einschlägigen familienbezogenen Aufenthaltstitels nicht erfüllt werden und der humanitäre Belang auf rechtliche Schutznormen zu Gunsten des Familien- oder Privatlebens wie Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gestützt wird (wie hier Hailbronner in: ders., Ausländerrecht, 112. EL 12/2019, § 25 AufenthG Rn. 148 f., 151, 169, 187; ähnlich Koch in: Kluth/Hornung/Koch, Handb. ZuwanderungsR, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 994, Zimmerer in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigrationsR und IntegrationsR, 7. Ed. 1.1.2021, § 25 AufenthG Rn. 103; VGH BW, B.v. 10.3.2009 – 11 S 2990/08 – juris Rn. 29 [einschränkend bei Unzumutbarkeit der Nachholung eines Visumverfahrens]; a.A. OVG NW, U.v. 16.11.2010 – 17 A 2434/07 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 22.7.2008 – 19 CE 08.781 – juris Rn. 41 ohne nähere Begründung).
c) In historischer Auslegung zeigt die Gesetzgebungsgeschichte, dass die Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG als rein humanitäre Aufenthaltserlaubnis wirken sollte.
Der ursprüngliche § 25 Abs. 6 Satz 1 AufenthG-E lautete dem heutigen § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gleich, wonach einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist (BT-Drs. 15/420 S. 13). Der Gesetzgeber wollte damit das Ausländerrecht vereinfachen und – anders als das Ausländergesetz damals – nicht mehr durch den Aufenthaltstitel auch den Aufenthaltszweck bestimmen, sondern mit der Novelle umgekehrt vom jeweiligen Aufenthaltszweck ausgehen und die Zahl der Aufenthaltstitel auf zwei reduzieren (befristete Aufenthaltserlaubnis und unbefristete Niederlassungserlaubnis). Die hiermit verbundene Änderung der Gesamtsystematik bedinge eine grundlegende Neustrukturierung des Aufenthaltsrechts (BT-Drs. 15/420 S. 62), die sich nicht mehr an Aufenthaltstiteln orientiere, sondern an den Aufenthaltszwecken (Erwerbstätigkeit, Ausbildung, Familiennachzug, humanitäre Gründe; so BT-Drs. 15/420 S. 63). Somit wollte der Gesetzgeber historisch die Systematik des Ausländerrechts ändern und nach Aufenthaltszwecken gliedern. Dies spricht bereits für eine systematische Trennung der Aufenthaltserlaubnis zu familiären Aufenthaltszwecken von jener zu humanitären Aufenthaltszwecken.
d) Auch teleologisch zeigt die Gesetzgebungsgeschichte, dass die Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG als rein humanitäre Aufenthaltserlaubnis und zwar als Ersatz für sog. „Kettenduldungen“ wirken sollte, aber durch das weitere Gesetzgebungsverfahren insoweit funktionslos wurde.
Speziell § 25 AufenthG solle die bislang im Bereich der Durchsetzung der Ausreisepflicht normierten Bestimmungen über Abschiebungshindernisse aufnehmen; den betroffenen Personen solle nach § 25 AufenthG nunmehr eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Duldung hingegen solle abgeschafft werden und mit ihr die bislang verbreitete Praxis, die Duldung nicht als Instrument der Verwaltungsvollstreckung, sondern als „zweitklassigen Aufenthaltstitel“ einzusetzen. Die Änderungen erlaubten eine bessere aufenthaltsrechtliche Differenzierung zwischen schutzbedürftigen Personen und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen (BT-Drs. 15/420 S. 64). So solle die Praxis der „Kettenduldung“ beendet werden. Bei der Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit bestehe, sei auch die subjektive Möglichkeit – und damit implizit auch die Zumutbarkeit – der Ausreise zu prüfen. Die Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen umfasse inlandsbezogene Ausreisehindernisse, beispielsweise aus Art. 1 und Art. 2 GG bei schwerer Krankheit oder Schwangerschaft; die Unmöglichkeit aus tatsächlichen Gründen betreffe z. B. Fälle der Reiseunfähigkeit, Passlosigkeit und unterbrochener Verkehrsverbindungen (BT-Drs. 15/420 S. 80).
Allerdings konnte sich das Anliegen der weitgehenden Abschaffung der Duldung im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen (vgl. Hailbronner in: ders., Ausländerrecht, 112. EL 12/2019, § 25 AufenthG Rn. 181). Bereits in der o.g. Entwurfsfassung sollten bisher Geduldete nun nur eine Bescheinigung nach § 60 Abs. 11 Satz 4 AufenthG-E über die Aussetzung ihrer Abschiebung erhalten (BT-Drs. 15/420 S. 24), die deutlich schwächer gewesen wäre als eine Duldung. Da diese aber wieder ins Gesetz aufgenommen worden sei, könne die ursprüngliche Zielsetzung des Gesetzes, die Duldung weitgehend abzuschaffen, so nicht mehr herangezogen werden; vielmehr sei die auf Dauer angelegte Duldung eine gesetzlich angelegte Form des langfristigen Aufenthalts in Deutschland, da der Gesetzgeber mit den Altfallregelungen in § 104a und § 104b AufenthG spezifische Aufenthaltstitel für langfristig Geduldete vorgesehen habe (so Koch in: Kluth/Hornung/Koch, Handb. ZuwanderungR, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 993, 1003; Maaßen/Kluth in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 29. Ed. 1.1.2021, § 25 AufenthG Rn. 124).
Im Ergebnis finden sich daher sowohl in § 25 Abs. 5 AufenthG als auch im nachträglich im Gesetzgebungsverfahren eingefügten § 60a Abs. 2 AufenthG auf rechtliche Abschiebungsverbote oder tatsächliche Abschiebungshindernisse reagierende Normen, wobei § 25 Abs. 5 AufenthG tatbestandlich höhere Anforderungen stellt, als nicht bereits die Unmöglichkeit der Abschiebung, sondern erst die Unmöglichkeit auch der freiwilligen Ausreise anspruchsbegründend sein kann.
Da der Gesetzgeber § 25 Abs. 5 AufenthG also ursprünglich eine vollstreckungsrechtliche Zielsetzung beilegte – das Vollstreckungsinstrument einer Aussetzung der Abschiebung durch Duldung sollte aus humanitären Gründen für dauerhaft Geduldete durch eine Legalisierung ihres Aufenthalts ersetzt werden – und keine familienbezogene Zielsetzung, spricht auch dies gegen eine Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangnorm auf Fälle, in denen die spezifischen Voraussetzungen des einschlägigen familienbezogenen Aufenthaltstitels nicht erfüllt werden und der humanitäre Belang ausschließlich auf rechtliche Schutznormen zu Gunsten des Familien- oder Privatlebens wie Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gestützt wird.
2. Selbst bei Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Norm.
a) Ein Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist weder durch § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG von vornherein ausgeschlossen, da hierzu eine gesetzliche Ausnahme für humanitäre Aufenthaltserlaubnisse wie § 25 Abs. 5 AufenthG greift, noch nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zwar als offensichtlich unbegründet, aber nach § 30 Abs. 2 AsylG und nicht nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 6 AsylG abgelehnt hat (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2021 – 10 C 21.1121 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 11.3.2014 – 10 B 11.978 – juris Rn. 33).
b) Einem Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht aber das fehlende Visumverfahren entgegen, wovon der Beklagte zu Recht nicht im Ermessenswege abgesehen hat.
(1) Der Kläger ist nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV von der Visumpflicht befreit, da der sich im Asylverfahren gestattet im Bundesgebiet aufgehaltene Kläger nicht vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit war und auch im Zeitpunkt der Geburt des Kindes für ihn wegen seines nur geduldeten Aufenthalts keine Befreiung bestand (wie hier OVG RhPf, B.v. 13.1.2021 – 7 D 11208/20 – juris Rn. 18 ff. m.w.N.).
(2) Der Kläger ist nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 4 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen.
Unabhängig davon, ob als entscheidungserheblicher Zeitpunkt die Beantragung des Aufenthaltstitels (so VGH BW, B.v. 5.3.2008 – 11 S 378/08 – juris Rn. 11) oder der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. in diesem Sinne aus der obergerichtlichen Rechtsprechung etwa SächsOVG, U.v. 16.10.2008 – 3 A 94/08 – juris Rn. 29; OVG Hamburg, B.v. 16.11.2010 – 4 Bs 220/10 – juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, B.v. 5.12.2011 – 18 B 910/11 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 11.7.2012 – 18 B 562/12 – juris Rn. 16; OVG Berlin-Bbg, B.v. 23.8.2011 – OVG 3 S 87.11 – juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.2.2013 – OVG 7 N 63.13 – juris Rn. 5) angenommen wird, war der Kläger selbst im Zeitpunkt der Antragstellung am 9. September 2020 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltsgestattung, da diese nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG erloschen war, weil die Entscheidung des Bundesamts vom 27. Januar 2017 mit Ablauf des 13. November 2017 unanfechtbar geworden war.
(3) Der Kläger ist auch nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen, da im Zeitpunkt der Antragstellung seine Abschiebung nicht nach § 60a AufenthG ausgesetzt war.
Danach kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung, der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat.
Der Kläger war allerdings nicht im Besitz einer Duldung, wie sie diese Regelung voraussetzt. Zwar ist der Kläger als Vater eines senegalesischen Kindes, mit dem er zwar nicht in einem Haushalt lebt, aber für das er gemeinsam mit der Mutter die elterliche Sorge wahrnimmt, nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG geduldet. Allerdings genügt für die Ausnahmeregelung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV nicht eine Duldung zu demselben Zweck wie jenem, zu dem die Aufenthaltserlaubnis beansprucht wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 10; OVG RhPf, B.v. 13.1.2021 – 7 D 11208/20 – juris Rn. 14 ff. m.w.N.; a.A. nur VGH BW, B.v. 5.3.2008 – 11 S 378/08 – juris), denn andernfalls würde die Eheschließung oder Geburt eines Kindes gewissermaßen doppelt berücksichtigt, zum einen im Rahmen der Feststellung der Abschiebungsaussetzung und zum anderen zur Begründung eines Aufenthaltsrechts. Privilegiert werden nur Ausländer, die sich im Inland mit einer Duldung aufhalten und bei denen sodann der in § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV genannte Fall eintritt, nicht aber jene, denen eine Duldung nur aus diesen Gründen erteilt wird.
Über eine solche Aussetzung der Abschiebung verfügte der Kläger nicht (mehr). Als der Kläger am 9. September 2020 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragen ließ, war er zwar formell noch wegen Dokumentenlosigkeit und ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG geduldet (Behördenakte Bl. 352), doch dieser Duldungsgrund war materiell ab dem Zeitpunkt des Passbesitzes des Klägers und damit im Zeitpunkt der Antragstellung bereits entfallen. Der Kläger legte den am 20. Juli 2020 ausgestellten Reisepass dem Beklagten am 9. September 2020 mit dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor (Behördenakte Bl. 363 f.).
Darüber hinaus vermittelte ihm aber der Duldungsgrund der Vaterschaft keinen gesetzlichen Anspruch i.S.d. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV, da der Beklagte nur verpflichtet ist, im Ermessenswege nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu entscheiden, ob er von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG absieht, was aber für einen strikten Anspruch i.S.d. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV nicht ausreicht (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – BVerwGE 162, 349 – juris Rn. 31).
(4) Der Beklagte hat zu Recht nicht im Ermessenswege von der Nachholung abgesehen.
Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann in den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 – also wie hier nach § 25 Abs. 5 AufenthG – von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG und damit aller allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen im Ermessenswege abgesehen werden. Dabei sind alle für und gegen eine Aufenthaltslegalisierung sprechenden Umstände umfassend zu würdigen. Insoweit ist es allerdings Aufgabe des Ausländers, seine persönlichen Belange und alle für ihn günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder der Ausländerbehörde bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände geltend zu machen und erforderliche Nachweise vorzulegen (§ 82 Abs. 1 AufenthG). Bei der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sind von der Ausländerbehörde in die Abwägung auch die Gründe einzustellen, aufgrund derer die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen und sind Verstöße des Ausländers gegen seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten beachtlich und entsprechend zu gewichten (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 17.12 – BVerwGE 146, 281 ff. – juris Rn. 31).
Die Absehensbefugnis des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist mangels Unzumutbarkeit des Visumverfahrens nicht anwendbar und die in der mündlichen Verhandlung noch ergänzten Ermessenserwägungen des Beklagten sind nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO). Er hat im Ergebnis am generellen Erfordernis der Nachholung des Visumverfahrens als Ausprägung des in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfassten öffentlichen Interesses an einer geregelten Zuwanderungssteuerung festgehalten und demgegenüber die individuellen Belange des Klägers berücksichtigt, aber nicht als durchgreifend gewichtet: Er verweist insoweit auf die nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in Dakar mögliche Terminregistrierung online, auf eine mögliche Duldung bis zur Ausreise in den Senegal sodann kurz vor dem vereinbarten Termin, die Möglichkeit einer vom Kläger bislang aber nicht einmal begehrten Vorabzustimmung der örtlichen Ausländerbehörde sowie seine Bereitschaft, auf einen nach seiner Ausreise gestellten Antrag auf Verkürzung des Einreiseverbotes hin dem zu entsprechen und dies der Deutschen Botschaft in … bereits als beabsichtigte Verkürzung mitzuteilen, um den Aufenthalt des Klägers im Senegal auf ein Minimum zu beschränken. Die Deutsche Botschaft … habe eine Bearbeitungszeit für ein Visumverfahren ohne Vorabzustimmung der Ausländerbehörde von drei Monaten, mit Vorabzustimmung von einer Woche angegeben, wozu er aber bisher nichts beigetragen habe. Damit hat sich der Beklagte konkret eine Vorstellung vom voraussichtlichen Zeithorizont gemacht. Zurecht hat er auch darauf verwiesen, dass der Kläger – wenn auch gegen seinen Willen – seit vier Monaten tatsächlich keinen Kontakt mehr zum Kind hat und deswegen schon eine Entfremdung unabhängig von einem künftigen Auslandsaufenthalt zur Nachholung des Visumverfahrens droht.
Umgekehrt braucht der Beklagte nicht die Entscheidungspraxis der Deutschen Botschaften zu § 36 Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigen, auf welche der Kläger verweist. Auch wenn dessen hohe Anforderungen zu Ablehnungen von Visa für Kindesväter führten, wie der Kläger an Hand eines anderen Falls geltend machen lässt, ist doch diese Entscheidungspraxis der Behörden der Bundesrepublik Deutschland – und nicht des Beklagten – kein Gegenstand des hiesigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ebenso wenig die Entscheidungspraxis der nach Art. 19 Abs. 4 GG zur gerichtlichen Kontrolle ausschließlich berufenen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Berlin. Weder ist hinreichend sicher eine Ablehnung eines Visums für den Kläger in einem noch künftigen Entscheidungszeitpunkt der Deutschen Botschaft … sachlich zu prognostizieren, noch wäre es mit der von Art. 92 ff. GG vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern und ihren jeweiligen Verwaltungsgerichten vereinbar, würde eine bayerische Behörde einen Ausländer von einem gesetzlich vorgesehenen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels freistellen, um ihm eine befürchtete negative Entscheidung einer Bundesbehörde zu ersparen, gegen die ihm rechtsstaatlicher Rechtsschutz vor den hierzu berufenen Verwaltungsgerichten eines anderen Bundeslands offensteht.
b) Ebenso hat der Beklagte zu Recht nicht im Ermessensweg von der Regelerteilungsvoraussetzung des fehlenden Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen und – neben den o.g. Ermessenserwägungen -noch darauf hingewiesen, dass der Kläger seit 2017 vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und weitere drei Jahre lang nur wegen seiner fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung im Bundesgebiet war. Ihn jetzt zu bevorzugen, wäre eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen vergleichbaren Fällen. Im Ergebnis stützt sich der Beklagte also darauf, dass sonst die Funktion des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Rahmen der Zuwanderungssteuerung leerliefe, bliebe das jahrelange vorsätzliche Fehlverhalten des Klägers für ihn folgenlos. Umgekehrt zwingt das Kindeswohl nicht zu einer gegenteiligen Bewertung, da das Kind des Klägers bereits jetzt mehrwöchige Abwesenheiten seines Vaters erlebt (sogleich unter c) bb) (2)), ohne deswegen Schaden zu nehmen.
c) Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise nach § 25 Abs. 5 AufenthG ergibt sich aber auch in der Sache nicht aus einem Recht des Klägers auf Familien- und Privatleben nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK.
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Unter „Ausreise“ sind hierbei sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 ff. – juris Rn. 15 m.w.N. auf BT-Drs. 15/420 S. 80 zu § 25 Abs. 6 AufenthG-E).
Eine freiwillige Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen, die sich auch aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten wie nach Art. 6 Abs. 1 GG aus Verfassungsrecht oder wie nach Art. 8 EMRK aus Völkervertragsrecht herleiten (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 ff. – juris Rn. 17). Allerdings ist einem Ausländer die freiwillige Ausreise aus Rechtsgründen nur unzumutbar, wenn sie ihm wegen zielstaats- oder inlandsbezogener Abschiebungsverbote nicht zugemutet wird (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 80). Weitergehende allgemeine Zumutbarkeitserwägungen, wie sie etwa im Rahmen einer Härtefallklausel angestellt werden können, sind vom Begriff der Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht erfasst (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 ff. – juris Rn. 20; NdsOVG, U.v. 29.11.2005 – 10 LB 84/05 – juris Rn. 35).
aa) Dem Kläger ist eine freiwillige Ausreise nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich, da er reisefähig ist, einen Reisepass seines Herkunftsstaats besitzt und – vorbehaltlich der Erfüllung etwaiger pandemiebedingter Beschränkungen des Reiseverkehrs – auch zur Einreise im Herkunftsstaat berechtigt ist.
bb) Dem Kläger ist eine freiwillige Ausreise auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, da die Achtung des Rechts auf Familienleben aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit führt.
Die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei ihrer Entscheidung die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zu berücksichtigen. Allerdings beinhaltet Art. 6 GG keinen unbedingten Anspruch des betroffenen Ehegatten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben. Vielmehr ist das Schutzgebot für Ehe und Familie nur in verhältnismäßiger Weise mit den öffentlichen Interessen abzuwägen (BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.226 – juris Rn. 13). Insbesondere ist eine kurzfristige Trennung von Ehegatten durch Abschiebungen zur Nachholung des Visumverfahrens zumutbar (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvQ 24/18).
Dies gilt umso mehr, als sowohl der Kläger als auch sein Kind und die Kindesmutter senegalesische Staatsangehörige und damit im gemeinsamen Herkunftsstaat einreiseberechtigt sind, mithin also eine vorübergehende räumliche Trennung auch dadurch abmildern können, dass sie den Kläger dorthin begleiten. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben, dass eine Begleitung durch die Tochter vorbehaltlich der Zustimmung der Kindesmutter und des Jugendamts für ihn vorstellbar wäre (Protokoll vom 11.8.2021 S. 4 a.E.). Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse stehen ihrer Ausreise auch nicht entgegen; beim Kläger wurden keine solchen festgestellt und Kindesmutter und Kind sind nur aus familiären Gründen in Deutschland aufenthaltsberechtigt bzw. wegen Passlosigkeit geduldet, aber nicht schutzbedürftig bezogen auf den Senegal. Dass die beiden Kinder der Kindesmutter, die ihr den Aufenthalt in Deutschland rechtlich vermitteln, deutsche Staatsangehörige sind, steht einem vorübergehenden Verlassen des Bundesgebiets nicht entgegen. Sie können bei ihrem Vater bleiben oder ihre Mutter begleiten und sind nach Art. 11 GG jederzeit rückkehrberechtigt nach Deutschland.
(1) Dem Kläger ist auch rechtlich eine vorübergehende Trennung vom Kind möglich, um für die Dauer des Visumverfahrens in den Senegal zurückzukehren.
Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Auch ein kleines Kind ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.). Andererseits ist eine kurzfristige Trennung von Familienangehörigen nicht von vornherein unzumutbar, insbesondere ist eine Trennung zur Nachholung des Visumverfahrens im Einzelfall zumutbar (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvQ 24/18).
Allerdings darf die Dauer des Visumverfahrens nicht unabsehbar sein. Dies setzt u.a. als geklärt voraus, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Visumverfahren grundsätzlich nach vorab erfolgter Terminvereinbarung und Vorabzustimmung der Ausländerbehörde absehbar kurz gehalten werden kann (hier konkret eine Woche bis drei Monate). Allerdings lässt der Vergleich mit anderen Fällen des Familiennachzugs auch längere Trennungszeiten nicht unzumutbar erscheinen:
So wird neuerdings sogar für den Kindesnachzug zu in Deutschland subsidiär Schutzberechtigten eine Wartezeit von drei Jahren unter der Möglichkeit der Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft im Aufnahmestaat des Nachzugswilligen bzw. eine Wartezeit von bis zu zwei Jahren (ohne diese Möglichkeit) als zumutbar erachtet; diese Trennungszeiten überschreiten nicht das vom Schutz von Ehe und Familie gebotene Höchstmaß der Trennungsdauer nachzugswilliger Kinder zum in Deutschland aufenthaltsberechtigten Elternteil (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2020 – 1 C 30.19 – Asylmagazin Rn. 36). Für den Kläger bedeutet dies, dass er auch eine längere Trennungszeit hinnehmen müsste, da weder er noch sein senegalesisches Kind in Deutschland schutzberechtigt sind, ihnen also die gemeinsame Ausreise oder etwa Besuche (vgl. oben) sowie die Aufrechterhaltung des Kontakts durch elektronische Medien (als Kriterium bei EGMR, U.v. 20.12.2018 – 18706/16 – NVwZ 2019, 1425/1426 Rn. 49) zur Überbrückung der Trennungsfolgen rechtlich möglich und zumutbar sind, sollte sich das Visumverfahren länger als erwartet hinziehen. Anders als Schutzberechtigte im Bundesgebiet können der Kläger und sein Kind die familiäre Lebensgemeinschaft auch (vorübergehend) im gemeinsamen und sogar i.S.d. Art. 16a Abs. 3 GG i.V.m. Anlage II zu § 29a AsylG sicheren Herkunftsstaat führen.
Derzeit sind also keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb dem Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens von vornherein oder individuell unzumutbar sein sollte. Er hat vielmehr wie jeder andere Ausländer auch, der zum Ehegatten- oder Familiennachzug in der Bundesrepublik ein Aufenthaltsrecht begründen möchte, das Visumverfahren nachzuholen, da dieses dem öffentlichen Interesse an der Steuerung der Zuwanderung und der Prüfung von deren Voraussetzungen im Herkunftsstaat der Ausländer dient. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte dem Kläger die Nachholung des Visumverfahrens unter Überbrückung von Wartezeiten für die Beantragung des Visumtermins im Herkunftsland durch entsprechende Unterstützung angeboten hat (Schreiben vom 8. Januar 2021, Behördenakte Bl. 456), wozu eine Duldung bis zum Ausreisezeitpunkt und eine Vorabzustimmung nach § 31 AufenthV erteilt werden können. Zu mehr ist der Beklagte auch nicht um des Kindeswohls willen verpflichtet, denn dieses kehrt die grundlegende Pflichtenverteilung im Ausländerrecht nicht um. So wird ein Aufenthaltstitel wie ein Visum nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 6 Abs. 3, § 81 Abs. 1 AufenthG nur auf Antrag erteilt, den der Antragsteller aber bei der deutschen Auslandsvertretung zu stellen bisher verweigert. Diese Weigerung widerspricht auch seiner generellen Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG.
Es wird dabei nicht verkannt, dass die Verweigerungshaltung des Klägers, der bislang keine Schritte unternommen hat, um das Visumverfahren mit freiwilliger Ausreise zu ermöglichen, möglicherweise bei einer zwischenzeitlichen Abschiebung zu einer längerfristigen Trennung von seinem Kind führen wird und dieses in seinem Grundrecht aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in besonderer Art und Weise beeinträchtigt sein kann. Diese besondere Beeinträchtigung resultiert jedoch nicht aus staatlichem Handeln, sondern ist kausal auf die autonome Entscheidung des Klägers zurückzuführen, jahrelang und erst recht zuletzt nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Die Folgen einer physischen Trennung der Familie über längere Zeit haben in diesem Fall sowohl der Kläger wie auch sein Kind und die Kindesmutter hinzunehmen. Auch bei vergleichbaren freiheitsentziehenden Maßnahmen des Strafrechts (vgl. EGMR, U.v. 20.12.2018 – 18706/16 – NVwZ 2019, 1425/1426 Rn. 49) bzw. im Falle des Entschlusses eines Elternteils, die Familie zu verlassen, kommt es zu einer langfristigen Trennung des Kindes von einem Elternteil, der auf eigenständige Handlungen des Elternteils zurückzuführen ist. Insoweit ist der erhöhte Eingriff in das Grundrecht auf Familie aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht dem Staat zurechenbar, insbesondere, wenn dieser konkrete Maßnahmen angeboten hat, um den Grundrechtseingriff möglichst gering zu halten und der verbleibende Eingriff gerechtfertigt und zumutbar ist (s.o). Letztlich ist der Kläger auf das ihm zumutbare rechtmäßige Alternativverhalten einer – ihm mehrfach vergeblich angebotenen – freiwilligen Ausreise mit Nachholung des Visumverfahrens zu verweisen. Andernfalls könnte der Kläger durch beharrliche Verweigerung der Mitwirkung am Ausreise- und Visumverfahren ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet allein durch sein Kind erzwingen.
Dabei wird nicht verkannt, dass der Kläger aktuell seine Verweigerungshaltung auf die – wohl ebenso rechtswidrige – Verweigerungshaltung der Kindesmutter stützt, die ihm den Umgang mit seinem Kind vorenthält und auch keinen Reisepass für das Kind beantragt. Allerdings sind diese beziehungsinternen Probleme notfalls jugendamtlich und familiengerichtlich in Deutschland lösbar. Insofern stünde dem Kläger bei einer Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise die Möglichkeit offen, im Zeitraum einer Duldung bis zu seiner Ausreise zum Visumverfahren dieses Problem zu lösen.
Unabhängig davon aber fürchtet er generell, wegen der Entscheidungspraxis der deutschen Auslandsvertretungen zu § 36 Abs. 2 AufenthG absehbar nicht mehr nach Deutschland einreisen zu können (vgl. oben).
(2) Auch die Achtung des Rechts auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 Abs. 1 EMRK steht der Nachholung des Visumverfahrens beim Kläger nicht entgegen.
Selbst wenn der Schutzbereich des Art. 8 EMRK auch auf unerlaubte Aufenthalte anwendbar ist, was hier offen bleiben kann, ist der Vertrauensschutz des Klägers in eine Legalisierung seines Aufenthalts ohne Durchführung eines Visumverfahrens unter vorübergehender Trennung von seinem Kind und unter vorübergehender Unterbrechung seines Privatlebens im Bundesgebiet nicht schutzwürdig.
Nach Völkerrecht ist ein Staat berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Staatsgebiet und ihren Aufenthalt zu regeln. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert keinem Ausländer das Recht, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. EGMR, U.v. 11.6.2019 – 42305/18 – NVwZ-RR 2020, 707/710 Rn. 60), und die Mitgliedstaaten sind befugt, in Erfüllung ihrer Aufgabe, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, einen Ausländer auszuweisen, der wegen Straftaten verurteilt worden ist. Der Schutz des Familienlebens eines Ausländers mit seiner Kernfamilie (Ehefrau/Lebenspartner/in und Kindern) sowie seines Privatlebens als Gesamtheit der sozialen Bindungen zwischen niedergelassenen Ausländern und der Gesellschaft, in der sie leben (so EGMR, U.v. 23.10.2018 – 7841/14 – NVwZ 2019, 1427/1428 Rn. 34), fordert lediglich, dass die Aufenthaltsbeendigung gesetzlich vorgesehen, also auf einer dem Betroffenen erkennbaren Rechtsgrundlage beruht (vgl. EGMR, U.v. 11.6.2019 – 42305/18 – NVwZ-RR 2020, 707/710 Rn. 64), und nur zu einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf. Soweit Entscheidungen in diesem Bereich in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechte eingreifen können, müssen sie gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, also durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere zu dem verfolgten berechtigten Ziel verhältnismäßig sein (EGMR, U.v. 23.10.2018 – 7841/14 – NVwZ 2019, 1427/1428 Rn. 33; BVerfG, B.v. 29.1.2020 – 2 BvR 690/19 – juris Rn. 19).
Ob eine solche Fallgestaltung vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland und zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Das Ausmaß der Verwurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer Entwurzelung verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen.
Liegt demnach durch eine drohende Aufenthaltsbeendigung ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Diese Prüfung führt hier zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ist. Der Kläger hat zwar wesentliche soziale Kontakte im Bundesgebiet. Dennoch führt die Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt und damit auch als verhältnismäßig anzusehen ist:
Nach Angaben des Klägers hatte er teils gelegentlichen (seine Anfrage vom 11.12.2020, Terminvereinbarung zum 8.1.2021, dennoch Tochter nicht angetroffen, vgl. Protokoll vom 11.8.2021 S. 3 f.), teils intensiveren (vom 20.3.2021 bis 12.4.2021 habe sich die Tochter durchgehend bei ihm befunden), zuletzt gar keinen Kontakt mehr, denn danach habe die Kindesmutter jeden Umgang verweigert. Seine Angaben unterstellt, hat er danach einmal eine mehrwöchige Betreuung für seine Tochter geleistet, zuvor nur gelegentliche Besuche machen können und zuletzt gar nicht mehr. Ob sachlich ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Tochter entstanden ist, die sonst von ihrer Mutter betreut und versorgt wird, ist eher zweifelhaft. Selbst ein solches unterstellt, ist jedenfalls davon auszugehen, dass das Kind, das seinen Vater nur sporadisch und zuletzt gar nicht mehr sah, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jedenfalls eine mehrwöchige Trennung durch Ausreise und Dauer des Visumverfahrens unbeschadet überstehen würde. Ein Angewiesensein in einer Notsituation (Protokoll vom 11.8.2021 S. 6), ist derzeit theoretischer Natur, da das Kind von der Kindesmutter versorgt wird und eine konkret drohende Notsituation für das Kind nicht ersichtlich ist; erst recht nicht seine Verbringung durch die Kindesmutter in den Senegal oder nach Mali (ebenda S. 3).
(3) Dass der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis voraussichtlich nur nach § 36 Abs. 2 AufenthG erlangen kann und hierfür hohe Anforderungen bestehen (vgl. oben), so dass eine Visumerteilung durch die deutsche Auslandsvertretung nicht sicher ist, wie er geltend macht, steht dem nicht entgegen.
Eine Garantie einer bestimmten Verfahrenshöchstdauer für die Nachholung des Visumverfahrens kann es dabei nicht geben. So weist die deutsche Vertretung in Dakar auf ihrer Webseite darauf hin, dass die Bearbeitungsdauer eines Langzeitvisums zum Familiennachzug oft sechs bis zehn Wochen oder länger dauern kann und schwer vorauszusagen ist (Merkblatt zur Familienzusammenführung, Stand: 18.12.2000, Abfrage vom 1.6.2021). Laut aktueller vom Beklagten eingeholter Auskunft beträgt die Bearbeitungsdauer konkret hier nur eine Woche bis drei Monate. Gegebenenfalls steht dem Kläger die Möglichkeit offen, gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin der Auslandsvertretung in Anspruch zu nehmen und auf diesem Weg seine Rechte aus Art. 6 GG durchzusetzen. Auch hier kann die Kammer – ebenso wie bei der Frage der verfassungskonformen Auslegung der Anspruchsnorm des § 36 Abs. 2 AufenthG durch die deutsche Vertretung – nicht davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht Berlin seinem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht nachkommt (vgl. oben).
d) Hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots von 30 Monaten im Fall der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist der Kläger auch insoweit auf das ihm zumutbare rechtmäßige Alternativverhalten einer – ihm mehrfach vergeblich angebotenen – freiwilligen Ausreise zu verweisen, wodurch die Sperrwirkung nicht ausgelöst würde, sowie auf einen Antrag auf nachträgliche Verkürzung dieser Befristung wie auch jener des Einreise- und Aufenthaltsverbots von 10 Monaten nach § 11 Abs. 7 Satz 7 AufenthG. Als bloßer Annex zur Abschiebungsandrohung stellen sein Erlass und seine Befristung die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung gegen den vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger nicht in Frage.
3. Nachdem bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG – Unmöglichkeit der Ausreise – nicht vorliegen, geht auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Verbescheidung ins Leere.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
IV. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da die Rechtsfrage der Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG auf rein familienbezogene Aufenthaltszwecke von einem für Ausländerrecht zuständigen Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ohne nähere Begründung unterstellt worden ist (BayVGH, B.v. 22.7.2008 – 19 CE 08.781 – juris Rn. 41), vom anderen für Ausländerrecht zuständigen Senat aber bisher ausdrücklich offengelassen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2021 – 10 C 21.1121 – Rn. 8 m.w.N.; nicht thematisiert bei BayVGH, B.v. 11.3.2014 – 10 B 11.978 – juris Rn. 39), die vorliegende Entscheidung aber hierauf beruht.


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