Verwaltungsrecht

Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit wegen strafrechtlicher Verurteilung

Aktenzeichen  21 CS 19.830

Datum:
16.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25251
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. b, § 45 Abs. 2 1

 

Leitsatz

1. Die Regeltatbestände des § 5 II WaffG typisieren die Unzuverlässigkeitsmerkmale in der Weise, dass die in ihnen genannten Tatsachen schon für sich allein („in der Regel“) die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigen, sofern nicht (ausnahmsweise) besondere Umstände gegeben sind, die im Einzelfall diese Annahme entkräften. Fehlen solche Umstände ist die Erlaubnis schon aus Rechtsgründen zu versagen; ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum ist der Behörde bei der Bewertung, ob Gründe vorliegen, welche die gesetzliche Vermutung entkräften, nicht eingeräumt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer in strafbarer Weise die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet hat, gibt nach der Wertung des § 5 II Nr. 1 Buchst. b WaffG Anlass zu der Vermutung, er sei waffenrechtlich unzuverlässig, weil er es auch als Waffenbesitzer am nötigen Verantwortungsbewusstsein fehlen lassen werde. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Ausnahmefall, der die Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit durchbricht, kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milderen Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wenn eine Verurteilung iSd § 5 II Nr. 1 Buchst. b WaffG vorliegt und die daraus resultierende Regelvermutung nicht entkräftet ist, steht die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Betroffenen fest. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 S 19.16 2019-03-22 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.125,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage, die er gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse (Waffenbesitzkarten) erhoben hat; soweit sich die Klage gegen die Anordnung richtet, die Waffenbesitzkarten zurückzugeben, geht es dem Antragsteller um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
Das Amtsgericht A* … verurteilte den Antragsteller mit Urteil vom 3. August 2017, rechtskräftig seit dem 11. August 2017, wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 229 StGB) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 70,00 Euro.
Dem lag nach den Feststellungen des Strafgerichts folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsteller fuhr am 3. August 2016 gegen 17:50 Uhr mit dem Pkw BMW X5 auf der Kreisstraße … … bei Abschnitt 160 – km 0.300 in Fahrtrichtung P* … Unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt setzte der Antragsteller zum Überholen des vor ihm fahrenden Pkws an, obgleich er die erforderliche Überholstrecke nicht einsehen konnte. Der Antragsteller ließ aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und um seines schnelleren Fortkommens willen von vornherein keine Bedenken gegen seine Fahrweise aufkommen. Das hatte für den Antragsteller vorhersehbar und vermeidbar zur Folge, dass die Geschädigte J., die mit dem Pkw VW up die Gegenfahrbahn befuhr, stark abbremsen und an das rechte Bankett ausweichen musste, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Der Antragsteller scherte erst knapp vor dem Pkw der Geschädigten J. wieder auf die rechte Fahrspur ein. Der Fahrer des dem VW up nachfolgenden Pkws Opel Zafira leitete ebenfalls eine Vollbremsung ein, konnte allerdings sein Fahrzeug nicht mehr zum Stillstand bringen und fuhr auf den VW up der Geschädigten J. auf. Der Antragsteller fuhr weiter und überholte noch einen weiteren Pkw, der ebenfalls stark abbremsen musste, um dem Antragsteller ein Wiedereinscheren zu ermöglichen.
Im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit erhielt das Landratsamt A* … im Oktober 2018 Kenntnis von der Verurteilung des Antragstellers und gab diesem mit Schreiben vom 19. Oktober 2018 Gelegenheit, sich zu dem beabsichtigten Widerruf seiner Waffenbesitzkarten zu äußern.
Mit Bescheid vom 26. November 2018 widerrief das Landratsamt die dem Antragsteller durch vier Waffenbesitzkarten, in die insgesamt 16 Schusswaffen eingetragen sind, erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse (Nr. 1). Gleichzeitig gab es dem Antragsteller auf, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids die im Einzelnen angeführten Waffen gegen Nachweis einem Berechtigten zu überlassen oder diese gegen Nachweis durch einen Büchsenmacher dauerhaft unbrauchbar machen zu lassen oder mit Erklärung gegenüber dem Landratsamt verwerten zu lassen (Nr. 2). Des Weiteren wurde dem Antragsteller aufgegeben, die Waffenbesitzkarten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids dem Landratsamt zurückzugeben (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 2 und 3 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4) und für den Fall ein Zwangsgeld angedroht, dass die Verpflichtung zur Rückgabe der Waffenbesitzkarten nicht innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids erfüllt wird (Nr. 5).
Der Antragsteller hat Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 22. März 2019 die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Nr. 2 (Überlassen, Unbrauchbarmachen oder Verwertenlassen der Waffen) und der Nr. 5 (Zwangsgeldandrohung) des Bescheids wiederhergestellt bzw. angeordnet und im Übrigen den Antrag abgewiesen.
Der Antragsteller hat gegen den am 30. März 2019 zugestellten (abweisenden) Beschluss Beschwerde eingelegt und am 29. April 2019 die Begründung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht.
II.
1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das zur Begründung der Beschwerde fristgerecht Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
1.1 Mit dem Verwaltungsgericht ist nach der gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass sich der Bescheid der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird.
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zu deren Versagung hätten führen müssen. Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht, die wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat rechtskräftig zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b WaffG).
Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, die Voraussetzungen dieser Regelvermutung lägen wohl vor, weil der Antragsteller mit seit 11. August 2017 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A* … wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden sei. Ein Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelvermutung rechtfertigen könne, bestehe nicht. Bereits die Höhe der verhängten Geldstrafe spreche gegen ein Bagatelldelikt. Auch besondere Tatumstände, die zu Gunsten des Antragstellers sprechen würden, seien derzeit nicht ersichtlich.
1.2 Die Beschwerdegründe geben keinen Anlass, von der Bewertung des Verwaltungsgerichts abzuweichen.
1.2.1 Mit der Beschwerde wird eingewendet, nach § 5 Abs. 2 WaffG besäßen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel dann nicht, wenn sie einen der genannten Tatbestände verwirklichten. Diese gesetzestechnische Einschränkung bedeute letztlich, dass es im Ermessen der zuständigen Waffenbehörde stehe, ob die Zuverlässigkeit bejaht oder verneint werde.
Das greift nicht durch. Die Regeltatbestände des § 5 Abs. 2 WaffG typisieren die Unzuverlässigkeitsmerkmale in der Weise, dass die in ihnen genannten Tatsachen schon für sich allein („in der Regel“) die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigen, sofern nicht (ausnahmsweise) besondere Umstände gegeben sind, die im Einzelfall diese Annahme entkräften. Fehlen solche Umstände ist die Erlaubnis schon aus Rechtsgründen zu versagen. Ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum ist der Behörde bei der Bewertung, ob Gründe vorliegen, welche die gesetzliche Vermutung entkräften, nicht eingeräumt (vgl. OVG NW, B.v. 7.11.2006 – 20 B 1847/06 – juris Rn. 7 f.)
1.2.2 Der Bevollmächtigte des Antragstellers verweist des Weiteren darauf, dass sich der Antragsteller nie einen waffenrechtlich relevanten Verstoß habe zu Schulden kommen lassen. Allein aufgrund des Gesetzeswortlauts solle er jetzt wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts ohne Bezug zu Waffen unzuverlässig im waffenrechtlichen Sinn sein, obwohl er schon längst wieder im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sei. Es sei im vorliegenden Fall lebensnah zu prüfen. Die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffenrecht“ trage diesem Gedanken unter Nr. 5.3 Rechnung. Danach solle in Fällen, die keinen Waffen-, Gewalt- oder Trunkenheitsbezug hätten (z.B. bei bloßen Vermögens- oder Abgabedelikten), besonders genau geprüft werden, ob ein Regel- oder Ausnahmefall vorliege.
Daraus ergibt sich nichts zugunsten des Antragstellers.
Wer wie der Antragsteller in strafbarer Weise die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet hat (vgl. dazu Kudlich in Heintschel-Heinegg, StGB, 3. Aufl. 2018, § 315c Rn. 1), gibt nach der Wertung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b WaffG Anlass zu der Vermutung, er sei waffenrechtlich unzuverlässig, weil er es auch als Waffenbesitzer am nötigen Verantwortungsbewusstsein fehlen lassen werde. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes soll das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.1991 – 1 B 78.91 – juris Rn. 3).
Ein Ausnahmefall, der die zu Lasten des Antragstellers sprechende Vermutung durchbricht, kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milderen Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem (tatbezogenen) Verhalten zum Ausdruck kommt. Die Vermutung kann deshalb grundsätzlich nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten strafrechtlich nicht aufgefallen ist oder die konkrete Straftat keinen Waffenbezug hatte (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12.08 – juris Rn. 5).
Solche tatbezogenen Umstände sind mit der Beschwerde nicht konkret vorgetragen. Sie ergeben sich weder allein daraus, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mittlerweile wiedererteilt worden ist (vgl. dazu auch VGH BW, B.v. 13.4.2007 – 1 S 2751.06 – juris Rn. 10) noch aus dem bloßen Hinweis auf Nr. 5.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffenrecht, wonach in den dort genannten Fällen eine besonders genaue Prüfung vorgenommen werden soll, ob ein Regel- oder Ausnahmefall vorliegt. Im Übrigen sind das Landratsamt und das Verwaltungsgericht unter Würdigung der tatbezogenen Umstände des Einzelfalls nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass hier kein solcher Ausnahmefall vorliegt. Die Beschwerde setzt sich damit nicht konkret auseinander.
1.2.3 Wenn wie hier eine Verurteilung im Sinn des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b WaffG vorliegt und die daraus resultierende Regelvermutung nicht entkräftet ist, steht die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Betroffenen fest. Entgegen dem Beschwerdevorbringen bedarf es dann keiner Zukunftsprognose mehr, dass der Antragsteller das Gemeinwesen durch seinen Waffenbesitz und die dadurch gegebene Möglichkeit des Missbrauchs wahrscheinlich stören werde.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und berücksichtigt die Nrn. 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 (abgedr. in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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