Verwaltungsrecht

Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit wegen Zuordnung zur “Reichsbürger”-Bewegung

Aktenzeichen  24 ZB 19.1931

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26781
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5

 

Leitsatz

1. Ein Waffenbesitzer, der durch sein von außen wahrnehmbares Verhalten eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung erkennen lässt und dadurch berechtigte Zweifel an seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit weckt, muss diese Zweifel selbst entkräften.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ist nicht zu berücksichtigen, für welche Art der Waffe eine Erlaubnis erteilt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 17.1384 2019-05-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, … Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seines Kleinen Waffenscheins (§ 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG) und die hierzu ergangenen Folgemaßnahmen.
Das Verwaltungsgericht hat seine entsprechende Klage mit Urteil vom 8. Mai 2019 abgewiesen. Die im angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 9. März 2017 getroffenen Anordnungen seien rechtmäßig, weil der Kläger waffenrechtlich unzuverlässig geworden sei. Es lägen Tatsachen vor, die die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG rechtfertigten, da dessen Verhaltensweisen und Einlassungen in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme begründeten, dass er der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei bzw. sich deren Ideologie zu eigen gemacht habe. Es bestünden keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die nach außen getätigten Äußerungen und Verhaltensweisen auch seine innere Einstellung widerspiegelten. Eine glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ habe nicht festgestellt werde können.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger durch seine Bevollmächtigte sein Rechtsschutzziel weiter. Ohne ausdrücklich einen bestimmten Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO zu benennen, führt der Kläger aus, dem erstinstanzlichen Urteil fehle es an einer Würdigung des Einzelfalles. Die in Bezug genommenen Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar. Zudem fehle diesen die Begründungsdichte einer Endentscheidung; das Gericht habe die „laxeren Anforderungen der Eil- bzw. Prozesskostenhilfeverfahren“ auf die Überzeugungsbildung im Hauptsacheverfahren übertragen. Die Begründung, der Kläger sei Reichsbürger und damit waffenrechtlich unzuverlässig, halte einer Nachprüfung nicht stand. Es sei von Anfang an eingeräumt worden, dass manche Formulierungen des Klägers ungeschickt gewesen seien. Er habe diese während der einsetzenden Flüchtlingskrise 2015 im Internet gefunden und in dieser Situation ebenso wie zahlreiche andere Bürger Angst gehabt. Diese Angst sei von interessierten Kreisen instrumentalisiert worden. Der „einfache Geist“ habe „mangels Fähigkeit zur Differenzierung“ die Lösung in „möglichst martialisch klingenden Schlagworten abseits jeder vernünftigen juristischen Betrachtung“ gesucht. Der Kläger könne nicht leugnen, von Teilen des Gedankengutes angesprochen worden zu sein, dennoch habe er alsbald erkannt, dass Kündigungen der Staatsangehörigkeit und ein „Austritt aus der Firma BRD“ schlicht Unsinn seien. Dass er in seinem Antrag als Staatsangehörigkeit Preußen angegeben habe, erkläre sich aus seinem angeborenen Patriotismus, der sich nach seinem Umzug nach Bayern spiegelbildlich auf seine jetzt zur Heimat gewordene Region beziehe und sich in seiner Sympathie zur Bayernpartei äußere, die den Standpunkt vertrete, es gebe eine bayerische Staatsangehörigkeit. Schließlich sei in dem Urteil nicht berücksichtigt worden, dass es lediglich um den Kleinen Waffenschein gehe, von dem nicht das Gefährdungspotenzial ausgehe, das dem „großen“ Waffenschein anhafte.
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers in der Zulassungsbegründung zielen auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden können (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl. 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel genügt keine unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung.
In Ansehung des Vortrags in der Zulassungsbegründung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Bescheid des Beklagten vom 9. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend bleibt folgendes anzumerken:
1.1. Soweit der Kläger ausführt, das Erstgericht habe den Einzelfall des Klägers nicht hinreichend gewürdigt, führt dies nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages.
Das erstinstanzliche Urteil enthält zwar – wie von dem Kläger zu Recht ausgeführt – zunächst allgemeine Ausführungen zur Szene der Reichsbürger und der von ihr vertretenen Ideologie und Verhaltensweisen, um hierauf aufbauend die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze darzustellen, wann eine der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnende Person die waffenrechtliche Zuverlässigkeit abgesprochen wird (UA Rn. 26 f.). Im Anschluss hieran würdigte das Verwaltungsgericht aber den konkreten Einzelfall des Klägers, insbesondere seine (schriftlichen) Äußerungen gegenüber dem Beklagten und seine Einlassungen im Anhörungs- und im gerichtlichen Verfahren, und kam hierbei zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme rechtfertigten, dass er der sogenannten Reichsbürgerbewegung zuzuordnen sei und sich die Ideologie der Reichsbürger zu eigen gemacht habe (UA Rn. 25). Die Beweiswürdigung des Erstgerichts, die sich der Senat zu eigen macht und die ergeben hat, dass der Kläger diesem Personenkreis zuzurechnen ist, ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Zulassungsverfahren nicht zu beanstanden. Das Erstgericht ordnete den Kläger vor allem deswegen der Szene der Reichsbürger zu, da er mehrfach eine für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Verhaltens- und Ausdrucksweise sowie deren typische Argumentationslinie verwendet habe. So wertete das Erstgericht zu Recht die Bitte des Klägers, seinen Personalausweis zu entwerten, weil er „kein Personal sei“, und seine gegenüber der Behörde geäußerte Ansicht, dass nicht das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), sondern nach wie vor das RuStAG 1913 gelte, als „reichsbürgertypisch“, da „Reichsbürger“ die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat bestreiten würden und der Auffassung seien, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besäßen bzw. aus dieser austreten könnten. In diesem Kontext sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts auch die Stellung eines Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit unter Hinweis auf das RuStAG 1913 vom 13. Juli 2016 zu sehen, in dem der Kläger zudem als weitere Staatsangehörigkeit „in Preußen seit Geburt erworben durch Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“ angegeben habe. Der Kläger habe seine in den dargelegten Äußerungen und Verhaltensweisen zum Ausdruck kommende innere Einstellung mehrfach, nachträglich und über einen längeren Zeitraum hinweg nach außen hin zu erkennen gegeben (UA Rn. 29).
1.2 Auch der Einwand des Klägers, die vom Erstgericht zitierten Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien zum einen keine Endentscheidungen und zum anderen mit seinem Fall nicht vergleichbar, da er sich erkennbar von den „verqueren Persönlichkeiten“ unterscheide, über deren Verfahren der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in den in Bezug genommen Fällen entschieden habe, geht fehl.
Der erkennende Senat hat zuletzt in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 30. Juli 2020 (Az. 24 BV 18.2500), also einer Endentscheidung, ausgesprochen, dass es Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind oder die sich deren ideologisches Gedankengut zu eigen gemacht und die sich später hiervon nicht glaubwürdig distanziert haben, an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit fehle; ein Waffenbesitzer, der durch sein von außen wahrnehmbares Verhalten eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung erkennen lasse und dadurch berechtigte Zweifel an seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit wecke, müsse diese Zweifel selbst entkräften. Die vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen stehen im Einklang mit dieser Rechtsprechung, auch wenn sie nur im Eil- oder im Prozesskostenhilfeverfahren ergangen sind. Der der genannten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Sachverhalt hat im Übrigen viele Gemeinsamkeiten mit dem hiesigen Sachverhalt: Auch der dortige Kläger beantragte die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises, ohne eine nachvollziehbare und plausible Erklärung anzugeben, wofür er diesen benötige, gab in dem Antrag als Geburtsort „Königreich Bayern“ an und berief sich hinsichtlich seiner Abstammung auf § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913.
1.3. Eine glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der Reichsbürger lässt sich der Zulassungsbegründung nicht entnehmen. Soweit er einräumt, er habe gegenüber der Ausgangsbehörde Wendungen, die er im Internet gefunden habe, ungeschickt verwendet, überzeugt sein Vortrag nicht. Das insgesamt aggressive und bestimmende Verhalten des Klägers im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprach in keiner Weise dem eines verunsicherten Bürgers, der sich versehentlich ungeschickt gegenüber einer Behörde verhält. Gleiches gilt für den Vortrag des Klägers, sein Verhalten sei seiner mit der Flüchtlingskrise 2015 einhergehenden Angst geschuldet. Schließlich lässt sich auch mit dem „angeborenen Patriotismus“ des Klägers weder seine Bitte auf Entwertung seines Personalausweises noch seine Berufung auf das RuStAG 1913 erklären.
1.4. Soweit der Kläger ausführen lässt, das erstinstanzliche Urteil habe nicht berücksichtigt, dass streitgegenständlich der Widerruf eines Kleinen Waffenscheins sei, von dem eine geringeres Gefährdungspotenzial ausgehe als von einem „großen“ Waffenschein, verkennt er, dass bei der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG i.V.m. § 5 WaffG nicht zu berücksichtigen ist, für welche Art der Waffe eine Erlaubnis erteilt wird; es findet eine ausschließlich personenbezogene Prüfung statt. Auch § 10 Abs. 4 WaffG ändert diesen Prüfungsmaßstab nicht. Aus dieser den Kleinen Waffenschein regelnden Vorschrift ergibt sich, dass eine entsprechende Erlaubnis ohne Sachkunde-, Bedürfnis- und Haftpflichtversicherungsnachweis (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 WaffG) erteilt wird; das Prüfprogramm enthält aber weiterhin (und uneingeschränkt) die Zuverlässigkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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