Verwaltungsrecht

Wegen Rechtswidrigkeit einer verlängerten Ausreisefrist erfolgreicher Eilantrag einer türkischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  Au 6 S 19.30156

Datum:
15.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2130
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 4, § 36 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 37

 

Leitsatz

Eine rechtliche Befugnis zur Verlängerung der Ausreisefrist bei unzulässigem Asylantrag besteht nicht mit der Folge der Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung bei Ausreisefristverlängerung. (Rn. 25 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (Au 6 K 19.30155) gegen die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 30. Januar 2019 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Klägerin und Antragstellerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt im Klageverfahren (Au 6 K 19.30155) nach Ablehnung ihres Asylantrags als offensichtlich unbegründet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote und im vorliegenden Antragsverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Albanien.
Die am … 1990 geborene Antragstellerin ist ausweislich ihres vorgelegten Reisepasses türkische Staatsangehörige (BAMF-Akte Bl. 128 ff.). Sie reiste am 11. April 2018 zusammen mit ihrem am … 1988 geborenen Ehemann, einem ausweislich seines vorgelegten Reisepasses sowohl türkischen als auch albanischen Staatsangehörigen (Parallelverfahren Au 6 S 19.30154; BAMF-Akte Bl. 78 ff., 91 ff.), und ihrem am … 2017 geborenen Sohn, einem albanischen Staatsangehörigen (Parallelverfahren Au 6 S 19.30158; hierzu BAMF-Akte Bl. 26 ff.), auf dem Luftweg in die Bundesrepublik ein und beantragte Asyl.
Bei ihrer auf Türkisch geführten Anhörung am 4. Mai 2018 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab die Antragstellerin im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 154 ff.), sie sei türkische Staatsangehörige. Einen albanischen Reisepass habe sie nicht, da man diesen erst bekomme, wenn man dort fünf Jahre gelebt habe oder wenn man dort geboren sei. Sie selbst habe nur zweieinhalb Jahre dort gelebt. Bis 2015 habe sie in der Türkei gelebt und sei dort zuletzt im August 2016 zu Urlaubszwecken gewesen. Sie sei in der Türkei elf Jahre zur Schule gegangen und habe anschließend Chemie und Lehramt studiert. Nach dem Studium habe sie drei Jahre als Lehrerin bei einer Nachhilfeeinrichtung und einer Schule der Gülen-Bewegung gearbeitet. Außerdem habe sie ein Konto bei der Bank … gehabt. 2015 habe sie geheiratet und sei nach Albanien zu ihrem Ehemann umgezogen. In Albanien sei sie Hausfrau gewesen; ihr Mann habe als Lehrer bei einer Schule der Gülen-Bewegung gearbeitet. Ihre wirtschaftliche Lage in Albanien sei für türkische Verhältnisse normal, für albanische Verhältnisse gut gewesen. Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte sie, dass ihr Mann gleich bei der Ankunft inhaftiert werde, weil man ihn angezeigt habe. Sie selbst werde wegen ihres Bankkontos verhaftet. Die Polizei sei auch zu ihrer Familie in der Türkei gekommen und habe nach ihnen gefragt. Vom Anwalt ihres Schwagers habe sie auch erfahren, dass die Akte ihres Mannes beim türkischen Außenministerium eingereicht worden sei. In Albanien habe es Türken gegeben, die gewusst hätten, dass sie zur Gülen-Bewegung gehörten, und die sie deswegen auf der Straße bedroht hätten. 2015 habe es zwischen der Türkei und Albanien einen Sicherheitsvertrag gegeben, wonach Gülen-Anhänger in die Türkei zurückgeschickt werden sollten. Auch der Ministerpräsident Albaniens habe erklärt, dass man Gülen-Anhänger in die Türkei zurückschicken werde. Einmal sei auf der Straße jemand zu ihnen gekommen und habe gemeint, man werde sie hier nicht mehr frei herumlaufen lassen. Das türkische Konsulat in Albanien habe sich außerdem geweigert, etwas für sie zu machen. Zudem liege Albanien nahe am Kosovo. Aus Angst habe sie kaum die Wohnung verlassen.
Bei seiner auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt am 4. Mai 2018 gab der Ehemann der Antragstellerin im Wesentlichen an (BAMF-Akten Bl. 163 ff.), er habe einen türkischen und einen albanischen Reisepass und damit eine doppelte Staatsbürgerschaft. Er sei in der Türkei aufgewachsen und dort zwölf Jahre zur Schule gegangen. Danach habe er sich ein Jahr lang auf ein Universitätsstudium vorbereitet und in dieser Zeit (Dezember 2006 bis September 2007) auch in einer Textilfabrik gearbeitet. 2008 sei er dann nach Albanien umgezogen und habe ein Fernstudium an einer türkischen Universität absolviert; er sei nur zu den Prüfungen in der Türkei gewesen. Neben dem Studium habe er schon als Lehrer gearbeitet, in Albanien noch einen Master in türkischer Sprache und Literatur gemacht und sei anschließend nach seinem Studium Türkischlehrer in Albanien geworden. Anlässlich seiner Heirat sei er das letzte Mal am 16. August 2015 in der Türkei gewesen. Zunächst habe er in Albanien eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gehabt; im Mai 2016 sei er dann albanischer Staatsbürger geworden. Seine wirtschaftliche Lage in Albanien sei gut gewesen. Sein Problem sei, dass es in der Türkei eine Anklage gegen ihn und weitere 22 Personen gebe. Er gehöre zur Gülen-Bewegung und habe für eine Schule der Gülen-Bewegung gearbeitet. Außerdem habe er ein Konto bei der Bank … gehabt. Im August 2017 sei das Haus seiner Eltern in der Türkei mit Steinen beworfen worden; wegen der Anklage gegen ihn sei auch die Polizei oft bei seiner Familie gewesen. Viele seiner Verwandten seien inhaftiert worden; manche nur für wenige Tage, manche seien immer noch in Haft. Sein Bruder und sein Onkel seien nach ihm befragt worden. Seine Akte sei abgetrennt und an das türkische Außenministerium weitergeleitet worden, da er im Ausland lebe. Es gebe gegen ihn auch einen Haftbefehl. Verwandte, die der Gülen-Bewegung angehörten, würden ausgegrenzt und unter Druck gesetzt; sein Bruder sei von sieben bis acht Leuten zusammengeschlagen worden und der Staat habe nichts dagegen unternommen. Seinem anderen Bruder, einem Polizisten, sei gekündigt worden und er habe nun Probleme, eine Arbeit zu finden. Auch gegen einen seiner Brüder gebe es einen Haftbefehl. Deshalb könne er, der Ehemann der Antragstellerin, nicht in die Türkei zurück. Zwischen Albanern und Türken bestehe eine kulturelle Nähe, weswegen viele Albaner türkische Nachrichten verfolgten und in der Türkei lebten. Wenn diese Albaner im Urlaub nach Albanien zurückkämen, hetzten sie gegen ihn. Auch der türkische Botschafter in Albanien hetze gegen sie und sage, dass er nicht aufhören werde, bis der letzte FETÖ-Anhänger eliminiert sei. 2015 habe es zwischen Albanien und der Türkei ein Sicherheitsabkommen gegen Gülen-Anhänger gegeben; auch die Staatsanwaltschaften der beiden Länder hätten entsprechende Abkommen geschlossen. Der albanische Ministerpräsident sehe in der Gülen-Bewegung eine Bedrohung. In Albanien gebe es auch radikale Gruppen, die sie bedrohten. Einmal seien sie beim Freitagsgebet eingesperrt und bedroht worden. Man habe ihnen gesagt, entweder sollten sie gehen oder sie müssten das ertragen, was man ihnen antue. Sie seien öfters von Personen provoziert und bedroht worden. Auch eine ihrer Schulen sei geschlossen worden. Die anderen fünf Schulen seien nicht geschlossen worden, aber die Schülerzahl habe sich mehr als halbiert. Um das Image der Schulen zu verbessern, habe man dort fast nur noch Albaner angestellt. Einige seiner Freunde mit albanischem Pass seien vom türkischen Geheimdienst im Kosovo entführt worden. Sein Chef sei selbst in die USA gegangen und habe ihm empfohlen, Albanien zu verlassen. Man habe auf den Straßen immer mehr Fahrzeuge gesehen, von denen er angenommen habe, dass sie zum türkischen Geheimdienst oder zum türkischen Staat gehörten. Da viele Türken Albanien verlassen hätten, seien sie immer mehr aufgefallen. Von einem Freund, der im türkischen Innenministerium arbeite, habe er erfahren, dass sein Name an das albanische Innenministerium übermittelt worden sei. In Albanien sei mit Geld alles möglich, deshalb fühle er sich unsicher. Auch das türkische Konsulat habe ihm nicht geholfen; er habe für seinen Sohn keinen türkischen Reisepass bekommen. Sein Sohn habe aber einen albanischen Reisepass bekommen. Er habe Angst, vom türkischen Geheimdienst entführt zu werden sowie Angst vor den radikalen Gruppen in Albanien. Albanien habe er am 11. April 2018 verlassen und sei in die Bundesrepublik geflogen. Dies sei möglich gewesen, da er und sein Sohn albanische Reisepässe und seine Frau ein Visum gehabt hätten.
Mit Bescheid vom 30. Januar 2019, zugestellt am 1. Februar 2019, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte die Antragstellerin zur Ausreise binnen 30 Tagen ab Bekanntgabe dieser Entscheidung auf, im Falle der Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens und drohte ihr widrigenfalls die Abschiebung nach Albanien oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG unzulässig sei, weil Albanien nach § 27 AsylG ein sonstiger aufnahmebereiter Drittstaat sei. Die Antragstellerin sei in Albanien vor politischer Verfolgung sicher. Eine Abschiebung in ihr Herkunftsland sei mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Die Antragstellerin habe sich bereits zweieinhalb Jahre in Albanien legal aufgehalten; ihr Ehemann und ihr Sohn seien albanische Staatsangehörige. Zudem habe die Antragstellerin mit einem nur kurzzeitigen Schengen-Visum aus Albanien ausreisen können, was zeige, dass sie ihre Wahlheimat Albanien sowohl verlassen als auch wieder dorthin zurückkehren könne. Eine Auslieferung der Antragstellerin in die Türkei sei nur bei Vorlage eines internationalen Haftbefehls basierend auf dem Bedingungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens möglich. Der Erlass eines solchen internationalen Haftbefehls sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes komme es zu keinen Festnahmen und Auslieferungen von Mitgliedern der Gülen-Bewegung in die Türkei. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Antragstellerin und ihr Ehemann verfügten über eine sehr gute Ausbildung und seien auch bisher in der Lage gewesen, eigenständig ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Abschiebungsandrohung sei nach §§ 35, 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG zu erlassen. Die Ausreisefrist werde nach § 38 Abs. 1 AsylG auf 30 Tage festgesetzt. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG für den Fall einer Abschiebung sei auf 30 Monate zu befristen. Schutzwürdige Belange seien ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich. In der beigefügten Rechtbehelfsbelehrung wurde auf die Möglichkeit einer Klageerhebung binnen zwei Wochen verwiesen.
Hiergegen ließ die Antragstellerin Klage (Au 6 K 19.30155) erheben, über die noch nicht entschieden ist, mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Asylverfahren aufzunehmen und über den Asylantrag der Antragstellerin in der Sache zu entscheiden, hilfsweise dazu, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festzustellen, hilfsweise das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben bzw. kürzer zu befristen und den Bescheid vom 30. Januar 2019 aufzuheben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegenstehe.
Weiter wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
In Albanien bestehe die konkrete Gefahr, dass die Antragstellerin von den dortigen Behörden an die Türkei ausgeliefert oder vom türkischen Geheimdienst entführt werde. Der Einfluss der Türkei auf Albanien sei groß. Im Kosovo seien bereits Gülen-Anhänger an die Türkei ausgeliefert bzw. entführt worden. Ein Abgeordneter der HDP habe bereits auf die Gefahr von Entführungen und Tötungen im Ausland hingewiesen; nach dessen Informationen seien insgesamt bereits 83 Personen aus verschiedenen Ländern in die Türkei entführt worden, u.a. auch aus Albanien, dem Kosovo und der Ukraine. Albanien sei daher für Gülen-Anhänger kein sicheres Herkunftsland. Nach dem Tenor des Bescheids sei davon auszugehen, dass die Klage aufschiebende Wirkung habe.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die am 7. Februar 2019 vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 3 AsylG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Der Antrag ist statthaft.
Zwar ist die Antragsgegnerin von den gesetzlichen Vorgaben des § 36 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG abgewichen, hat eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach § 38 Abs. 1 AsylG statt von einer Woche gesetzt und diese Ausreisefrist nach der Bescheidstenorierung ausdrücklich im Falle der Klageerhebung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens suspendiert. Doch handelt es sich insoweit um ein Verhalten contra legem: Das Bundesamt hätte eine sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung mit einer entsprechend kurzen Wochenfrist nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG setzen müssen. Da vorliegend ausweislich des eindeutigen Gesetzeswortlauts demnach kein Fall des § 38 AsylG vorliegt, kommt der Klage nach § 75 Abs. 1 AsylG von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zu und ist daher ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (so unter Verweis auf das Meistbegünstigungsprinzip im Ergebnis auch VG Ansbach, B.v. 27.11.2018 – AN 14 S 18.50864 – juris Rn. 13).
b) Die erforderliche Antragsbefugnis für die Anordnung ist gegeben.
Zwar wirkt sich die längere Ausreisefrist unmittelbar nicht zu Lasten, sondern zu Gunsten der Antragstellerin aus. Hier hat die Antragsgegnerin in Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe des § 36 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach § 38 Abs. 1 AsylG statt von einer Woche gesetzt und diese Ausreisefrist auch noch im Falle einer Klageerhebung suspendiert. Die Antragstellerin hat also deutlich mehr als nur eine Woche Zeit zur freiwilligen Ausreise, was sie in ihren Rechten analog § 42 Abs. 2 VwGO nicht beeinträchtigen kann.
Allerdings vermittelt das Rechtsschutzziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Antragstellerin über § 37 Abs. 1 AsylG einen prozessualen „Mehrwert“ gegenüber einer etwaigen behördlichen Vollzugsaussetzung und gegenüber einer aufschiebenden Wirkung der Klage, weil im Falle einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Eilverfahren die Abschiebungsandrohung bereits unwirksam wird, ohne dass es hierfür noch eines gerichtlichen Aufhebungsausspruchs in einem Klageverfahren bedürfte (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 19.6.2018 – A 5 K 1489/18 – juris Rn. 24). Dass diese Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens nicht nur öffentlichen Interessen an einer Abkürzung des Gerichtsverfahrens bei ernsthaften Zweifeln durch das Entfallen des Hauptsacheverfahrens, sondern auch subjektiven Rechten der betroffenen Antragstellerin dient, lässt sich zwar nicht unmittelbar den Gesetzesmaterialien entnehmen (vgl. BT-Drs.12/2062, S. 11 f., 34), da § 37 Abs. 1 AsylG nur § 10 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG (i.d.F. vom 16.7.1982, BGBl 1982 I, S. 946/947; dazu VG Berlin, B.v. 24.5.2018 – 6 L 132.18 A – juris Rn. 15) nachzeichnen soll, aber inhaltlich eine völlig andere Regelung trifft (damals sollte eine gerichtlich im Eilrechtsschutz beanstandete ausländerbehördliche Unbeachtlichkeitsentscheidung unwirksam werden und die Entscheidungskompetenz auf das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verlagern).
Der „Mehrwert“ einer subjektiven Rechtsposition liegt aber darin, dass im Fall einer gerichtlichen Anordnung die Antragstellerin die behördliche Fortführung des Asylverfahrens als gesetzliche Folge einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung erreicht (vgl. zu § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 37 AsylG BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – Pressemitteilung). Die Antragstellerin erlangt durch die Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG mithin die Eröffnung einer erneuten behördlichen Prüfung. Diese weitergehenden Rechtsfolgen dürfen der Antragstellerin nicht durch Umgehung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen genommen werden; für eine teleologische Reduzierung der Wirkungen des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG auf eine bloße Unwirksamkeit der Abschiebungsandrohung ist kein Raum (so VG Kassel, B.v. 3.9.2018 – 2 L 2184/18.KS.A – juris Rn. 22 m.w.N. zur Gegenansicht). Es ist Sache des Gesetzgebers, ggf. § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG anzupassen und Unklarheiten abschließend auszuräumen.
c) Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die Anordnung ist gegeben.
In der Rechtsprechung ist umstritten, ob in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Bundesamt in Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe des § 36 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach § 38 Abs. 1 AsylG setzt, noch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung besteht oder nicht (vgl. z.B. bejahend VG Berlin, B.v. 14.1.2019 – 28 L 619.18 A – juris Rn. 10; VG Ansbach, B.v. 27.11.2018 – AN 14 S 18.50864 – juris Rn. 16; VG Kassel, B.v. 3.9.2018 – 2 L 2184/18.KS.A – juris; verneinend VG Ansbach, B.v. 8.5.2018 – 17 S 18.50410 – juris). Bereits angesichts dieser unklaren Rechtslage ist der Antragstellerin unter dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag nicht abzusprechen, auch wenn nicht erkennbar ist, dass sich die Antragsgegnerin oder die Ausländerbehörde nicht an die im Bescheid tenorierte Aussetzung zu halten gewillt sind, was bereits die Voraussetzung für eine – gegenüber der hiesigen Anordnung der aufschiebenden Wirkung mindere – gerichtliche Feststellung einer aufschiebenden Wirkung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO ist (vgl. Windthorst in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 80 Rn. 249; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 109).
Eine solche bloße Feststellung würde hier jedoch dem gesetzlichen Regelungssystem widersprechen, das einer gerichtlichen Anordnung über § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine im Vergleich zur regulären Vollzugsaussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO weiterreichende Wirkung zuspricht. § 36 Abs. 3 und § 37 Abs. 1 AsylG sind insoweit leges speciales gegenüber § 80 Abs. 5 VwGO. Die Antragstellerin hat einen prozessualen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in den gesetzlich vorgesehenen Formen, hier also einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung (vgl. VG Kassel, B.v. 3.9.2018 – 2 L 2184/18.KS.A – juris Rn. 6 f., 13 ff. m.w.N. auch zur Gegenansicht z.B. von VG Ansbach, B.v. 8.5.2018 – 17 S 18.50410 – ebenda).
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung.
Nachdem diese Regelung und die damit verbundene gesetzlich vorgesehene Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) die Folgen aus der qualifizierten Asylablehnung sind, ist Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Überlegungen zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs die Prüfung, ob die für eine Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel vorliegen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies bedeutet, dass die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden darf, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 – DVBl 1996, 729).
b) Im vorliegenden Eilverfahren ist davon auszugehen, dass das Bundesamt die Vollziehung der Ausreisepflicht unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben ausgesetzt hat. Folglich bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der diesbezüglichen Ausreisefrist und damit ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Hier hat die Antragsgegnerin in Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe des § 36 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach Abschluss des Klageverfahrens statt eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt. Eine rechtliche Befugnis hierzu ist nicht ersichtlich, da § 36 Abs. 1 AsylG insoweit lex specialis für den Fall eines nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG unzulässigen Asylantrags ist, die § 38 Abs. 1 AsylG verdrängt. Da die Abschiebungsandrohung aber an die gesetzte Ausreisefrist anknüpft und von dieser nicht getrennt werden kann, ohne dem Betroffenen die zwangsmittelvermeidende Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise zu nehmen, wirkt sich die objektive Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung aus, an deren Rechtmäßigkeit somit ernstliche Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 AsylG bestehen. Die Praxis des Bundesamtes, bei Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 AsylG unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG die Abschiebungsandrohung mit einer bei Klageerhebung erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden, steht objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – Pressemitteilung).
c) Demgegenüber kann offen bleiben, ob auch Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig sind oder ob sie sich im Rahmen der vom Bundesamt nach § 37 Abs. 1 AsylG gebotenen erneuten Prüfung als rechtmäßig erweisen.
Nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist die Aussetzung der Abschiebung dann anzuordnen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes umfasst ausweislich des Wortlautes und der Regelung in § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG („gegen die Abschiebungsandrohung“) auch die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der mit der Abschiebungsandrohung untrennbar verknüpften Ausreisefrist. Insoweit hat eine Aussetzung der Abschiebung auch dann zu erfolgen, wenn (lediglich) die Abschiebungsandrohung und die mit ihr verknüpfte Ausreisefrist rechtswidrig sind, auch wenn sich der Bescheid im Übrigen als rechtmäßig erweisen sollte. Im Übrigen erscheint eine Aussetzung der Abschiebung auch im Hinblick auf Praxis des Bundesamtes, § 37 AsylG durch die Setzung rechtswidrig zu langer Ausreisefristen zu umgehen, geboten.
d) Daher hat das Bundesamt seine Entscheidung erneut zu treffen und – sollte es an der Unzulässigkeit des Asylantrags festhalten – eine neue gesetzeskonforme Ausreisefrist und Abschiebungsandrohung zu setzen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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