Verwaltungsrecht

Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis bei Zugehörigkeit zu einem Motorradclub

Aktenzeichen  24 BV 19.510

Datum:
5.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26765
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5, § 45 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG § 24 Abs. 1 S. 2, § 45 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit wegen Zugehörigkeit zur Führung eines Motorradclubs setzt voraus, dass festgestellte Umstände eine Verbindung der Vereinigung zur Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) ergeben.  (Rn. 15)(Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit wegen Zugehörigkeit zu einem Motorradclub setzt dessen Tätigwerden auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität oder schwere Straftaten der Mitglieder der Vereinigung voraus. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 16.321 2018-12-06 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über den Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse.
Der Kläger ist seit seinem zehnten Lebensjahr Sportschütze. Er ist Mitglied des Motorradclubs Blood Red Section MC L. (im Folgenden MCL). Dort hat er die Funktion eines „Sectretary“ inne. Auf seiner Motorradjacke ist ein sog. 1%-Aufnäher angebracht.
Nach vorheriger Anhörung widerrief der Beklagte mit Bescheid vom 30. März 2016 u.a. die dem Kläger erteilten Waffenbesitzkarten und den ihm erteilten kleinen Waffenschein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 28.1.2015 – 6 C 2.14) folge, dass alle Mitglieder einer OMCG waffenrechtlich unzuverlässig seien. Die tragenden Gründe dieser Rechtsprechung ließen sich auch auf Mitglieder eines SC übertragen. Diese Gruppierungen zeichneten sich ebenfalls durch eine streng hierarchische Struktur aus. Die Gruppe werde über alles gestellt und wenn nötig mittels Gewalt verteidigt. Der MCL sei ein SC der Hells Angels MC Hof City (im Folgenden MCH) und in dieser Unterstützer-Funktion diesem weisungsgebunden unterstellt.
Auf die hiergegen erhobene Anfechtungsklage des Klägers hin hob das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 6. Dezember 2018 den Bescheid des Beklagten vom 30. März 2016 auf. Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers könne nicht allein aus dem Umstand hergeleitet werden, dass er Mitglied eines SC einer OMCG sei. Auch aufgrund einer Prüfung der konkreten Verhältnisse des hier vorliegenden Einzelfalls unter Berücksichtigung der durchgeführten gerichtlichen Beweisaufnahme lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers vor.
Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten. Es sei bedeutungslos, dass der MCL selbst keine OMCG sei. Im Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 werde er jedenfalls als SC einer OMCG genannt. Zum unterstützten Club bestehe eine enge Verbindung. Dies habe auch die Beweisaufnahme des Verwaltungsgerichts ergeben. Im Übrigen sei es unglaubhaft, dass sich – wie von den einvernommenen Zeugen angegeben – die Unterstützertätigkeit ausschließlich auf drei- bis viermalige Treffen im Jahr sowie auf eine gemeinsame Ausfahrt am 1. Mai des jeweiligen Jahres beschränke. Das Tragen eines 1%-Abzeichens sei als Ausdruck einer rechtsfeindlichen Gesinnung anzusehen.
Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Bevollmächtigten des Klägers verteidigen das angegriffene Urteil. Sie beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 10. August 2020 zur beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO angehört.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung des Beklagten nach entsprechender Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der angefochtene Bescheid vom 30. März 2016 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, sodass er aufgehoben werden muss (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Berufung war daher zurückzuweisen.
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer waffenrechtlichen Widerrufs- bzw. Rücknahmeentscheidung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier der Bescheidserlass am 30. März 2016 (BayVGH, B.v. 5.1.2018 – 21 CS 17.1521). Rechtsgrundlage für den belastenden Bescheid ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG, wonach eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen ist, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis setzt nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG voraus, dass der Betroffene die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG besitzt. Letzteres ist u.a. dann – worauf der streitgegenständliche Bescheid abhebt – nicht der Fall, falls Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Betroffene Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden oder Personen überlassen wird, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und c WaffG).
a) Bei der Prüfung, ob der Kläger waffenrechtlich unzuverlässig im Sinne dieser Bestimmungen ist, ist dem Beklagten bereits ein verfahrensrechtlicher Fehler unterlaufen. Eine die erforderliche Zuverlässigkeit negativ bewertende Entscheidung lässt sich auf die hier in Bezug genommenen prognostizierenden Tatbestände nur stützen, wenn entsprechende Tatsachen von erheblichem Gewicht die Annahme der Unzuverlässigkeit des Betroffenen rechtfertigen (Lehmann, Aktuelles Waffenrecht, Loseblattkommentar, § 5 WaffG, Rn. 47). Zwar setzt der Mangel der Zuverlässigkeit nicht den Nachweis voraus, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht verantwortungsbewusst umgehen wird (BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 30.13). Dennoch ist die Prüfung, ob es an der erforderlichen Zuverlässigkeit fehlt, auf der Basis der Bewertung aller Tatsachen vorzunehmen, die für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung von Bedeutung sein können (BayVGH, B.v. 7.4.2003 – 21 CS 02. 3210). Im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht hat dieser Grundsatz seinen Niederschlag in Art. 24 Abs. 1 und 2 BayVwVfG gefunden, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen hat. Hieran fehlt es in diesem Fall. Dieser Verfahrensfehler ist auch nicht bis zur Entscheidung des Senats geheilt worden (Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG), obwohl die Beteiligten in der Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO auf die nach Ansicht des Senats bislang fehlende ausreichende Sachverhaltsaufklärung hingewiesen wurden. Es ist auch nicht offensichtlich, dass der streitgegenständliche Bescheid auch bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsaufklärung durch den Beklagten in gleicher Form erlassen worden wäre, sodass kein Fall einer Unbeachtlichkeit nach Art. 46 BayVwVfG vorliegt (OVG Münster, U.v. 13.10.1988 – 11 A 2734/86).
Der streitgegenständliche Bescheid stützt die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausschließlich auf den Umstand, dass er Mitglied in herausgehobener Position des MCL sei, bei dem es sich um einen SC einer OMCG handle. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien alle Mitglieder, also auch einfache Mitglieder einer OMCG als waffenrechtlich unzuverlässig anzusehen. Die tragenden Gründe dieser Rechtsprechung ließen sich auch auf Mitglieder eines SC übertragen. Auch die SC zeichneten sich durch eine streng hierarchische Struktur aus. Die Gruppe werde über alles gestellt und wenn nötig mittels Gewalt verteidigt. Aufgrund des hohen Loyalitätsdrucks erscheine es möglich, dass ein Mitglied eines SC einheitsübergreifende Unterstützung bei Auseinandersetzungen leiste. Es könne daher der Fall eintreten, dass legal besessene Waffen in einem solchen Fall der OMCG zur Verfügung gestellt würden.
Zwar ist zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. U.v. 28.1.2015 – 6 C 2.14) die bloße Mitgliedschaft in bestimmten regionalen Vereinigungen der Rockergruppierung „Bandidos“ die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit auch dann rechtfertigt, wenn sonst keine Tatsachen hierfür sprechen oder sogar die bisherige Unbescholtenheit des Betroffenen dagegen spreche. Diese Schlussfolgerung leitet das Bundesverwaltungsgericht aus der Annahme her, dass in der Rockergruppierung „Bandidos“, die in erheblichem Maße auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität tätig sei und deren Mitglieder in der Vergangenheit zahlreiche schwere bis schwerste Straftaten begangen hätten, eine derart strikte Hierarchie herrsche, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr bestehe, dass ein Mitglied dieser Gruppierung, das legal eine Waffe besitzt, diese selbst zu illegalen Zwecken einsetze oder aber sie illegal einem Nichtberechtigten überlasse.
Diese zu bestimmten regionalen Vereinigungen der Rockergruppierung „Bandidos“ ergangene Rechtsprechung mag auf die Rockergruppierung „Hells Angels“ übertragbar sein. Jedoch würde eine Gleichsetzung eines SC mit einer OMCG voraussetzen, dass auch in Bezug auf jeden SC, der eine OMCG unterstützt oder jedenfalls in Bezug auf den hier in Rede stehenden SC die gleichen tatsächlichen Feststellungen getroffen wurden, die für die Rockergruppierung „Bandidos“ zu den oben dargestellten waffenrechtlichen Schlussfolgerungen geführt haben. Im Wesentlichen müsste der Beklagte deshalb belastbar festgestellt haben, dass der SC MCL entweder selbst in erheblichem Maße auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität tätig ist, seine Mitglieder in der Vergangenheit zahlreiche schwere bis schwerste Straftaten begangen haben und innerhalb des SC MCL eine einer OMCG vergleichbar strikte Hierarchie herrscht oder aber dort in Bezug auf die unterstützte OMCG eine strikte Hierarchie herrscht, die dazu führt, dass letztlich zwischen den Mitgliedern des SC und denjenigen der unterstützten OMCG kein Unterschied zu machen ist. An beidem fehlt es jedoch.
Grundlage der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts waren die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die als bindend angesehen wurden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Vorinstanz (BayVGH, U.v. 10.10.2013 – 21 B 12.960) hat in ihrer Entscheidung unter Auswertung der zur Verfügung stehenden Beweis- und Erkenntnismittel ausführlich und insbesondere unter Berücksichtigung der Gründungsgeschichte, der nachgewiesenen Nähe einzelner Mitglieder zur organisierten Kriminalität, der Ausführungen in Verfassungsschutzberichten zur Rockerkriminalität allgemein, zur Rivalität unter den verschiedenen OMCG und zu den Verbindungen der OMCG zur rechtsextremen Szene sowie der Kriminalstatistik betreffend die OMCG dargelegt, warum bei einem Mitglied der Rockergruppierung „Bandidos“ die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gerechtfertigt ist. Eine solche Entscheidungsgrundlage hat der Beklagte in Bezug auf den hier in Rede stehenden SC nicht ermittelt.
aa) Es bestehen unter Berücksichtigung der behördlichen Sachverhaltsaufklärung schon keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der SC MCL entweder selbst in erheblichem Maße auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität tätig ist oder seine Mitglieder in der Vergangenheit zahlreiche schwere bis schwerste Straftaten begangen haben. Die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids lässt dergleichen nicht erkennen. Auch aus dem sonstigen Akteninhalt ergeben sich hierfür keine hinreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere ist der MCL nach der Rechtsprechung selbst nicht als OMCG einzustufen. (BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 2.14; BayVGH, U.v. 10.10.2013 – 21 B 12.960). Auch im Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, in dessen Berichtszeitraum der streitgegenständliche Bescheid erlassen wurde, wird bei der Darstellung der Rockerkriminalität im Zusammenhang mit der Aufzählung der OMCG der MCL nicht aufgeführt. Nur den Mitgliedern einer OMCG werden dort typische Delikte organisierter Kriminalität zugeschrieben. Ausweislich des Schreibens des Bayerischen Landeskriminalamts vom 5. Mai 2015 (Bl. 33 d. BA.) sind – im Unterschied zu dort genannten anderen Rockergruppierungen – keine waffenrechtlichen Verstöße unter Beteiligung des MCL bekannt. Nach Mitteilung der KPI (Z) Unterfranken vom 2. August 2016 (Bl. 76 ff. d. BA.) gehöre es zur Philosophie des MCH und des MCL, grundsätzlich ein möglichst positives Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit abzugeben. Dazu zähle auch, Straftaten zu vermeiden. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, dass es ausweislich dieser Mitteilung zu mindestens drei öffentlichkeitswirksamen Körperverletzungsdelikten im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Rockergruppierungen, an der grundsätzlich auch der MCL beteiligt gewesen sei, gekommen sei. Denn bei vereinzelten Körperverletzungsdelikten handelt es sich nicht um die Begehung zahlreicher schwerer bzw. schwerster Straftaten. Zwar bewegt sich ebenfalls ausweislich dieser Mitteilung der Kläger selbst als Betreiber eines Bordells im „Rotlichtmilieu“, jedoch lässt sich aus diesem Umstand allein keine hinreichende Verwicklung des MCL in die organisierte Kriminalität entnehmen. Schließlich kann auch die Tatsache, dass sich der MCL ausweislich seiner Satzung als „1%-Club“ ansieht, nichts Anderes belegen. Aus dem Akteninhalt ergibt sich kein einziger nachvollziehbarer Anhaltspunkt dafür, dass Vereinigungen oder Personen im Motorradclubmilieu, die sich selbst als „1-Prozenter“ bezeichnen oder entsprechende Symbole verwenden, tatsächlich außerhalb des Gesetzes stehen und vor diesem Hintergrund die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie sich nicht an geltendes Recht halten werden. Im Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 heißt es zwar insoweit: „Die OMCGs bezeichnen sich selbst als 1-Prozenter. Darunter versteht man Biker (Motorradfahrer), die sich selbst als Outlaws (Gesetzlose) sehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen. Auch in Bayern begehen Mitglieder dieser OMCGs typische OK-Delikte wie Rauschgifthandel, Bedrohung oder Körperverletzung.“ Diese Passage ist jedoch ersichtlich auf die OMCG gemünzt, die sich ausnahmslos als „1-Prozenter“ bezeichnen. Zudem ergibt sich hieraus nicht, dass jeder Motorradfahrer, der sich als 1-Prozenter versteht, typische Delikte der organisierten Kriminalität begeht. Schließlich fehlt jede Auseinandersetzung damit, ob es sich insoweit tatsächlich um eine ernst gemeinte Erklärung, die geltende Rechtsordnung nicht akzeptieren zu wollen oder vielmehr eher um die ideelle Verklärung eines Mythos aus der Rocker-Geschichte handelt, die keinerlei Konsequenzen für das Verhalten im Alltag hat. Für letzteres spricht beispielsweise die Darstellung in „Alles über Rocker, die Gesetze, die Geschichte, die Maschinen“, 2009, S. 77 ff. (Bl. 42 ff. d. GA.).
bb) Es fehlen aber auch ausreichende Feststellungen dazu, dass bei dem MCL in Bezug auf die unterstützte OMCG eine so strikte Hierarchie bzw. Abhängigkeit herrscht, die dazu führt, dass letztlich zwischen den Mitgliedern des SC und denjenigen der unterstützten OMCG kein Unterschied zu machen ist mit der Folge, dass die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit sich nicht nur auf Mitglieder der OMCG, sondern auch auf diejenigen des SC erstreckt. Allein aus dem Umstand, dass der MCL ausweislich seiner Satzung als SC einer OMCG „firmiert“, sie also – in welchem Umfang auch immer – unterstützt, kann nicht darauf geschlossen werden, dass zum einen in der unterstützenden Vereinigung selbst ähnliche Hierarchien und Strukturen vorherrschen wie in der unterstützten Vereinigung selbst und zum anderen ohne weiteres ein Durch- bzw. Zugriff der unterstützten Vereinigung auf die Hierarchien und Strukturen der unterstützenden Vereinigung möglich ist. Für diese Annahme wäre es vielmehr erforderlich gewesen, die Hierarchien und Strukturen im MCL selbst und im Verhältnis zur unterstützten Vereinigung im Einzelnen aufzuklären und darzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 28.1.2015 – 6 C 2.14) ist Voraussetzung für die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, dass bestimmte Strukturmerkmale der Gruppe die Annahme rechtfertigen, dass gerade auch die Person, die in Rede steht, künftig Verhaltensweisen verwirklichen wird, die den Schluss auf die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit tragen. Hierfür ist nicht ausreichend, dass – wie die Berufungsbegründung ausführt – der MCL dem MCH in einem Einzelfall sein eigenes Clubhaus zur Durchführung einer wichtigen Veranstaltung überlassen hat. Zwar wird der MCL im Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 als Unterstützergruppierung des Hells Angels MC Bayern bezeichnet. Ausführungen zur Qualität der Verbundenheit und Vernetzung des MCL zum MCH bzw. zum Loyalitätsdruck gegenüber dem MCL sind dort aber nicht enthalten. Insbesondere sind dem Verfassungsschutzbericht keine Feststellungen zu der Frage zu entnehmen, ob diese Unterstützergruppierungen dieselben internen Strukturmerkmale aufweisen wie eine OMCG, die sie unterstützen und ob auch im Verhältnis zu der OMCG die genannten besonderen Gruppenmerkmale vorliegen.
2. Selbst wenn man entgegen der vom Senat vertretenen Ansicht den verfahrensrechtlichen Fehler der mangelnden Sachverhaltsaufklärung vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis um eine gebundene Entscheidung handelt, als unbeachtlich ansehen wollte, ist das Verwaltungsgericht aufgrund der von ihm selbst durchgeführten Sachverhaltsaufklärung in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers vorliegen. Die Beweiserhebung des Verwaltungsgerichts hat für den Senat nachvollziehbar ergeben, dass im konkreten Fall des SC, dem der Kläger angehört, weder von einer Gleichstellung zu einer OMCG in Bezug auf die Verwicklung in die organisierte Kriminalität und die häufige Begehung schwerer und schwerster Straftaten noch von einer solchen starken Verbundenheit und strikten Hierarchie im Verhältnis zur unterstützten OMCG auszugehen ist, die es rechtfertigen würde, die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für eine OMCG entwickelten Grundsätze auf den MCL zu übertragen. Zudem ist das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung seiner gerichtlichen Sachverhaltsermittlung nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass auch im Einzelfall des Klägers dessen „Bekenntnis“ zur „1-Prozenter-Szene“ nicht als Ausdruck einer rechtsfeindlichen Gesinnung anzusehen ist. Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht nach seinem Ermessen nicht wiederholt zu werden, was sich insbesondere für die Beweisaufnahme in der Form einer Zeugeneinvernahme oder einer informatorischen Anhörung aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO ergibt. Außerdem hebt die Beklagte in ihrer Stellungnahme auf die Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO vom 1. September 2020 ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht als grundsätzlich angenommene Frage, ob alle Mitglieder eines SC, der eine OMCG unterstützt, ohne weiteres als waffenrechtlich unzuverlässig anzusehen sind, ab und stellt damit gerade nicht auf den hier zu entscheidenden Einzelfall und eine etwaige weitere Beweisaufnahme hierzu ab. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht neben der Vernehmung der von ihm gehörten Zeugen sich aufdrängende Beweismittel nicht ausgeschöpft hat. Von einer weiteren Begründung wird deshalb gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO abgesehen.
Im Hinblick auf die Berufungsbegründung wird ergänzend folgendes ausgeführt: Es kann keine Rede davon sein, dass das Verwaltungsgericht den Angaben der einvernommenen Zeugen, die dem MCL bzw. dem MCH angehören, „einfach geglaubt“ hat. Es hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihm bewusst sei, dass die genannten Zeugen darauf bedacht sein dürften, dem negativen Image, dass die Öffentlichkeit von Motorrad-Rockerclubs habe, gerade nicht zu entsprechen und ihre Clubs daher auch in einem guten Licht erscheinen lassen wollten. Vor diesem Hintergrund hat es die insoweit gemachten Angaben mit der Aussage des einvernommenen polizeilichen Zeugen verglichen, konnte aber keine grundlegenden Widersprüche erkennen (S. 13 f. d. UA.), was aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden und eine erneute Zeugeneinvernahme bzw. informatorische Anhörung deshalb entbehrlich ist. Insgesamt teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach trotz des Umstands, dass sich die Mitglieder des MCL und des MCH gegenseitig als „Motorradbrüder“ betrachten, eine tatsächliche Dominanz des MCL durch den MCH und damit auch ein weisungsgebundenes Hierarchieverhältnis nicht festgestellt werden kann. Das gilt ebenso für das Ergebnis, dass zwar unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Rockerbewegung allen Motorrad-Clubs, die sich der „1-Prozenter-Bewegung“ zugehörig oder verbunden fühlen, gemein sein dürfte, dass bei ihnen ein besonderer Gemeinschaftsgeist herrscht und eine Disziplin erwartet wird, die über das Maß eines gewöhnlichen Vereinslebens hinausgeht. Jedoch erscheint es nicht gerechtfertigt, hieraus zu schließen, dass die bestehende Rechtsordnung abgelehnt wird und eine potentielle Bereitschaft besteht, kriminelle Handlungen zu begehen. Das Pflegen eines Lebensstils, der mehrheitlich als unüblich oder unangepasst empfunden wird, steht nicht außerhalb der Rechtsordnung. Im Übrigen sprechen die Angaben, die der Kläger und die einvernommenen Zeugen zu dem Thema „1-Prozenter-Bewegung“ gemacht haben, auch dafür, dass es sich zumindest teilweise um eine – wie oben beschrieben – ideelle Verklärung eines Mythos aus der Rocker-Geschichte handelt.
3. Nachdem der Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers damit rechtswidrig ist und aufzuheben war, können auch die Nebenentscheidungen im streitgegenständlichen Bescheid keinen Bestand haben.
4. Danach war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO, die Nichtzulassung der Revision auf § 130a, § 125 Abs. 2 Satz 4, § 132 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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