Verwaltungsrecht

Widerruf der Zuteilung eines roten Kennzeichens

Aktenzeichen  B 1 K 19.233

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19896
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FZV § 16 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
II.
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Widerruf der Zuteilung des roten Kennzeichens (* …*) durch den Bescheid vom 8. Februar 2019 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die dagegen gerichtete Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht nimmt insoweit auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug und sieht von einer gesonderten Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend hierzu ist zum Klagevorbringen sowie zur Sache noch das Folgende auszuführen:
a) Rote Kennzeichen und besondere Fahrzeugscheinhefte für Fahrzeuge mit roten Kennzeichen nach Anlage 9 können gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) durch die örtlich zuständige Zulassungsbehörde zuverlässigen Kraftfahrzeugherstellern, Kraftfahrzeugteileherstellern, Kraftfahrzeugwerkstätten und Kraftfahrzeughändlern befristet oder widerruflich zur wiederkehrenden betrieblichen Verwendung, auch an unterschiedlichen Fahrzeugen, zugeteilt werden.
Soweit die erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben ist, kann die Zuteilung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 FZV i.V.m. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Hiernach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt – auch nachdem er unanfechtbar geworden ist – ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
b) Der Widerruf kann rechtsfehlerfrei auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG gestützt werden, da nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die den Beklagten berechtigt hätten, die Zuteilung des roten Kennzeichens an den Kläger zu verweigern. Bei dem Kläger ist das gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 FZV erforderliche Merkmal der Zuverlässigkeit nicht länger gegeben.
Die Zuverlässigkeit i.S.v. § 16 Abs. 2 Satz 1 FZV orientiert sich am Schutzzweck der Norm. Die roten Kennzeichen werden zur Erleichterung des gewerblichen Verkehrs ausgegeben. Es soll vermieden werden, dass ein Gewerbetreibender, der mit einer Vielzahl von nicht zugelassenen Kraftfahrzeugen zu tun hat, in jedem Einzelfall bei der Zulassungsstelle einen Antrag auf Erteilung eines Kennzeichens stellen muss. Dies dient der Privilegierung des betroffenen Personenkreises und der Verwaltungsvereinfachung. Das Kriterium der Zuverlässigkeit bildet hierbei eine wichtige Voraussetzung, da der Kennzeicheninhaber selbst über die jeweils zweckgebundene Zulassung eines Kraftfahrzeugs entscheidet und Angaben über das jeweilige Fahrzeug und den Zweck der vorübergehenden Zulassung lediglich in einem Fahrtenverzeichnis festzuhalten hat. Die Zuverlässigkeit ist in Anbetracht dieses Schutzzwecks regelmäßig in Frage zu stellen, wenn der jeweilige Antragsteller entweder gegen einschlägige Vorschriften im Umgang mit dem roten Kennzeichen verstoßen hat oder Verstöße gegen Verkehrsvorschriften bzw. Strafvorschriften begangen hat, die ihrerseits eine missbräuchliche Verwendung von roten Dauerkennzeichen vermuten lassen, oder wenn hinsichtlich des ordnungsgemäßen Führens seines Gewerbebetriebs sonstige Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten zutage treten, die eine derartige Vermutung begründen (VG Augsburg, U.v. 7.7. 2015 – Au 3 K 15.22 – juris unter Zitierung folgender Rechtsprechung: OVG NW, B.v. 10.4.2012 – 8 B 209/12 – juris Rn. 4 f.; B.v. 4.11.1992 – 13 B 3083/92 – NVwZ-RR 1993, 218 – juris Rn. 7-15; VG Augsburg, U.v. 19.5.2009 – Au 3 K 08.1437 – juris Rn. 22; U.v. 20.2.2009 – Au 3 K 08.1399 – juris Rn. 23; VG Ansbach, B.v. 5.7.2013 – AN 10 S 13.985 – juris Rn. 23).
Der Kläger hat in sieben Fällen trotz Untersagung (durch sofort vollziehbaren Bescheid vom 8. November 2018) vom roten Dauerkennzeichen Gebrauch gemacht. In all diesen Fällen bestand der nach § 1 des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (PflVG) erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht. Der Versicherungsschutz endete am 7. November 2018 (Blatt 1 der Behördenakte) und begann erst wieder am 6. Dezember 2018 (Blatt 11 der Behördenakte). Der Gebrauch des Fahrzeugs ist gemäß § 6 Abs. 1 PflVG in diesen Fällen unter Strafe gestellt. Handelt der Täter fahrlässig, so ist dies nach § 6 Abs. 2 PflVG ebenfalls strafbar. Der Kläger hat somit gegen Strafvorschriften verstoßen, die die missbräuchliche Verwendung von roten Dauerkennzeichen vermuten lassen. Durch die vorher erfolgte sofort vollziehbare Untersagung, das rote Dauerkennzeichen zu gebrauchen, hat der Kläger gegen Vorschriften verstoßen, die den Umgang mit dem roten Kennzeichen regeln. Selbst wenn der Kläger fahrlässig die Versicherungsprämie nicht entrichtet haben sollte, so handelte er zumindest vorsätzlich der sofort vollziehbaren Untersagung zuwider (vgl. auch Ausführungen unter e). Hierbei entschuldigt eine fahrlässige Nichtbezahlung der Versicherungsprämie nicht. Eine Verpflichtung mit Bezug zum roten Dauerkennzeichen ist die Einhaltung der Vorschriften über die Pflichtversicherung. In Anbetracht der Tatsache, dass bei einer etwaigen Unfallverursachung durch ein nichtversichertes Fahrzeug der Geschädigte womöglich auf immensen Kosten „sitzen bleibt“, ist eine Verletzung der Versicherungspflicht bei der Zuverlässigkeitsprüfung als besonders schwerwiegend anzusehen (VG Augsburg, U.v. 14.10.2003 – Au 3 K 03.1133 – juris).
Auch die weitere Tatbestandvoraussetzung des Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG, dass ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde, ist somit erfüllt. Der Widerruf ist zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses, d.h. zur Beseitigung eines sonst drohenden Schadens für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten.
c) Der Beklagte hat die Zuteilung des roten Dauerkennzeichens gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung vom Fehlverhalten des Klägers widerrufen.
d) Der Widerruf ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. Zwar handelte es sich bei den Verstößen um einen relativ kurzen Zeitraum. Auch gab der Kläger zu bedenken, dass er erstmals die Versicherungsprämie nicht entrichtet habe. Angesichts der vorab angeordneten Untersagung des Gebrauchs des Dauerkennzeichens handelte der Kläger aber hinsichtlich der Fahrten (ab Zustellung des Bescheids vom 8. November 2018) vorsätzlich. Das Fahrtenbuch und das Fahrzeugscheinheft legte der Kläger erst nach nochmaliger Aufforderung (durch den Beklagten mit Schreiben vom 30. November 2018) vor. Auf Grund dieses vorsätzlichen und verzögernden Verhaltens ist zu befürchten, dass es auch künftig zu Verfehlungen im Zusammenhang mit der Nutzung des roten Dauerkennzeichens kommen wird. Diesen kann verlässlich nur dadurch begegnet werden, dass dessen Zuteilung widerrufen wird.
Der Widerruf ist in Anbetracht der von dem Kläger geltend gemachten wirtschaftlichen Nachteile für seinen gewerblichen Betrieb und sonstigen finanziellen Belastungen nicht unangemessen. So entspricht es der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Gewerberecht, dass sogar eine Gewerbeuntersagung i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbeordnung (GewO), die zur Verhinderung der gewerblichen Betätigung eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden erforderlich ist, grundsätzlich nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne ist; nur in ganz extremen Ausnahmefällen mag trotz Unzuverlässigkeit und trotz Untersagungserforderlichkeit der Einwand der Verletzung des Übermaßverbotes mit Erfolg erhoben werden können. Ein solcher Ausnahmefall wird jedoch angesichts des Schutzzwecks einer Gewerbeuntersagung selbst dadurch nicht begründet, dass ein Gewerbetreibender hierdurch sozialhilfebedürftig zu werden droht (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1991 – 1 B 10.91 – NVwZ-RR 1991, 408 – juris Rn. 4).
Ein extremer Ausnahmefall in diesem Sinn liegt nicht vor. Zudem wird dem Kläger durch den Widerruf die Gewerbeausübung nicht unmöglich gemacht; sie wird lediglich in der Art ihrer Durchführung erschwert und es entstehen ihm zusätzliche finanzielle Belastungen. Zwar mag es für den Kläger und die Ausübung seines Gewerbes hinderlich und zeitraubend sein, nunmehr für jede einzelne Probe- und Überführungsfahrt in einem eigenständigen Vorgang die Zuteilung eines Kennzeichens zu beantragen. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit, deren Schutz der Widerruf der Zuteilung nach § 16 Abs. 2 FZV bezweckt, sind diese Folgen des Widerrufs vom Kläger jedoch hinzunehmen (VG Augsburg, U.v. 7.7.2015 – Au 3 K 15.22 – juris).
e) Der gegenständliche Widerruf der Zuteilung der roten Dauerkennzeichen ist ermessensfehlerfrei erfolgt.
Der Beklagte ging bei Erlass des Bescheids von einer Ermessensreduktion auf Null aus. Erweist sich der Inhaber eines roten Kennzeichens als unzuverlässig, kommt grundsätzlich nur der Widerruf der Zuteilung in Betracht. Ein Absehen vom Widerruf in Ausübung behördlichen Ermessens würde eine außergewöhnliche Interessenlage des Betroffenen voraussetzen, die das öffentliche Interesse am Widerruf überwiegen würde (VG Augsburg, U.v. 7.7.2015 – Au 3 K 15.22 – juris, VG Stade, U.v. 12.2.2018 – 1 A 364/16 – juris). Diese Rechtsprechung zeigt, dass nicht in jedem Fall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen ist. Im vorliegenden Fall aber ist eine außergewöhnliche Interessenlage, die Ermessenserwägungen erforderlich machen würde, nicht gegeben. Der Kläger hat trotz der für sofort vollziehbar erklärten Untersagung des roten Dauerkennzeichens vom 8. November 2018, welche ihm am 9. November 2018 zugestellt wurde, von diesem an sieben Tagen, nämlich am 11., 13., 14., 29., 30. November und am 3. und 5. Dezember 2018 Gebrauch gemacht. Zwar mögen die Gründe, warum ein Versicherungsschutz nicht mehr bestand, darin liegen, dass den Kläger hieran kein Verschulden getroffen hat. Durch den Bescheid vom 8. November 2018 wurde dem Kläger aber deutlich gemacht, dass die Versicherungsgesellschaft mitgeteilt hatte, dass ein Versicherungsschutz nicht mehr besteht. Unter „Wichtige Hinweise“ wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Mitteilung der Versicherung irrtümlich erfolgt sein könnte, dass man aber auch für diesen Fall verpflichtet sei, die Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs anzuordnen. In diesem Fall solle sich der Kläger „umgehend“ mit der Versicherung in Verbindung setzten. Der Kläger hat aber trotz dieser Hinweise weiter vorsätzlich vom roten Kennzeichen Gebrauch gemacht, setzte sich mit seiner Versicherung nicht umgehend in Verbindung, sondern legte erst am 6. Dezember 2018 (nachdem er nochmals ausdrücklich von dem Beklagten angeschrieben werden musste) das Fahrtenbuch vor und veranlasste, dass am 6. Dezember 2018 wieder Versicherungsschutz bestand. Das dreiste Ignorieren des Klägers von Pflichten im Umgang mit dem Kennzeichen kann nicht in der Weise verharmlost werden, dass dem Kläger die Prämienrechnung des Versicherers nicht zugegangen sei oder ein einmaliges Versehen vorgelegen habe (vgl. Klagebegründung) – er machte vom Kennzeichen Gebrauch, obwohl er nach Erlass des Bescheids vom 8. November 2018 nicht mehr sicher sein konnte, dass weiterhin ein Versicherungsschutz bestand.
f) Die Verpflichtung des Klägers aus Nr. 2. des Bescheids, die Kennzeichenschilder sowie das Fahrzeugscheinheft und das Fahrtenbuch binnen sieben Tagen nach Bestandskraft des Bescheids bei der Zulassungsstelle zur Löschung vorzulegen, ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 16 Abs. 2 Satz 7 FZV. Hiernach ist nach Ablauf der Frist, für die das Kennzeichen zugeteilt worden ist, das Kennzeichen mit dem dazugehörigen Fahrzeugscheinheft der Zulassungsbehörde unverzüglich zurückzugeben. Die Vorschrift ist analog im Falle eines Widerrufs vor regulärem Fristablauf anzuwenden (VG Kassel, B.v 13.8. 2015 – 1 L 894/15.KS – juris).
g) Gegen die Androhung des Zwangsgeldes bestehen ebenfalls keine Bedenken, da insoweit die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Beteiligter hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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