Verwaltungsrecht

Widerruf des subsidiären Schutzes einer eritreischen Staatsangehörigen tigrinischer Volkzugehörigkeit

Aktenzeichen  B 7 K 21.30675

Datum:
22.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41376
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, § 73b Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Eritreischen Staatsangehörigen ist es grundsätzlich möglich und zumutbar, den sog. „Diaspora-Status“ zu beantragen. (Rn. 26 – 27)
2. Auslandseritreer, die mit „Diaspora-Status“ in ihr Herkunftsland zurückkehren, droht in der Regel für einen ausreichend langen Zeitraum keine Verfolgungsgefahr i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. (Rn. 28)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 22.11.2021 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II. Der in zulässiger Weise erhobene Hauptantrag auf Aufhebung des Widerrufs des subsidiären Schutzstatus ist unbegründet. Der Widerruf des subsidiären Schutzes ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 73b Abs. 1 Satz 1 AsylG ist die Gewährung des subsidiären Schutzes zu widerrufen, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maß verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 13.07.2017 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, da aufgrund der damaligen Sach- und Rechtslage davon ausgegangen wurde, dass der Klägerin in Eritrea die Einberufung zum Nationaldienst, und damit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, drohe. Da die Klägerin inzwischen ein Kind geboren hat und Mutter geworden ist, geht die Beklagte zutreffend davon aus, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG für die seinerzeitige Zuerkennung des subsidiären Schutzes inzwischen nicht mehr vorliegen und dementsprechend der gewährte Schutz zu widerrufen ist.
1. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht bezüglich der geltend gemachten Gefahr hinsichtlich der Einberufung zum Nationaldienst trotz Geburt eines Kindes zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist lediglich noch Folgendes auszuführen:
Auch nach den klägerischen Einlassungen im gerichtlichen Verfahren vermag das Gericht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. kein sog. „real risk“ zu erkennen, dass der hiesigen Klägerin – trotz der Geburt eines Kindes und der nunmehr bestehenden Mutterschaft – eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG im Zusammenhang mit dem eritreischen Nationaldienst droht. Eine Einziehung von Müttern mit einem kleinen Kind widerspricht der überwiegenden Auskunftslage (vgl. EASO, Eritrea: National service, exit and return, September 2019 S. 32; Danish Refugee Council, Eritrea, National service, exit und entry, January 2020, S. 47; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea vom 09.12.2020, VS-NfD* [Stand: November 2019] in der Fassung vom 25.01.2021, S. 15; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 13.06.2019, GZ 508-516.80; Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, Gesamtaktualisierung am 20.02.2017, Seite 18; Amnesty International, „Just deserters“, Dezember 2015, S. 28; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: Oktober 2019, 27.01.2020 Seite 15; Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus Eritrea – Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.06.2016, S. 49 f.; UN Commission of Inquiry (UNCOI), Report 5.06.2015, Nrn. 395 ff., 1201; UK Home Office, Country Policy and Information Note Eritrea: National service and illegal exit, October 2016, S. 18 (Nr. 7.3.7) m.w.N.; landinfo, Report „Eritrea: National Service“ vom 20.05.2016, S. 18; UK Upper Tribunal, Urteil vom 7.10.2016 (UKUT 443), Nrn. 253, 292; OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris; OVG Hamburg, U.v. 1.12.2020 – 4 Bf 205.18.A – juris; VG Trier, U.v. 10.3.2020 – 1 K 3603/18.TR – juris; VG Bayreuth, U.v. 22.3.2021 – B 8 K 18.31050). Danach werden Mütter regelmäßig von der Dienstpflicht im Nationaldienst befreit. Die Auskunftsmittel geben auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Befreiung für Frauen, die im Ausland Mutter geworden sind, nicht erteilt wird. Im Gegenteil, Hintergrund der Regelung scheint zu sein, dass die Kinder betreut werden müssen. Ein solches Erfordernis ergibt sich unabhängig vom Geburtsort des Kindes (VG Bayreuth, U.v. 15.3.2021 – B 8 K 18.31541). Zwar besteht hinsichtlich der Anwendung der o.g. Befreiung durch die eritreischen Behörden keine Rechtssicherheit, da die Anwendung willkürlich erfolgt. Das Gericht verkennt auch nicht, dass es offensichtlich teilweise vorkommt, dass verheiratete Frauen, Mütter und Schwangere von der Dienstpflicht nicht vollständig befreit, sondern noch zum zivilen Teil des Nationaldienstes herangezogen werden (vgl. EASO, Eritrea: National service, exit and return, September 2019 S. 32; Amnesty International (AI), Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea vom 28.07.2017, unter Bezugnahme auf AI, Just Seserters, Why indefinite National Service in Eritrea has created a Generation of Refugees vom 31.12.2015, S. 28; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Nationaldienst vom 30.06.2017, S. 11; vgl. hierzu auch OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris; OVG Hamburg, U.v. 1.12.2020 – 4 Bf 205.18.A – juris). Bei einer allenfalls in Betracht kommenden Verwendung im zivil geprägten Teil des Nationaldienstes droht der Klägerin jedenfalls kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, da dieser Teil des Nationaldienstes grds. weder erniedrigend noch unmenschlich ist. Für sexuelle Gewalt im zivilen Teil des Nationaldienstes besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Arbeitsbedingungen im zivilen Teil des Nationaldienstes erreichen nicht das für eine unmenschliche Behandlung notwendige Mindestmaß an Schwere. Die Situation im zivilen Teil des Nationaldienstes ist zwar geprägt von Arbeitszwang, mangelnder persönlicher Freiheit und einer unzureichenden Bezahlung. Der Schweregrad dieser Umstände reicht jedoch weder einzeln noch in einer Gesamtschau für die Feststellung einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aus. Aus den Erkenntnisquellen ergibt sich nicht, dass die Arbeitssituation derart demütigend, erniedrigend, menschenverachtend oder herabsetzend ist, dass sie geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (vgl. hierzu ausführlich: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf. 106.20.A – juris m.w.N., dessen Sichtweise sich das erkennende Gericht vollumfänglich anschließt).
Die den Erkenntnismitteln zu entnehmenden Fälle, in denen verheiratete oder schwangere Frauen sowie Mütter trotz der ungeschriebenen Praxis der Dienstverschonung zum Nationaldienst einberufen worden sind, stellen im Übrigen offensichtlich nur Einzelschicksale dar, die der unzweifelhaft willkürlichen Anwendung dieser Praxis geschuldet sein dürften. Sie lassen jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass auch der hiesigen Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bzw. mit dem notwendigen „real risk“ die Einberufung zum Nationaldienst droht, obwohl sie eine Mutter ist und damit dem Kreis der Begünstigten der Praxis der Dienstverschonung zuzurechnen ist (vgl. auch VG Arnsberg, U.v. 4.5.2018 – 12 K 5098/16.A – juris), insbesondere sind insoweit keine individuell gefahrerhöhenden Umstände in der Person der hiesigen Klägerin ersichtlich (vgl. hierzu auch nachstehend unter 2.). Das Thema „Nationaldienst“ wurde ferner von der Klägerin persönlich in der mündlichen Verhandlung erst auf explizite Nachfrage des Gerichts geäußert und auch insoweit erklärte die Klägerin nur, sie wisse nicht genau, ob Mütter auch zum Nationaldienst müssen.
Es ist letztlich auch weder substantiiert dargelegt, noch anderweitig ersichtlich, dass sich an der eritreischen Einzugspraxis durch den „Tigray-Konflikt“ etwas geändert hat, insbesondere, dass gegenwärtig vermehrt Mütter von Kleinkindern zum Nationaldienst einberufen wurden bzw. werden (so auch OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris).
2. Der Klägerin droht auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen einer etwaigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder einer etwaigen Bestrafung wegen illegaler Ausreise aus Eritrea bzw. der Asylantragstellung in Deutschland. Bei einer Gesamtabwägung der vorliegenden Erkenntnisquellen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der eritreische Staat jeden eritreischen Staatsbürger, der illegal ausgereist ist und dadurch den Nationaldienst umgeht, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Handlung unterzieht (OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris; vgl. hierzu jeweils im Rahmen des § 3 AsylG auch: BayVGH, U.v. 5.2.2020 – 23 B 18.31593 – juris; OVG Münster, B.v. 9.11.2020 – 19 A 3586/18.A – juris; OVG Hamburg, U.v. 1.12.2020 – 4 Bf 205/18.A – juris; OVG Hamburg, B.v. 2.9.2021 – 4 Bf 546.19.A – juris; VGH Mannheim, U.v. 8.6.2021 – A 13 S 403.20 – juris). Zwar mag einiges dafürsprechen, dass die Haftbedingungen für sich genommen den Tatbestand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erfüllen (vgl. OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris). Die Reaktion der eritreischen Behörden auf eine illegale Ausreise – und damit die Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG – hängt aber vielmehr maßgeblich von den Umständen der Ausreise, dem Nationaldienst-Status, etwaigen exilpolitischen Aktivitäten, dem Netzwerk in Eritrea und weiteren Faktoren des Einzelfalls ab (vgl. auch VG Bayreuth, U.v. 15.3.2021 – B 8 K 18.31541). Es ist somit in erster Linie nicht die illegale Ausreise (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.12.2020 in der Fassung vom 25.01.2021, S. 21), sondern deren Begleitumstände, welche zu einer Bestrafung führen (vgl. insoweit auch OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris; VG Bremen, U.v. 20.4.2021 – 7 K 1944.19 – juris; VG Gießen, U.v. 12.6.2020 – 6 K 8852.17.GI.A – juris). Im Hinblick auf die hiesige Klägerin sprechen die Begleitumstände der Ausreise eindeutig gegen eine unmenschliche/ erniedrigende Behandlung der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea. Zum einen war die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise im Herbst 2014 noch nicht im wehrpflichtigen Alter. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass sie Klägerin zumindest kurz vor der Volljährigkeit stand. Im Übrigen ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass man bereits zu diesem Zeitpunkt versucht hat, die Klägerin zu rekrutieren. Die Klägerin hat gegenüber dem Gericht selbst erklärt, dass sie Eritrea nicht wegen des konkret anstehenden Nationaldienstes verlassen hat, sondern wegen „Stress und Druck in Eritrea“, insbesondere, weil sie sich in Eritrea nicht habe frei bewegen können, sie regelmäßig gefragt worden sei, wohin sie gehen wolle und ihr wiederholt unterstellt worden sei, dass sie nach Äthiopien fliehen wolle. Auch der Vortrag, dass sie einmal beim Holzsammeln festgenommen worden sei und für zwei Tage ins Gefängnis gebracht wurde, führt nach Auffassung des Gerichts nicht dazu, dass insoweit gefahrerhöhende Umstände in der Person der Klägerin vorliegen. Zum einen ist die Klägerin nach zwei Tagen freigelassen worden, sodass die Sache insoweit „erledigt“ war. Im Übrigen scheint der Vortrag dem Gericht nicht sonderlich glaubwürdig. Bei der Anhörung im Anerkennungsverfahren erklärte die Klägerin am 10.07.2017 nämlich noch gegenüber dem Bundesamt, man habe sie mehrmals in ein Sammelgefängnis gebracht, um zu befragen. Dabei habe man wissen wollen, ob geplant sei zu fliehen. In der mündlichen Verhandlung hingegen war nur die Rede davon, dass sie einmal festgenommen worden und für zwei Tage in ein Gefängnis gebracht worden sei. Daneben sind auch die klägerischen Einlassungen zum familiären Hintergrund in Eritrea widersprüchlich. So erklärte sie noch im Jahr 2017 gegenüber dem Bundesamt, sie habe in Eritrea unter anderem noch ihre Eltern, die in Tsorona leben. Ferner, dass sie in Eritrea ihren Eltern in der Landwirtschaft geholfen habe. Gegenüber dem Gericht führte sie hingegen in der mündlichen Verhandlung aus, zu ihrem Vater habe sie keinen Kontakt. Dieser sei beim Militär und nicht mehr zu Hause. Ihre Eltern seien schon geschieden gewesen, als sie noch ein Baby war. Von daher kann das Gericht schon im Ansatz nicht nachvollziehen, warum die Klägerin bei der Anhörung im Jahr 2017 angegeben hat, sie habe in Eritrea ihren Eltern in der Landwirtschaft geholfen und ihr Vater lebe – genauso wie die Mutter – in Tsorona. Auch die in der mündlichen Verhandlung erstmals geschilderte Vergewaltigung am Tag vor ihrer Flucht aus Eritrea nimmt das Gericht der Klägerin nicht ab. Dieser Aspekt wurde weder im „Erstverfahren“, noch während des gesamten Widerrufsverfahrens auch nur ansatzweise erwähnt. Erstmals in der mündlichen Verhandlung „tischte“ die Klägerin dann diese Geschichte dem Gericht mit der Begründung auf, die Vergewaltigung habe sie früher nicht erwähnen können, da diese „zu tief gesessen“ sei. Im Übrigen konnte die Klägerin insoweit nur davon berichten, dass sie beim Wasserholen von einem „ihr unbekannten Mann“ vergewaltigt worden sei. In diesem Zusammenhang ist für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht einmal mehr nach Hause gegangen sein will, um die notwendigsten Sachen zusammenzupacken, sondern unmittelbar vom Ort der Vergewaltigung aus die Flucht angetreten haben will. Selbst wenn diese Vergewaltigung der Wahrheit entsprechen sollte, wirkt diese für die Klägerin in keinster Weise gefahrerhöhend im Hinblick auf eine drohende Bestrafung bei einer Rückkehr. Es ist weder dargetan, noch anderweitig ersichtlich, dass diese Vergewaltigung im Zusammenhang mit einer politischen Gesinnung der Klägerin steht oder mit einem Konfliktpotential gegenüber dem Staat einhergeht. Ferner ist nicht ersichtlich, dass der eritreische Staat nicht fähig und willens ist, die Klägerin vor solchen Handlungen künftig zu schützen. In Anbetracht der Tatsache, dass der Klägerin kein „real risk“ der Heranziehung zum Nationaldienst wegen Mutterschaft droht, diese in keinem Konfliktverhältnis mit dem Staat steht, keine exilpolitischen Tätigkeiten ausübt und mittlerweile über sieben Jahre im Ausland lebt, liegen auch keinerlei gefahrerhöhende Begleitumstände vor, die wegen der seinerzeitigen illegalen Ausreise und des bislang nicht abgeleisteten Nationaldienstes zu einer unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea führen würden.
Im Übrigen kann die Klägerin als Auslandseritreerin jedenfalls den „Diaspora-Status“ erlangen, der für sechs bis zwölf Monate im Falle einer permanenten Rückkehr vor Strafverfolgung und Einziehung in den Nationaldienst schützt (vgl. hierzu umfassend: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris). Es der Klägerin zuzumuten, ihren „Status“ bei den eritreischen Behörden zu regeln, um anschließend straffrei nach Eritrea zurückkehren zu können, sei es über die Botschaft bzw. das Generalkonsulat in Deutschland oder unmittelbar bei den im Heimatland ansässigen Behörden. Im Umgang mit freiwilligen Rückkehrern aus der Diaspora, die sich im Ausland nicht exilpolitisch-oppositionell bestätigt haben, werden die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise offenbar nicht angewandt. Falls sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, können sie den „Diaspora-Status“ beantragen. Dieser befreit sie von der Pflicht, Nationaldienst zu leisten und Ausreisevisa zu beantragen. Auf den „Diaspora-Status“ besteht zwar kein Rechtsanspruch. Gleichwohl wird dieser nach der Auskunftslage aber offensichtlich berücksichtigt. Dies belegen die von internationalen Vertretern in Asmara und von der Presse ausführlich dokumentierten Beobachtungen der Urlaubsbesuche von Diaspora-Mitgliedern, aber auch die im Rahmen einer Fact-Finding-Mission im März 2016 geführten Gespräche mit dauerhaften Rückkehrern u.a. aus Israel und dem Sudan. Vor diesem Hintergrund ergibt sich bei einer zusammenfassenden Würdigung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Bestrafung von Eritreern, die illegal ausgereist sind und hierdurch den Nationaldienst nicht abgeleistet haben, jedoch den „Diaspora-Status“ erlangt haben (OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris; vgl. auch SEM – Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, von 10.08.2016, S. 32 ff., 42 ff.; Danish Refugee Council, Eritrea, National service, exit and entry, von Januar 2020, S. 30/31; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.12.2020 in der Fassung vom 25.01.2021, S. 21 ff. sowie Accord, Information zum Militärdienst vom 09.05.2017; VG Saarland, U.v. 19.2.2021 – 3 K 739/20 – juris; VG Gießen, U. v. 12.6.2020 – 6 K 8852.17.GI.A – juris; VG Trier, U.v. 16.8.2019 – 1 K 6280.17.TR – juris). Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach Erlangung des „Diaspora-Status“ im Einzelfall eine Verfolgung – insbesondere von bekennenden Regierungsgegnern mit (exil-)politischen oppositionellen Aktivitäten – nicht gänzlich ausgeschlossen ist, ergibt sich gemessen am Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zumindest für die vorliegend nicht exilpolitisch tätig gewordene Klägerin keine andere Bewertung.
Soweit der Diaspora-Status voraussetzt, dass die Klägerin ein Schuldeingeständnis abgibt, ist nicht ersichtlich, dass die Abgabe einer solchen Reueerklärung der Klägerin unzumutbar wäre (OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris; vgl. auch VG Trier, U.v. 16.8.2019 – 1 K 6280.17.TR – juris). Die Klägerin erfüllt, nachdem sie Eritrea nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2014 verlassen hat, auch die weiteren Voraussetzungen für die Erlangung des Diaspora-Status, namentlich hat sie sich weit mehr als drei Jahre außerhalb ihres Heimatlandes aufgehalten. Eine Unzumutbarkeit der Auseinandersetzung mit den eritreischen Behörden zur Ermöglichung einer faktischen Straffreiheit bei Rückkehr ergibt sich auch nicht daraus, dass der Klägerin die Zahlung von Geldbeträgen auferlegt werden dürfte (sog. Diaspora-Steuer, vgl. hierzu etwa Danish Refugee Council, Eritrea – National service, exit and entry, vom Januar 2020, S. 30/31; vgl. zur Höhe und Zumutbarkeit auch: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris). Soweit es um die Aufbringung der Diaspora-Steuer geht, muss sich die Klägerin nicht zuletzt auf die bei freiwilliger Ausreise möglichen Rückkehrer- und Starthilfen (vgl. hierzu umfassend auch: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris) verweisen lassen. Bereits mit der Zuleitung des streitgegenständlichen Bescheids an die Klägerseite hatte das Bundesamt auf die Rückkehrhilfen bei freiwilliger Ausreise hingewiesen. Aus dem sog. REAG-/GARP-Programm kann u.a. eine Reisebeihilfe i.H.v. 200,00 EUR sowie eine Starthilfe von 1.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Medizinische Hilfe kann nicht nur während der Reise, sondern auch im Zielland für bis zur drei Monate nach der Ankunft – maximal i.H.v. 2.000,00 EUR – in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen einen Ankunftsservice (Flughafenabholung, kurzfristige Unterkunft), individuelle Beratung nach der Ankunft, Unterstützung im Bereich Wohnen (z.B. Grundausstattung, Mietzuschuss), berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Beratung und Unterstützung bei sozialen und medizinischen Angelegenheiten sowie allgemeine Rechtsauskünfte. Die Unterstützung wird grundsätzlich als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückkehrende Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR, bei festgestellter Vulnerabilität einmalig zusätzlich 1.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu insgesamt maximal 5.000,00 EUR (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf nämlich grundsätzlich ein Asylbewerber dann nicht des Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland, wenn er eine geltend gemachte Gefährdung in seinem Heimatland durch zumutbares eigenes Verhalten, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört, abwenden kann (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96; BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21.92 – juris).
Ein längerer Schutz vor Bestrafung als durch den Diaspora-Status ermöglicht wird, ist von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht gefordert. Die Gefahr eines ernsthaften Schadenseintritts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nämlich nicht schon dann gegeben, wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr in das Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Vielmehr muss im Rahmen einer Prognose eine Verwirklichung der Gefahren noch in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Rückkehr zu befürchten sein. Die Gefahr muss folglich in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen zeitlichen Zusammenhang mit der Rückkehr ins Herkunftsland eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Rückkehr – in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Asylbewerbers – gerechtfertigt erscheint (vgl. OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris). Für die Situation in Eritrea ist die Dauer der Schutzwirkungen des Diasporastatus von sechs bis zwölf Monaten ein ausreichend langer Betrachtungszeitraum, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auszuschließen. Bei wertender Betrachtung der Erkenntnismittel ergibt sich, dass die Schutzwirkungen in der Regel sogar für mindestens ein Jahr anhalten dürften. Dieser Zeitraum ist ausreichend lang, um dem aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abzuleitenden „Absehbarkeitserfordernis“ (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.1981 – 9 C 237.80 – juris) Rechnung zu tragen. Soweit es im Einzelfall schon vor Ablauf von zwölf Monaten dazu kommen sollte, dass zurückgekehrte Eritreer nicht mehr als Diasporaeritreer angesehen werden, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Erkenntnislage gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass Personen nach Erlöschen ihres Diasporastatus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmittelbar einer Strafverfolgung oder (erneuten) Einziehung in den Nationaldienst ausgesetzt sind. Die Berichte zu Personen, die während des Diasporastatus oder nach dessen Ablauf der Gefahr von Strafverfolgung und (erneutem) Einzug in den Nationaldienst ausgesetzt waren, betreffen zum einen sehr spezielle Situationen, in denen Personen in Konflikte mit höherrangigen Militär- oder Regierungsangehörigen verstrickt waren (vgl. SFH: Eritrea: Reflexverfolgung, Rückkehr und „Diaspora-Steuer“, September 2018, S. 10 f.). Zum anderen sind derartige Berichte nicht belast- und nachprüfbar, da sie überwiegend auf anekdotischer Kenntnis und Gerüchten beruhen (EASO, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 65 f.). Für den Regelfall des rückkehrenden Eritreers, der sich – wie die hiesige Klägerin – nicht (exil-)politisch betätigt hat, besteht hingegen auch nach Erlöschen des Diasporastatus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung. Sie kommt nur „unter Umständen“ vor und kann zeitlich deutlich verzögert (Monate bis Jahre nach der Rückkehr) erfolgen (vgl. hierzu umfassend: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris m.w.N.).
III. Die in zulässiger Weise hilfsweise erhobene Klage auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 AsylG bzw. auf Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass der Klägerin nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zustehen, bleiben ebenfalls ohne Erfolg (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 AslyG ist ebenfalls nicht gegeben, insbesondere herrscht gegenwärtig in Eritrea kein Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (vgl. auch VG Bayreuth, U.v. 15.3.2021 – B 8 K 18.31541). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass im sogenannten „Tigray-Konflikt“ auch zunehmend das eritreische Militär verwickelt ist und dass im Zuge dieses Konfliktes Gewalttätigkeiten offensichtlich auch auf dem eritreischen Staatsgebiet, insbesondere in der Grenzregion zu Äthiopien, stattfinden. Es liegen aber keinerlei belastbare Anhaltspunkte dafür vor, dass auch nur ansatzweise die Schwelle zu einer Auseinandersetzung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erreicht wird.
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
a) Bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, sind liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, B.v. 22.9.2020 – 1 B 39.20 – juris; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris m.w.N.; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Gemessen an diesem Maßstab ist bei der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Eritrea zu verneinen. Im Rahmen der anzustellenden Rückkehrprognose ist davon auszugehen, dass eine hypothetische Rückkehr der Klägerin nach Eritrea zusammen mit ihrem Lebenspartner und ihrem in Deutschland geborenen Kind erfolgt. Nach Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist deren Lebensgefährte und Vater des Kindes ebenfalls eritreischer Staatsangehöriger, mit dem sie eine Liebesbeziehung führt. Die Klägerin bezeichnet das Zusammenleben zwischen ihr, dem Kind und dem Kindsvater selbst als „Familie“. Nach klägerischen Angaben versuche man gegenwärtig auch, eine gemeinsame Wohnung zu finden und zeitnah zusammenzuziehen. Von daher geht das Gericht davon aus, dass insoweit eine gelebte Kernfamilie besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris) hat eine realitätsnahe Rückkehrprognose zu erfolgen, in der die gelebte Kernfamilie einzubeziehen ist und dementsprechend davon auszugehen ist, dass im Regelfall auch die Mitglieder der Kernfamilie mit ins Herkunftsland zurückkehren, die über internationalen Schutz – so wie der hiesige Kindsvater – oder über nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz verfügen. Dies zugrunde gelegt hat das Gericht keinerlei Bedenken, dass die kleine Familie in Eritrea das absolute Existenzminimum sichern kann. Die Klägerin ist jung, gesund und erwerbsfähig. Gleiches gilt offensichtlich für ihren Lebensgefährten. Für die Kinderbetreuung kann die Erwerbstätigkeit entsprechend organisiert werden. Im Übrigen kann die Klägerin auf verwandtschaftlichen Rückhalt in Eritrea zurückgreifen. Sie erklärte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung, sie habe noch ihre Mutter und einen Bruder in Eritrea. Ferner leben noch die Geschwister ihrer Mutter in Eritrea, sodass sie auf umfassenden familiären bzw. großfamiliären Rückhalt zurückgreifen kann. Selbst wenn die Klägerin selbst keiner Arbeit nachgehen könnte und/oder entgegen der angestellten Rückkehrprognose der Kindsvater nicht mit nach Eritrea zurückkehren würde, ist es nach Auffassung des Gerichts der Mutter auch alleine mit dem Kind möglich, in Eritrea das absolute Existenzminimum zu sichern. Der verwandtschaftliche Rückhalt ist insoweit ausreichend und geeignet, die Klägerin mit ihrem Kind vor einer existenziellen Notlage zu bewahren. Im Übrigen kann die Klägerin auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen, um in Eritrea entsprechend Fuß zu fassen. Dabei kann auch nicht eingewandt werden, dass diese nur bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland gewährt werden (s.o.). An diesem Ergebnis ändert auch die Corona-Pandemie nichts. Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass sich die Versorgungslage aufgrund der Verbreitung des „Corona-Virus“ (auch) in Eritrea in einer Weise verschlechtert hat, die die Sicherung des existentiellen Lebensunterhaltes nicht mehr ermöglicht (vgl. ausführlich: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 – 4 Bf 106.20.A – juris und nachstehend unter b).
b) Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht einschlägig.
aa) Insbesondere führt die „Corona-Pandemie“ (auch) in Eritrea nicht zur Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, GB v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).
Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Verbreitung des Corona-Virus – begründet nur Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45; VG Würzburg, U.v. 3.7.2020 – W 3 K 19.31666 – juris unter Verweis auf BayVGH, B.v. 19.05.2020 – 23 ZB 20.31096; VG Würzburg, B.v. 3.12.2020 – W 3 S 20.31209 – juris).
Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer „Rückkehr“ nach Eritrea einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung einschränken könnte, ausgesetzt wären. Die Klägerin gehört insbesondere keiner besonderen Risikogruppe an und hat umfangreiche familiäre Unterstützung im Herkunftsland. Im Übrigen wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen. Dementsprechend sind jedenfalls auch die noch höheren Voraussetzungen für die Durchbrechung der Sperrwirkung nicht gegeben.
bb) Individuelle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), sind weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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