Verwaltungsrecht

Widerruf einer Waffenbesitzkarte

Aktenzeichen  24 ZB 19.2269

Datum:
25.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36162
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 45 Abs. 2
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 5 S. 4, § 152 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (st. Rspr. VGH München BeckRS 2018, 32961 Rn. 20). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind, oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit (Anschluss an VGH München BeckRS 2018, 26769). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte.
Das Verwaltungsgericht hat seiner entsprechenden Klage mit Urteil vom 31. Juli 2019 stattgegeben. Der Kläger sei nicht im waffenrechtlichen Sinne nachträglich unzuverlässig geworden. Das Gericht habe beim Kläger keine innere Haltung erkennen können, die der Ideologie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zuzurechnen sei. Aus den Behördenakten würden sich zwar tatsächliche Indizien dafür ergeben, dass der Kläger der „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht habe. Diese Indizwirkung sei aber als widerlegt anzusehen.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.
Der Kläger ist dem Antrag entgegengetreten und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Januar 2018, mit dem u.a. der Widerruf der Waffenbesitzkarte des Klägers verfügt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
Der Beklagte macht geltend, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Indizwirkung widerlegt sei, die es selbst dem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigenausweises mit bestimmten Angaben, dem Anfordern eines Auszugs aus dem ESTA-Register und dem Verlangen nach einer Bestätigung der bayerischen Staatsangehörigkeit von der Meldebehörde zuschreibe. Dass der Kläger sich an diese Vorgänge (angeblich) nicht oder nicht genau erinnern könne, sei per se nicht geeignet, eine damit zum Ausdruck gekommene Einstellung zu widerlegen. Das Verwaltungsgericht sei sich weder sicher, ob die vom Kläger geltend gemachten Erinnerungslücken wirklich bestehen würden noch worauf sie gegebenenfalls zurückzuführen seien. Gleiches gelte für die Frage, ob der Kläger nicht noch anderer Gründe gehabt habe, sich nicht gut zu erinnern. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Erläuterungen, die die Tochter des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu den Umständen der Antragstellung gegeben habe, unbesehen zu Gunsten des Klägers gewertet.
Mit diesem Vorbringen wendet sich der Beklagte gegen die von ihm für unzutreffend gehaltene Beweiswürdigung, Rechts- und Tatsachenfeststellung des Gerichts, ohne indes einen die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Fehler aufzuzeigen. Das Gericht entscheidet gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Tatsachen- und Beweiswürdigung, der einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (stRspr z.B. BayVGH B.v. 14.12.2018 – 21 ZB 16.1678 – juris Rn. 20 n.w.N.).
Derartige Fehler zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Sie sind auch nicht ersichtlich. Der Beklagte weist zwar auf Ausführungen des Klägers und seiner Tochter in der mündlichen Verhandlung hin, die das Erstgericht fälschlich zugunsten des Klägers gewertet habe. Richtigerweise hätte das Erstgericht zum Ergebnis kommen müssen, dass auch unter Würdigung der Persönlichkeit des Klägers nach Durchführung der mündlichen Verhandlung der Widerruf seiner Waffenbesitzkarte gemäß § 45 Abs. 2 WaffG gerechtfertigt und erforderlich sei. Allein der Umstand aber, dass der Beklagte die vom Gericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen anders gewichtet als dieses und im Ergebnis abweichend bewertet, rechtfertigt keine Zulassung der Berufung auf Grund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die letztlich davon getragen ist, dass der 83-jährige Kläger sich die von seiner Tochter im Antragsformular formulierten Angaben mit seiner Unterschrift zu eigen gemacht habe, ohne die dahinterstehende Problematik zu erkennen, ist aus zulassungsrechtlicher Sicht nichts einzuwenden.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. zum Ganzen: Eyermann VwGO 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 35 ff).
Der Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob Reichsbürger als Gruppe angesehen werden können, deren Strukturmerkmale auf die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit der dort einzuordnenden Personen schließen lassen“.
Um die gestellte Frage zu beantworten, ist indes keine Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht den Kläger gerade nicht den sogenannten Reichsbürgern zuordnet, ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits geklärt, dass Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind, oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit besitzen (BayVGH, B.v. 4.10.2018 – 21 CS 18.264 – juris Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339 – juris, jeweils m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG, § 47 Abs. 1 u. 3 GKG und Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013, abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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