Verwaltungsrecht

Widerruf von Waffenbesitzkarten – erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Beklagten

Aktenzeichen  24 ZB 18.2348

Datum:
29.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9576
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 45 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 5 S. 4

 

Leitsatz

1. Allein der Umstand, dass der Beklagte die vom Gericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen anders gewichtet als dieses und im Ergebnis abweichend bewertet, rechtfertigt keine Zulassung der Berufung auf Grund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. (Rn. 11) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Die Frage, ob das Verhalten eines Inhabers waffenrechtlicher Erlaubnisse „gegenüber staatlichen und kommunalen Behörden ein Muster aufweist, das unter dieser gegen den Staat gerichteten Ideologie (der Reichsbürgerbewegung, Anm.) bekannt geworden ist und gefördert wird“, ist stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig und damit einer generellen, fallübergreifenden Beantwortung nicht zugänglich. (Rn. 17) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

AN 16 K 17.797 2018-10-11 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 8.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf zweier Waffenbesitzkarten.
Das Verwaltungsgericht hat seiner entsprechenden Klage mit Urteil vom 11. Oktober 2018 stattgegeben und den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 12. April 2017 aufgehoben. Dieser sei rechtswidrig, weil der Kläger nicht im waffenrechtlichen Sinne nachträglich unzuverlässig geworden sei. Die erkennende Kammer habe vor dem Hintergrund der glaubhaften Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht dessen verbindliches Hinwenden zur Ideologie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ feststellen können. Dabei verkenne das Gericht nicht, dass sich der Kläger in deren Umfeld bewegt habe. Es fehle aber insoweit an belastbaren Sachverhaltsfeststellungen, die sich alleine aus den vom Beklagten herangezogenen Ereignissen nicht herleiten ließen.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.
Der Kläger ist dem Antrag entgegengetreten und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2017, mit dem u.a. der Widerruf der Waffenbesitzkarten des Klägers verfügt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das streitgegenständliche Urteil nicht bereits aus dem Grund fehlerhaft, weil das Verwaltungsgericht in Bezug auf die Einschätzung der ideologischen Ausrichtung und der damit zusammenhängenden waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers im Ergebnis ausdrücklich auf einen Aktenvermerk des Landratsamts vom 13. Dezember 2016 (VA Bl. 83) verwiesen hat. Zwar teilt die erkennende Kammer damit letztlich die in diesem Aktenvermerk zum Ausdruck kommende Bewertung des zuständigen Sachbearbeiters und nicht die insoweit zweifelnde Ansicht des diesem vorgesetzten Abteilungsleiters. Aber abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Rechtsfindung an keine dieser Meinungen gebunden ist, ist es in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nach einer eigenständigen Würdigung sämtlicher vom Beklagten herangezogenen Vorfälle und unter Berücksichtigung des von ihm als glaubhaft erachteten Vorbringens des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, eine verbindliche Annäherung des Klägers an die Ideologie der sogenannten Reichsbürger, aus der sich seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit herleiten ließe, lasse sich nicht feststellen. Dass dies – im Ergebnis – der Einschätzung des sachbearbeitenden Mitarbeiters des Landratsamts entspricht, es gebe keinen Hinweis, dass der Kläger ein Reichsbürger sein könnte und der in dem von ihm verfassten Aktenvermerk vorgeschlagen hatte, dessen waffenrechtliche Erlaubnisse nicht zu widerrufen, ist somit sachlich zutreffend. Dass der Beklagte – anders als das Verwaltungsgericht – die von dem zuständigen Abteilungsleiter des Landratsamts demgegenüber in seinen Anmerkungen zum Ausdruck gebrachten Bedenken für überzeugend und richtig hält, ändert daran nichts.
Auch die weiteren Einwände des Beklagten gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils verfangen nicht. Er macht insbesondere geltend, angesichts der Aussagen des Klägers im Rahmen seiner polizeilichen Zeugenvernehmung am 28. November 2016 sei es nicht angebracht, dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2018 einfach zu glauben, weil dieser dort seinen Bezug zur Reichsbürgerszene als weitaus zu lose dargestellt und insofern beschönigt habe. Im Übrigen sei es falsch, bei Würdigung der diversen Sachverhalte, die im Fall des Klägers zusammenkämen, von nicht belastbaren Sachverhaltsfeststellungen, die nicht ausreichten, um dessen waffenrechtliche Unzuverlässigkeit anzunehmen, auszugehen.
Mit diesem Vorbringen wendet sich der Beklagte gegen die von ihm für unzutreffend gehaltene Beweiswürdigung, Rechts- und Tatsachenfeststellung des Gerichts, ohne indes einen die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Fehler aufzuzeigen. Das Gericht entscheidet gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Tatsachen- und Beweiswürdigung, der einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (stRspr z.B. BayVGH B.v. 14.12.2018 – 21 ZB 16.1678 – juris Rn. 20 n.w.N.).
Derartige Fehler zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf; sie sind auch nicht ersichtlich. Der Beklagte beschränkt sich vielmehr darauf, unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags auf die Vorfälle hinzuweisen, die seiner Auffassung nach eine besondere Nähe des Klägers zur Szene der sogenannten Reichsbürger, sowie dessen mangelnde Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die von ihm erklärte diesbezügliche Distanz belegen und damit den Widerruf seiner Waffenbesitzkarten gem. § 45 Abs. 2 WaffG rechtfertigen bzw. erfordern. Allein der Umstand aber, dass der Beklagte die vom Gericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen anders gewichtet als dieses und im Ergebnis abweichend bewertet, rechtfertigt keine Zulassung der Berufung auf Grund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. zum Ganzen: Eyermann, VwGO 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 35 ff).
Der Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„inwieweit es darauf ankommt, dass das Verhalten eines Inhabers waffenrechtlicher Erlaubnisse gegenüber staatlichen und kommunalen Behörden ein Muster aufweist, das für die Reichsbürgerbewegung bekannt geworden ist und von dieser gefördert wird, um ihm wegen Zugehörigkeit oder Nähe zur Reichsbürgerbewegung die waffenrechtliche Zuverlässigkeit absprechen zu können“
und daraus erwachsend
„ob Reichsbürger als Gruppe angesehen werden können, deren Strukturmerkmale auf die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit der dort einzuordnenden Personen schließen lassen.“
Um die gestellten Fragen zu beantworten, ist keine Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich. Denn in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist bereits geklärt, dass Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind, oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit besitzen (BayVGH, B.v. 4.10.2018 – 21 CS 18.264 – juris Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339 – juris, jeweils m.w.N.). Im Übrigen ist die Frage, ob das Verhalten eines Inhabers waffenrechtlicher Erlaubnisse „gegenüber staatlichen und kommunalen Behörden ein Muster aufweist, das unter dieser gegen den Staat gerichteten Ideologie (der Reichsbürgerbewegung, Anm.) bekannt geworden ist und gefördert wird“ (UA S. 6 unten), stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig und damit einer generellen, fallübergreifenden Beantwortung nicht zugänglich.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 47 Abs. 1 u. 3 GKG und Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013, abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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