Aktenzeichen 21 ZB 15.1
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 36
Leitsatz
1 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des angefochtenen Bescheids ist die Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann sich nur berufen, wer zuvor (erfolglos) sämtliche verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
4 K 14.1394 2014-11-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III.
In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. November 2014 wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren und für das Zulassungsverfahren jeweils auf 65.750,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs waffenrechtlicher Erlaubnisse.
Das Landratsamt O. hat mit Bescheid vom 13. August 2014 die dem Kläger erteilten Waffenbesitzkarten Nr. …/… vom 4. Oktober 1976, Nr. …/… vom 25. Februar 1988 und Nr. …/… vom 2. März 1990 widerrufen (Nr. 1) und angeordnet, dass diese Waffenbesitzkarten, in die insgesamt 82 Lang- und Kurzwaffen eingetragen sind, und die im Besitz des Klägers befindlichen Schusswaffen sowie vorhandene Munition im Rahmen der Vollzugshilfe durch die Polizei sofort sichergestellt werden (Nr. 2). In den Gründen des Bescheids ist näher ausgeführt, der Kläger besitze nicht mehr die waffenrechtliche Zuverlässigkeit im Sinn des § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG. Tatsachen rechtfertigten die Annahme, der Kläger werde Waffen oder Munition missbräuchlich verwenden. Der Kläger habe die …, Frau S., am 29. Juli 2014 angerufen und wegen eines von ihm geforderten waffenrechtlichen Eignungsgutachtens um einen Gesprächstermin beim … nachgesucht. Dabei habe er gedroht, wenn ein solches Gespräch nicht zustande komme, müsse Frau S. ihn „demnächst im Gefängnis besuchen, weil er dann mal im Landratsamt vorbeischaue“.
Das Verwaltungsgericht Augsburg gestattete dem Landratsamt mit Beschluss vom 18. August 2014, die Wohnung des Klägers und sämtliche Nebengebäude des Anwesens zum Zweck der Sicherstellung der in den Waffenbesitzkarten des Klägers eingetragenen Schusswaffen zu durchsuchen.
Der Widerrufsbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 21. August 2014 (09:30 Uhr) vorab per Telefax übermittelt und am 22. August 2014 zugestellt. Dem Kläger wurde der Bescheid zu Beginn der am selben Tag von der Polizei in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt durchgeführten Wohnungsdurchsuchung gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt.
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die Klage mit Urteil vom 12. November 2014 abgewiesen und dazu abweichend von den Gründen des angefochtenen Bescheids im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger besitze nicht mehr die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit im Sinn des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG. Es seien nachträglich Tatsachen eingetreten, welche die Annahme rechtfertigten, dass er mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werde. Das offenbare der bei der Durchsuchung am 21. August 2014 vorgefundene Zustand. Der Kläger habe nicht für alle seine Waffen über die gesetzlich vorgesehenen Sicherheitsbehältnisse verfügt. Die Waffen seien überall im Haus verteilt gewesen. Teilweise hätten sie sich in Schränken befunden, deren Schlösser defekt gewesen seien. Polizeihauptkommissar M. habe dabei den Eindruck gehabt, dass diese vom Kläger schon längere Zeit nicht mehr geöffnet worden seien. Darüber hinaus habe sich eine geladene Pistole samt Munition im Nachtkästchen des klägerischen Schlafzimmers befunden.
Der Kläger hat nach Zustellung des vollständigen Urteils (28. November 2014) am 29. Dezember 2014 (Montag) die Zulassung der Berufung beantragt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bestehen nicht.
1. Das vom Kläger innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO im Grundsatz beschränkt ist, rechtfertigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
1.1 Der Klägerbevollmächtigte rügt, das Verwaltungsgericht habe den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt des Bescheidserlasses missachtet. Es habe die nachträglich bekannt gewordenen, im Rahmen der Durchsuchung am 21. August 2014 gewonnenen Tatsachen verwertet und eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit im Sinn des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG allein auf eine Verletzung der Aufbewahrungsvorschriften des § 36 WaffG gestützt.
Daraus ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Der Klägerbevollmächtigte geht zutreffend davon aus, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des angefochtenen Bescheids die Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass ist. Das schließt es aber nicht aus, den Zustand zu berücksichtigen, der bei der Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 21. August 2014 vorgefunden wurde. Denn der Widerrufsbescheid wurde dem Klägerbevollmächtigten erst an diesem Tag (vorab) per Telefax übermittelt und dem Kläger am selben Tag zu Beginn der Durchsuchung ausgehändigt. Der angefochtene Bescheid wurde damit frühestens am Tag der Durchsuchung erlassen, ohne dass es noch darauf ankommt, ob er ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde und ob in diesem Zusammenhang ein Bescheid bereits dann erlassen ist, wenn er den Bereich der Behörde mit deren Wissen und Wollen verlässt.
Im Übrigen hatte das Verwaltungsgericht von Amts wegen umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht den angefochtenen Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse trägt oder nicht. Es musste mithin, solange nur der Widerruf – wie hier – seinem Wesen nach unverändert blieb, bei seiner Beurteilung alle ihm bekannten und im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorliegenden Tatsachen sowie Rechtsgrundlagen berücksichtigen, auch wenn der Widerruf nicht auf sie gestützt war (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 113 Rn. 22).
2. Der Klägerbevollmächtigte begründet einen Gehörsverstoß damit, dass erst in der mündlichen Verhandlung durch die Aussage des als Zeugen vernommenen Polizeihauptkommissars M., durch die Äußerungen der Vertreterin des Landratsamts und durch Vorlage zahlreicher Lichtbilder konkretisiert worden sei, welche Waffen und welche Munition wo aufgefunden worden seien und aus welchen Gründen die vorgefundene Aufbewahrungssituation nicht den Anforderungen des § 36 WaffG entsprechen solle. Der Klägerbevollmächtigte habe in der Verhandlung darauf hingewiesen, dass er diese Sachlage mit dem Kläger, der nicht geladen gewesen sei, besprechen müsse, um dazu Stellung nehmen zu können. Dennoch habe das Verwaltungsgericht am selben Tag das Urteil gefällt.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist damit nicht dargetan. Auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann sich nur berufen, wer zuvor (erfolglos) sämtliche verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BVerwG, B. v. 4.8.2016 – 8 B 24.15 – juris Rn. 16). Das hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unterlassen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 12. November 2014 hat er keinen Vertagungsantrag nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 ZPO gestellt, sondern lediglich darum gebeten, das Urteil solle nicht vor Ablauf von zwei Wochen „auslaufen“. Dieses prozessuale Verhalten zielte angesichts des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung offenbar darauf ab, das Verfahren vor Erlass eines Urteils durch Klagerücknahme zu beenden. Denn in einem Vermerk vom 19. November 2014 über ein Telefongespräch mit dem Klägerbevollmächtigten ist festgehalten, dass der Kläger die Klage nicht zurücknehmen werde und das Urteil bereits jetzt „auslaufen“ könne. Erst daraufhin wurde die Urteilsformel („Tenor“) bei der Geschäftsstelle niedergelegt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
4. Die Streitwertänderung und -festsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. v. 18. Juli 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anhang zu § 164 Rn. 14 – Streitwertkatalog 2013). Danach ist unabhängig von der Anzahl der im Streit befindlichen Waffenbesitzkarten einmalig 5.000 Euro für eine Waffenbesitzkarte einschließlich einer Waffe anzusetzen. Für jede weitere in den Waffenbesitzkarten eingetragene Waffe ist ein Betrag von 750,00 Euro hinzuzurechnen. Das führt für den Widerruf der Waffenbesitzkarten des Klägers zu einem Wert von 65.750,00 Euro (5.000,00 Euro + 81 x 750,00 Euro).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).