Verwaltungsrecht

Wiedereinführung Dublin-Verfahren für Flüchtlinge aus Syrien – Abschiebung nach Ungarn – Anforderungen an Darlegung des Berufungszulassungsgrundes “grundsätzliche Bedeutung”

Aktenzeichen  20 ZB 16.50021

Datum:
27.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 49323
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
GG Art. 3
EuGrCH Art. 4

 

Leitsatz

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung erfordert auch die Erläuterung, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, d.h. regelmäßig eine Durchdringung der erstinstanzlichen Entscheidung und eine Auseinandersetzung mit deren Erwägungen, die verdeutlicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, inwieweit die Ungleichbehandlung von Flüchtlingen aus Syrien hinsichtlich der rechtlichen Anordnung oder der faktischen Durchführung der Abschiebung nach Ungarn einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG darstellt, hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Denn seit Oktober 2015 wird das Dublin-Verfahren auch für Flüchtlinge aus Syrien wieder durchgeführt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 15.50504 2016-01-25 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
ob aufgrund der in Ungarn aktuell herrschenden politischen und rechtlichen Umstände eine Abschiebung nach Ungarn grundsätzlich zulässig ist, insbesondere, da ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in Ungarn derart grundlegende systemische Mängel anhaften, dass für die dorthin überstellten Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne vom Art. 4 der Grundrechte Charta der EU (EUGrCh) ausgesetzt zu sein,
ist die grundsätzliche Bedeutung bereits nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung erfordert neben der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage u. a. auch die Erläuterung, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie, konkret der erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a, Rn. 72). Die formulierte Grundsatzfrage muss nach Maßgabe der Ausführungen des Verwaltungsgerichts rechtlich aufgearbeitet sein (Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 78 AsylG, Rn. 35). Dabei muss die Antragsschrift grundsätzlich aus sich heraus verständlich sein (Berlit in Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz (GK-AsylVfG), 105. Ergänzungslieferung April 2016, § 78 Rn. 586). Es ist Aufgabe des Antragstellers, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern seine gegenteiligen Bewertungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (Berlit, a. a. O., Rn. 611 unter Verweis auf Hessischer VGH, B. v. 2.11.1995 – 13 UZ 3615/95 -, BWVP 1996, 214).
Das Verwaltungsgericht hat in dem streitgegenständlichen Urteil zunächst die rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen dargestellt und die Frage für Ungarn unter Bezugnahme auf im einzelnen bezeichnete Auskunftsmittel und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verneint. Dabei ist es auch auf die Zulässigkeit der in Ungarn praktizierten Asylhaft eingegangen und hat sich auch zu der Verschärfung des Asylrechts durch die zum 1. August 2015 in Ungarn in Kraft getretenen Gesetze, mit denen insbesondere Serbien zu einem sicheren Drittstaat erklärt wurde, geäußert. Es hat hierzu festgestellt, dass nach der Auskunftslage derzeit keine Abschiebungen von Dublin-Rückkehrern nach Serbien erfolgen würden.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung setzt dem einerseits die pauschale Argumentation entgegen, dass die vom Verwaltungsgericht zitierten Quellen nicht aktuell seien und die Veränderungen seit dem Sommer 2015 daher von ihnen nicht erfasst sein könnten. Allerdings fehlt es an einer konkreten Auseinandersetzung mit der Argumentation und den Feststellungen des Gerichts. Aus dem Antrag geht bereits nicht hervor, inwiefern das Verwaltungsgericht aufgrund der Veränderungen in Ungarn im Sommer 2015 dem durch die als klärungsbedürftig formulierte Rechtsfrage ausgelösten Klärungsbedarf nicht gerecht wird. So verweist der Zulassungsantrag einerseits auf einen Bericht der Human Rights Watch (HRW) vom 1. Dezember 2015 zur Situation von besonders verletzlichen Personen. Dieser ist aber bereits aus dem Grunde irrelevant, als es sich bei dem Kläger, einem gesunden alleinstehenden jungen Mann, offensichtlich nicht um eine zu der Gruppe der besonders verletzlichen Personen gehörende Person handelt. Soweit die Möglichkeit einer Abschiebung nach Serbien geltend gemacht wird, wird nicht dargelegt, wieso die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass es bzgl. Dublin-Rückkehrern nicht zu Rückführungen nach Serbien komme, unzutreffend sein soll. Der Antrag beschränkt sich insoweit pauschal auf die Behauptung, das Hauptziel der Abschiebungen sei Serbien, ohne eine auch nur angedeutete Aussage dazu zu treffen, wieso dies der Fall sein solle und wieso dies auch den Kläger betreffen könne. Eine weitergehende Durchsicht der in den Fußnoten im Einzelnen genannten Dokumente ist im Zulassungsverfahren nicht veranlasst, da der Zulassungsantrag wie oben dargestellt grundsätzlich aus sich selbst heraus verständlich sein muss, um dem Darlegungserfordernis zu genügen.
Soweit gegen das Argument des Verwaltungsgerichts, der UNHCR habe noch kein ausdrückliches Positionspapier gegen Überstellungen nach den Dublin-Verordnungen nach Ungarn erstellt, die Kritik von führenden Repräsentanten des UNHCR in Europa gegen die im Sommer 2015 vorgenommenen Änderungen der ungarischen Asylgesetze vorgebracht wird, vermag dies dem Darlegungserfordernis schon deshalb nicht zu genügen, da auch dieser Kritik keine derartige Empfehlung, von Überstellungen nach Ungarn abzusehen, entnommen werden kann. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die im Zulassungsantrag angeführte allgemeine fremdenfeindliche Haltung der ungarischen Regierung für die als klärungsbedürftig erachtete Rechtsfrage bzw. die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit irrelevant ist.
2. Daneben erachtet der Kläger als klärungsbedürftig,
woraus sich die Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Asylbewerbern sowohl hinsichtlich der rechtlichen Anordnung als auch hinsichtlich der faktischen Durchführung der Abschiebung nach Ungarn rechtfertige, was einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG darstelle.
Mit dieser Frage bezieht sich der Kläger auf das von der Beklagten 2015 für Flüchtlinge aus Syrien zeitweise ausgesetzte Dublin-Verfahren. Insoweit ist der Antrag auf Zulassung der Berufung jedenfalls unbegründet. Denn im nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats liegt insoweit eine grundsätzliche Bedeutung nicht mehr vor. Denn seit Ende Oktober 2015 wird durch die Beklagte das Dublin-Verfahren auch für Flüchtlinge aus Syrien wieder durchgeführt (vgl. nur https://www.tagesschau.de/inland/flüchtlinge-syrien-dublin-verfahren-101.html).
Nach alledem war der Antrag auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
Aufgrund dessen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren abzulehnen, da diesbezüglich nach den vorstehenden Ausführungen keine hinreichende Erfolgsaussicht besteht (§ 166 Abs. 1 VwGO, § 117 ZPO).
Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist kein Rechtsmittel gegeben, § 80 AsylG.


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