Verwaltungsrecht

Wiedereinsetzung in die Ausschlussfrist für einen Beihilfeantrag

Aktenzeichen  M 17 K 16.4706

Datum:
18.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV BBhV § 54 Abs. 1 S. 1
VwVfG VwVfG § 31 Abs. 1, § 32 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Für die Feststellung der für die Gewährung einer Beihilfe einzuhaltenden einjährigen Antragsfrist (§ 54 Abs. 1 S. 1 BBhV) kommt es auf das Datum des Eingangs des Beihilfeantrags bei der Feststellungsstelle an (ebenso BayVGH BeckRS 2012, 52499). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der in § 54 Abs. 1 S. 1 BBhV normierten Jahresfrist handelt es sich um eine materielle Ausschlussfrist, die auch im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn jedenfalls dann unbedenklich ist, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Fall einer Erkrankung kann zwar gundsätzlich von einem fehlenden Verschulden ausgegangen werden, das einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt. Ist eine Ausschlussfrist versäumt worden, ist jedoch ein strenger Maßstab anzulegen. Insbesondere ist im Krankheitsfall dann von einem Verschulden auszugehen, wenn zumutbare organisatorische Vorkehrungen (zB die Einsetzung eines Vertreters) nicht getroffen werden, durch die für die rechtzeitige Stellung eines Beihilfeantrags hätte gesorgt werden können. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage, über die nach beidseitigem Einverständnis im schriftlichen Verfahren (§ 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2015 und der Widerspruchsbescheid vom 14. September 2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 80 Abs. 4 des Bundesbeamtengesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) i.V.m. mit der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) in der seit 14. Februar 2009 geltenden Fassung (BGBl I S. 326) auf Gewährung von Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Entsprechend seines Klageantrags begehrt der Kläger die Gewährung von Beihilfeleistungen für die mit Beihilfeantrag vom 24. September 2015 eingereichten Rechnungen, deren Rechnungsdatum vor dem 28. September 2014 liegt.
2.1. Der Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen der streitgegenständlichen Aufwendungen ist wegen Versäumung der Jahresfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV erloschen.
Die Jahresfrist endete für die jüngste, nicht erstattete Arztrechnung, die das Rechnungsdatum „19. September 2014“ trägt, gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB mit Ablauf des 21. September 2015 (Montag) um 24.00 Uhr. Der Beihilfeantrag vom 24. September 2015 ging bei der Beihilfestelle jedoch erst am Montag, den 28. September 2015 ein. Für die Feststellung der Einhaltung der einjährigen Antragsfrist kommt es auf das Datum des Eingangs des Beihilfeantrags bei der Feststellungsstelle an (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012 – 14 ZB 11.1379 – juris Rn. 5 m.w.N.; VG Saarland, U.v. 18.5.2010 – 3 K 883/09 – juris Rn. 26 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 9.10.2006 – Au 7 K 06.659 – juris Rn. 22 m.w.N.; VG Schleswig, U.v. 19.11.2001 – 11 A 5/00 – juris Rn. 22 m.w.N.). Demnach ist der Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen der streitgegenständlichen Aufwendungen – d.h. für alle Rechnungen, die vor dem 28. September 2014 datiert sind – wegen Versäumung der Jahresfrist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV erloschen.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen materiellen Ausschlussfrist bestehen keine Bedenken (BVerwG, U.v. 28.6.1965 – VIII C 334.63 – juris). Wird sie versäumt, ist der möglicherweise dem Grunde nach gegebene Anspruch auf Beihilfe vernichtet. Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist sie jedenfalls dann unbedenklich, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (vgl. BayVGH, U.v. 5.4.1990 – 3 B 89.2831 – juris Rn. 14 – zu § 17 Abs. 9 BhV; VG München, U.v. 4.3.2010 – M 17 K 08.5515).
2.2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Obgleich es sich bei der Jahresfrist nach § 54 BBhV um eine materielle Ausschlussfrist handelt, ist nach Ziffer 54.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur BBhV bei Versäumnis der Antragsfrist eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, sofern die Voraussetzungen des § 32 VwVfG vorliegen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 32 Rn. 6).
Hinsichtlich der Rechnungen mit Datum vor dem 28. September 2014 kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, da der Kläger nicht ohne Verschulden gehindert war, die Jahresfrist des § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV einzuhalten.
Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (BayVGH, B.v. 15.9.2010 – 14 ZB 10.1096 – juris Rn. 6 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 28.4.1967 – IV C 100.66 – BVerwGE 27, 36-39; BVerwG, B.v. 6.6.1995 – 6 C 13/93 – juris; BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 38/95 – juris). Rechtsunkenntnis kann die Fristversäumnis grundsätzlich nicht entschuldigen. Ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei ihm nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter Weise juristischen Rat einholen (zum insoweit wortgleichen § 60 VwGO vgl. Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage, 2014, § 60 Rn. 6; BVerwG, U.v. 13.1.1989 – NVwZ-RR 1989, 519 – juris Rn. 4).
Bei Krankheit ist zwar grundsätzlich von fehlendem Verschulden auszugehen; namentlich dann, wenn der Betroffene ernsthaft erkrankt war und infolgedessen die Frist nicht selbst wahren oder einen Bevollmächtigten beauftragen konnte (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 32 Rn. 29 m.w.N.). Ebenso, wenn dem Betroffenen „die Dinge über den Kopf gewachsen waren“ (Kopp/Ramsauer a.a.O.). Bei einer Ausschlussfrist, auf die die Wiedereinsetzungsregeln ohnehin nur ausnahmsweise Anwendung finden (vgl. oben), sind diese aber restriktiv zu handhaben, so dass an eine Entschuldigung der Fristversäumnis erhöhte Anforderungen gestellt werden dürfen. Es kommt darauf an, ob dem Beteiligten nach den Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 32 Rn. 21). Der klägerische Vortrag ergibt nicht, dass dieser seine ihm zumutbare Sorgfalt hat walten lassen, um eine rechtzeitige Antragstellung sicherzustellen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Vorkehrungen ist hier ein strenger Maßstab anzulegen, da es sich um eine ohnehin schon sehr großzügig bemessene Frist handelt (vgl. VG München U.v. 11.4.2013 – M 17 K 12.2893).
Es ist nachvollziehbar, wenn der Kläger aufgrund der Diagnose von Prostatakrebs und des Todes seines Schwiegervaters körperlich und psychisch stark belastet war. Es ergibt sich daraus jedoch nicht, dass er deshalb nicht in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig eine Beihilfe zu beantragen. Der Kläger trägt nichts dazu vor, dass er gerade im Hinblick auf die konkrete familiäre und gesundheitliche Situation durch Treffen von organisatorischen Maßnahmen die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um den Beihilfeantrag rechtzeitig stellen zu können (VG Bayreuth, GB.v. 25.1.2011 – B 5 K 10.259 – juris Rn. 29). Der pauschale Verweis auf psychosomatische Symptome genügt nicht dafür, dass der Kläger seinen organisatorischen Pflichten ausreichend nachgekommen wäre. Als sich abzeichnete, dass die Bewältigung des Familienalltags den Kläger über einen nicht absehbaren Zeitraum über das gewöhnliche Maß hinaus beanspruchen würde, hätte er bereits entsprechend, gegebenenfalls auch durch Beauftragung Dritter, reagieren müssen. Bei derartig unwägbaren Hinderungsgründen erfordert es die auch in eigenem Interesse aufzubringende Sorgfalt, sich um Abhilfe zu bemühen anstatt lediglich zuzuwarten.
Der Umstand, dass sich der Kläger aufgrund der Prostataoperation sowie einer anschließenden Lymphozelenfensterung im Krankenhaus aufhalten musste sowie daraufhin die Anschlussheilbehandlung in … antrat, stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Weder aus einer stationären Behandlung noch aus der sich anschließenden Heilbehandlung folgt ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände nicht ohne weiteres, dass der Kläger zur Stellung eines Beihilfeantrages nicht in der Lage war. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger ununterbrochen in stationärer Behandlung befunden hat, die es ihm in Zusammenschau mit einer schweren Erkrankung unmöglich gemacht hätte, einen Beihilfeantrag zu stellen. Demnach hat es immer wieder Zeiträume gegeben, in denen er ohne übermäßig großen Aufwand in der Lage gewesen wäre, bei der Festsetzungsbehörde die ärztlichen Rechnungen einzureichen. Soweit der Kläger durch seinen Bevollmächtigten ergänzend vortragen lässt, anschließend an Antriebslosigkeit gelitten zu haben, als deren Folge der Kläger die Einreichung der Rechnungen komplett verdrängt habe, vermag auch dies nicht einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft darzulegen. Abgesehen davon, dass ärztliche Stellungnahmen oder Atteste hierfür nicht vorgelegt wurden, fehlt es an jeglichen substantiierten Ausführungen zu Dauer und Intensität der behaupteten psychischen Erkrankung, die es dem Kläger unmöglich gemacht hätte, innerhalb eines Jahres einen Beihilfeantrag zu stellen.
2.3. Im Übrigen wurden die Wiedereinsetzungsgründe nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis über die Fristversäumung geltend gemacht. Nach § 32 Abs. 2 VwVfG ist nicht nur der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, sondern sind auch die Tatsachen (wenn diese nicht schon offenkundig sind) zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags mit dem Antrag oder jedenfalls innerhalb der Zwei-Wochen-Frist vorzubringen (BVerwG, B.v. 9.7.1975 – VI C 18.75 – juris; Kopp/Ramsauer; VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 32 Rn. 45 m.w.N.). Nur dann kann die Unsicherheit darüber, ob es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt oder nicht, in den vom Prinzip der Rechtssicherheit geforderten Grenzen gehalten werden. Nach Ablauf der Frist sind nur noch bloße Verdeutlichungen und Ergänzungen zum Sachvortrag zulässig, soweit dieser die wesentlichen Punkte bereits anspricht.
Spätestens mit Zugang des ablehnenden Beihilfebescheids vom 7. Oktober 2015 war dem Kläger die Versäumung der Jahresfrist des § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV bekannt. Aber erst in der Widerspruchsbegründung vom 11. August 2016 wurde der gesundheitliche Zustand des Klägers im Anschluss an seine Prostataoperation sowie dem Tod seines Schwiegervaters als Wiedereinsetzungsgrund genannt. Bei diesem Vortrag handelt es sich damit um eine nachträgliche (zusätzliche) Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs, welche nicht mehr berücksichtigt werden kann. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Zwei-Wochen-Frist sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.4. Schließlich wurde weder vorgetragen noch liegen Umstände dafür vor, dass die Beklagte die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert hat und sie sich ausnahmsweise nach dem Rechtsgedanken der §§ 242, 162 BGB nicht auf das Versäumnis einer die Rechtsverfolgung hindernden oder die Anspruchsberechtigung vernichtenden Ausschlussfrist berufen darf (BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 38.95 – NJW 1997, 2966 m.w.N.).
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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