Verwaltungsrecht

XIII ZB 6/20

Aktenzeichen  XIII ZB 6/20

Datum:
23.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:230321BXIIIZB6.20.0
Normen:
§ 417 Abs 2 S 2 Nr 3 FamFG
§ 417 Abs 2 S 2 Nr 4 FamFG
§ 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG
Spruchkörper:
13. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Hamburg, 9. Januar 2020, Az: 329 T 80/17vorgehend AG Hamburg, 28. September 2017, Az: 219i XIV 286/17

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg – Zivilkammer 29 – vom 9. Januar 2020 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 28. September 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

1
I. Der Betroffene, ein lettischer Staatsangehöriger, reiste vor dem 26. Mai 2010 in das Bundesgebiet ein. Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls wurde er am 6. Juli 2010 nach Lettland ausgeliefert. Nach einer erneuten Einreise am 1. April 2011 wurde ihm durch Bescheid vom 27. Juli 2011 die Unions-Freizügigkeit entzogen. Nachdem der Betroffene zunächst freiwillig ausreiste, reiste er in der Folgezeit wiederholt erneut unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Nach Verbüßung mehrerer Haftstrafen in den Jahren 2015 bis 2017 kam er am 29. August 2017 erneut in Untersuchungshaft, aus der er mit einer Meldeauflage für den 31. August 2017 entlassen wurde, der er nicht nachkam. Am 28. September 2017 wurde der Betroffene festgenommen.
2
Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht antragsgemäß Abschiebungshaft bis zum 17. November 2017 angeordnet. Der Betroffene wurde am 16. November 2017 nach Lettland abgeschoben. Seine danach auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
3
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
4
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, ein zulässiger Haftantrag liege vor. Die Angaben zu den Voraussetzungen einer Haftanordnung sowie zur erforderlichen Dauer der Haft reichten aus.
5
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die Haftanordnung fehlte es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde.
6
a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 – V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 – XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 – XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
7
b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht. Dort wird im Hinblick auf die beantragte Haftdauer lediglich ausgeführt, nach den Bestimmungen der Bundespolizei sei eine begleitete Rückführung auf dem Luftweg zwingend vorgeschrieben und die Bundespolizei benötige erfahrungsgemäß für die Stellung von Begleitbeamten mindestens fünf bis sieben Wochen; die Rückführung sei für die 46. Kalenderwoche geplant.
8
Eine nähere Erläuterung des erforderlichen Zeitaufwands erfolgte damit nicht. Eine solche ist bei einer Abschiebung mittels eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber in aller Regel nur dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle oder entsprechende eigene Erfahrungswerte beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt, etwa durch Angaben zur Art des Fluges, zur Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, zur Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 – V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11, und vom 14. Juli 2020 – XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
9
Danach bedurfte es auch hier einer näheren Erläuterung, warum die Behörde die Abschiebung des Betroffenen erst für die 46. Kalenderwoche plante und damit voraussichtlich nicht in der Lage sein würde, die Abschiebung innerhalb von sechs Wochen zu organisieren. Die Ausführungen der beteiligten Behörde sind damit vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, für die Begründung der beantragten Haft unzureichend (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. April 2018 – V ZB 208/17, juris Rn. 6 mwN; vom 12. Februar 2020 – XIII ZB 49/19, juris Rn. 9).
10
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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