Verwaltungsrecht

Zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben verfassungswidrig – Gebot der Rechtssicherheit erfordert Verjährungsregelung – Art 13 Abs 1 Nr 4 Buchst b DBuchst cc Ss 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (juris: KAG BY) mit Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG unvereinbar – Nichtigkeit bei Ausbleiben einer verfassungskonformen Neuregelung bis 01.04.2014

Aktenzeichen  1 BvR 2457/08

Datum:
5.3.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2013:rs20130305.1bvr245708
Normen:
Art 2 Abs 1 GG
Art 20 Abs 3 GG
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG
§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG
§ 92 BVerfGG
§ 170 Abs 1 AO 1977
Art 13 Abs 1 Nr 4 Buchst b DBuchst cc Ss 2 KAG BY
§ 152a VwGO
Spruchkörper:
1. Senat

Leitsatz

1. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 16. Mai 2008, Az: 20 ZB 08.903, Beschlussvorgehend VG München, 28. Februar 2008, Az: M 10 K 06.2850, Urteil

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.
2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 – 20 ZB 08.903 – und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 – M 10 K 06.2850 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.
3. …

Gründe

A.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe
b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung
des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen
der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.
2
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für
den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige
Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom
14. April 2011 – 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 ; Urteil vom 29. April 2010 – 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240;
Urteil vom 31. August 1984 – 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die
Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt
vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3
2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung
(AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines
Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG
in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4
3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S.
775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b
Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5
Art. 13
Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)
(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen
der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)
4. aus dem Vierten Teil – Durchführung der Besteuerung
(…)
b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:
(…)
cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,
– dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet
werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

– dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt,
in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6
Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7
Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene
Steuer unbedingt geworden ist.

8
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des
Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der
Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde
Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9
4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks
12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den
Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem
Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 – 6 B 82 A.1075 -, BayGT
1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei
(so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 – 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 ). Mit der Einfügung einer weiteren
Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des
23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine
rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist
hinaus erstrecke.

II.
10
1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen
bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in
der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11
Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung
zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag
wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung
war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12
Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte
erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend
zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13
2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab.
Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche
Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame
Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf
der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1.
April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer
Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe
cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist
erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14
Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit
und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von
ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden
gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen
Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen
infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner
Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand
liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung
ab. Sei dieser – wie im vorliegenden Fall – ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche
Beanstandung.

15
3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht
sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids
nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG
sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung
des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 – 23 B 81 A.1967 -,
BayVBl 1985, S. 656 ). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist,
gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb
nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung
einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame
Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung
einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer
Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher
nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht
auf Vertrauensschutz berufen.

III.
16
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs.
1 GG.

17
1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe
cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung
gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten,
die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht
beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des
rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass
die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18
2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten.
Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung
erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame
Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass
sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch
diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen
außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch
nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher
Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.
19
Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20
1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen
Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge
erhoben habe.

21
Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende
Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute
nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr
zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil
der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den
Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22
2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß.
Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls
einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden
sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung
des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23
Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe
rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der
die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die
ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung
verzichten würde.

24
Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten.
Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung
gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch
dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt,
Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage
rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen
Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen
zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig.
Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf
dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes
Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25
3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden
“Reparatur” nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings
mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen
rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen
(Hinweis auf BVerwGE 50, 2 ; 67, 129 ; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 – BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz
401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 ). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung,
da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung
somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 – BVerwG
8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 ).

26
Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 – BVerwG
IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20 sowie NJW 1977, S. 1740 ). Die Anknüpfung der Verjährung
an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit
einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter
problematisiert worden.

27
Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass
bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen
erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung
in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen
Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der
Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im
Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße
daher nicht gegen das Willkürverbot.

28
Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung
gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis
auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 – I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung
der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt
und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten
Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung
des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich
zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf
Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen
und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich
die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29
4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die “Reparatur”
einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe.
Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels
bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben
und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende
Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel
wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf
einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung
vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen
“verdoppelten” Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.
30
Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.
31
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1
GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2,
§ 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert
dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 ; 60, 313 ; 86, 133 ).

II.
32
Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden
rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33
Der Beschwerdeführer war – trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG – nicht gehalten,
zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen
Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht
die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts – sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß
durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird – nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der
Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 ).

C.
34
Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs.
1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes
vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen
gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit
in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.
35
1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen
Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36
Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in
der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 ; 101, 239
; 126, 369 ).

37
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber
keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen
gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine
solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder
vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen
begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche
Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der
Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38
Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen
bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich
2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns
der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39
2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben,
so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen
Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen
Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits
am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.
40
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung
mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips
(vgl. BVerfGE 30, 392 ; 43, 242 ; 60, 253 ). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der
Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den
Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung
individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer
Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41
1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung
als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60,
253 ; 63, 343 ; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 ). Die Bürgerinnen
und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können
(vgl. BVerfGE 13, 261 ; 63, 215 ). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen
in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen
dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn
keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen.
Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in
tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente
des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit
der Rechtsordnung gewährleisten.

42
2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung
einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten.
Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile
einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang
er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43
a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne
nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen
der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden
und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger
auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren
zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den
Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen
Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44
Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere
ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit,
demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen
zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45
b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an
eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis
sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen
liegt – unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens – in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden
zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 ; 93, 319 ). Je weiter dieser Zeitpunkt bei
der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können
dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch
relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem
der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung.
Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen,
ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit
gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang
er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46
c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an
Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei
steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die
berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung
der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47
3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich
zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch,
dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger
Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt
gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die
Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten
verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr
mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst
Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48
Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 – BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS
2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 – BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH,
Urteil vom 8. Oktober 1986 – II R 167/84 -, BFHE 147, 409 ) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit
der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die
verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung
nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.
I.
49
Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG).
Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung
stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 ; stRspr).

50
Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet,
die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist
vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner
konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage
anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf
den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der
Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 – 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000,
S. 535 ). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung
zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs.
5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 – 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht,
§ 8 Rn. 128 ).

II.
51
Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist
an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1
Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden
darf (vgl. BVerfGE 111, 115 ). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b
Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens
aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52
Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung
des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte,
das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender
Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 – 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.
53
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.


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