Verwaltungsrecht

Zeitlicher Anwendungsbereich der Doppelanrechnung von Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung

Aktenzeichen  W 1 K 19.455

Datum:
14.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9994
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SVG § 25 Abs. 2 S. 3, § 63c Abs. 1
VwVfG § 48, § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5
SGB VI § 76e Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt keine “Änderung der Rechtslage” dar, sofern sie nicht Ausdruck neuer allgemeiner Rechtsauffassungen ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder § 63c Abs. 1 SVG noch § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG enthalten dem Wortlaut nach eine zeitliche Einschränkung, die eine Berücksichtigung vor deren Inkrafttreten verbrachter Zeiten ausschließen würde. Eine Stichtagsregelung lässt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte oder dem Schutzzweck der Norm ableiten (Abweichung zu VG Augsburg BeckRS 2018, 10075). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Vergleich § 76e SGB VI spricht unter dem Gesichtspunkt eines Umkehrschlusses gegen eine zeitliche Einschränkung im Kontext der §§ 25, 63c SVG, da es sich bei der Soldatenversorgung und dem Rentenrecht um zwei systematisch unterschiedlich geregelte Materien handelt, so dass Regelungen aus einem Rechtsgebiet im Normalfall nicht für die Auslegung im anderen Rechtsgebiet herangezogen werden können. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts ist ein Rechtssatz grundsätzlich nicht auf solche Sachverhalte anwendbar, die bereits vor seinem Inkrafttreten verwirklicht (abgeschlossen) waren, da im Zweifel anzunehmen ist, dass er nur die Zukunft, nicht aber die Vergangenheit regeln will. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Rechtsverhältnis kraft öffentlichen Rechts ist in diesem Sinne erst dann abgeschlossen, wenn es durch verbindlichen Einzelrechtsakt, wie z.B. rechtskräftiges Urteil, bestandskräftigen Verwaltungsakt, Vergleich, Verzicht, Anerkenntnis etc. rechtlich festgestellt oder abgewickelt ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Generalzolldirektion vom 5. Juli 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 31. August 2017 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 9. Januar 2017 auf Abänderung des Bescheides vom 2. März 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den Kläger war notwendig.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist bei wohlwollender Auslegung (§ 88 VwGO) darauf gerichtet, die Beklagte zu verpflichten, den bestandskräftigen Versorgungsbescheid vom 02.03.2016 aufzuheben bzw. abzuändern und bei dem Kläger die streitgegenständlichen Einsatzzeiten für die KFOR bei der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit doppelt zu berücksichtigen.
Die Klage ist zulässig und im Sinne eines Bescheidungsurteils auch begründet. Soweit darüber hinaus die Verpflichtung der Beklagten zur doppelten Anerkennung der streitgegenständlichen Einsatzzeiten begehrt wurde, war die Klage im Übrigen abzuweisen.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, über seinen Antrag vom 09.01.2017 auf Abänderung der Festsetzung seines Altersruhegeldes im Bescheid vom 02.03.2016 unter Berücksichtigung der Zeit seiner Auslandsverwendung vom 04.11.2002 bis 30.01.2003 und vom 03.02.2005 bis 12.05.2005 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu entscheiden. Der Bescheid der Generalzolldirektion vom 05.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2017, mit dem der Antrag des Klägers abgelehnt wurde, erweist sich als rechtswidrig und war daher aufzuheben.
1.
Zwar hat der Kläger hinsichtlich des bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheids vom 02.03.2016 keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (sog. Wiederaufgreifen im engeren Sinne), da sich weder die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat noch neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden und auch keine Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind.
Eine Änderung der Rechtslage setzt voraus, dass sich das maßgebliche materielle Recht nach Erlass des Verwaltungsakts geändert hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 30). Die hier inmitten stehende Norm des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG wurde mit Wirkung zum 13.12.2011 eingefügt und damit vor Erlass des Verwaltungsakts vom 02.03.2016.
Keine Änderung der Rechtslage stellt die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, sofern sie nicht Ausdruck neuer allgemeiner Rechtsauffassungen ist (Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30). Vorliegend ist (soweit ersichtlich) noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen. Da die Verwaltungsgerichte sich hinsichtlich der hier zu entscheidenden Rechtsfrage nicht einig sind (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.04.2018 – Au 2 K 17.1265; VG Karlsruhe, U. v. 13.09.2016 – 6 K 4811/15; VG Kassel, U.v. 29.01.2018 – 1 K 6770/17.KS; VG Gera, U.v. 26.03.2019 – 1 K 598/17 Ge; VG Sigmaringen, U.v. 17.10.2018 – 10 K 6420/17 – alle bei juris) und bislang nur vereinzelt obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt (VGH Baden-Württemberg, B.v. 14.02.2017 – 4 S 2079/16 – juris), kann von einer Änderung der allgemeinen Rechtsauffassung nicht die Rede sein.
2.
Der Kläger hat indes einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ermessensfehlerfrei über seinen Antrag vom 09.01.2017 auf Abänderung des Bescheides vom 02.03.2016 gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 VwVfG (Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) entscheidet.
Der Bescheid vom 02.03.2016 erweist sich deshalb als rechtswidrig mit der Folge, dass § 48 Abs. 1 VwVfG anzuwenden ist, weil die Generalzolldirektion darin die Zeiten der besonderen Auslandsverwendung des Klägers (vgl. dazu § 63c Abs. 1 SVG) vom 04.11.2002 bis 30.01.2003 und vom 03.02.2005 bis 12.05.2005 nicht gemäß § 25 SVG Abs. 2 S. 3 SVG angerechnet hat, sondern die Anwendung dieser Bestimmung auf die genannten Zeiten der Auslandsverwendung zu Unrecht abgelehnt hat. Die Generalzolldirektion hat daher bei der Ablehnung des Antrags des Klägers vom 09.01.2017 mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.07.2017 (Widerspruchsbescheid vom 31.08.2017) die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens verkannt (§ 114 VwGO).
Nach der Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG können Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG bis zum Doppelten als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Eine besondere Auslandsverwendung ist gemäß § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG eine Verwendung auf Grund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat auf Beschluss der Bundesregierung im Ausland.
So liegt es hier. Die Auslandseinsätze vom 04.11.2002 bis 30.01.2003 und vom 03.02.2005 bis 12.05.2005 dauerten jeweils länger als 30 Tage und ergeben insgesamt 189 Tage. Es handelt sich bei den Einsätzen im Rahmen der KFOR auch unstreitig um besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 63c Abs. 1 SVG.
Insbesondere können auch die vor dem 01.12.2002 liegenden Auslandseinsatzzeiten bis zum Doppelten als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten berücksichtigt werden. Denn weder § 63c Abs. 1 SVG noch § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG enthalten dem Wortlaut nach eine zeitliche Einschränkung, die eine Berücksichtigung dieser Zeiten ausschließen würde. Die von der Beklagten angewandte Stichtagsregelung lässt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte oder dem Schutzzweck der Norm ableiten. Systematischteleologische Erwägungen und die Grundätze des intertemporalen Verwaltungsrechts zwingen ebenfalls nicht zu einer anderweitigen Auslegung (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 14.02.2017 – 4 S 2079/16 -, juris-Rn. 9; VG Magdeburg, U.v. 25.07.2018 – 8 A 352/17 -, juris-Rn. 17; VG Kassel, U.v. 29.01.2018 – 1 K 6770/17.KS -, juris-Rn. 30; VG Karlsruhe, U.v. 13.09.2016 – 6 K 4811/15 – BeckRS 2016, 116105 Rn. 19 ff.).
a. Der Wortlaut der gesetzlichen Normen ist eindeutig und spricht für die Berücksichtigung der hier maßgebenden Zeiten. Zwar verweist § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG auf § 63c Abs. 1 SVG. Damit sind auch nur Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung berücksichtigungsfähig, die unter § 63c Abs. 1 SVG fallen. Nach § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG ist eine besondere Auslandsverwendung eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat auf Beschluss der Bundesregierung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen. § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG enthält somit nach seinem Wortlaut aber keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass eine besondere Auslandsverwendung nur eine Einsatzverwendung im Ausland nach dem 30.11.2002 ist. Daher ergibt sich aus dem Wortlaut des § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG nicht die von der Beklagten geltend gemachte zeitliche Beschränkung der Berücksichtigung von Verwendungszeiten. Allein, dass § 63c Abs. 1 SVG erst – rückwirkend – zum 01.12.2002 in Kraft getreten ist, führt nicht dazu, dass von der Definition des Begriffs “besondere Auslandsverwendung” in § 63c Abs. 1 SVG nur Auslandseinsätze ab diesem Zeitpunkt erfasst sind. Vielmehr definiert Abs. 1 – wie ausgeführt – den Begriff der “besonderen Auslandsverwendung” gerade ohne jegliche zeitliche Einschränkung in Hinblick auf die Verwendung (anders als z.B. in § 76e SGB VI), sodass von der Definition in § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG auch Einsätze im Ausland vor dem Zeitraum des Inkrafttretens der Vorschrift erfasst sind. Eine außerhalb des Wortlauts liegende Deutung bewegt sich nicht (mehr) innerhalb der Auslegung, sondern der Umdeutung bzw. Rechtsfortbildung. Als solche ist sie zwar nicht von vorneherein unzulässig, jedoch an den erhöhten Anforderungen der Rechtsfortbildung zu messen und zu rechtfertigen. Es ergeben sich aber gerade keine Hinweise, dass das Gesetz einer richterlichen Rechtsfortbildung bedürfte (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O., juris-Rn. 8).
b. Auch systematische Überlegungen wie etwa der Vergleich mit anderen Vorschriften wie z.B. § 76e SGB VI helfen über das Wortlautargument nicht hinweg bzw. spricht unter dem Gesichtspunkt eines Umkehrschlusses sogar gerade gegen eine zeitliche Einschränkung im Kontext der §§ 25, 63c SVG, da es sich bei der Soldatenversorgung und dem Rentenrecht um zwei systematisch unterschiedlich geregelte Materien handelt, so dass Regelungen aus einem Rechtsgebiet im Normalfall nicht für die Auslegungen im anderen Rechtsgebiet herangezogen werden können. Auch die vom Verwaltungsgericht Augsburg (VG Augsburg, U.v. 12.04.2018 – Au 2 K 17.1265 – juris-Rnrn. 45 ff.) insoweit herangezogene Begründung zu § 76e Abs. 1 SGB VI kann daher nicht für die Auslegung der Normen des Soldatenversorgungsgesetzes herangezogen werden.
c. Auch aus dem Inkrafttreten des § 63c SVG als Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Regelung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen vom 21.12.2004 – EinsatzVG – zum 01.12.2002 (vgl. Art. 11 Abs. 1 EinsatzVG) folgt nicht, dass die (durch § 25 SVG in Bezug genommene) Norm des § 63c SVG erst auf danach absolvierte Auslandseinsätze Anwendung findet. Diese Ansicht schließt letztlich unzulässig aus der Inkrafttretensregelung für § 63c SVG auf eine (auch) für § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG zu verneinende Rückwirkung und die Erfassung nur solcher Sachverhalte, in denen die anspruchsbegründenden Tatsachen für das vorliegend zu gewährende Altersgeld vor dem 30.11.2002 entstanden sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O., juris-Rn. 9 ff.).
Nach den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts erfassen Rechtsänderungen im Zweifel grundsätzlich alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Fälle, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimmt (vgl. BVerfG, B.v. 07.07.1992 – 2 BvR 1631/90 u.a. – juris-Rn. 39-45; BVerwG, U.v. 25.10.2017 – 1 C 21.16 – juris-Rn. 18; U.v. 14.04.2011 – 3 C 20.10 – juris-Rn. 17; U.v. 26.03.1985 – 9 C 47.84 – juris-Rn. 13; VGH BW, a.a.O. – juris-Rn. 10).
Abweichend hiervon sind Rechtsänderungen jedoch im Zweifel auf zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestandskräftig abgeschlossene Rechtsverhältnisse nicht anwendbar (Grundsatz der Unantastbarkeit in der Vergangenheit abgeschlossener Rechtsverhältnisse). Daher richtet sich die Beurteilung eines Sachverhalts grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich oder stillschweigend etwas anderes bestimmt. Ein Rechtssatz ist grundsätzlich nicht auf solche Sachverhalte anwendbar, die bereits vor seinem Inkrafttreten verwirklicht waren, da im Zweifel anzunehmen ist, dass er nur die Zukunft, nicht aber die Vergangenheit regeln will (siehe zum Ganzen: VG Regensburg, a.a.O. – juris-Rn. 53 m.w.N.). Hiervon ausgehend gilt, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG i.V.m. § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG in zeitlicher Hinsicht nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Versorgungsbezug zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung bereits bestandskräftig geregelt worden ist, wobei vorliegend hinsichtlich des maßgeblichen Stichtags offen bleiben kann, ob auf das rückwirkende Inkrafttreten von § 63c SVG am 01.12.2002 oder auf das Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG zum 13.12.2011 abzustellen ist.
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor. Eine durch einen Rechtsanwendungsakt vorgenommene versorgungsrechtliche Bewertung und Einordnung der streitigen Auslandszeiten des Klägers lag zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 63c SVG bzw. des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG (noch) nicht vor. Bei (noch) aktuellen und – wie vorliegend – noch nicht bewerteten Sachverhalten existiert keine Abgeschlossenheit. Denn ein Rechtsverhältnis kraft öffentlichen Rechts ist erst dann „abgeschlossen“, wenn es durch verbindlichen Einzelrechtsakt, wie z.B. rechtskräftiges Urteil, bestandskräftigen Verwaltungsakt, Vergleich, Verzicht, Anerkenntnis etc. rechtlich festgestellt oder abgewickelt ist. Davon kann vorliegend keine Rede sein, da der Versorgungsfall beim Kläger erst am 01.05.2016 eingetreten ist.
Auch der Grundsatz der Sofortwirkung und der Nichtrückwirkung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Danach kann vom Gesetz auch gewollt sein, dass der Rechtssatz im Zweifel nur die Zukunft und nicht die Vergangenheit ordnen will, so dass Entstehung und Fortbestand eines Rechts sich grundsätzlich nach dem bisherigen Recht richten (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O. – juris-Rn. 12). Dieser Grundsatz greift vorliegend nicht. Vielmehr bleibt es bei der (regelmäßigen) Anwendung des neuen Rechts in Anbetracht des ebenso anerkannten Grundsatzes des Gewichts und der Dringlichkeit des Regelungsanliegens des neuen Rechts. Hiernach gilt, dass je gewichtiger und dringlicher das Anliegen ist, auf dem ein neues Gesetz beruht, desto eher daraus folgt, dass es auch bereits vorher unter dem früheren Recht begründete Lebenssachverhalte erfassen soll. Wenn das neue Recht – wie vorliegend – eine (bisherige) gesetzgeberische Untätigkeit beseitigt, spricht eigentlich alles dafür, dass die doppelte Berücksichtigung von Auslandszeiten nicht nur für die Zukunft wirken soll. Hierbei können die Gesetzgebungsmaterialien zu § 25 Abs. 2 SVG berücksichtigt werden, aus denen sich das gesetzgeberische Ziel entnehmen lässt, das Recht der Einsatzversorgung „weiterzuentwickeln und zu verbessern“. Hierdurch sollte „der besonderen Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn gegenüber dem in besonderen Auslandsverwendungen eingesetzten Personal besser Rechnung getragen werden“ (BT-Drs. 17/7143, S. 1). Militärische und zivile Auslandsverwendungen in Konfliktgebieten und Krisenregionen seien mit besonderen Gefahren für das eingesetzte Personal verbunden, die nicht mit den Risiken bei dienstlichen Tätigkeiten im Inlandsdienst gleichgesetzt werden könnten (a.a.O., S. 13).
Dass der Gesetzgeber in Hinblick auf die politische Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, im internationalen Rahmen durch Auslandseinsätze von Soldatinnen und Soldaten sowie Beamtinnen und Beamten gesteigerte Verantwortung zu übernehmen, möglicherweise nur Auslandseinsätze ab dem 01.12.2002 erfassen wollte (vgl. BR-Drs. 323/04 vom 30.04.2004, S. 19 f.), kann nicht dazu führen, § 63 c Abs. 1 S. 1 SVG entgegen seinem eindeutigen Wortlaut auf Einsatzverwendungen im Ausland ab dem 01.12.2002 zu beschränken. Die Auslegung einer gesetzlichen Norm findet ihre Grenze in deren Wortlaut. Anders als § 63c Abs. 2 SVG, der das Unfallrecht betrifft und den die eben zitierten Drucksachen hinsichtlich der Geltung der neuen Regelungen wohl zuvörderst im Blick hatten, ist im Rahmen des § 63c Abs. 1 SVG auch nicht auf ein zeitlich eindeutig bestimmbares Ereignis abzustellen, um den Tatbestand der Vorschrift zu verwirklichen.
3.
Der Klage war daher im Sinne der Verpflichtung der Beklagten auf erneute Entscheidung über den Antrag des Klägers vom 09.01.2017 stattzugeben. Von einer Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit ist nicht auszugehen, da eine Aufrechterhaltung des ursprünglichen Versorgungsbescheids nicht schlechthin unerträglich wäre (vgl. VG Augsburg, a.a.O. – juris-Rn. 59 f.; a.A. VG Kassel, a.a.O. – juris-Rn. 33).
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen oder Unterliegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
5.
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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