Verwaltungsrecht

Zu den Voraussetzungen der Anordnung von Zurückweisungshaft

Aktenzeichen  31 T 997/18

Datum:
10.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38012
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 15 Abs. 5, § 62 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

1. Für Zurückweisungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Zurückweisung und zur notwendigen Haftdauer verlangt. Diese Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG setzt materiell das Vorliegen einer Zurückweisungsentscheidung voraus, die nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Ein Haftgrund nach § 62 Abs. 3 AufenthG ist nicht erforderlich. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet allerdings, dass die Anordnung der Zurückweisungshaft auf Fälle beschränkt bleibt, in welchen die Haft zur Sicherung der Zurückweisung erforderlich ist. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu besorgen ist, dass der Betroffene sich dem Verfahren durch Flucht entziehen würde. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 XIV 97/18 2018-06-15 AGINGOLSTADT AG Ingolstadt

Tenor

I. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 15.06.2018 wird zurückgewiesen.
II. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Betroffene ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er versuchte am 23.02.2018 gegen 14.30 Uhr in einem Fernreisebus über die Bundesautobahn A 96, Anschlussstelle Si., in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Er führte dabei keine Identitätsdokumente oder andere aufenthaltslegitimierenden Dokumente mit sich. Beamte der Bundespolizeiinspektion Ro. verweigerten dem Betroffenen die Einreise. Eine EURODAC-Recherche ergab Treffer für Italien, Griechenland und Ungarn.
Ein vom Betroffenen in Deutschland betriebenes Asylverfahren wurde durch ablehnenden Bescheid vom 07.12.2017, zugestellt am 14.12.2017, abgeschlossen. Auch in den Verfahren in Griechenland und Ungarn wurde dem Betroffenen Asyl oder ein Schubstatus nicht gewährt.
Die Bundespolizeidirektion M., vertreten durch die Bundespolizeiinspektion K. betreibt die Zurückweisung des Betroffenen nach P..
Mit Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 24.02.2018 wurde angeordnet, den Betroffenen bis längstens 09.03.2018 in vorläufige Zurückweisungshaft zu nehmen. Der Betroffene wurde in die Abschiebehafteinrichtung in Ei., W. Straße …, verbracht. Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion K. vom 05.03.2018 ordnete das Amtsgericht Ingolstadt mit Beschluss vom 07.03.2018 Haft gegen den Betroffenen zur Sicherung der Zurückweisung bis spätestens 22.05.2018 an. Mit Beschluss vom 30.04.2018 wurde durch das Landgericht Ingolstadt die Beschwerde des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft spätestens am 15.05.2018 endet. Gegen diesen Beschluss des Landgerichts Ingolstadt ist derzeit eine Rechtsbeschwerde vor dem BGH anhängig.
Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion R. vom 11.05.2018 ordnete das Amtsgericht Ingolstadt mit Beschluss vom 14.05.2018 die Verlängerung der angeordneten Sicherungshaft zur Zurückweisung bis 27.06.2016 an. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen wurde mit Beschluss des Landgerichts Ingolstadt (Az. 22 T 903/18) zurückgewiesen.
Am 22.08.2018 beantragte die Bundespolizeiinspektion R. die erneute Verlängerung der Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückweisung des Betroffenen bis 22.08.2018. Das Amtsgericht Ingolstadt ordnete daraufhin mit Beschluss vom 15.06.2018 entsprechend die Verlängerung der Haft an. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit Beschwerde seines Verfahrensbevollmächtigten vom 20.06.2018. Mit Beschluss vom 20.06.2018 half das Amtsgericht Ingolstadt der Beschwerde nicht ab und legte die Akten dem Landgericht Ingolstadt zur Entscheidung vor. Der Betroffene wurde im Laufe der Verfahren mehrfach angehört. Vor Erlass des im streitgegenständlichen Verfahren angefochtenen Beschlusses erfolgte eine Anhörung durch das Amtsgericht Ingolstadt am 15.06.2018. In dem Verfahren des Landgerichts Ingolstadt, 22 T 903/18, wurde der Betroffene am 18.06.2018 durch den beauftragten Richter der Kammer persönlich angehört. Der Betroffene gab dabei, insbesondere im streitgegenständlichen Verfahren, an, nicht nach Pakistan ausreisen zu wollen und aus diesem Grund an bundespolizeilichen Maßnahmen nicht mitzuwirken.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 15.06.2018 ist unbegründet.
1. Die formellen Voraussetzungen der Anordnung der Zurückweisungshaft und deren Verlängerung liegen vor.
Der Anordnung der Zurückweisungshaft lag ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftverlängerungsantrag der Bundespolizeiinspektion R. zugrunde. Die Zuständigkeit der Bundespolizeidirektion M., hier vertreten durch die Bundespolizeiinspektion R., ergibt sich aus §§ 1 Abs. 2 BPolG, 2 BPolZV, 71 Abs. 3 Nr. 1 e AufenthG.
Für Zurückweisungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Zurückweisung und zur notwendigen Haftdauer verlangt. Diese Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen. Der Haftverlängerungsantrag vom 09.05.2018 entspricht diesen Vorgaben. Im Haftantrag werden u.a. die Umstände des Aufgriffs des Betroffenen im Rahmen einer Grenzkontrolle dargestellt. Es wurde dargelegt, dass der Betroffene weder über einen Aufenthaltstitel, noch über Passdokumente verfügt hat und dass aus diesem Grund gegen den Betroffenen die Einreiseverweigerung ergangen ist. Weiter wird dargestellt, dass die Freiheitsentziehung zur Sicherung der Zurückweisung erforderlich ist und weniger in Rechte des Betroffenen einwirkende Maßnahmen nicht erfolgsversprechend sind. Schließlich setzt sich der Haftantrag im Einzelnen mit der erforderlichen Haftdauer von weiteren 8 Wochen im Anschluss an die bestehende Haft, also insgesamt bis zum 22.08.2018 auseinander. Die materiellen Voraussetzungen der Zurückweisungshaft bis zum 22.08.2018 nach § 15 Abs. 5 AufenthG liegen vor.
Anordnungsgrundlage der Zurückweisungshaft ist § 15 Abs. 5 AufenthG, ohne dass es auf das Vorliegen der Haftgründe des § 62 Abs. 3, 2 Abs. 14 AufenthG ankommt. Die Anordnung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG setzt materiell das Vorliegen einer Zurückweisungsentscheidung voraus, die nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Ein Haftgrund nach § 62 Abs. 3 AufenthG ist nicht erforderlich, was sich daraus ergibt, dass in § 15 Abs. 5 Satz 2 AufenthG lediglich auf § 62 Abs. 4 AufenthG, nicht jedoch auf § 62 Abs. 3 AufenthG mit den dort genannten Haftgründen verweist. Allerdings gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Anordnung der Zurückweisungshaft auf Fälle beschränkt bleibt, in welchen die Haft zur Sicherung der Zurückweisung erforderlich ist. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu besorgen ist, dass der Betroffene sich dem Verfahren durch Flucht entziehen würde.
a) Eine Zurückweisungsentscheidung der zuständigen Behörde, welche nicht unmittelbar vollzogen werden konnte, liegt mit der Verfügung der Bundespolizei, durch die dem Betroffenen am 23.02.2018 die Einreise verweigert wurde, vor (Bl. 16 d.A.). Sie konnte noch nicht vollzogen werden, weil, wie dies im Antrag der Bundespolizeiinspektion R. vom 09.05.2018 aufgeführt ist, eine positive Identifizierung des Betroffenen durch die islamische Republik P. noch nicht erfolgt ist.
Die Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsverfügung hat der Haftrichter nicht zu prüfen. Der Haftrichter hat vielmehr aufgrund der ergangenen Zurückweisungsentscheidung der Bundespolizei davon auszugehen, dass die Einreise nicht erfolgt ist. Rechtsschutz würde insoweit allein vor den Verwaltungsgerichten gewährt.
b) Die Freiheitsentziehung genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist insbesondere zur Sicherung der Zurückweisung erforderlich. Die Kammer ist unter Berücksichtigung der Angaben des Betroffenen und der konkreten Umstände des Falles davon überzeugt, dass sich der Betroffene im Falle einer Freilassung dem Verfahren nicht stellen und sofort untertauchen würde. Dabei hat die Kammer nach § 68 Abs. 3 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abgesehen. Der Betroffene hat sich bereits in dem Verfahren 22 T 903/18 am 18.06.2018 und im vorliegenden Verfahren vor dem Amtsgericht Ingolstadt am 15.06.2018 geäußert, sodass von einer abermaligen Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Der Betroffene hat jeweils angegeben, nicht nach P. zurückkehren zu wollen und an dem 31 T 997/18 – Seite 5 – Verfahren über die Zurückweisung nicht mitwirken zu wollen.
Der Betroffene verfügt über keine gültigen Identitätsdokumente. Es liegt daher nahe, da er auch nicht an der Beschaffung derartiger Papiere mitzuwirken beabsichtigt, dass er sich dem vorliegenden Verfahren entziehen will.
c) Der Beschleunigungsgrundsatz ist gewahrt. Insbesondere war eine frühere Zurückweisung des Betroffenen nach P. nicht möglich. Die Bundespolizeiinspektion R. hat überzeugend den zeitlichen Ablauf des Zurückweisungsverfahrens geschildert. Danach bedarf es im vorliegenden Fall eines Zeitraums von 22 Wochen für die Identifizierung des Betroffenen durch die islamische Republik P. und anschließend eines Zeitraums von 3 Wochen für die Organisation der Überstellung des Betroffenen mittels einer Sammelchartermaßnahme nach P..
aa) Der Zeitraum zur Identifizierung von 22 Wochen ist erforderlich. Er ist, wie die Bundespolizeiinspektion R. zutreffend ausführt, darauf zurückzuführen, dass der Betroffene ohne Reisedokumente angetroffen wurde und an der Beschaffung von Ausweisdokumenten nicht mitgewirkt hat. Im Antrag vom 13.06.2018 stellt die Behörde, der die Kammer auch insoweit folgt, überzeugend dar, dass die Auswertung vorliegender Daten für den Zeitraum Mai 2017 bis einschließlich April 2018 ergibt, dass in einem Zeitraum von bis zu 22 Wochen 72% der betroffenen Personen positiv durch die pakistanischen Behörden identifiziert werden. Es besteht damit die begründete Erwartung, dass nach Ablauf dieses Zeitraums die Zurückweisung des Betroffenen nach P. organisiert werden kann.
bb) Diese dreiwöchige Zeitspanne für die Organisation der Überstellung beruht auf folgenden Erwägungen: Eine Überstellung des Betroffenen mit Linienflug ohne Begleitung kann nicht erfolgen, da zu befürchten wäre, dass der Betroffene sich dem widersetzen würde und, wie er anlässlich einer Anhörung angegeben hat, im Flugzeug schreien würde. Regelmäßig verweigern Piloten in diesen Fällen die Mitnahme der jeweilig betroffenen Personen. Die Nutzung eines Linienflugzeugs mit Sicherheitsbegleitung kann nicht erfolgen, da die pakistanischen Behörden für Begleitkräfte keine Transitvisa erteilen. Die Kammer folgt weiter den Ausführungen der Bundespolizeiinspektion auch dahingehend, dass die Organisation der Mitnahme des Betroffenen in einem Sammelcharterflug drei Wochen benötigt, da nach der Identifizierung durch die pakistanische Botschaft ein Passersatzpapier ausgestellt werden muss und die Passagierlisten mit einem Vorlauf von 15 Tagen den pakistanischen Behörden gemeldet werden müssen.
cc) Durch die Verlängerung der Anordnung der Haft zur Zurückweisung ist die Anordnung der Haft für einen Zeitraum bis zu 6 Monaten (§§ 15 Abs. 5 Satz 2, 62 Abs. 4 AufenthG) gewahrt. Der Betroffene wurde am 23.02.2018 am Grenzübergang vorläufig festgenommen, bis 22.08.2018 soll die Ausreise erfolgen.
Auch der Zeitraum für die Identifizierung des Betroffenen durch die pakistanischen Behörden ist korrekt berechnet. Die Passbeschaffungsdokumente wurden am 28.02.2018 bei der Botschaft der islamischen Republik P. eingereicht (Bl. 40 d.A.). Die Zeitspanne von 22 Wochen läuft mithin am 01.08.2018 aus. Durch die Hinzurechnung weiterer 3 Wochen für die Organisation der Ausreise ergibt sich die im amtsgerichtlichen Beschluss bestimmte Haftdauer bis 22.08.2018.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.


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