Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 8 K 20.30093

Datum:
18.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 11228
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 lit. b
AsylVfG § 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Januar 2020 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Januar 2020 ist in seinen Nummern 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Klägerin aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Obergerichte (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG SH, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; OVG NRW, B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl, U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183 – jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerin vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 sowie OVG NRW, B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; OVG SH, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Klägerin, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte ihre christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Die Klägerin hat glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Die Klägerin schilderte nicht nur bei der Anhörung im Behördenverfahren, sondern auch in einem schriftlichen Bericht und nicht zuletzt in der mündlichen Verhandlung ausführlich ihren Kontakt zum Christentum im Iran und die Entwicklung ihrer Konversion. Sie sei im Iran als Moslem geboren, habe sich aber nicht an islamische Regeln gehalten und sei auch von ihrer Familie nicht dazu gezwungen worden. Sie habe während eines Krankenhausaufenthaltes eine armenische Christin kennengelernt. Sie hätten sich gegenseitig besucht und die Frau habe ihr das Christentum nähergebracht. Sie habe ihr Gott vorgestellt und zwar Jesus Christus als lebendigen Gott im Christentum, während es im Islam ein toter Gott sei, der keine Wunder vollbringen könne. Sie sie von der anderen Frau missioniert worden und habe das Neue Testament auf Persisch geschenkt bekommen. Sie habe dieses Buch studiert und sie habe sich dabei sehr gelöst gefühlt. Die andere Frau habe auch für sie gebetet. Die Entwicklung zur Konversion habe im Iran etwa acht/neun Monate gedauert. Nach vier Monaten sei sie überzeugt gewesen, dass sie Christin sei. Eine Hauskirche habe sie nicht besucht, weil andere sich geweigert hätten, sie aufzunehmen. Aber sie habe sich zusammen mit ihrem Mann und der Freundin und deren Mann getroffen. Sie habe wie ihr Ehemann dort das Glaubensbekenntnis gesprochen und sie hätten sich auch über die Bibel unterhalten. In der Türkei habe sie Kontakt zu einer dortigen Christengemeinde aufgenommen. Es habe etwa ein Jahr bis zur Taufe gedauert. Vor der Taufe habe sie etwa zwei Monate in einem Taufvorbereitungskurs gelernt. Sie habe etwas über die Wunder von Jesus Christus gelernt sowie wie sich ein Christ zu benehmen habe, dass ein Christ zu missionieren habe, sowie Gebete und das Beten selbst. In Deutschland habe sie, wie auch schon ihr Ehemann Kontakt zur christlichen Gemeinde aufgenommen und gerade in der letzten Zeit mit den Corona-Beschränkungen hätten sie ihre christlichen Veranstaltungen, Kurse und Gottesdienste online abgehalten, insbesondere über „Zoom“, wie auch der in der mündlichen Verhandlung anwesende Beistand erklärte. Sie habe mit ihrem Handy kommuniziert. Vor den Corona-Einschränkungen habe sie die Kurse und Gottesdienste persönlich besucht.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagiert. Die Klägerin erklärte glaubhaft: Sie habe schon im Iran der Kollegin eine Bibel geschenkt sowie ihren Mann zum Christentum gebracht. Zurzeit missioniere sie Freunde und ihre Familie. Ihre Familie habe schon im Iran von ihrer Konversion gewusst. Auch die Familie ihres Ehemannes habe im Iran schon davon gewusst. Mit der Schwiegermutter habe es Probleme gegeben. Mit der Missionierung sei es nicht so einfach, wenn man die Situation im Iran betrachte, gerade mit Blick auf ihre Eltern. Aber sie habe schon mit Erfolg einen älteren Bruder missioniert. Dieser sei noch im Iran. Außerdem habe sie eine Freundin, die jetzt noch in Griechenland sei, missioniert. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt macht, war für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Die Klägerin verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte die Klägerin zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht hat. Die Klägerin erklärte: Der Islam sei etwas Totes. Man sei Sklave oder Sklavin. Im Christentum gebe es den lebendigen Gott. Sie selbst habe schon die Wunder des Christentums erlebt. Man sei ein Kind Gottes und frei. Jesus Christus sei unseretwegen auf die Erde gekommen, um uns von den Schulden und der Sunde zu erlösen. Er habe uns die Chance gegeben, damit uns vergeben werde. Jesus Christus sei der Sohn Gottes und gleichzeitig auch Gott. Jesus Christus sei gleichzeitig Mensch und Gott gewesen und Mohammed sei nur ein Mensch gewesen. Jesus Christus habe sein eigenes Blut für uns vergossen, es sei eine Vorsehung gewesen. Der Gott bzw. der Heilige Geist habe Jesus Christus geschaffen und tatsächlich sei Jesus Christus auf die Erde gekommen. Die Sünden stammten von Adam und Eva. Gott habe ihnen alles gegeben bzw. verboten, von gewissen Bäumen etwas zu nehmen. Sie sollten kein Obst davon essen. Aber sie hätten der Versuchung nicht widerstehen können. Wäre Jesus nicht gekommen, dann wären wir alle wegen unserer Sünden verstorben.
Die Klägerin offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihre Gewissensschritt zusätzlich belegen, wie etwa einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte die Klägerin auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Klägerin bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Die Klägerin erklärte weiter, sie könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder wegzugehen und zum Islam zurückzukehren. Sie wolle die Vergebung und die innere Ruhe nicht mehr missen. Sie könne sich auch nicht vorstellen, dass es so etwas im Islam geben könnte. Sie könnte bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran ihre Konversion auch nicht verheimlichen. Sie sei sowohl von ihrer Schwiegermutter als auch von ihrem Ex-Arbeitgeber denunziert worden. Sie hätten vorgehabt, sie anzuzeigen, und sie tatsächlich angezeigt. Die Familie ihres Ehemanns habe sogar ihrer eigenen Familie gedroht. Außerdem sage Jesus Christus, wer mich leugne, der leugne Gott.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin missionarische Aktivitäten entwickelt, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 14.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Dazu tragen auch die Ausführungen der als Beistände in der mündlichen Verhandlung anwesenden Mitglieder der christlichen Gemeinde bei. Der eine Beistand erklärte: Die Klägerin sei etwa ein halbes Jahr bei ihnen. Positiv sei, dass die Klägerin regelmäßig bei ihnen teilnehme, zuletzt auch online jede Woche. Außerdem sei sie in ihrem christlichen Glauben nicht allein. Ihr Mann sei an ihrer Seite, der auch noch besser Deutsch könne als die Klägerin. Im Übrigen vergesse man die Heilungswunder nicht. Auch den Frieden von Jesus vergesse man nicht so leicht. Der andere Beistand, eine Frau, erklärte: Die Klägerin sei ein ganz lieber Mensch, die ruhig ihr Leben lebe und bete, allerdings auf Farsi. Teilweise übersetze der Mann der Klägerin, aber ein bisschen würde die Klägerin auch sie schon so verstehen. Sie hätten jetzt in der Corona-Zeit mit dem erwähnten „Zoom“ auch Kontakt zu einer Iranerin in Bremen, die sie sehr gut kenne und jetzt auch online als Übersetzerin fungiere. Es gebe noch weitere, die übersetzten.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner bzw. eine Iranerin die religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstiger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch – bezogen auf die Klägerin – die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheides) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. hier § 75 Nr. 12 AufenthG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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