Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – keine Versagung des rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  15 ZB 19.32063

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13780
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs allenfalls dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 18.30226 2019-04-03 Ent VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Januar 2018, mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Georgien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 3. April 2019 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die von den Klägern erhobene Klage mit den der Sache nach gestellten Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Januar 2018 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, ihnen den Flüchtlingsstatus gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, ihnen den subsidiären Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht aufgrund eines allein geltend gemachten Verfahrensfehlers gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Die von den Klägern behauptete Versagung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Eine diesbezügliche Rechtsverletzung ist nach Maßgabe der Begründung des Zulassungsantrags nicht ersichtlich. Die Kläger bringen mit ihrem Zulassungsantrag lediglich vor, dass entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts für den Kläger zu 1 bei Rückkehr nach Georgien, wo er als Verräter angesehen werde, eine erhebliche Gefahr bestehe, Opfer schwerer Gewalthandlungen zu werden, und dass dieser nicht in einen sicheren Landesteil ziehen könne, weil die Sicherheitsbehörden Georgiens keinen ausreichenden Schutz böten. Es sei – so die Antragsbegründung weiter – keineswegs fernliegend anzunehmen, dass im kleinen Land Georgien gerade auch in größeren Städten nach abtrünnigen Familienmitgliedern gesucht werde. Aus diesem Grund könne nicht mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Familienmitglieder oder deren Unterstützer nicht auf den Kläger zu 1 aufmerksam würden. Vor staatlichen Autoritäten hätten diese Personen keinerlei Respekt. Diese Situation sei vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend beachtet worden. Für die Kläger sei dies aber absolut entscheidungsrelevant.
Die Kläger wenden sich mit dieser Argumentation ausschließlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung bzw. gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts, ohne damit jedoch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs substantiiert darzulegen. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 20.12.2018 – 15 ZB 18.32985 – juris Rn. 5; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547; OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) allenfalls dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2018 – 8 ZB 18.311172 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.12.2018 – 15 ZB 18.33135 – juris Rn. 6; B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 19.30027 – juris Rn. 5; B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 7; B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet auch keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (vgl. z.B. vgl. z.B. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 4 m.w.N.). Auch diesbezüglich wird in der Antragsbegründung nichts Substantiiertes aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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