Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Verfolgung von Christen im Iran

Aktenzeichen  W 8 K 20.30101

Datum:
17.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4073
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 51
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a, Abs. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
RL 2011/95/EU Art. 9, Art. 10 Abs. 1 lit. b

 

Leitsatz

1. Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende aufgrund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, unterliegen bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Januar 2020 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Januar 2020 ist in seinen Nummern 1 und 3 bis 5 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Im Ergebnis war ein weiteres Asylverfahren durchzuführen (vgl. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG). Die Beklagte hat dies ebenfalls im Hinblick auf die in Deutschland erfolgte und durch die Taufe mittlerweile manifestierte Konversion vom Islam zum Christentum bejaht. Darauf kann Bezug genommen werden (siehe dazu auch VG Würzburg, U.v. 8.7.2019 – W 8 K 19.30704 – juris).
§ 28 AsylG steht der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegen. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger (oder eine Klägerin) bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen seines Herkunftslandes entstanden sind. Dabei ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht nach § 28 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen. Hiernach kann einem Ausländer, welcher nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Antrags selbst geschaffen hat, in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden. Zwar handelt es sich auch im Fall christlicher Aktivitäten infolge des Religionswechsels vom Islam zum Christentum nach der Ankunft in Deutschland um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass im vorliegenden Fall eine Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall vorliegt. Zwar werden durch die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylG Nachfluchtgründe regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt. Durch diese Regelung soll der Anreiz genommen werden, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit einen dauerhaften Aufenthalt zu erlangen (BT-Drs. 15/420, 109 f.). Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist aber widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe Nachfluchtaktivitäten nach Ablehnung des Erstantrags nur oder aber hauptsächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder intensiviert. Die Beurteilung, ob der Kläger gute Gründe vorgebracht hat, ist eine dem Tatsachengericht vorbehaltene Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall. Hierzu ist die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motivation für seine nun aufgenommenen Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen (BVerwG, B.v. 31.1.2014 – 10 B 5/14 – juris; U.v. 18.12.2008 – 10 C 27.07 – BVerwGE 133, 31). Eine Ausnahme vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylG liegt insbesondere dann vor, wenn ein Ausländer nach Abschluss des Asylerstverfahrens aufgrund einer ernsthaften inneren und identitätsprägenden Überzeugung seine Konfession wechselt. In einem Fall des Glaubenswechsels aufgrund einer tiefen, inneren Glaubensüberzeugung ist ein bloßes asyltaktisches und somit missbräuchliches Verhalten des Antragstellers nämlich ausgeschlossen (vgl. OVG Rh-Pf, U.v. 29.8.2007 – 1 A 1007/4/06; HessVGH, U.v. 18.9.2008 – 8 UE 858.06.A; Funke-Kaiser, GK-AsylG, Bd. 2, 115. Lfg. v. 1.3.2018, § 28 Rn. 39; Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 28 AsylG Rn. 17).
Konkret für die Klägerin spricht ihr persönlicher Eindruck in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2020 sowie auch schon in der mündlichen Verhandlung im Vorverfahren vom 8. Juli 2019 (W 8 K 19.30704) sowie ihr weiteres Vorbringen laut Behördenakte. Die Klägerin hat ihre Beweggründe offengelegt und glaubhaft gemacht, sodass von einer ehrlichen und ernsthaften, nicht asyltaktisch geprägten Konversion auszugehen ist, wie im Folgenden noch näher dargelegt wird.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Klägerin aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Obergerichte (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG NRW, B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl, U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183 – jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerin vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 sowie OVG NRW, B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; OVG SH, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Klägerin, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte ihre christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Hinzu kommen die Ausführungen der Klägerin auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2019 im vorherigen Verfahren W 8 K 19.30704.
Die Klägerin hat glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Ihr sei im Iran Schlimmes widerfahren. Sie habe zunächst nichts mehr geglaubt und auch, als sie nach Deutschland gekommen sei, alles ignoriert. Gleichwohl habe sie schon seit 2014 eine christliche Gemeinde besucht, die Gemeinde Kapelle in Heidelberg. Dort sei auch ein eigener Dolmetscher gewesen. Sie erklärte weiter, sie habe sich zunächst nicht taufen lassen wollen. Auch im Jahr 2017 sei sie schon gefragt worden, warum sie sich nicht taufen lassen wolle. Sie habe gesagt, sie lasse sich erst dann taufen, wenn sie Gott gesehen habe. Danach habe sie einen Traum gehabt. In dem Traum habe sie auf einer Höhe gestanden. Es sei das Jüngste Gericht beim Weltuntergang gewesen. Sie habe im Traum gerufen, es gebe wohl keinen Gott. Sie habe eine Stimme gehört, die gesagt habe, doch, es gebe einen Gott. Sie habe weiter geträumt und, obwohl ihr Kopf unter Wasser gewesen sei, habe sie die Stimme eines Kindes gehört. Es sei die Stimme eines weinenden Kindes gewesen. Sie habe gefragt, welche Stimme das sei. Der Traum sei für sie das Entscheidende. Um den Traum gehe es. Sie habe nur die Stimme des weinenden Kindes gehört und habe darin letztlich Gott gesehen. Sie habe dann anderen davon erzählt. Etwa zehn Tage später sei sie getauft worden. Bei der Taufe sei es so gewesen, dass ihre Füße geschwollen gewesen seien und geschmerzt hätten. Als sie ins Wasser eingetaucht sei, habe sie keine Schmerzen mehr verspürt. Das sei wie ein Wunder gewesen. Die Klägerin erzählte, wie sie in der Folgezeit am Mittwoch in Heidelberg an einem Hauskreis teilgenommen habe. Am Donnerstag gehe sie bis heute zu dem Kurs bzw. Gottesdienst der Kapelle in Heidelberg. Den Hauskreis am Mittwoch bei der blinden Frau besuche sie nicht mehr, weil dieser auf Freitag verlegt worden sei. Außerdem besuche sie seit März 2019 die Gottesdienste am Sonntag bei der Baptistengemeinde in Aschaffenburg. Bei dem aktuellen Kurs bei der Kapelle in Heidelberg gebe es eine Übersetzung der vorgelesenen Bibelstelle. Auch beim Nachmittagsgottesdienst für die Perser in Aschaffenburg werde gedolmetscht. Außerdem verstehe sie selbst schon Einiges auf Deutsch Die Klägerin erklärte weiter, sie bemühe sich, anderen zu helfen, und lese viel in der Bibel. Das mache sie äußerst intensiv. Sie merke, wenn sie in der Bibel gelesen habe, dass sie dann äußerst beruhigt sei. Sie bete, sie bete mehr für andere. Jesus sage, man solle auch für andere beten.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagiert. Die Klägerin erklärte glaubhaft: ihr Lebensgefährte sei noch Moslem. Sie sei daran, ihn zu missionieren. Er sei auch schon bei ihrer eigenen Taufe dabei gewesen. Sie fahre immer aus gesundheitlichen Gründen sowie zum Besuch der Kapelle nach Heidelberg und übernachte dann bei ihrem Lebensgefährten und nach zwei Tagen gehe sie wieder zurück nach Aschaffenburg. Ihr Lebensgefährte komme auch schon mal am Sonntag mit in den Gottesdienst in Aschaffenburg. Des Weiteren erklärte die Klägerin, sie habe neben ihrem Lebensgefährten auch zwei weitere Leute missioniert, einen Mann und eine Frau. Sie habe beide in Heidelberg kennengelernt. Sie seien beide nach wie vor in Heidelberg. Sie habe ihm die Anschrift der Kapelle mitgeteilt und dort seien sie dann hingegangen. Sie habe auch schon ihre Verwandten, insbesondere ihre Schwester und die Mutter von ihrer Konversion erzählt. Als Reaktion darauf habe ihre Schwester gesagt, dass der, der vom Glauben abfalle, mit dem Tod bestraft werde. Als sie ihrer Schwester ein Bild von der Taufe geschickt und die es ihrer Mutter gezeigt habe, habe ihre Mutter gesagt, sie selbst – die Mutter – werde die Klägerin umbringen. Sie habe seit ca. zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten im Iran. Sie habe wegen der Konversion ihre Mutter und ihre Schwester aufgegeben. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt macht, war für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Die Klägerin verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte die Klägerin zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht hat. Die Klägerin erklärte: Der Islam sei überhaupt keine Religion. Es seien 1.000 Leute im Gefängnis. Wenn der Mann einer Frau sterbe, müsse auch die Frau sterben. Man müsse sich fragen, ob Mohammed überhaupt ein Prophet sei. Er habe 23 Jahre nur Krieg geführt und ein neunjähriges Mädchen zur Frau gehabt. Im Islam gehe es um Beten, Fasten, religiöse Gaben. Es seien alles nur Zwänge. Im Islam sei immer von Töten, Umbringen und Ins-Gefängnis-Werfen die Rede. Es gebe keine Gerechtigkeit. Es gebe einen brutalen Gott, während es bei Jesus Christus um Liebe und Vergebung gehe. Im Christentum sei immer die Rede von Zuneigung, Liebe und Nächstenliebe. Im Christentum solle man alle Menschen lieben, zu allen Menschen gut sein. Man predige die Nächstenliebe. Es sei die Religion der Gerechtigkeit. Jesus sei kein Prophet, er sei Gott. Der Heilige Geist habe in der Heiligen Maria ein Ei verpflanzt und sie sei schwanger geworden. Jesus Christus sei der einzige Gott. Jesus Christus sei aufgrund der Sünden gekreuzigt worden, damit uns die Sünden vergeben würden. Der Vater, Sohn und Heilige Geist seien drei Personen in einem Wesen.
Die Klägerin offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihre Gewissensschritt zusätzlich belegen, wie etwa einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte die Klägerin auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Klägerin bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Die Klägerin erklärte weiter, sie könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Sie könne sich in keinster Weise vorstellen, wieder vom Christentum wegzugehen. Sie habe wegen der Konversion ihre Mutter und ihre Schwester aufgegeben. Sie könne sich auch nicht vorstellen, das Christentum ohne Not zu verheimlichen. Jesus Christus sage: „Geht im Namen Gottes, des Sohnes und des Heiligen Geistes und missioniert.“ Auch in Deutschland müsse sie sich fürchten vor Iranern, die Moslems seien. Es gehe aus ihre Sicht nicht, dass sie sich vom Christentum zurückziehe, auch nicht im Iran. Jetzt, da sie auch noch getaufte Christin geworden sei, sei ihr Leben noch gefährdeter als früher. Sie könne auf keinen Fall zurück. Sie sei sich sicher, dass ihr aus der alten Geschichte auch noch Gefahr drohen würde.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin missionarische Aktivitäten entwickelt, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 14.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner bzw. eine Iranerin die religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstiger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch – bezogen auf die Klägerin – die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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