Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Konversion vom Islam zum Christentum (Iran)

Aktenzeichen  W 8 K 19.32307

Datum:
17.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3576
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 51
RL 2011/95/EU Art. 9, Art. 10 Abs. 1 lit. b
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a, 2, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Ausnahme vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylG liegt insbesondere dann vor, wenn ein Ausländer nach Abschluss des Asylerstverfahrens aufgrund einer ernsthaften inneren und identitätsprägenden Überzeugung seine Konfession wechselt (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)
2. Iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, unterliegen im Iran bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 RL 2011/95/EU, wenn sie dort lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen (Rn. 19). (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft  (Rn. 28). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Nrn. 1 und 3 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2019 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2019 ist in seinen Nummern 1 und 3 bis 5 rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie beantragt, aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Im Ergebnis war ein weiteres Asylverfahren durchzuführen (vgl. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG). Die Beklagte hat dies ebenfalls im Hinblick auf die in Deutschland erfolgte und durch die Taufe manifestierte Konversion vom Islam zum Christentum bejaht. Darauf kann Bezug genommen werden.
§ 28 AsylG steht der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegen. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger (bzw. eine Klägerin) bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen seines Herkunftslandes entstanden sind. Dabei ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht nach § 28 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen. Hiernach kann einem Ausländer, welcher nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Antrags selbst geschaffen hat, in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden. Zwar handelt es sich auch im Fall christlicher Aktivitäten infolge des Religionswechsels vom Islam zum Christentum nach der Ankunft in Deutschland um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass im vorliegenden Fall eine Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall vorliegt. Zwar werden durch die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylG Nachfluchtgründe regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt. Durch diese Regelung soll der Anreiz genommen werden, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit einen dauerhaften Aufenthalt zu erlangen (BT-Drs. 15/420, 109 f.). Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist aber widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe Nachfluchtaktivitäten nach Ablehnung des Erstantrags nur oder aber hauptsächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder intensiviert. Die Beurteilung, ob der Kläger gute Gründe vorgebracht hat, ist eine dem Tatsachengericht vorbehaltene Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall. Hierzu ist die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motivation für seine nun aufgenommenen Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen (BVerwG, B.v. 31.1.2014 – 10 B 5/14 – juris; U.v. 18.12.2008 – 10 C 27.07 – BVerwGE 133, 31). Eine Ausnahme vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylG liegt insbesondere dann vor, wenn ein Ausländer nach Abschluss des Asylerstverfahrens aufgrund einer ernsthaften inneren und identitätsprägenden Überzeugung seine Konfession wechselt. In einem Fall des Glaubenswechsels aufgrund einer tiefen, inneren Glaubensüberzeugung ist ein bloßes asyltaktisches und somit missbräuchliches Verhalten des Antragstellers nämlich ausgeschlossen (vgl. OVG Rh-Pf, U.v. 29.8.2007 – 1 A 1007/4/06; HessVGH, U.v. 18.9.2008 – 8 UE 858.06.A; Funke-Kaiser, GK-AsylG, Bd. 2, 115. Lfg. v. 1.3.2018, § 28 Rn. 39; Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 28 AsylG Rn. 17).
Konkret für die Kläger spricht ihr persönlicher Eindruck in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2020 sowie auch schon in der mündlichen Verhandlung im vorhergehenden Verfahren am 7. Januar 2019 (W 8 K 18.32228) sowie ihr weiteres Vorbringen laut Behördenakte. Die Kläger haben ihre Beweggründe offengelegt und glaubhaft gemacht, sodass von einer ehrlichen und ernsthaften, nicht asyltaktisch geprägten Konversion auszugehen ist, wie im Folgenden noch näher dargelegt wird.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Kläger aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Obergerichte (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG NRW, B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl, U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183 – jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen haben. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Kläger aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis haben, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausüben. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Kläger vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben wollen. Das Gericht hat nach der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt haben. Die Würdigung der Angaben der Kläger zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 sowie OVG NRW, B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; OVG SH, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert sind. So legten die Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Kläger schilderten weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Kläger sind plausibel und in sich schlüssig. Die Kläger legten verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Kläger, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte ihre christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Hinzu kommt das Vorbringen der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 7. Januar 2019 im Erstverfahren W 8 K 18.32228.
Die Kläger haben – alle drei – gesamtbetrachtet glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Die Kläger erklärten abwechselnd bzw. teilweise übereinstimmend, sie seien als Moslem geboren und hätten nach außen hin im Iran als Moslem auftreten müssen. Die Klägerin zu 2) schilderte ausführlich, wie sie im Iran über eine Freundin im Sportverein Kontakt zum Christentum und auch Materialen über das Christentum bekommen habe. Die Kläger berichteten weiter, wie sie in Deutschland ihr christliches Engagement fortgesetzt hätten, zunächst in Ansbach und nach der Umverteilung in Obernburg. Sie hätten einen fünfmonatigen wöchentlichen Taufkurs besucht und seien am 24. März 2019 getauft worden. Der Kläger zu 1) ergänzte, dass er über seine Frau zum Christentum gekommen sei, er habe erst in Deutschland nach der Befassung mit dem Christentum festgestellt, dass Jesus Christus der Sohn Gottes und auch Gott selbst sei und die Basis der Welt auf Jesus Christus beruhe. Außerdem habe er die Bibel in der persischen Sprache. Der Kläger zu 3) gab glaubhaft an, dass er über seine Mutter Informationen über das Christentum erhalten habe. Seine Mutter habe ihn erklärt, welche Bedeutung Jesus Christus habe und was mit ihm sei. Außerdem gehe er, nachdem er früher im Ethik-Unterricht gewesen sei, mittlerweile in den evangelischen Religionsunterricht. Zurzeit besuche er zudem den Konfirmandenunterricht der evangelischen Kirche. Für Mai sei die Konfirmation geplant. Der Religionsunterricht sei zweimal die Woche; der Konfirmandenunterricht sei an einem Samstag monatlich. Außerdem habe sich der Kläger zu 3) aus eigener Initiative bei den katholischen Sternsingern gemeldet und anlässlich des Feiertags Drei König mitgewirkt. Auch beim Krippenspiel habe er mitgewirkt und dort nach Aussage seines Beistandes, des Pfarrers aus der Gemeinde, sogar verkündigt. Der Beistand erläuterte weiter, dass der Kläger zu 3) aufgrund seines Alters schon bei der Taufe religionsmündig gewesen sei und daher eigentlich – anders als die, die als religionsunmündige Kinder getauft worden seien – der Konfirmation als Bekräftigung und Bestätigung der Taufe nicht mehr bedürfte. Die Kläger erklärten weiter: Die Taufvorbereitung und die Taufkurse hätten mit einem entsprechenden Dolmetscher stattgefunden. Außerdem besuchten die Kläger regelmäßig die Gottesdienste sowie sonstigen Veranstaltungen, insbesondere auch der christlichen Gemeinde und helfen mit, wo es ginge. Sie versuchten, auch sonst christlich zu leben. Der Kläger zu 3) ergänzte weiter, dass er kein Problem habe, Schweinefleisch zu essen. Im Gegenteil, er sei schon von Moslems kritisch darauf angesprochen worden, dass er Salami esse.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Kläger ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin leben, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagieren. Die Klägerin zu 2) erklärte, dass sie schon andere Personen missioniert habe. Angefangen habe sie mit ihrem Mann. Indirekt versuche sie es auch bei ihren Eltern. Ihre Eltern wüssten von der Taufe, ihre Mutter sei aber nicht begeistert, ihr Vater schon. Des Weiteren habe sie ihren Sohn christlich erzogen und so sozusagen missioniert. Auch der Kläger zu 1) gab an, dass seine Mutter und seine Geschwister von seiner Konversion und Taufe wüssten, aber es gebe da keine Probleme. Ebenso gab der Kläger zu 3) an, dass er auch schon mit anderen über das Christentum gesprochen habe, vor allem früher in seinem Ethikunterricht. Die Moslems hätten aber nicht zum Christentum gewollt und hätten ihn wegen seines Salamikonsums kritisiert. Auch habe es wegen ihrer Konversion Probleme mit einem in ihrem Haus wohnenden Afghanen gegeben. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Kläger bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt machen, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Die Kläger verdeutlichten in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legten sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machten die Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigten, dass sie dies verinnerlicht haben. Die Kläger erklärten wechselseitig bzw. übereinstimmend: Die Stellung von Gott im Islam sei anders als im Christentum. Im Islam sei es ein entfernter Gott, den man sich erst durch bestimmte Rituale annähern müsse. Im Islam seien die Sünder verpönt. Der Islam sei eine Religion der Brutalität. Der Gott der Moslems sei ein Gott des Krieges und des Blutvergießens. Den Sündern werde nicht verziehen. Anhänger des Islams würden aufgefordert, diejenigen, die den Islam ablehnten, und die nicht an den Koran glaubten, umzubringen. Demgegenüber sei den Christen Gott in Form von Jesus Christus als Mensch erschienen, den man sich nahe fühle. Im Christentum könnten Sünder Buße tun und die Sünden würden vergeben. Im Christentum erfahre man das ewige Leben. Jesus Christus sei wegen unserer Sünden auf die Erde gekommen und deshalb auch gestorben. Jesus Christus sei nicht nur ein Gesandter, sondern er sei der Sohn Gottes und Gott selbst.
Die Kläger offenbarten weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Kläger benannten in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage und die Zehn Gebote. Des Weiteren kannten die Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Kläger bezogen sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Die Kläger erklärten weiter, sie könnten sich nicht vorstellen, wieder zum Islam zurückzukehren. Der Kläger zu 1) erläuterte: Mit der Konversion sei es so, als wenn man krank sei und dann ein Medikament bekomme und gesund werde. Dann wolle man auch nicht mehr zurück und nicht mehr krank sein. Die Religion des Christentums sei keine Religion, sondern der Weg des Lebens. Die Klägerin zu 2) ergänzte: Wie könne man das Christentum nur verlassen, wenn Jesus Christus sage, er sei der Weg und ohne ihn könne keiner den Weg zu Gott finden. Weiter gaben die Kläger an, sie könnten sich nicht vorstellen bei ihrer Rückkehr in den Iran ihr Christentum ohne Not zu verheimlichen. Die Klägerin zu 2) erklärte, sie sei verpflichtet die Kirche zu besuchen und auch Kontakt zu anderen Gläubigen zu halten. Außerdem sage Jesus Christus, wer Gott leugne, der werde von ihm verleugnet. Weiter gab der Klägerin zu 2) an, man könne im Iran nicht frei agieren und nicht frei über das Christentum lesen. Und ohne Angst könne sie ihr Wissen über das Christentum nicht erweitern. Im Iran sei es nicht möglich in die Kirche zu gehen. Man könne sich im Iran nicht frei christlich verhalten, denn sonst würde man verfolgt werden. Ihre Konversion gelte im Iran als gottlos und man werde als Atheist bezeichnet und Atheisten würden hingerichtet. Der Kläger zu 1) erklärte, einerseits könne er bei einer Rückkehr in den Iran seinen Glauben nicht ausleben, er könne nicht wie ein Christ leben, er könne nicht mit einem anderen Menschen sprechen und nicht einmal ein christliches Buch lesen. Andererseits aber könne er von einem Glauben her diesen auch nicht verleugnen. Er befinde sich in einem Dilemma bzw. in einem Zwiespalt. Der Kläger zu 3) ergänzte ebenfalls, er wolle auf jedem Fall Christ bleiben, er sei nie Moslem gewesen; denn er sei nie in die Moschee gegangen und habe nicht den Koran gelesen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Kläger vor und nach ihrer Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würden. Die Kläger haben lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie haben ihre Konversion anhand der von ihnen gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Kläger missionarische Aktivitäten entwickeln, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben werben. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würden, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon, kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 14.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Die Kläger haben insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten sind, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen haben. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Dazu tragen auch die Ausführungen des als Beistand in der mündlichen Verhandlung anwesenden Pfarrers aus der christlichen Gemeinde bei. Der Beistand erklärte: Die Kläger befänden sich auf einem Weg. Die Kläger seien ihren Weg mit Jesus Christus nun viel weitergegangen. Die Kläger seien in seiner christlichen Gemeinde sehr präsent. Sie seien vom Christentum überzeugt. Sie suchten auch Gespräche mit anderen. Sie nähmen an christlichen Veranstaltungen teil. Gerade der Kläger zu 1) sei sehr hilfsbereit. Der Kläger zu 3) habe sich freiwillig sogar als Sternsinger gemeldet und beim Krippenspeil mitgespielt und verkündigt. Er, der Beistand, habe den Eindruck, dass die Familie aus tiefster Überzeugung Christen seien. Sie seien die, die am häufigsten bei ihm im Gottesdienst seien. Sie verstünden passiv die Sprache immer besser, der Kläger zu 3) sowieso. Sie hätten jetzt auch die evangelische Gottesdienstordnung auf Farsi und könnten die liturgischen Abläufe so besser mitverfolgen. Der Kläger zu 3) sei zudem als Konfirmand im Rahmen des Unterrichts auch sehr engagiert. Auch im Religionsunterricht habe er die Note eins in der Schule.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner bzw. eine Iranerin die religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist den Klägern unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstiger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Antragsablehnung in Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (§ 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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