Verwaltungsrecht

Zuerkennung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots hinsichtlich Armeniens

Aktenzeichen  Au 6 K 18.31685

Datum:
12.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 33081
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2011/95/EU Art. 6
AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwZG § 4 Abs. 2 S. 4

 

Leitsatz

1 Da Art. 6 RL 2011/95/EU für internationalen Schutzbedarf verantwortliche Akteure voraussetzt und nach Erwägungsgrund Nr. 26 RL 2004/83/EG Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre, reicht die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands eines an einer schweren Krankheit leidenden Ausländers, die auf das Fehlen einer angemessenen Behandlung in seinem Herkunftsland zurückzuführen ist, ohne dass diesem die Versorgung absichtlich verweigert wurde, nicht aus, um ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen (EuGH BeckRS 2014, 82647). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Vorschrift des § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK findet nach deutscher Rechtslage nicht auf die bes. Ausnahmefälle krankheitsbedingter Gefahren Anwendung, da der Bundesgesetzgeber solche Fälle in § 60 Abs. 7 S. 2 ff. AufenthG als lex specialis geregelt hat. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung in Armenien erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Aufhebung von Ziffern 5 bis 7 ihres Bescheids vom 8. Oktober 2018, soweit sie der folgenden Verpflichtung entgegenstehen, wird die Beklagte verpflichtet, für den Kläger zu 1 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Armeniens festzustellen.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
II. Die Beklagte hat von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1 ein Viertel sowie von den übrigen Kosten der beiden gerichtskostenfreien Verfahren ein Achtel zu tragen. Die Kläger tragen im Übrigen ihre außergerichtlichen Kosten und die restlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässigen Klagen, über welche auf Grund des Verzichts der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), haben nur im tenorierten Umfang teilweise Erfolg. Der mit den Klagen angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist im tenorierten Umfang rechtswidrig und daher aufzuheben, im Übrigen aber rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
I.
Die Klagen sind zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden.
Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG ist gewahrt. Zwar beruft sich die Beklagte auf Fristversäumnis, ist ihren Nachweispflichten hierzu jedoch nicht nachgekommen:
Nach § 4 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwZG hat die Behörde bei einer Zustellung per Übergabeeinschreiben den Tag der Aufgabe zur Post aktenmäßig zu vermerken. Das hat die Beklagte getan; in ihrer Akte findet sich ein Einlieferungsbeleg, wonach der Bescheid als Einschreiben am Dienstag, dem 9. Oktober 2018, an die Klägerbevollmächtigten zur Post gegeben worden ist (BAMF-Akte Bl. 475). Damit hat die Beklagte die Zustellungsvermutung am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post nach § 4 Abs. 2 Satz 4 VwZG ausgelöst. Hiervon ausgehend gilt der Bescheid am Freitag, dem 12. Oktober 2018, als zugestellt.
Die Wochenfrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG begann daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am Samstag, dem 13. Oktober 2018 zu laufen und endete am Freitag, dem 19. Oktober 2018, um 24.00 Uhr (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3, § 193 BGB). Die Klage erreichte das Verwaltungsgericht erst am Montag, dem 22. Oktober 2018.
Fristversäumnis läge aber erst vor, wenn die Zustellungsfiktion am 12. Oktober 2018 gelten würde. Vorliegend hat der Klägerbevollmächtigte einen Zugang erst am 15. Oktober 2018 geltend gemacht. Eine Sendungsabfrage des Einzelrichters hat ergeben, dass der Bescheid tatsächlich erst am 15. Oktober 2018 zugestellt worden ist. Damit ist die Zustellungsfiktion widerlegt; die Beklagte ist umgekehrt ihrer Nachweislast für den Zugangszeitpunkt nach § 4 Abs. 2 Satz 3 VwZG nicht nachgekommen, so dass die Zustellungsfiktion nicht greift und von einer Zustellung am 15. Oktober 2018 sowie einer noch rechtzeitigen Klageerhebung mit Antragstellung am 22. Oktober 2018 auszugehen ist.
II.
Die Klagen sind aber nur für den Kläger zu 1 im tenorierten Umfang teilweise begründet, im Übrigen sind sie für ihn wie auch vollumfänglich für die Klägerin zu 2 offensichtlich unbegründet.
Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – BayVBl 1997, 15; BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 27). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten. Es kommt also darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
1. Die Klagen sind nach diesen Maßstäben unbegründet hinsichtlich der Ablehnung der Asylanerkennung, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG) und der Versagung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 AsylG) jeweils als offensichtlich unbegründet, da diese rechtmäßig sind. Insoweit wird in vollem Umfang auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird ausgeführt:
a) Ein Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter und auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht für die Kläger nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG offensichtlich nicht.
Gemäß Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung.
Eine solche Verfolgung durch den armenischen Staat konnten die Kläger nach Aktenlage nicht schlüssig darlegen, auch ihrer Klage- und Antragsbegründung ist hierzu nichts zu entnehmen; die Ausführungen des Bundesamts hierzu begegnen keinen ernstlichen Zweifeln. Sie sind weder vorverfolgt ausgereist, noch droht ihnen im Fall einer Rückkehr Verfolgung. Ziel ihrer Ausreise war allein die Erlangung einer unentgeltlichen medizinischen Behandlung auf qualitativ höherem Niveau als in ihrem Herkunftsstaat.
b) Ein Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes besteht für die Kläger nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG offensichtlich nicht.
Sie haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Abschiebung nach Armenien ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht, auch ihrer Klage- und Antragsbegründung ist hierzu nichts zu entnehmen; die Ausführungen des Bundesamts hierzu begegnen keinen ernstlichen Zweifeln.
Insbesondere besteht keine Gefahr einer vom Zielstaat zu verantwortenden gezielten Vorenthaltung von für ein menschenwürdiges Leben in Armenien erforderlicher Mittel oder einer Krankenbehandlung dort. Während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hinsichtlich einer Verletzung von Art. 3 EMRK allein auf die Verantwortung der Konventionsstaaten und ihrer Behörden bei einer Aufenthaltsbeendigung abstellt, aber keine Verantwortlichkeit des Zielstaats und seiner Behörden für die Verhältnisse dort voraussetzt, hat der Europäische Gerichtshof hingegen in seiner für § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG maßgeblichen Auslegung von Art. 15 RL 2011/95/EU auf eine Verantwortlichkeit des Zielstaats abgestellt. Da Art. 6 RL 2011/95/EU für internationalen Schutzbedarf verantwortliche Akteure voraussetzt und nach Erwägungsgrund Nr. 26 RL 2004/83/EG Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre, reicht die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands eines an einer schweren Krankheit leidenden Ausländers, die auf das Fehlen einer angemessenen Behandlung in seinem Herkunftsland zurückzuführen ist, ohne dass diesem die Versorgung absichtlich verweigert wurde, nicht aus, um ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen (EuGH, U.v. 18.12.2014 – C-542/13 – juris Rn. 35 f., 39 f.). Daher liegt nur bei einer absichtlichen Verweigerung von angemessener medizinischer Versorgung im Zielstaat ein subsidiären Schutz rechtfertigender Verstoß gegen Art. 3 EMRK vor.
Für eine solche liegen hier offensichtlich keine Anhaltspunkte vor, da der Kläger zu 1 vor seiner Ausreise aus Armenien Rente und Gesundheitsfürsorge nach den dort üblichen Standards bezog und vom Staat angemessen unterstützt wurde. Eine diskriminierende Verweigerungspraxis ist gerade nicht ersichtlich.
3. Die Klage des Klägers zu 1 ist begründet, soweit ihm die Beklagte die Feststellung versagt hat, dass nationale Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Kläger zu 1 vorliegen.
a) Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu, da diese Norm im Fall krankheitsbedingter Gefahren durch § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG gesperrt ist.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Die Vorschrift des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK findet jedoch nach deutscher Rechtslage nicht auf die o.g. besonderen Ausnahmefälle krankheitsbedingter Gefahren (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 175 f.) Anwendung, da der Bundesgesetzgeber solche Fälle in § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG als lex specialis geregelt hat. Dies ist konventions-, unions- und bundesrechtlich nicht zu beanstanden, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 ff. Rn. 16 f.), dessen Feststellung zu einer identischen Schutzberechtigung für den Betroffenen führt (vgl. § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dabei liegt die Ausgestaltung eines nationalen Abschiebungsverbots in der Gestaltungshoheit des nationalen Gesetzgebers, solange er auf der Rechtsfolgenseite keinen mit dem subsidiären Schutz konkurrierenden Schutzstatus einführt (EuGH, U.v. 18.12.2014 – C-542/13 – juris Rn. 42 f.).
b) Dem Kläger steht aber ein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen zu, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 15). Die Gesundheitsgefahr muss erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17. März 2016 geänderten Fassung nachgezeichnet (vgl. NdsOVG, B.v. 19.8.2016 – 8 ME 87.16 – juris Rn. 4). Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Erforderlich für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – juris Rn. 9).
Diese Anforderungen sind auch mit Art. 3 EMRK vereinbar: Krankheitsbedingte Gefahren können ausnahmsweise die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllen. Solche Ausnahmefälle können vorliegen, wenn eine schwerkranke Person durch die Aufenthaltsbeendigung auch ohne eine unmittelbare Gefahr für ihr Leben schon wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang hat, tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wird, dass sich ihr Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 183). Solche Gesundheitsgefahren muss der Ausländer allerdings mit ernst zu nehmenden Gründen geltend machen und daraufhin der Konventionsstaat sie in einem angemessenen Verfahren sorgfältig prüfen, wobei die Behörden und Gerichte des Konventionsstaats die vorhersehbaren Folgen für den Betroffenen im Zielstaat, die dortige allgemeine Situation und seine besondere Lage berücksichtigen müssen, ggf. unter Heranziehung allgemeiner Quellen wie von Berichten der Weltgesundheitsorganisation oder angesehener Nichtregierungsorganisationen sowie ärztlicher Bescheinigungen über den Ausländer (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 186 f. m.w.N.). Dies mündet in eine Vergleichsbetrachtung der Folgen einer Abschiebung für den Betroffenen durch einen Vergleich seines Gesundheitszustands vor der Abschiebung mit dem, den er nach Abschiebung in das Bestimmungsland haben würde. Maßgeblich ist eine nur ausreichende Behandlung, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verhindern, nicht, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat der medizinischen Versorgung im Konventionsstaat mindestens gleichwertig ist, denn Art. 3 EMRK garantiert kein Recht, im Zielstaat eine besondere Behandlung zu erhalten, welche der Bevölkerung nicht zur Verfügung steht (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 188 f. m.w.N.). Die erforderliche Prüfung umfasst auch, inwieweit der Ausländer tatsächlich Zugang zu der Behandlung und den Gesundheitseinrichtungen im Zielstaat hat, wobei die Kosten für Medikamente und Behandlung berücksichtigt werden müssen, ob ein soziales und familiäres Netz besteht und wie weit der Weg zur erforderlichen Behandlung ist (ebenda Rn. 190 m.w.N.). Auf den Abbruch einer Therapie können sich fremde Staatsangehörige regelmäßig nicht als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis berufen, denn sie können ein Recht auf Verbleib in dem Hoheitsgebiet des abschiebenden Staats grundsätzlich nicht beanspruchen, um weiterhin in den Genuss einer medizinischen, sozialen oder anderen Versorgung zu gelangen, die der abschiebende Staat während ihres Aufenthalts gewährt hat (vgl. EGMR, E.v. 7.10.2004 – 33743/03 – NVwZ 2005, S. 1043 ff. juris Rn. 86). Wenn nach dieser Prüfung ernsthafte Zweifel bleiben, ist Voraussetzung für die Abschiebung, dass der abschiebende Staat individuelle und ausreichende Zusicherungen des Aufnahmestaats erhält, dass eine angemessene Behandlung verfügbar und für den Betroffenen zugänglich sein wird, so dass er nicht in eine Art. 3 EMRK widersprechende Lage gerät (ebenda Rn. 191).
Nach derzeitigem Verfahrensstand und unter Berücksichtigung der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid verwerteten, vom Verwaltungsgericht zum Gegenstand des Verfahrens gemachten und dem Klägerbevollmächtigten zur Kenntnis übersandten Auskunft (Deutsche Botschaft Eriwan, Auskunft vom 10.3.2017 an das VG Bayreuth, VG-Akte Bl. 104 ff.) ist dem Kläger zu 1 die Behandlung seiner terminalen Niereninsuffizienz im Heimatland finanziell nicht zugänglich.
Bei ihm ist nach derzeitigem Verfahrensstand unter Berücksichtigung der vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bei Abbruch der laufenden Behandlung auszugehen:
Gemäß den o.g. Attesten (vgl. nur N.N., Dialyse Zentrum, Arztbrief vom 5.1.2018, VG-Akte Bl. 11) leidet der Kläger zu 1 u.a. an terminaler Niereninsuffizienz Stadium V Chronischer Glomerulonephritis, dazu Arterieller Hypertonie, Koronarer Herzerkrankung und Zustand nach Herzinfarkt und bedarf derzeit neben einer Dialyse im Drei-Tages-Rhythmus einer Medikation, derzeit u.a. mit Ramipril 5 mg, Toragamma 200 mg Tabletten, Biso Aurobindo 2 5 mg, Ass 100 mg, Simvastatin 1a Pharma 20 mg, Calciumacetat Nefro 950 mg, Adalat bei RR > 180/100 mmHg; dazu Medikation bei Dialyse. Ein Abbruch der Dialyse hätte den Tod des Klägers zu 1 zur Folge. Er leidet daher an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die bei Abbruch der Behandlung in Form der Dialyse alsbald zu seinem Tod führen würde.
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. April 2018 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (S. 19) besteht kein staatliches Krankenversicherungssystem. Die primäre medizinische Versorgung ist wie früher grundsätzlich kostenfrei und flächendeckend gewährleistet. Anders als zu Zeiten der vormaligen UdSSR gilt dies allerdings nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre medizinische Versorgung. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem. Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die nach wie vor bestehende Korruption auf allen Ebenen und die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals. Die Dialysebehandlung erfolgt grundsätzlich kostenlos. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist zwar beschränkt, aber gegen Zahlung von 35 USD (ca. 16.607 Dram) pro Sitzung ist eine Behandlung jederzeit möglich. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch im geringen Umfang zuzahlen. Die Dialysebehandlung ist u.a. in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich. Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten. Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und zu einem Bruchteil der in Deutschland üblichen Preise verkauft werden. Importierte Medikamente sind dagegen überall erhältlich und ebenfalls billiger als in Deutschland, für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich.
Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes (Deutsche Botschaft Eriwan, Auskunft vom 10.3.2017 an das VG Bayreuth, VG-Akte Bl. 104/112) sind die Plätze für kostenfreie Dialyse in den einzelnen Kliniken kontingentiert und werden quotal mit der Finanzierung zugeteilt; bei Ausschöpfung des Kontingents muss erst eine Genehmigung zu dessen Erhöhung eingeholt und die Wartezeit in einem anderen Dialyse-Zentrum oder durch Inanspruchnahme eines privat angebotenen Dialyseplatzes auf eigene Kosten für 18.100 Dram (= 35,00 Euro) je Dialyse überbrückt werden.
Unter Zugrundelegung dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 die lebensnotwendige Dialyse nebst Medikation derzeit bei einer zeitnahen Rückkehr nicht wird finanzieren können.
Insofern ist nach derzeitiger Auskunftslage nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 die in Armenien mögliche Behandlung wird finanzieren und damit tatsächlich in Anspruch wird nehmen können. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist beschränkt, so dass nicht sichergestellt ist, dass der Kläger zu 1 überhaupt einen kostenlosen Behandlungsplatz wird erlangen können. Nach seinem Vorbringen war am Heimatort die Platzzahl beschränkt, so dass er nach … ausweichen musste. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen indes noch – wenn auch nur im geringen Umfang – zuzahlen. Zusätzlich ist mit weiteren inoffiziellen Zahlungsverpflichtungen des Klägers zu 1 wegen der weit verbreiteten Korruption und der schlechten Gehälter des medizinischen Personals zu rechnen. Nach dem angesichts der Notwendigkeit dreier Dialysebehandlungen pro Woche glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1 ist dieser derzeit nicht arbeitsfähig, ab August 2017 bezog er als anerkannter Schwerbehinderter zweiten Grades eine Behindertenrente von 33.500 Dram (BAMF-Akte Bl. 107). Da die Klägerin zu 2 nach ihrem nicht widerlegten Vortrag als Näherin bisher lediglich 100.000 Dram monatlich verdiente, ihre bei ihnen lebende Tochter 70.000 Dram und seine Mutter eine Rente von 30.000 Dram bezog, ist nicht davon auszugehen, dass dies genügt, um sowohl den Lebensunterhalt für diese vier Personen als Bedarfsgemeinschaft als auch die Behandlungskosten des Klägers zu 1 zu finanzieren. Dies gilt umso mehr, als dass die Kläger im Einklang mit der derzeitigen Auskunftslage vortragen, nur bestimmte Teile der Behandlung seien kostenfrei gewesen, für andere wesentliche Behandlungen hätten sie erhebliche Zuzahlungen leisten müssen, beispielsweise für einen Katheter habe er 150.000 Dram bezahlt, für den stationären Aufenthalt zusätzlich 220.000 Dram, für einen Shunt am Unterarm nochmals 160.000 Dram (ebenda Bl. 109). Für die Medikamente habe er pro Woche 10.000 bis 12.000 Dram zahlen müssen. Die Dialyse selbst sei kostenlos, aber die Medikamente habe er selbst bezahlen und pro Monat 140.000 bis 210.000 Dram insgesamt aufwenden müssen; sie hätten begonnen, ihr Hab und Gut zu verkaufen, einige Male habe er aus Geldnot die Dialyse ausfallen lassen, aber danach sei es ihm sehr schlecht gegangen (ebenda Bl. 110).
Insofern greift der Verweis der Beklagten auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme karitativer Organisationen und des familiären Netzwerks in Armenien nicht, denn die vor Ort lebenden Personen sind in die o.g. Berechnung bereits einbezogen, andere Verwandte leben im Ausland, Zuwendungen karitativer Organisationen sind nicht gesichert und eine Rückkehrhilfe, wie von der Beklagten in ihrem Bescheid angesprochen, deckt zunächst wohl nur die Kosten für die ersten drei Monate ab.
4. Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Klägerin zu 2, dass nationale Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
a) Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 2 selbst nicht erkrankt ist.
Eine Erkrankung von der Schwere des § 60 Abs. 7 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG ist nicht attestiert und auch sonst nicht ersichtlich. Der Klägerin geht es allein um die Behandlung ihres Ehemanns, des Klägers zu 1. Dies führt in ihrer Person nicht zur Annahme eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, auf welches sich die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Beklagten nach § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG beschränkt.
b) Der Wunsch nach Beistandsleistung durch ihre erwachsene Tochter und deren Familie in … unter Berufung auf den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK führt allenfalls zur Prüfung eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, das allein in der Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde liegt und somit nicht Streitgegenstand des vorliegenden Asylverfahrens ist.
5. Die Nebenentscheidungen einschließlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots und der Abschiebungsandrohung nach Armenien begegnen hinsichtlich der Klägerin zu 2 keinen Bedenken an ihrer Rechtmäßigkeit, denn der Kläger zu 1 ist im Bundesgebiet nicht aufenthaltsberechtigt und kann daher derzeit noch kein Anknüpfungspunkt für eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu ihren Gunsten sein. Für den Kläger zu 1 hingegen sind die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig und daher aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO und bestimmt sich, da die Klagen der Kläger unterschiedlichen Erfolg haben, nach der Baumbach‘schen Formel (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 155 VwGO Rn. 2; Hartung in BeckOK, VwGO, 46. Edition, § 159 Rn. 6). Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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