Verwaltungsrecht

Zuerkennung subsidiären Schutzes durch einen anderen EU-Mitgliedsstaat

Aktenzeichen  M 12 K 16.30513

Datum:
24.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2 u. S. 3, Abs. 2 S. 2
AsylG AsylG § 4, § 13 Abs. 1, § 34
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4
RL (EU) 2013/32 Art. 33 Abs. 2 lit. a

 

Leitsatz

Einem Flüchtling, der bereits subsidiären Schutz in Italien genießt, wäre nach seiner Rückführung nach Italien keinen Lebensbedingungen ausgesetzt, die für ihn auf unabsehbare Zeit eine Lage existenzbedrohender (extremer) materieller Armut befürchten ließen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte entschieden werden, obwohl die Beklagte zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Denn die Beteiligten wurden ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen (Kläger mit PZU am 7.5. 2016, Beklagte mit Empfangsbekenntnis am 6. 5. 2016) und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist der Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2016, mit dem der Asylantrag des Klägers vom Bundesamt als unzulässig abgelehnt wurde, (Nr.1), für den Fall, dass der Kläger nicht freiwillig ausreist, die Abschiebung nach Italien angedroht wurde (Nr.2) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab der Abschiebung befristet wurde (Nr.3).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Nr. 1 des Bescheides), findet seine Rechtsgrundlage in § 60 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AufenthG, nachdem dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 zuerkannt worden ist.
Die Geltendmachung der Flüchtlingseigenschaft und des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes ist gem. § 60 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AufenthG sowie Art. 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 60 Abs.1 Satz 3 AufenthG unzulässig, weil der Kläger bereits außerhalb des Bundesgebiets subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG erhalten hat (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – juris).
Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Staat wirkt zwar völkerrechtlich nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und hat in diesem Sinne keine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AufenthG ordnet das nationale Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung oder der Zuerkennung des subsidiären Schutzes an. Es besteht aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung des subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG) oder eine hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland. Vielmehr ist das Bundesamt bei Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weder verpflichtet noch berechtigt. Ein gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig. Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – eröffnet dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt, d. h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlicher subsidiärer Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2 Buchst. i der Richtlinie).
Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl I S.3474) wurde die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens nunmehr auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG erstreckt (§ 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Damit wurde die Konsequenz aus der inhaltlichen Neubestimmung des Asylantrags in § 13 Abs. 1 AsylG gezogen, der – im Einklang mit Unionsrecht – nunmehr neben dem Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch den Antrag auf Zuerkennung von unionsrechtlichem Schutz umfasst (BTDrucks 17/13063 S. 25 zu § 60 Abs. 2 AufenthG). Dies hat die verfahrensrechtliche Konsequenz, dass das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz unzulässig ist, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne von § 4 AsylG zuerkannt worden ist. Da dem Kläger vorliegend bereits in Italien subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, kann er in Deutschland nicht mehr die Anerkennung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter verlangen, § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG (BVerwG, U.v. 17.6.1014, a. a. O., BayVGH, B.v.12.4.2016 – 20 B 15.30047 – juris).
Auch der vom Kläger gestellte Antrag auf Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz hinsichtlich Äthiopiens ist unzulässig. Denn ihm steht kraft Gesetzes nationaler Abschiebungsschutz in Bezug auf Äthiopien bereits aufgrund seiner ausländischen Anerkennung nach § 60 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu. Für die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach weiteren Rechtsgrundlagen fehlt dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Abschiebungsandrohung erfüllt die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i. V. m. §§ 59, 60 Abs. 10 AufenthG. Äthiopien wurde in der Abschiebungsandrohung als Staat genannt, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf, § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Die Ausreisefrist beträgt 30 Tage, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG, so dass gegen die Abschiebungsandrohung keine Bedenken bestehen.
Gegen die Abschiebung kann eingewandt werden, dass eine Ausnahmesituation vorliegt, in welcher der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift und daher zum Verfolgerstaat wird. In seltenen Ausnahmefällen kann sich schließlich aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zutage tretenden Umständen ergeben, dass der Drittstaat sich von seinen generell einzuhaltenden Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne Prüfung des Schutzgesuchs entledigt.
Ein Ausnahmefall liegt nicht deshalb vor, weil den Kläger in Italien schwere Menschenrechtsverletzungen gem. Art 3 EMRK erwarten würden. Ein Ausländer, der in einen Drittstaat zurückgewiesen werden soll, kann den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall – trotz normativer Vergewisserung – die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Der Ausländer ist mithin mit einer Behauptung ausgeschlossen, in seinem Fall werde der Drittstaat – entgegen seiner sonstigen Praxis – Schutz verweigern (BVerfG, U.v. 14. 5. 1996 -2 BvR 1938/93 – juris). Die Sonderfälle im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln im Sinne der Ausführungen in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs von 21. Dezember 2011 – C 411/10 und C 493/10 und vom 10. Dezember 2013 – C 394/12, wonach ein Asylbewerber einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden und die zugunsten des Mitgliedsstaates streitende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht, widerlegt ist (VG Augsburg, B. v. 3. 12. 2014 -Au 7 S 14.50321 – juris).
Systemische Mängel, die einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bei der Durchführung von Asylverfahren und Behandlung von Asylbewerbern oder anerkannten Schutzberechtigten in Italien nicht gegeben.
Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Abl. C 83/389 v. 30. März 2010, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S.559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S.685 in der Fassung der Bekanntmachung v. 20. Oktober 2010 (BGBl. II S.1198) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK – und der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – zukommt.
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, U. v. 21. Dezember 2011 – C – 411/10 und C – 493/10, NVwZ 2012, S.417 und juris; U. v. 14. November 2013 – C – 4/11, NVwZ 2014, S.129 und juris) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, U.v. 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 und 2315/93, BverfGE 94, Seite 49 = NJW 1996, S,1665 und juris) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedsstaaten „nicht unbekannt sein kann“, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedsstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 21. Dezember 2011, a. a. O.; U. v. 14. November 2013, a. a. O.). In einem solchen Fall ist die Prüfung anhand der Zuständigkeitskriterien der Dublin-Verordnungen fortzuführen, um festzustellen, on anhand der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedsstaat als für die Prüfung des Asylantrags bestimmt werden kann; ist zu befürchten, dass durch ein unangemessen langes Verfahren eine Situation, in der Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, verschlimmert wird, muss der angegangene Mitgliedsstaat selbst prüfen (EuGH, U. v. 21. Dezember 2011, a. a. O.; U. v. 14. November 2013, a. a. O.).
Hat ein Ausländer – wie hier – bereits einen Schutzstatus erhalten, ist nicht auf systemische Mängel im Asylverfahren bzw. der Aufnahmebedingungen abzustellen, sondern darauf, ob der gebotene Inhalt des jeweiligen Schutzstatus hinreichend eingehalten wird oder ein Verstoß gegen die GFK vorliegt bzw. für den Inhaber des Schutzstatus eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem ersuchten Mitgliedsstaat im Sinne von Art. 4, 19 Abs. 2 Grundrechte-Charta bzw. dem inhaltsgleichen Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein (VG Düsseldorf, B.v. 6.11.2014 – 17 L 2289/14.A – juris; VG Aachen, B.v. 5. 3. 2015 -8 L 739/14.A – juris ). Das Kriterium der systemischen Mängel hat Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen der Art. 4 Grundrechte-Charta bzw. Art. 3 EMRK.
Der Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes wird unionsrechtlich vorgegeben durch die Regelungen in Art. 20 bis 35 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU). So gelten einheitliche Vorgaben etwa für die Erteilung des Aufenthaltstitels (Art. 24) und der Reisedokumente (Art. 25 Abs.1). Einem anerkannten schutzberechtigten stehen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung (Art. 26), zur Bildung (Art. 27), zum Erhalt von Sozialleistungen (Art.29) und medizinischer Versorgung (Art. 30) dieselben Rechte wie dem jeweiligen Staatsangehörigen zu.
Danach ist im Hinblick auf Italien zwar nach wie vor anzuerkennen, dass die Lebensbedingungen auch für Personen mit anerkannten Schutzstatus nach den gegebenen Erkenntnissen schwierig sein können. Weder sind aber Verletzungen der in Art. 126 ff. der Richtlinie 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote noch der Anforderungen der Richtlinie erkennbar noch herrschen in Italien derart handgreiflich eklatante Missstände, die die Annahme rechtfertigen, anerkannt Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Kläger müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Eine solche Behandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu gelten. Dieses Mindestmaß erreichen die Verhältnisse, denen anerkannt Schutzberechtigte in Italien ausgesetzt sind, nicht.
Der Kläger, der bereits subsidiären Schutz in Italien genießt, hat dort ein Aufenthaltsrecht und hat dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das VG Freiburg vom 11. 7. 2012). Eine Person mit subsidiärem Schutz erhält eine für drei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis. Diese kann verlängert werden, wenn die Gründe, die zu ihrer Erteilung geführt haben, weiter bestehen. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt (im Folgenden: Auswärtiges Amt v. 21. 1. 2013) erhalten Asylbewerber mit der Anerkennung eine Aufenthaltsberechtigung (permesso di soggiorno) ausgestellt. Ein Reisedokument wird ausgestellt, sofern die betreffende Person von den heimatlichen Behörden keinen Reisepass beantragen kann. Personen mit subsidiärem Schutz sind italienischen Bürgern in Bezug auf Arbeit, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Sozialhilfe gleichgestellt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011, 4.2.2.). Personen mit Schutzstatus haben grundsätzlich keinen Zugang zu den Unterkünften für Dublin-rücküberstellte Asylsuchende. Schutzberechtigte können auch nicht in den italienischen Erstaufnahmezentren unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, 5.2). Der Kläger muss sich selbst um Unterkunft kümmern, es gibt grundsätzlich keine staatlichen Hilfeleistungen. Das „Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati“ (SPRAR) bildet das Zweitaufnahmesystem in Italien. Es ist ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGO) basiert. Die SPRAR – Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein intensives, individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung, Unterstützung bei der Arbeitssuche etc. Zugang zum SPRAR haben Asylsuchende und Schutzberechtigte. Im September 2013 erließ das italienische Innenministerium ein Dekret, wonach die SPRAR-Kapazität auf 16000 Plätze erhöht werden sollte; im Zeitpunkt der Reise der Schweizerischen Flüchtlingshilfe waren ab dem Jahr 2014 5000 Plätze vorgesehen. 150 der Plätze sind für Personen mit psychischen Problemen vorgesehen. Die SPRAR- Projekte arbeiten eng mit spezialisierten Psychiatern des öffentlichen Gesundheitssystems sowie mit NGO´s zusammen. Laut UNHCR ist es schwierig, einen der Plätze bei SPRAR zu erhalten, da es eine lange Warteliste gibt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, 5.2.1). Nach Gewährung des Schutzstatus sind die lokalen Behörden für die Unterstützung der Personen zuständig. Dabei gibt es in Italien riesige Unterschiede zwischen den Regionen. Die Situation ist in den Regionen Norditaliens besser als in Süditalien. Kirchliche und andere NGO’s bieten zusätzlich zu den gemeindlichen Zentren Notschlafstellen an (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O., 4.3.2.). Der Kläger hat aber freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie alle Italiener auch (Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15. 11. 2012 an das VG Gießen; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Freiburg v. 11. 7. 2012). Es gibt staatliche Arbeitsvermittlungen auf regionaler Ebene. Wie hoch die Chance ist, auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich eine Arbeit zu finden, hängt vom Einzelfall ab (Qualifikation, Eigenmotivation, Einsatz der Person, Unterstützung durch die Community; vgl. Auswärtiges Amt v. 21. 1. 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt). Anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge können von Hilfsorganisationen (z. B. Caritas, CIR -Consiglio Italiano per i Rifugati) Unterstützung bekommen (Auswärtiges Amt v. 21. 1. 2013).
Auch bezüglich der weiteren Fürsorgeleistungen ist der Kläger als subsidiär Schutzberechtigter italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Dem italienischen System ist dabei zu eigen, dass – anders als in der Bundesrepublik Deutschland – auch italienische Staatsangehörige ein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen nicht haben. Es gilt das Prinzip der Eigenverantwortung. Daher müssen sich Ausländer, wie die Italiener auch, in der Praxis etwa selbst um Unterkunft bemühen (siehe oben). In Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – somit auch für anerkannte Flüchtlinge, die ihnen gleichgestellt sind -, kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden Italien, Stand: Oktober 2014, S. 21).
Die vorliegenden Erkenntnisse lassen nicht darauf schließen, dass der Kläger nach seiner Rückführung nach Italien Lebensbedingungen ausgesetzt wäre, die für ihn auf unabsehbare Zeit eine Lage existenzbedrohender (extremer) materieller Armut befürchten ließen.
So hat das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 2013 ausgeführt, dass anerkennte Flüchtlinge von Hilfsorganisationen (z.B: Caritas, CIR) Unterstützung bekommen können, wenngleich sie auch – wie alle Italiener – grundsätzlich in eigener Verantwortung und ohne staatliche finanzielle Hilfe bzw. Sozialleistungen eine Wohnung und einen Arbeitsplatz suchen müssen. Unterstützung für Integrationsprogramme existiert ebenfalls über lokale Behörden, Stiftungen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen oder auch Nichtregierungsorganisationen, die teilweise miteinander vernetzt sind (Auswärtiges Amt v. 21. 1. 2013, Ziff. 7.1.,7.3).
Zwar ist nach dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V. von Dezember 2012 die soziale Situation der Schutzberechtigten oftmals härter als die der Asylsuchenden, da sie nämlich nach Abschluss des Asylverfahrens das Anrecht auf die Aufnahme in einem Aufnahmezentrum für Asylsuchende (CARA) verlieren. Sie können sich lediglich auf die Warteliste der lokalen Projekte im Rahmen des Schutzsystems für Asylsuchende und Flüchtlinge (SPRAR) eintragen lassen. Für die vom System nicht erfassten Personen bleiben nur die bereits erwähnten Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für Mittellose in Italien vorgesehen sind. Dies entspricht im Ergebnis der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach für überstellte Personen mit Schutzstatus die Erlangung von Unterkunft und Arbeit in erster Linie von Eigeninitiative und Nichtregierungsorganisationen abhängt, so dass ein Abgleiten in die Obdachlosigkeit zwar generell möglich, aber keineswegs zwingende Folge ist (vgl. Auswärtiges Amt v. 21. 1. 2013, Ziff. 5.5.7; VG Düsseldorf, U.v. 27. 6. 2013 – 6 K 7204/12.A – juris; VG Berlin, U.v. 25. 1. 2016 – 34 K 162.15 A – juris).
Die Gesundheitsversorgung ist zwar rechtlich gewährleistet, in der Praxis aber zuweilen mit Schwierigkeiten verbunden. Die Gesundheitsfürsorge gilt grundsätzlich für alle Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind. Die Ausländer müssen sich beim Servizio Sanitario nationale melden und registrieren lassen. Dafür benötigen sie einen Aufenthaltstitel, ihre Steuernummer und eine feste Adresse. Selbst bei einem fehlenden Wohnsitz können sie sich um eine Sammeladresse bemühen. Die Caritas bietet solche Adressen für Personen an, die einen solchen nicht haben, ihn jedoch für den Erhalt der Gesundheitskarte benötigen. Die virtuelle Wohnsitznahme ist insbesondere in Rom, wo der Kläger nach eigenen Angaben gelebt hat, recht umfangreich möglich (VG Berlin, U.v. 25.1.2016, a. a. O.). Die stets bestehende Notambulanz steht allen Personen kostenfrei zur Verfügung, sogar sich illegal aufhältigen Personen (Auswärtiges Amt v. 21. Februar 1013, a. a. O., Ziff. 6.2)
Es wird zugestanden, dass sich für Inhaber eines Schutzstatus in Teilbereichen der Unterkunftserlangung und der Gewährung von Hilfen in Italien durchaus Mängel und Defizite feststellen lassen. Insbesondere ist der nach Abschluss des Asylverfahrens eintretende Verlust eines Anrechts auf staatliche Unterkunft und die dadurch bedingte Möglichkeit der Obdachlosigkeit durchaus ernst zu nehmen. Allerdings handelt es sich nicht um landesweite Missstände, die für jeden Einzelnen oder eine weit überwiegende Anzahl von anerkannten Flüchtlingen die Gefahr einer extremen materiellen Not begründen, die von den italienischen Behörden tatenlos hingenommen würde. Die vorhandenen Defizite bei der Unterbringung und der gesundheitlichen Versorgung reichen daher nicht dafür aus, dass Italien generell nicht mehr als sicherer Drittstaat anzusehen wäre. Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht dazu, Schutzberechtigten ein Recht auf Unterkunft zu geben oder sie finanziell zu unterstützen, um ihnen einen gewissen Lebensstandard einschließlich bestimmter Standards medizinischer Versorgung zu ermöglichen (EGMR, U.v. 21. 1. 2011 – 30969/09 – juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A- juris).
Generell reicht die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Staat nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten (EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – juris). Art. 3 EMRK ist im Kern ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Staatsverhaltens im Sinne eines strukturellen Versagens bei dem durch ihn zu gewährenden angemessenen materiellen Mindestniveau und weniger ein individuelles Leistungsrecht einzelner Antragsteller auf bestimmte materielle Lebens- und Sozialbedingungen (VG Düsseldorf, B.v. 15. 4. 2013 – 17 L 660/13.A – juris).
Der Kläger muss sich nach alledem auf den in Italien für alle italienischen Staatsangehörigen geltenden Versorgungsstandard verweisen lassen, auch wenn dieser dem hiesigen Niveau nicht zu entsprechen vermag. Der Kläger ist ein junger, ungebundener und gesunder Mann, der nach eigenen Angaben bereits fast vier Jahre in Italien gelebt hat und sich nach seiner Rückkehr dort wieder zurechtfinden wird.
Soweit sich der Kläger mit seiner Klage gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate wendet, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei innerhalb der von § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG aufgezeigten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die in der Mitte des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgezeigten Rahmens vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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