Verwaltungsrecht

Zulassung zum Studium der Humanmedizin

Aktenzeichen  8 E 20.10005

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32824
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
GG  Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 1
HRG § 29
BayHZG Art. 9a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die vorstehend unter ihren Aktenzeichen aufgeführten Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge werden abgelehnt.
III. Die Kosten des jeweiligen Verfahrens hat der jeweilige Antragsteller zu tragen.
IV. Der Streitwert wird für jedes Verfahren auf jeweils 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Sämtliche Antragsteller begehren im Wege einer einstweiligen Anordnung zum Studium der Humanmedizin an der Universität * außerhalb der Kapazität nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2020/2021 zugelassen zu werden.
1. An der medizinischen Fakultät der Universität * ist ab dem Wintersemester 2019/2020 der Modellstudiengang Humanmedizin eingerichtet. Der Studiengang ist nicht in eine vorklinische Phase und eine darauf folgende klinische Phase gegliedert. Vorklinische, grundlagenwissenschaftliche und klinische Inhalte werden integriert unterrichtet.
Sämtliche Antragsteller sind im Besitz einer Hochschulzugangsberechtigung. Sie bewarben sich zum Wintersemester 2020/2021 erfolglos über die Stiftung für Hochschulzulassung um eine Zulassung zum Studium im 1. Fachsemester.
Im September 2020 ließen sämtliche Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten bei der Universität * die Zuweisung jeweils eines Studienplatzes im Fach Humanmedizin im 1. Fachsemester für das Wintersemester 2020/2021 außerhalb der festgesetzten Kapazität beantragen. Über diese Anträge ist bislang vom Antragsgegner nicht entschieden.
Mit jeweils identischem Schriftsatz ließen die Antragsteller im Oktober 2020 bei Gericht im jeweiligen Verfahren beantragen,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem jeweiligen Antragsteller im Studiengang Humanmedizin im 1. Fachsemester außerhalb der festgesetzten Kapazität einen Vollstudienplatz zu überlassen, hilfsweise den jeweiligen Antragsteller an einem gerichtlich angeordneten Vergabeverfahren teilnehmen zu lassen und weiter hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, eine Verlosung offener Studienplätze vorzunehmen und hieran den jeweiligen Antragsteller zu beteiligen.
Zur Begründung wurde jeweils vorgetragen, dass die Kapazität für den Studiengang Humanmedizin an der Universität * unzureichend ausgelastet sei.
Der Antragsgegner hat (in allen Verfahren) beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Vergabe der Studienplätze für das Studienfach Medizin an der Universität * sei in das Auswahlverfahren der Stiftung für Hochschulzulassung einbezogen. Eine Berechnung der Zulassungszahlen im Rahmen einer Kapazitätsberechnung sei für den Modellstudiengang nicht erfolgt, die Anzahl der zu vergebenen Studienplätze sei durch die gesetzgeberische Entscheidung in Art. 9a BayHZG, gründend auf der Regelung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrags über die Hochschulzulassung, festgelegt worden. Diese ohne die satzungsrechtliche Regelung der Universität erfolgte Festlegung der Studienplatzzahl sei durch die Entscheidung des BayVGH vom 7. Mai 2020 als rechtmäßig angesehen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die von dem Antragsgegner vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässig erhobenen Anträge sind jeweils weder im Haupt- noch im Hilfsantrag begründet. Sämtliche Antragsteller können jeweils keinen Anspruch darauf geltend machen, an der Universität * zum Studium im Studiengang Humanmedizin außerhalb der Kapazität zugelassen zu werden.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 46 ff.).
1. Der Anspruch auf Zulassung zum Studium der Humanmedizin richtet sich nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip.
a) Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, eine Ausbildungsstätte frei zu wählen. Schafft der Staat mit öffentlichen Mitteln Ausbildungseinrichtungen, muss er jedem Bürger, der die subjektiven Zugangsvoraussetzungen erfüllt, den freien und gleichen Zugang zu ihnen gewährleisten (vgl. hierzu und zum Folgenden grundlegend: BVerfG, U.v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 u.a. – BVerfGE 33, 303, 331 f; VG Oldenburg, B.v. 4.12.2012 – 12 C 4164/12 – juris). Der Zugang zu den vorhandenen Ausbildungsstätten darf nur unter strengen formell- und materiellrechtlichen Voraussetzungen beschränkt werden (BVerfG, B.v. 22.10.1991 – 1 BvR 393/85 – BVerfGE 85, 36 ff.). Die Einschränkungen sind nur durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes verfassungsrechtlich statthaft. Materiell rechtlich ist die Grundrechtseinschränkung nur verfassungsgemäß, wenn ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, hier die Funktionsfähigkeit der Hochschule in Wahrnehmung ihrer Aufgabe in Forschung, Lehre und Studium, geschützt werden soll. Die Zulassungsbeschränkung darf somit nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungsstätten angeordnet werden.
Dem sich hieraus ergebenden Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung der Kapazitätsermittlung und Kapazitätsfestlegung hat der Gesetzgeber Rechnung getragen und für die Auswahl der Bewerber und für den Bereich der Ermittlung der Ausbildungskapazität im Hochschulrahmengesetz (HRG) eine gesetzliche Regelung geschaffen. Die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen haben die Länder durch den Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 (im Folgenden: Staatsvertrag) in Verbindung mit den jeweiligen Zustimmungsgesetzen bzw. Zustimmungsbeschlüssen (für Bayern: Zustimmungsbeschluss vom 5. Mai 2009, GVBl. S. 186) der Landesgesetzgeber umgesetzt. In § 29 Abs. 1 HRG ist die Entwicklung von einheitlichen Maßstäben zur Ermittlung der Kapazität festgeschrieben. Art. 6 des Staatsvertrags enthält Grundsätze für die Kapazitätsermittlung, die in den Ländern durch Kapazitätsverordnungen – vorliegend maßgeblich ist die Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern (Hochschulzulassungsverordnung – HZV) vom 10. Februar 2020 (GVBl. S. 87), zuletzt geändert durch Verordnung vom 7. Juli 2020 (GVBl., S. 399) – konkretisiert worden sind. Das Gebot der Erschöpfung der Ausbildungskapazität ist ausdrücklich in § 29 Abs. 2 HRG und Art. 6 Abs. 2 S. 1 Staatsvertrag sowie in § 38 Abs. 1 HZV wiedergegeben. Abweichungen erlaubt § 6 Abs. 2 S. 2 Staatsvertrag für die Erprobung neuer Studiengänge und -methoden (vgl. § 55 HZV). Für zulassungsbeschränkte Studiengänge regelt das Bayerische Hochschulzulassungsgesetz (BayHZG) i.d.F. d. Bek. vom 9. Mai 2007 (GVBl. S. 320), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Bayerischen Hochschulzulassungsgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Dezember 2019 (GVBl S. 737), die Studienplatzvergabe.
b) Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 Staatsvertrag sind die Zulassungszahlen so festzusetzen, dass nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der räumlichen und fachspezifischen Gegebenheiten eine erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität erreicht wird; die Qualität in Forschung und Lehre, die geordnete Wahrnehmung der Aufgaben der Hochschule, insbesondere in Forschung, Lehre und Studium sowie in der Krankenversorgung, sind zu gewährleisten. Die Vorschrift gibt damit unter Beachtung des Kapazitätserschöpfungsgebots den Rahmen vor, dem eine Festsetzung der Zulassungszahl gem. Art. 6 Abs. 1 Staatsvertrag zu genügen hat. Die weiteren Regelungen des Art. 6 Abs. 1 und 3 Staatsvertrag führen diese grundsätzliche Vorgabe näher aus. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 3 wird die Zulassungszahl auf der Grundlage der jährlichen Aufnahmekapazität festgesetzt, diese wird nach Art. 6 Abs. 3 auf der Grundlage des Lehrangebots, des Ausbildungsaufwands und weiterer kapazitätsbestimmender Kriterien ermittelt. Das in den Folgesätzen dieser Regelung vorgegebene Ermittlungsprogramm wird dann durch das Berechnungsverfahren nach der HZV konkretisiert.
Abweichend von Art. 6 Abs. 2 S. 1 Staatsvertrag, der auf die im „Normalfall“ eingerichteten Studiengänge zugeschnitten ist, erlaubt Art. 6 Abs. 2 S. 2 Staatsvertrag bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden sowie bei der Neuordnung von Studiengängen und Fachbereichen eine abweichende Festsetzung der Zulassungszahlen. Die Regelung eröffnet damit im Hinblick auf gewichtige Besonderheiten, wie sie sich aus Strukturveränderungen, aber auch aus dem Aufbau neuer Ausbildungsgänge ergeben können, in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Möglichkeit, eine Ausbildungskapazität zu ermitteln, die diesen Ausnahmefällen Rechnung trägt (BayVGH, B.v. 7.5.2020 – 7 CE 19.10137 u.a. – Rn. 21 ff. des BA; vgl. auch OVG Lüneburg, B.v. 21.12.2006 – 2 NB 347/06 – juris). Bei der Erprobung neuer Studiengänge soll die Regelung von dem Erfordernis freistellen, die jährliche Aufnahmekapazität nach den genannten und in Art. 6 Abs. 3 Staatsvertrag näher konkretisierten Kriterien exakt zu errechnen.
c) Bei Anwendung dieser verfassungsgemäßen Ausnahmeregelungen für Modellstudiengänge liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die mit 84 festgesetzte Zulassungszahl (dazu sogleich) unterhalb der tatsächlichen Aufnahmekapazität verbleibt, nicht vor (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2020 – 7 CE 19.10137 u.a. – Rn. 38 ff. des BA.)
2. Die Zulassung zum Studiengang Medizin an der Universität * während des Aufbaus der Medizinischen Fakultät ist in Art. 9a BayHZG (abschließend gesetzlich) geregelt.
Danach erfolgt die Zulassung nur, soweit ein Studienangebot vorhanden ist. Gemäß der Regelung in Satz 2 der Vorschrift wird die Zahl der Zulassungen zu den ersten vier Wintersemestern ab Aufnahme des Studienbetriebs auf jeweils 84 festgesetzt. Der insoweit eindeutige Wortlaut spricht für eine gesetzlich festgelegte Kapazitätsbeschränkung. Auch aus der Begründung zum Gesetzesentwurf (LT-Drs. 17/20989 S. 14) ergibt sich, dass diese Festsetzung abschließend ist. Dort heißt es, dass der Wissenschaftsrat die Kapazitätsplanung für das Projekt in seiner Stellungnahme gewürdigt und sie ausdrücklich als plausibel bewertet hat. Die gesetzliche Festlegung der Ausbildungskapazität während der Aufbauphase diene der Rechtssicherheit und schaffe klare Rahmenbedingungen für den Aufbau der Fakultät. Der Gesetzgeber hatte damit nachvollziehbare Gründe für die gesetzliche Festsetzung der Studienplatzzahl.
Da es hier nicht um die Einschränkung bestehender Kapazitäten, sondern um die Schaffung neuer Kapazitäten ging, konnte der Gesetzgeber auch aus haushaltsrechtlicher Sicht frei hinsichtlich der Frage entscheiden, in welchem Umfang er Haushaltsmittel für den neuen Studiengang widmen wollte. Der Antragsgegner hat in zahlreichen anderen inhaltsgleichen Verfahren, die bei Gericht anhängig (gewesen) sind, in plausibler Weise dargelegt, dass erhebliche räumliche, personelle und organisatorische Engpässe bestehen. Die ersten Gebäude für die Medizinische Fakultät sollen frühestens 2023 fertiggestellt werden, die Besetzung der Lehrstühle ist noch nicht gesichert. Der damit verbundene Kapazitätsengpass ließ sich innerhalb des gewählten Studienmodells nicht durch eigene Anstrengungen des Antragsgegners beheben.
Für die Kapazitätsfestsetzung blieben deshalb alle anderen Kapazitätserwägungen – jedenfalls in Richtung auf eine höhere Kapazität – notwendig folgenlos. Der Gesetzgeber konnte die Festsetzung ohne weiteres selbst treffen, ohne auf die sonst gebotenen Vorarbeiten für eine Kapazitätsermittlung angewiesen zu sein (so auch ausführlich BayVGH, B.v. 7.5.2020 – 7 CE 19.10137 u.a. – Rn. 21 ff. des BA).
Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die tatsächliche Aufnahmekapazität höher ist als die in Art. 9a BayHZG für den Medizinstudiengang bei der Universität * festgesetzte Zulassungszahl von 84 Studienplätzen. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Staatsvertrag liegen vor.
3. Damit bleiben auch die Hilfsanträge auf die Teilnahme an einem gerichtlich angeordneten Vergabeverfahren bzw. an der Teilnahme einer Verlosung offener Studienplätze ohne Erfolg, weil die Antragsteller aus den vorgenannten Gründen keine weiteren Kapazitäten beanspruchen können (BayVGH, B.v. 7.5.2020 – 7 CE 19.10137 u.a. – Rn. 49 des BA).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Festsetzung des jeweiligen Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Wert war im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu halbieren.


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