Verwaltungsrecht

Zum Beginn der Verjährungsfrist hinsichtlich einer Beitragsschuld

Aktenzeichen  20 ZB 16.624

Datum:
18.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119884
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 108 Abs. 1 S. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4
BayKAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b cc Alt. 1

 

Leitsatz

1 Die Fristversäumung ist unverschuldet und rechtfertigt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung fristgerecht vorab per Telefax versandt wird und das Fax-Protokoll die Meldung “OK” anzeigt. In diesem Fall besteht kein Anlass, an der ordnungsgemäßen Übermittlung des Telefax zu zweifeln. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für den Beginn der Verjährung der Beitragsschuld kommt es allein auf die positive Kenntnis des nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass des fraglichen Verwaltungsakts berufenen Amtswalters an (Verweis auf BayVGH BeckRS 2001, 25264 u.a., stRspr). Ob der Bürgermeister oder ein Altbürgermeister einer Gemeinde Kenntnis hatte, ist daher irrelevant. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird in einem schriftlichen Urteil tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten nicht verarbeitet, so lässt sich daraus nicht automatisch auf eine Gehörsverletzung schließen. Denn § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO verpflichtet nur zur Angabe der die richterliche Überzeugung leitenden Gründe. Deshalb muss nicht jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich beschieden werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 K 15.1850 2016-02-08 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 395,55 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 8. Februar 2016 ist zulässig, insbesondere war dem Kläger für die Versäumung der Antragsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren (hierzu 1.). Der Antrag ist aber unbegründet, da weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen (hierzu 2.) noch ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht erfolgt ist (hierzu 3.).
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg wurde ausweislich der in der Akte des Verwaltungsgerichts befindlichen Postzustellungsurkunde an den Bevollmächtigten des Klägers am 18. Februar 2016 zugestellt. Die zweimonatige Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung endete damit mit Ablauf des 18. April 2016, einem Montag. Die Begründung ging jedoch erst am 21. April 2016 und damit nach Ablauf der Frist beim Verwaltungsgerichtshof ein.
Allerdings war dem Kläger nach § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Versäumung dieser gesetzlichen Frist zu gewähren, da die Bevollmächtigte des Klägers ausweislich ihres innerhalb der Frist nach § 60 Abs. 2 Satz 1, 2. HS VwGO gestellten Antrags und des diesem beigefügten Fax-Protokolls am 18. April 2016 den Antragsbegründungsschriftsatz vorab per Fax an den Verwaltungsgerichtshof gesendet hatte. Da das Fax-Protokoll mit der Meldung „OK“ versehen war, bestand für sie kein Anlass, an der ordnungsgemäßen Übermittlung des Telefax zu zweifeln. Daher erfolgte die Fristversäumung unverschuldet.
2. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Richtigkeit des Urteils ist nach dem Sachausspruch der Urteilsformel, also nur nach dem Ergebnis und nicht nach den Entscheidungsgründen zu beurteilen (h.M., vgl. nur Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 12 m.w.N.). Ernstliche Zweifel an einer Gerichtsentscheidung bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163). Dies ist hier nicht der Fall.
Der Kläger macht in der Antragsbegründung im Wesentlichen geltend, dass das Bauvorhaben „Seniorenresidenz Plößberg“ bereits 2006 fertiggestellt und in Betrieb genommen worden sei. Hiervon hätte auch jeder im Ort Kenntnis gehabt und insbesondere hätte auch die Gemeindeverwaltung davon erfahren. Damit sei die Beitragsschuld entstanden und bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids 2013 verjährt gewesen. Dieser Vortrag – seine Wahrheit unterstellt – ist jedoch nicht geeignet, ernstliche Zweifel im oben dargestellten Sinne an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Klage abzuweisen, zu begründen. Denn der Kläger macht hier weder geltend – geschweige denn konnte er nachweisen –, dass er die nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b) cc) 1. Spiegelstrich KAG i.V.m. § 15 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Marktes Plößberg (BGS-EWS) vom 4. Juli 2006 erforderliche Mitteilung über den Umfang der für den Beitrag maßgeblichen Veränderungen bei dem Beklagten gemacht hatte. Seine Argumentation beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass der Bezug der Seniorenresidenz im Ort bekannt gewesen sei. Auch sei es dem Altbürgermeister der Beklagten und dem Bürgermeister bekannt gewesen, da diese selbst Eigentümer von Wohneinheiten in der Seniorenresidenz seien. Hierauf kommt es aber bereits aus Rechtsgründen nicht an. Denn maßgeblich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die positive Kenntnis des nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass des fraglichen Verwaltungsakts berufenen Amtswalters (BayVGH, B.v. 19.11.2011 – 20 ZB 11.1339 –, juris Rn. 2; B.v. 17.8.2001 – 23 ZB 01.1553 – juris Rn. 4 unter Verweis u.a. auf Großer Senat BVerwG, B.v. 19.12.1984 – GrSen 1/84, GrSen 2/84 – NJW 1985, 819). Ob der Bürgermeister der Gemeinde oder deren Altbürgermeister Kenntnis hatte, ist daher irrelevant. Dass aber die sachlich zuständige Beschäftigte der Gemeinde Kenntnis davon hatte, konnte der Kläger nicht darlegen und wird bezeichnender Weise in der Antragsbegründung auch nicht geltend gemacht. Daneben stünde eine derartige Behauptung auch im Widerspruch zu der in den Akten des Beklagten zu findenden Aktennotiz der zuständigen Sachbearbeiterin, dass 2007 der Kläger telefonisch zum Ausdruck gebracht habe, dass die Fertigstellung der Baumaßnahme noch länger dauern könne.
Nachdem also eine derartige Mitteilung nicht erfolgt ist, konnte die Verjährung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b) cc) 1. Spiegelstrich KAG, auch wenn man von der Argumentation des Klägers ausgeht, noch nicht beginnen.
Ob später, also nach 2006, wieder ein Umbau erfolgt ist, insbesondere im Erdgeschoss und ob dieser Umbau, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, im Jahr 2013 abgeschlossen war, kann damit dahingestellt bleiben. Denn auch nach der Argumentation des Klägers im Antragsverfahren war eine Verjährung noch nicht eingetreten, so dass im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Abweisung der Klage bestehen.
3. Entgegen der Antragsbegründung liegt auch kein Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen. Ob ein Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vorliegt, ist im Zulassungsverfahren grundsätzlich aus der Sicht des materiell-rechtlichen Standpunkts des Verwaltungsgerichts zu beurteilen (Happ in Eyermann, a.a.O. § 124 Rn. 48 u.v.a. BVerwG, B.v. 23.1.1996 – 11 B 150/95 – NVwZ RR 1996, 369, 1. Leitsatz). Wird in einem schriftlichen Urteil tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten nicht verarbeitet, so lässt sich daraus jedoch nicht automatisch auf eine Gehörsverletzung schließen. Denn § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet nur zur Angabe der die richterliche Überzeugung leitenden Gründe. Deshalb muss nicht jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich beschieden werden (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 32). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch in seine Erwägung einbezogen hat, so dass nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden kann (BVerwG, B.v. 27.10.1998 – 8 B 132/98 – NJW 1999, 1493).
Im vorliegenden Fall führte das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des Urteils aus, dass seiner Auffassung nach die Fertigstellung gemäß dem Aktenvermerk vom 16. Juli 2013 erst zu diesem Zeitpunkt feststellbar war. Damit gab es aber gleichzeitig zu erkennen, dass es der Argumentation des Klägers insbesondere laut seinem im Klageverfahren vorgelegten Schriftsatz vom 8. Februar 2016 nicht folgt. Anhaltspunkte dafür, dass der Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen wurde, liegen damit aber gerade nicht vor. Im Ergebnis macht der Kläger mit seinem diesbezüglichen Vortrag im Antragsverfahren geltend, dass er die materiell-rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht teilt. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert war nach §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG für das Zulassungsverfahren in Höhe des streitgegenständlichen Beitrags, also in Höhe von 395,55 Euro festzusetzen.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
Kraheberger Dr. S. Dr. W.


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