Verwaltungsrecht

Zum Begriff der Verfolgung aus religiösen Gründen

Aktenzeichen  6 ZB 19.33691

Datum:
24.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 51078
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, 3
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Verfolgungshandlung kann nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu zu praktizieren (forum internum), sondern auch der Freiheit, den Glauben öffentlich zu bekunden (forum externum). Wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, hängt dabei von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (wie BVerwGE 146, 67, Rn. 4). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19 K 17.30202 2019-07-31 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2019 – M 19 K 17.30202 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) sind bereits nicht in der nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erforderlichen Weise dargelegt.
1. Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 22.6.2017 – 6 ZB 17.30679 – juris Rn. 3; B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht.
Das gilt zunächst für die sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage zur Auslegung des Begriffs der Verfolgung aus religiösen Gründen im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG, ob die der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung „klar erkennbar“ zugrunde gelegte Zweiteiligkeit der Schutzbedürftigkeit und des Schutzrechtes der Religionsfreiheit in eine Glaubensausübung im forum internum einerseits und im forum externum andererseits mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft vereinbar ist. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf ist damit nicht dargetan. Denn im Anschluss an die im Zulassungsantrag zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Rs. C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67) – unter Aufgabe seiner vor Inkrafttreten der RL 2004/83/EG entwickelten Rechtsprechung – bereits ausdrücklich entschieden, dass eine Verfolgungshandlung nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen kann, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu bekunden (forum externum). Ferner hat es in Übereinstimmung mit dem Gerichtshof hervorgehoben, dass die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um als Verfolgungshandlung eingestuft zu werden, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten abhängt (Rn. 28). Ein Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung weist nur dann die erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinn für ihn unverzichtbar ist (Rn. 30). Die Zulassungsschrift zeigt nicht auf, inwieweit weiterer oder erneuter Klärungsbedarf bestehen soll. Der Sache nach rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht sei mit seinem Urteil von dieser Rechtsprechung abgewichen. Das trifft indes nicht zu. Es ist vielmehr den vom Gerichtshof und vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Auslegungsgrundsätzen uneingeschränkt gefolgt. Auf ihrer Grundlage ist es allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger seinen Glauben nicht in einer Weise lebt, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Dass der Kläger diese Schlussfolgerung in Zweifel zieht, begründet indes keinen Zulassungsgrund im Sinn des § 78 Abs. 3 AsylG.
Nichts anderes gilt, soweit die Zulassungsschrift die Frage aufwirft, „ob dem Gericht zu folgen ist, wenn es für die Asylrelevanz in der Person des Klägers das Vorhandensein besonderer Bedingungen verlangt“. Soweit sie auf das individuelle Verfolgungsschicksal abzielen sollte, fehlt es an der grundsätzlichen, das heißt über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung. Soweit die Zulassungsschrift auf die Auslegung der in Rede stehenden Tatbestandsmerkmale abzielt, ist sie – wiederum im Sinn des Verwaltungsgerichts – geklärt. Wie bereits ausgeführt, hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, auch von subjektiven Gesichtspunkten ab, insbesondere davon, dass dem Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Rs. C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612 Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 29 f.).
Den weiter aufgeworfenen Fragen, ob Ahmadis auf internen Schutz im Sinn von § 3e AsylG in der Stadt Rabwah und anonyme Großstädte Pakistans verwiesen werden können bzw. ob Richter die Begehung von Straftaten anheimstellen dürfen, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Denn das Verwaltungsgericht hat eine beachtliche Verfolgungsgefahr verneint und lediglich hilfsweise – eine solche Gefahr unterstellend – die Möglichkeit internen Schutzes geprüft und bejaht.
2. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) wird ebenfalls nicht aufgezeigt.
Die Zulassungsschrift beanstandet, das Verwaltungsgericht habe das Vorbringen im Schriftsatz vom 22. (und 23.) Juli 2019, dass schon in dem typischen Ablauf des Passbeschaffungsverfahrens und dem damit verbunden Zwang zur Ausfüllung des pakistanischen Antragsformulars mit den Angaben zur Religion eine Verfolgsmaßnahme zu erblicken sei, „weder genau zur Kenntnis genommen noch ernsthaft gewürdigt“. Das genügt nicht, um einen Zulassungsrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO darzulegen. Denn der Sache nach wendet sich der Kläger mit dieser Rüge „nur“ gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen sind, und die nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG rechtfertigt (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2017 – 6 ZB 17.30970). Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die nach Ansicht eines Beteiligten richtige Bedeutung beimisst oder dessen Rechtsansicht nicht teilt.
Die im Zulassungsantrag in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, „ob der Erklärungszwang pakistanischer Ahmadis im Rahmen des Passbeschaffungsformulars tatsächlich nur eine Diskriminierung aus rechtlichen Gründen oder eine Verfolgungsmaßnahme darstellt“, verleiht der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Sie kann auf der Grundlage der oben genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur erforderlichen subjektiven Schwere nur im Einzelfall beantwortet werden. Abgesehen davon ist sie mit Blick auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur religiösen Identität des Klägers als innere Tatsache, die der Zulassungsantrag nicht angreift, mit dem Verwaltungsgericht zu verneinen; die geschilderten Erklärungspflichten, die dem Kläger die nach seinem Selbstverständnis richtige Religionsangabe etwa als „Muslim (Ahmadi)“ verwehren, erreichen offenkundig – wenn nicht bereits in objektiver, so jedenfalls – in subjektiver Hinsicht nicht die erforderliche Schwere, um als religiöse Verfolgungshandlung angesehen werden zu können (vgl. auch VG Karlsruhe, U.v.11.1.2017 – A 4 K 2343/16 – juris Rn. 34 ff.).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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