Verwaltungsrecht

Zum Ermittlungsumfang des Bundesamtes im Falle eines Zweitantrages im Aylverfahren

Aktenzeichen  M 10 S 20.31392

Datum:
16.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14417
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 26a, § 36 Abs. 4, § 71a
AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60 Abs. 5, 7 S. 1
Dublin III-VO Art. 8 Abs. 4

 

Leitsatz

Im Falle eines Zweitantrages darf das Bundesamt seine sog. Info-Request-Anfrage an den EU-Mitgliedsstaat oder Vertragsstaat nicht auf Fragen nach dem exakten asylrechtlichen Status (Aufenthaltstitel, Antrag auf internationalen Schutz, Entscheidung, Rechtsbehelf etc.) beschränken. Es hat vielmehr den genauen Zeitpunkt des endgültigen Abschlusses des Asylverfahrens zu ermitteln sowie zu erfragen, ob der Asylantrag auch auf die Gewährung internationalen Schutzes geprüft wurde und für den Fall einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens die Gründe des Antragstellers für seinen Asylantrag zu erfragen.  (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.*Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (M 10 K 20.31389) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. März 2020 wird insoweit angeordnet, als sie sich gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids richtet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylantrag vom 5. August 2019 als unzulässig abgelehnt, das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint und ihm die Abschiebung nach Gambia angedroht wurde.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am 1. Januar 2004 in …, Gambia geboren. Er stellte am 5. August 2019 einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland.
Eine EURODAC-Anfrage ergab für den Antragsteller einen Treffer mit der Kennnummer IT1* …, dem Antragstellungs-/Fingerabdruckabnahmedatum 21. Februar 2017 und dem Antragsort Palermo.
Am 20. März 2019 richtete die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des EURODAC-Treffers ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) an Italien.
Am 9. April 2019 zog die Bundesrepublik Deutschland das Wiederaufnahmegesuch zurück und teilte mit, dass das Asylverfahren in eigener Zuständigkeit behandelt werde. Einem internen Vermerk zufolge, sei der Asylantrag gemäß Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO im nationalen Verfahren zu entscheiden.
Bei der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 13. Dezember 2019 gab der Antragsteller unter anderem an, dass er sich mehr als zwei Jahre in Italien aufgehalten habe; er sei auf Sizilien gewesen. Er habe dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder solchen zuerkannt bekommen. Zudem sei er nicht nach seinen Fluchtgründen gefragt worden und wisse auch nicht, ob es eine Entscheidung in einem Asylverfahren gebe.
In seiner Anhörung gemäß § 25 Asylgesetz (AsylG), die ebenfalls am 13. Dezember 2019 stattfand, führte der Antragsteller unter anderem aus, dass er bis er acht Jahre alt gewesen sei, in einem Waisenhaus in … und danach bei seinem Onkel in … gelebt habe. Er habe Gambia im März 2015 verlassen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er von seinem Onkel mit dem Stock geschlagen wurde und von diesem wie ein Sklave behandelt wurde. Er glaube daher nicht, dass es sich bei dem Mann tatsächlich um seinen Onkel gehandelt habe. Er habe sich auch öfter im Wald verstecken müssen, wenn ihm Kühe seines Onkels, auf die er aufzupassen hatte, entlaufen seien. Eines Tages habe er ein Feuer entfacht, welches auf die Hütte seines Onkels übergesprungen sei und dessen Sohn verletzt habe. Da auch ein Großteil der Vorräte verbrannt seien und er Angst gehabt habe, dass ihn sein Onkel umbringen würde, beschloss er, aus Gambia zu fliehen.
Am 17. Januar 2020 richtete das Bundesamt ein Informationsersuchen nach Art. 34 Dublin III-VO („Info-Request“) an Italien und begehrte Auskunft über den exakten asylrechtlichen Status (Aufenthaltstitel, Antrag auf internationalen Schutz, Entscheidung, Rechtsbehelf usw.) des Antragstellers. Zudem wurde gefragt, ob das Asylverfahren endgültig abgeschlossen sei.
Mit Schreiben vom 14. Februar 2020 teilte das italienische Innenministerium mit, dass Italien den Asylantrag des Antragstellers zurückgewiesen hat („His asylum claim was rejected on 11.10.2017“), ihm aber eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden sei („On 13.12.2017 he was granted a residence permit for humanitarian reasons expired on 12.12.2019“). Außerdem sei das Asylverfahren rechtlich und endgültig abgeschlossen („His asylum procedure is legally and finally closed“).
Mit Bescheid vom 26. März 2020 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers vom 5. August 2019 als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, und drohte ihm für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist die Abschiebung nach Gambia oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, an (Ziffer 3). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass es sich, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylG in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag stelle, um einen Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylG handle. Mit Schreiben vom 14. Februar 2020 habe das italienische Innenministerium dem Bundesamt mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in Italien erfolglos abgeschlossen worden sei. Demnach sei gemäß § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vorlägen. Diese lägen nicht vor. § 51 Abs. 1 VwVfG fordere einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein dürfte, zur Asylberechtigung oder Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen.
Im Rahmen seiner Anhörung habe der Antragsteller Asylgründe vorgetragen, die zeitlich vor der Ausreise aus dem Heimatland gelegen seien und an denen sich seit seinem Verfahren in Italien nichts zu seinen Gunsten geändert habe. Es sei nicht ersichtlich, dass sich zwischenzeitlich neue Gründe ergeben haben könnten.
Zudem lägen Abschiebungsverbote nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG.
Der Bescheid wurde am 19. Mai 2020 zugestellt.
Am 25. Mai 2019 erhob der Antragsteller durch seinen Vormund Klage und beantragte,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 26. März 2020, zu verpflichten, dem Antragsteller den subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 AsylG zuzuerkennen und hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Außerdem stellte er des Weiteren einen
„Eilantrag, gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG.“
Eine Begründung erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2020 beantragte die Antragsgegnerin,
die Klage abzuweisen und den Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) abzulehnen.
Zudem wurde ausgeführt, dass im Hinblick auf die höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage, ob sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2018 – C-181/6 (Gnandi) – ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids des Bundesamtes zu laufen beginnen dürfe, die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie folgt geändert werde: „Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.“
Im Übrigen bezog sich die Antragsgegnerin zur Antrags-/Klageerwiderung auf die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens M 10 K 20.31389 sowie der vom Bundesamt übermittelten Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Bei sachgerechter Auslegung des gestellten Antrags begehrt der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung seiner gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 26. März 2020 gerichteten Klage, die auf die Aufhebung des Bescheids vom 26. März 2020 gerichtet ist, §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO, insoweit anzuordnen, als sie sich gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) richtet (VG München, B.v. 28.2.2018 – M 16 S 17.47946 – juris).
2. Der so verstandene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 26. März 2020, soweit sie sich gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) richtet, ist zulässig.
Insbesondere ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 AsylG. Dass der Antragsteller den Rechtsbehelf auf § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG stützen will, ist insofern unschädlich, da sich die Statthaftigkeit des Antrags nach seinem Begehren, also dem wirklichen Willen des Antragsstellers richtet. Dem wirklichen Willen des Antragstellers entspricht es bei verständiger Würdigung jedoch, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage nach §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 AsylG anordnen zu lassen, da nur ein solcher Antrag Aussicht auf Erfolg haben kann. Der nur für Fälle der Abschiebung in sichere Drittstaaten (§ 26a) oder in einen zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) geltende § 34a AsylG wäre in diesem Fall nicht erfolgsversprechend, da ein solcher Fall nicht vorliegt.
3. Der Antrag ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG liegen vor.
a) Nach §§ 71a Abs. 1 und 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angefochtene Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166). „Angegriffen“ im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein die Abschiebungsandrohung; Gegenstand dieses Verfahrens ist demnach allein die Frage, ob die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 71a Abs. 1 und 4, § 36 Abs. 1 AsylG) erlassene Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94).
Dies setzt voraus, dass die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (hier: § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2, § 71a Abs. 1 AsylG) vorliegen, dass der Abschiebung des Asylbewerbers in den benannten Staat keine Abschiebungsverbote entgegenstehen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG), dass der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG) und dass die Abschiebungsandrohung auch sonst nicht zu beanstanden ist (vgl. VG München, B.v. 28.2.2018 – M 16 S 17.47946 – juris).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG.
b) Gemessen daran bestehen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in Ziffer 3 des Bescheids vom 26. März 2020 erlassenen Abschiebungsandrohung, mit der dem Antragsteller für den Fall, dass er die einwöchige Ausreisefrist nicht einhält, gestützt auf §§ 71a Abs. 4, 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG die Abschiebung nach Gambia oder in einen anderen Staat angedroht wurde. Diese sind dadurch bedingt, dass nach derzeitiger Sachlage erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 26. März 2020 erfolgten Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 Fall 2 AsylG bestehen.
aa) Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist – auch nach Auffassung der Antragsgegnerin – § 29 Abs. 1 Nr. 5 Fall 2 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 Fall 2 AsylG ist ein Asylantrag dann unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Die Prüfung obliegt dem Bundesamt (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 24).
Die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 Fall 2 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG setzt demnach unter anderem voraus, dass dem verfahrensgegenständlichen Asylantrag im Bundesgebiet ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 25) und insofern eine „Zweitantragssituation“ im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG vorliegt, sodass das Bundesamt keine sachliche Prüfung vornehmen muss (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 21, 22).
Ein in einem anderen Mitgliedstaat oder Vertragsstaat betriebenes Asylverfahren ist dann „erfolglos abgeschlossen“ im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG, wenn der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig, d.h. ohne die Möglichkeit der Wiederaufnahme bzw. Wiedereröffnung, eingestellt worden ist. Die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat oder Vertragsstaat zuvor betriebenes Asylverfahren dort durch bestandskräftige Ablehnung oder endgültige Einstellung beendet worden ist, richtet sich insgesamt nach dem betreffenden ausländischen Asylverfahrensrecht (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29 ff.). Der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens muss zudem positiv festgestellt werden; bloße Mutmaßungen genügen insoweit nicht (vgl. VG München, B.v. 28.2.2018 – M 16 S 17.47946 – Rn. 22). Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht zwar bislang offengelassen hat, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist, und insoweit lediglich angemerkt hat, dass insoweit in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht kämen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 40). Es hat damit jedoch deutlich gemacht, dass es keineswegs unerheblich ist, wann das in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführte Asylverfahren erfolglos abgeschlossen wurde.
Die diesbezügliche Aufklärung des Sachverhalts obliegt zunächst dem Bundesamt. Es muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass und – jedenfalls in gewissen Grenzen auch – wann das Asyl(erst) verfahren des Antragstellers in einem Drittstaat endgültig abgeschlossen wurde (vgl. VG Lüneburg, B.v. 9.2.2018 – 1 B 2/18 – juris Rn. 8) Bestehende Zweifel gehen zu Lasten des Bundesamtes (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41).
bb) Vorliegend lässt sich den vorgelegten Unterlagen zwar noch entnehmen, dass ein „erfolgloser Abschluss“ eines den Antragsteller betreffenden Asylverfahrens in Italien gegeben ist, da dieses rechtlich und endgültig abgeschlossen wurde. Allerdings fehlen zum einen Angaben darüber, wann das Asylverfahren so abgeschlossen wurde, also zu welchem Zeitpunkt der ablehnende Bescheid rechtskräftig geworden ist, und zum anderen darüber, ob inhaltlich auch eine Sachprüfung erfolgte, auf der die Entscheidung letztlich beruhte.
Das Bundesamt hat dies – ausweislich der vorgelegten Unterlagen – entgegen seiner Verpflichtung gem. § 71a Abs. 1 AsylG a.E. nicht im gebotenen Umfang ermittelt und damit nicht (ausreichend) geprüft. Es ist nicht zu der erforderlichen gesicherten Erkenntnis gelangt, dass der Asyl(erst) antrag in Italien mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung unanfechtbar abgelehnt oder dieses Asyl(erst) verfahren in sonstiger Weise endgültig abgeschlossen wurde. Der Sachverhalt bedarf insoweit weiterer Aufklärung, für die das Eilverfahren keinen Raum bietet.
Die Antragsgegnerin hat zwar – grundsätzlich wie geboten -Ermittlungen angestellt und ausgehend von dem EURODAC-Treffer mit der Kennnummer IT1* …, aus dem zwar aus der Ziffer 1 hinter dem Länderkennbuchstaben, eine erkennungsdienstliche Behandlung im Zusammenhang mit einem Schutzgesuch, nicht jedoch der für § 71a Abs. 1 AsylG allein relevante endgültige Abschluss eines Asylverfahrens abgeleitet werden kann (vgl. VG Hannover, U.v. 16.3.2017 – 10 A 7713/16 – juris Rn. 18), die italienischen Behörden im Rahmen einer sog. Info-Request-Anfrage offiziell um Auskunft gebeten, welchen exakten asylrechtlichen Status (Aufenthaltstitel, Antrag auf internationalen Schutz, Entscheidung, Rechtsbehelf usw.) der Antragsteller habe. Zudem wurde gefragt, ob das Asylverfahren endgültig abgeschlossen sei.
Weitere Fragen zum genauen Zeitpunkt des endgültigen Abschlusses des Asylverfahrens oder dazu, ob der Asylantrag des Antragstellers auch auf die Gewährung internationalen Schutzes hin geprüft worden sei, sowie – für den Fall einer negativen Entscheidung in Italien – welche Asylgründe der Antragsteller geltend gemacht habe, wurden jedoch nicht gestellt.
Entsprechend teilte das italienische Innenministerium auch nicht mit, ob im Asylverfahren eine Sachprüfung erfolgte und ob der Antrag aufgrund einer Sachprüfung oder aus anderen Gründen (Formelle Gründe, Dublin-Verfahren etc.) abgelehnt wurde. Es fehlen ebenfalls Angaben dazu, in welcher Form das Asylverfahren zu seinem endgültigen Abschluss kam (z.B. Einstellung, Bestandskraft des ablehnenden Bescheids durch Zeitablauf oder Entscheidung im Rechtsmittelverfahren). Diese Angaben sind jedoch unabdingbar, um prüfen zu können, ob der Asylantrag in Deutschland tatsächlich erst nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gestellt wurde.
Mit der erhaltenen Antwort, wonach das Asylbegehren zurückgewiesen sei, dem Antragsteller aber eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden sei, hätte sich die Antragsgegnerin vorliegend nicht begnügen dürfen. Dies ist insbesondere dadurch bedingt, dass mangels Angabe zum Zeitpunkt der Verweigerung internationalen Schutzes in Italien nicht erkennbar ist, wann und insofern unter welchen tatsächlichen Umständen und in welcher Form diese Schutzverweigerung stattgefunden haben soll. So ist mangels zeitlicher Einordnung der Schutzverweigerung insbesondere nicht ersichtlich, ob sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt noch in Italien befunden hat und wie die ihm gegenüber getroffene Entscheidung im Fall des zwischenzeitlichen Verlassens von Italien wirksam und gegebenenfalls auch bestandskräftig werden konnte* Mangels zeitlicher Einordnung der Schutzverweigerung und mangels sonstiger näherer Angaben zum Inhalt der Entscheidung, insbesondere zu ihrem Tenor, ist auch nicht mit der gebotenen Sicherheit erkennbar, ob der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz nach sachlicher Prüfung (vgl. Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 21), die sich auch auf subsidiären Schutz erstreckte (vgl. VG Karlsruhe, U.v.13.3.2019 – A 1 K 3235/16 – juris Rn. 23 f.), abgelehnt oder ob das Asylverfahren hierbei – insbesondere aufgrund des eventuellen zwischenzeitlichen Fortzugs des Antragstellers – „lediglich“ eingestellt wurde. Für diesen Fall hätte zudem weiter ermittelt werden müssen, ob und gegebenenfalls seit wann insoweit nicht nur keine (gerichtlichen) Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die (Einstellungs-)Entscheidung mehr bestehen, sondern auch eine Wiederaufnahme des (eingestellten) Verfahrens insgesamt ausgeschlossen ist und das Verfahren insofern endgültig eingestellt wurde (vgl. VG München, B.v. 15.1.2018 – M 21 S 17.43756 – juris Rn. 24).
Folglich hätte das Bundesamt ergänzend zu den mitgeteilten Informationen zum Asylverfahren des Antragstellers in Italien jedenfalls noch Informationen zum Zeitpunkt und auch zum Tenor der mitgeteilten Entscheidung der italienischen Behörden einholen müssen. Jedenfalls soweit daraus der konkrete Gegenstand der mitgeteilten Schutzverweigerung sowie der dieser zugrunde liegende Prüfungsumfang nicht erkennbar gewesen wären, wäre die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu versuchen, insoweit unmittelbar Auskunft von den italienischen Behörden zu erhalten. Für den Fall einer Einstellung des Verfahrens hätte zudem explizit nach bestehenden Möglichkeiten der Wiederaufnahme bzw. den insoweit geltenden Fristen und deren Ablauf gefragt werden müssen. Dasselbe gilt hinsichtlich des konkreten Ablaufs eventueller Rechtsmittel-/-behelfsfristen und der Wirksamkeit einer möglicherweise in Abwesenheit des Antragstellers ergangenen Entscheidung.
Selbst wenn man vorliegend annähme, dass das Bundesamt die Tatsache eines erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens des Antragstellers in Italien grundsätzlich auf ausreichender Grundlage festgestellt hat, gilt dies jedenfalls nicht im Hinblick auf den für das Vorliegen einer Zweitantragssituation im Sinne von § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls relevanten Zeitpunkt des erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar bislang offengelassen, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist, und insoweit lediglich angemerkt, dass in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht kämen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 40).
Die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt bedarf im vorliegenden Eilverfahren jedoch keiner Entscheidung. Denn den vorgelegten Unterlagen und insbesondere auch der Auskunft des italienischen Innenministeriums vom 14. Februar 2020 ist nicht zu entnehmen, wann dem Antragsteller in Italien internationaler Schutz verweigert worden sein soll. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Asylverfahren des Antragstellers in Italien bereits bei Stellung des Asylantrags des Antragstellers in Deutschland spätestens am 5. August 2019 erfolglos abgeschlossen war. Aber auch, wenn man auf einen erst nach der Antragstellung in der Bundesrepublik Deutschland liegenden Zeitpunkt, z.B. den Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs abstellt, bestehen vorliegend auf der bislang bekannten Tatsachengrundlage mangels jeglicher Angabe zum Zeitpunkt der Schutzverweigerung gleichwohl ernstliche Zweifel hinsichtlich des Vorliegens eines Zweitantrages. Zumal vorliegend einiges dafür sprechen dürfte, dass die Zeitpunkte der Asylantragstellung und des Zuständigkeitsübergangs in diesem Fall gemäß Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zusammenfallen dürften, da der Antragsteller noch minderjährig ist. Diese Tatsache war es wohl auch, die das Bundesamt dazu bewogen hat, das Wiederaufnahmegesuch gegenüber Italien zurückzuziehen (vgl. den internen Vermerk, Bl. 25 der Asylakte).
Der Sachverhalt bedarf insofern jedenfalls unter diesem Aspekt weiterer Aufklärung, für die das Eilverfahren keinen Raum bietet.
Mit Blick auf das Klageverfahren obliegt es dem Bundesamt, den Sachverhalt, gegebenenfalls durch detailliertere Fragen an Italien, im genannten Umfang weiter aufzuklären, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufgreifensgründen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG beschränken zu dürfen.
c) Da insofern bereits aufgrund der unzureichenden Ermittlung der sog. „Zweitantragssituation“ bzw. jedenfalls des Zeitpunkts ihres Eintritts ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der anknüpfend an die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 Fall 2, § 71a Abs. 1 AsylG erlassenen Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 26. März 2020 bestehen, ist die aufschiebende Wirkung der Klage, soweit sie sich gegen die Abschiebungsandrohung richtet, bereits aus diesem Grund anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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